TE Lvwg Erkenntnis 2018/8/13 LVwG-AV-106/001-2017

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Veröffentlicht am 13.08.2018
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Entscheidungsdatum

13.08.2018

Norm

BAO §93 Abs2
BAO §246 Abs1
KanalG NÖ 1977 §2 Abs1
KanalG NÖ 1977 §12
KanalG NÖ 1977 §14
B-VG Art116 Abs1
B-VG Art118 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Lindner als Einzelrichterin über die Beschwerde der Frau A und des Herrn B, ***, ***, vom 27. Juni 2016 gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 2. Juni 2016, Zl. ***, mit welchem eine Berufung der Frau A gegen den Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 18. Dezember 2015, Zl. ***, betreffend Vorschreibung einer Kanaleinmündungsergänzungsabgabe als unbegründet abgewiesen worden war,

1.   zu Recht:

Der Beschwerde der Frau A wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben und der angefochtene Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** dahingehend abgeändert, dass in Stattgebung der gegen den erstinstanzlichen Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** erhobenen Berufung dieser ersatzlos behoben wird.

2.   und fasst folgenden Beschluss:

Die Beschwerde des Herrn B wird gemäß §§ 260, 278 Bundesabgabenordnung (BAO) als unzulässig eingebracht zurückgewiesen.

3.   Gegen dieses Erkenntnis (Spruchpunkt 1.) und gegen diesen Beschluss (Spruchpunkt 2.) ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.       Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

1.1. Grundsätzliche Feststellungen:

Frau A (in der Folge: Beschwerdeführerin) ist grundbücherliche Eigentümerin der Liegenschaft mit der topographischen Anschrift ***, *** (Grundstück Nr. ***, EZ ***, KG ***). Diese Liegenschaft ist im Gebiet der Gemeinde *** gelegen.

1.2. Verwaltungsbehördliches Verfahren:

1.2.1.

Mit Bescheid vom 21. November 1988 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde *** den damaligen Eigentümern des Grundstücks Nr. ***, EZ ***, KG ***, C und D die Baubewilligung zur Revitalisierung des dort befindlichen ehemaligen, sich in einem verfallenen Zustand befindlichen „Badehauses“ als Wohnhaus. Dabei war die Ableitung der Abwässer und Fäkalien in eine Senkgrube vorgesehen.

Zwischen den damaligen Eigentümern und den Marktgemeinden *** und *** wurde im Jahr 1991 ein Übereinkommen abgeschlossen, wonach die Marktgemeinde *** den damaligen Grundstückseigentümern den Anschluss der Liegenschaft Nr. ***, EZ ***, an das Kanalsystem der Marktgemeinde *** gestattete. Dafür verpflichteten sich die Liegenschaftseigentümer für sich und ihre Rechtsnachfolger, der Marktgemeinde *** ein Entgelt in Höhe der jeweils in der Kanalgebührenordnung der Marktgemeinde *** für den Mischwasserkanal festgesetzten Kanaleinmündungs- und Benützungsgebühren zu entrichten. Die Marktgemeinde *** erteilte ihre ausdrückliche Zustimmung, dass die Parzelle ***, EZ ***, an das öffentliche Mischwasserkanalnetz der Marktgemeinde *** angeschlossen und das Entgelt für den Kanalanschluss und die Kanalbenützungsgebühr von den Liegenschaftseigentümern an die Marktgemeinde *** direkt entrichtet werde.

1994 wurde das verfahrensgegenständliche Grundstück Nr. ***, EZ ***, welches das „Badehaus“ enthielt, vom Grundstück Nr. ***, EZ ***, abgeteilt.

1995 erteilte die Marktgemeinde *** den damaligen Liegenschaftshälfteigentümerinnen C und A die Bewilligung zur Errichtung eines Schmutzwasserkanals, damit die anfallenden Abwässer ihrer Liegenschaft über das Grundstück Nr. ***, EZ ***, in das Kanalnetz der Marktgemeinde *** abgeleitet werden können.

Mit Jahreswechsel 1995/1996 wurde die Kanalanlage in Betrieb genommen.

Mit Fertigstellungsanzeige vom 30. Oktober 2002 wurde seitens Herrn D und Frau A gemäß § 30 NÖ Bauordnung 1996 die Vollendung des Bauvorhabens „Revitalisierung Badehaus als Zweifamilienhaus“ (Baubewilligung vom 21. November 1988) angezeigt und diesem Schreiben eine § 30-Bescheinigung des Bauführers über die bewilligungsgemäße Ausführung des Bauwerks sowie diverse Pläne angeschlossen.

Mit Bescheid vom 13. Jänner 2003 schrieb der Bürgermeister der Marktgemeinde *** den damaligen Liegenschaftshälfteigentümerinnen C und A für die Liegenschaft ***, EZ ***, eine Kanaleinmündungsabgabe vor. Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Gemeindevorstand der Marktgemeinde *** mit Bescheid vom 18. Februar 2004 abgewiesen, die dagegen erhobene Vorstellung mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 20. September 2004, Zl. ***, als unbegründet abgewiesen. Dagegen wurde Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.November 2007, GZ. 2004/17/0208, wurde letzterer Bescheid aufgehoben, indem die belangte Behörde entscheidungsrelevante Feststellungen über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 NÖ Kanalgesetz 1977(wonach die Kanalerrichtungsabgabe nur im Falle einer Anschlussverpflichtung oder Bewilligung des Anschlusses an die öffentliche Kanalanlage vorgeschrieben werden dürfe), insbesondere solche, die es erlauben würden, das Kanalnetz der Marktgemeinde *** (auch) der Marktgemeinde *** zuzurechnen, unterlassen habe.

Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 14. Juli 2008, Zl. ***, wurde die Vorstellung neuerlich abgewiesen, dagegen erneut Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.Juli 2011, GZ. 2008/17/0144, wurde letzterer Bescheid aufgehoben und begründend ausgeführt, dass die belangte Behörde neuerlich keine tauglichen Feststellungen getroffen habe, welche es erlauben würden, den Kanal der Marktgemeinde *** der Marktgemeinde *** zuzurechnen, indem sich diese zu Unrecht auf die Vereinbarung vom 6. bzw. 12. Dezember 2002 zwischen den Marktgemeinden *** und *** gestützt habe, um den Kanal der Marktgemeinde *** der Marktgemeinde *** zuzurechnen, indem – unbeschadet der späteren Abteilung der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft Grundstück Nr.***, EZ ***, von dem Grundstück Nr. ***, EZ ***, diese Vereinbarung im Beschwerdefall keine Anwendung finde.

Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 19. Dezember 2011, Zl. ***, wurde der Vorstellung der Frau C und der Frau A Folge gegeben, der Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 18. Februar 2002 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde *** verwiesen.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 1. Februar 2012 wurde der Berufung der Frau C und der Frau A Folge gegeben und der Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 13. Jänner 2013, mit welchem die Kanaleinmündungsabgabe für die Liegenschaft ***, Grstk. Nr. *** vorgeschrieben worden war, ersatzlos behoben.

1.3. Abgabenbehördliches Verfahren:

1.3.1.

Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 18. Dezember 2015, Zl. ***, wurde Frau A gemäß § 2 und § 3 NÖ Kanalgesetz 1977 und der geltenden Kanalabgabenordnung der Marktgemeinde *** unter Zugrundelegung einer Berechnungsfläche von 1.117,66 m² nach der Änderung sowie einer Berechnungsfläche von 380,50 m² vor der Änderung und eines Einheitssatzes von € 11,63 eine Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe im Ausmaß von € 8.573,17 (exklusive USt.) vorgeschrieben. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der Erweiterung des Bestandes („Revitalisierung Badehaus“) auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft in ***, ***, Parzelle Nr. ***, EZ ***, KG ***, die Berechnungsfläche neu berechnet worden sei:

I. Bestand nach der Änderung

Gebäude   Bebaute Fläche Flächenhälfte angeschl. Geschoße Fläche

                           368,58   184,29    3 + 1            737,16   122,20   61,10    4 + 1      305,50

Anteil der bebauten Fläche:          1.042,66

Anteil der unbebauten Fläche: 15 % von 15.374,22 m²      75,00

                                (maximal von 500 m² = 75 m²)

Berechnungsfläche nach der Änderung        1.117,66

II. Bestand vor der Änderung

Gebäude   Bebaute Fläche Flächenhälfte angeschl. Geschoße Fläche

                           122,20   61,10    4 + 1      305,50

Anteil der bebauten Fläche:          305,50

Anteil der unbebauten Fläche: 15 % von 15.742,80 m²      75,00

                                (maximal von 500 m² = 75 m²)

Berechnungsfläche vor der Änderung        380,50

Unter Heranziehung des geltenden Einheitssatzes von € 11,63 wurde sohin ein Gesamtbetrag von € 8.573,17 errechnet.

1.3.2.

Mit Schreiben vom 9. Jänner 2016 erhob Frau A rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung und begründete diese umfangreich. Im Wesentlichen wird vorgebracht, dass Verfahrensvorschriften (z.B. Parteiengehör, unterlassene Sachverhaltserhebungen, Unterlassung der Einbeziehung der mitbeteiligten Partei D, der bis Dezember 2013 Teileigentümer der verfahrensgegenständlichen Liegenschaften gewesen sei) verletzt worden seien.

Weiters sei die Gemeindeautonomie verletzt, die es für rechtswidrig erkläre, dass – wie im Gegenstand - eine Gemeinde einer Nachbargemeinde durch privatrechtliche Vereinbarung einen Teil ihres zugleich gesplitteten (laufende Kanalgebühr und Kanalanschlussergänzung) Gebührenanspruches gegenleistungslos überlasse. Das Übereinkommen der belangten Behörde und der Gemeinde *** vom 6.12.2002 und vom 12.12.2002 sei rechtswidrig.

Es bestehe weiterhin keine Rechtsbeziehung zwischen der Marktgemeinde *** und der Marktgemeinde *** bzw. mit der Berufungswerberin. Vermutlich habe der seinerzeitige Rechtsvorgänger im Liegenschaftsbesitz bereits damals die Anschlussgebühren zur Gänze bezahlt. Die belangte Behörde habe angenommen, die Revitalisierung habe zu einer gänzlichen Erweiterung des Bestandes auf der Liegenschaft geführt, was unrichtig sei. Das Bestandsgebäude weise lediglich ein neues kreuzförmiges Obergeschoß zusätzlich auf, es sei nur eine teilweise Erweiterung des Bestandes (nach oben) auf der Liegenschaft erfolgt. Die von der Gemeinde *** baubehördlich genehmigte Revitalisierung habe auf Grund der Flächenwidmung in den Grenzen des ursprünglichen Bestandes erfolgen müssen.

Die Berufungswerberin sei nach wie vor Bürgerin der Gemeinde *** und nur diese Behörde vorschreibungsberechtigt. Indem die Vereinbarung zwischen den beiden Gemeinden rechtswidrig sei und die Zahlung der laufenden Kanalgebühr an die Gemeinde *** keine Rechtsbeziehung herzustellen vermöge, könne die Gemeinde *** eine Kanaleinmündungsergänzungsabgabe nicht vorschreiben.

Insgesamt sei die Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe rechtswidrig, indem weder die Gemeinde *** noch die Gemeinde *** durch die modernisierte Kanaleinmündung Mehraufwände hätten, weshalb die Grundlage für die Einhebung der Ergänzungsabgabe fehle. Der Bestand vor der Änderung sei unrichtig angenommen worden, indem das Badehaus bereits vor der Änderung existent und angeschlossen gewesen sei und eine Berechnungsfläche von 368,58 und 2+1 Geschoße aufgewiesen habe. Auch sei die Anwendung des derzeit geltenden Einheitssatzes von € 11,63 rechtswidrig und hätte richtigerweise der Einheitssatz für jenen Zeitpunkt herangezogen werden müssen, in dem nach Meinung der Berufungswerberin der Lauf der Verjährung begonnen habe.

Weiters sei längst Verjährung eingetreten und sei der Beginn der Verjährung mit der Vorschreibungsmöglichkeit und Bezahlung im Jahre 1984 anzusetzen. Spätestens mit dem Abschluss der Vereinbarung vom 6.12.2002 bzw. 12.12.2002 habe die belangte Behörde alle erforderlichen Informationen für die Beurteilung der Verjährung zur Verfügung gehabt.

Es werde daher der Antrag auf Behebung des Bescheides gestellt.

1.3.3.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 2. Juni 2016, Zl. ***, wurde die Berufung der Frau A gegen den Abgabenbescheid des Bürgermeisters vom 18. Dezember 2015, Zl. ***, als unbegründet abgewiesen.

Begründend wird zur Zuständigkeit zur Bescheiderlassung dargelegt, dass eine Vorfragenentscheidung (im konkreten Fall über die Zuständigkeit der Marktgemeinde ***) vorliege, an welche die Abgabenbehörde gebunden sei.

Wenn die Berufungswerberin die Verletzung von Verfahrensvorschriften behaupte, so sei die Information über die von der Marktgemeinde *** ermittelte Berechnungsfläche mit Schreiben vom 23.11.2012 mit dem Ersuchen um Zustimmung nachweislich an die Berufungswerberin ergangen, doch habe diese nicht reagiert. Aufgrund des Hinweises „Sollte der Erhebungsbogen betreffend die Kanaleinmündungsergänzungsabgabe nicht innerhalb der oben angeführten Frist retourniert werden, so wird ihre Zustimmung zur ermittelten Berechnungsfläche angenommen“ sei auf Basis dieser Daten der Abgabenbescheid erlassen worden. Auch hätten die Berufungswerberin und D betreffend das gegenständliche Verfahren vorgesprochen und Gelegenheit zur Darlegung ihres Standpunktes gehabt. Wenn die Außerachtlassung der Einbeziehung der mitbeteiligten Partei D, der bis Dezember 2013 Teileigentümer der in das Rechtsmittel gezogenen Liegenschaften gewesen sei, gerügt werde, so werde auf die Zitierung des § 101 Abs. 1 BAO im angefochtenen Bescheid verwiesen, und sei damit eine Einbeziehung der etwaigen Miteigentümer, in diesem Fall D, gegeben.

Zur Argumentation der Verletzung der Gemeindeautonomie werde entgegnet, dass dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.7.2011, 2008/17/0144, folgend, die Vereinbarung vom 6. bzw. 12.12.2002 im Beschwerdefall keine Anwendung finde, sondern das Übereinkommen vom 25.4.1991 zwischen den Marktgemeinden *** und *** und den Rechtsvorgängern der Berufungswerberin, d.h. den Eigentümern des noch ungeteilten Grundstückes Parzelle Nr. ***, EZ ***, KG ***, gelte, wonach diese Liegenschaft an das öffentliche Mischwasserkanalnetz der Marktgemeinde *** angeschlossen werde und das Entgelt dafür von den Eigentümern an die Marktgemeinde *** zu entrichten sei. Der Umstand, dass die laufende Vergebührung der Kanalbenützungsgebühr durch den Gemeindeverband für Abgabeneinhebung und Umweltschutz im Bezirk *** erfolge, berühre die Vorschreibung der Kanaleinmündungsergänzungsabgabe durch die Marktgemeinde *** nicht.

Bereits im Jahre 1985 sei auf Basis des Baubewilligungsbescheides der Marktgemeinde *** vom 14.10.1985, AZ ***, die Kanaleinmündungsabgabe vorgeschrieben und bezahlt worden. Basis der Vorschreibung sei eine bebaute Fläche von 122,20 m² und 4 angeschlossene Geschoße gewesen. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen und diese Tatsache als Altbestand berücksichtigt worden. Es gehe entgegen der Argumentation der Berufungswerberin nicht darum, ob die Revitalisierung zu einer gänzlichen Änderung des Bestandes geführt habe, sondern darum, dass das revitalisierte, zweite Gebäude an den bereits bestehenden Kanalanschluss des bestehenden bereits angeschlossenen ersten Gebäudes dazu angeschlossen worden sei, was auch aus dem Schreiben der Berufungswerberin vom 30.9.2001 hervorgehe.

Die Übereinkunft von 1991 könne nur so ausgelegt werden, dass sie auch für spätere Änderungen der Berechnungsgrundlage gelte. Die Erweiterung der Übereinkunft auf Rechtsnachfolger wäre gänzlich widersinnig, wenn sie nur punktuell für die zum damaligen Zeitpunkt bereits bezahlte Kanaleinmündungsabgabe gelten solle. Die Argumentation der Berufungswerberin, sie sei Bürgerin der Gemeinde *** und nur diese Behörde vorschreibungsberechtigt, widerspreche der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.7.2011.

Abgabenrechtlicher Tatbestand sei nicht die Abteilung der Liegenschaft, sondern der Anschluss an die öffentliche Kanalanlage, so dass die Bestimmung des § 2 Abs. 6 NÖ Kanalgesetz 1977 nur so verstanden werden könne, dass – wenn die ungeteilte Liegenschaft so bebaut war, dass auch nach der Teilung beide Liegenschaften als bebaute, an die öffentliche Kanalanlage angeschlossene, zu bewerten sind, allenfalls eine Ergänzungsabgabe anlässlich einer weiteren Bauführung, die eine Änderung der Berechnungsgrundlagen bewirkt, vorgeschrieben werden könne. Es sei daher im Gegenstand eine Kanaleinmündungsergänzungsabgabe und keine Kanaleinmündungsabgabe vorzuschreiben, was im Übrigen für die Berufungswerberin günstiger sei.

Wenn die Berufungswerberin die Berechnungsfläche beanstande, so habe die Marktgemeinde *** die auf Basis der übermittelten Pläne ermittelte Berechnungsfläche mit dem Ersuchen um Zustimmung der Berufungswerberin mitgeteilt und sei von ihrer Zustimmung zur ermittelten Berechnungsfläche auszugehen, indem diese nicht auf das Schreiben reagiert habe. Es sei auch nicht vorgebracht worden, worin konkret die Berechnungsfläche fehlerhaft berechnet worden sei.

Das Haus 2 („revitalisiertes Badehaus“) sei vor den bewilligungspflichtigen Umbauarbeiten nicht an den Kanal der Marktgemeinde ***, sondern an eine Senkgrube angeschlossen gewesen, sodass dieses daher nicht als Altbestand berücksichtigt werden könne. Das Haus 2 („revitalisiertes Badehaus“) sei an die bereits bestehende Kanalanlage des Hauses 1 (Altbestand) dazu geschlossen worden und sei die Grundlage für die Einhebung der Ergänzungsabgabe daher gegeben, ein Mehraufwand für die Abgabenbehörde sei hiezu nicht erforderlich.

Weiters sei nicht der derzeit geltende, sondern der vormals geltende Einheitssatz angewendet worden.

Zum Verjährungseinwand werde ausgeführt, dass mit dem Übereinkommen aus dem Jahr 2002 die Zuständigkeit betreffend gegenständlicher Abgaben von der Marktgemeinde *** auf die Marktgemeinde *** übergegangen sei, erst mit Erkenntnis des VwGH vom 20.7.2011 bzw. Bescheid der Marktgemeinde *** vom 1.2.2012 die Zuständigkeit der Marktgemeinde *** gegeben sei, sohin erst mit diesem Zeitpunkt die Verjährung zu laufen beginnen könne. Verjährung sei sohin nicht eingetreten.

1.4. Beschwerdeverfahren:

Mit Schreiben vom 27. Juni 2016 brachten die Beschwerdeführer rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** ein und begründeten diese wie die oben wiedergegebene Berufung.

1.5. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

Mit Schreiben vom 23. Jänner 2017 bzw. 6. Februar 2017 legte die Marktgemeinde *** dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde und den bezughabenden Verwaltungsakt (samt Einladungskurrende und Sitzungsprotokoll der maßgeblichen Sitzung des Gemeindevorstandes) vor.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat weiters Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in diesen Akt der Marktgemeinde *** sowie durch Einsichtnahme in das öffentliche Grundbuch.

1.6. Beweiswürdigung:

Im Wesentlichen ist der Sachverhalt als unstrittig zu beurteilen und ergibt sich dieser aus dem unbedenklichen Akteninhalt in Verbindung mit dem bekämpften Bescheid, sowie aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer, soweit dieses den Feststellungen der belangten Behörde nicht entgegentritt.

2.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

2.1. Bundesabgabenordnung - BAO:

§ 1. (1) Die Bestimmungen der BAO gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.

§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. …

§ 4. (1) Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.

§ 49. (1) Abgabenbehörden sind die mit der Erhebung der im § 1 bezeichneten öffentlichen Abgaben und Beiträge betrauten Behörden der Abgabenverwaltung des Bundes (§ 52), der Länder und Gemeinden.

(2) Unter Erhebung im Sinn dieses Bundesgesetzes sind alle der Durchführung der Abgabenvorschriften dienenden abgabenbehördlichen Maßnahmen zu verstehen.

§ 50. Die Abgabenbehörden haben ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Langen bei ihnen Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sind, so haben sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.

§ 70. Soweit über die örtliche Zuständigkeit der Abgabenbehörden nicht anderes bestimmt wird, richtet sich diese

1. in Sachen, die sich auf ein unbewegliches Gut beziehen: nach der Lage des Gutes;

2. in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen: nach dem Ort, von dem aus das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird, worden ist oder werden soll;

3. in sonstigen Sachen: zunächst nach dem Wohnsitz (Sitz) des Abgabepflichtigen, dann nach seinem Aufenthalt, schließlich nach seinem letzten Wohnsitz (Sitz) im Inland, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommen kann oder Gefahr im Verzug ist, nach dem Anlaß zum Einschreiten.

§ 93.

(2) Jeder Bescheid ist ausdrücklich als solcher zu bezeichnen, er hat den Spruch zu enthalten und in diesem die Person (Personenvereinigung, Personengemeinschaft) zu nennen, an die er ergeht.

§ 246. (1) Zur Einbringung einer Bescheidbeschwerde ist jeder befugt, an den der den Gegenstand der Anfechtung bildende Bescheid ergangen ist.

§ 260. (1) Die Bescheidbeschwerde ist mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) zurückzuweisen, wenn sie

a)   Nicht zulässig ist oder

b)   nicht fristgerecht eingebracht wurde.

….

§ 278. (1) Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes

a)   weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260) noch

b)   als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären,

so kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.

(3) Im Verfahren betreffend Bescheide, die Erkenntnisse (Abs. 1) abändern, aufheben oder ersetzen, sind die Abgabenbehörden an die für das Erkenntnis maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn das Erkenntnis einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.

2.2. NÖ Kanalgesetz 1977 idF LGBl. 8230-8:

§ 2. (1) Für den möglichen Anschluss an die öffentliche Kanalanlage ist eine Kanaleinmündungsabgabe zu entrichten.

§ 3. (1) Die Höhe der Kanaleinmündungsabgabe ergibt sich aus dem Produkt der Berechnungsfläche (Abs. 2) mit dem Einheitssatz (Abs. 3).

(2) Die Berechnungsfläche wird in der Weise ermittelt, dass die Hälfte der bebauten Fläche mit der um 1 erhöhten Zahl der an die Kanalanlage angeschlossenen Geschosse multipliziert und das Produkt um 15 v.H. der unbebauten Fläche vermehrt wird. Nicht angeschlossene Gebäude oder Gebäudeteile zählen zur unbebauten Fläche. Wird die Liegenschaft trotz bestehender Anschlussverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen, so ist die Berechnungsfläche so zu ermitteln, als ob die Liegenschaft an die Kanalanlage angeschlossen wäre.

(3) Die Berechnungsfläche wird in der Weise ermittelt, dass die Hälfte der bebauten Fläche mit der um 1 erhöhten Zahl der an die Kanalanlage angeschlossenen Geschosse multipliziert und das Produkt um 15 v.H. der unbebauten Fläche vermehrt wird. Nicht angeschlossene Gebäude oder Gebäudeteile zählen zur unbebauten Fläche. Wird die Liegenschaft trotz bestehender Anschlussverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen, so ist die Berechnungsfläche so zu ermitteln, als ob die Liegenschaft an die Kanalanlage angeschlossen wäre.

Abgabepflichtiger

§ 9. Die Kanalerrichtungsabgabe und Kanalbenützungsgebühr sind unabhängig von der tatsächlichen Benützung der öffentlichen Kanalanlage von jedem Liegenschaftseigentümer zu entrichten, für dessen Liegenschaft die Verpflichtung zum Anschluß besteht oder der Anschluß bewilligt wurde. …

§ 12. Die Abgabenschuld für die Kanaleinmündungsabgabe (Sonderabgabe, Ergänzungsabgabe) entsteht

a)   im Falle der Neuerrichtung eines Kanals in dem Zeitpunkt, in dem der Anschluß der anschlußpflichtigen Liegenschaft an den Kanal möglich ist;

b)   im Falle einer Bauführung mit dem Einlangen der Fertigstellungsanzeige im Sinne der Bauordnung bei der Behörde bzw.

c)    wenn eine solche nicht erforderlich ist, mit der Fertigstellung des Vorhabens oder mit dem Eintritt der Änderung.

Abgabenbescheid

§ 14. (1) Den Abgabepflichtigen ist die Abgabenschuld mit Abgabenbescheid vorzuschreiben. Durch je einen besonderen Abgabenbescheid sind vorzuschreiben:

a)   die Kanaleinmündungsabgaben, Ergänzungsabgaben und Sonderabgaben (§§ 2 und 4);

b)   die Kanalbenützungsgebühren und die Fäkalienabfuhrgebühren (§§ 5 und 8);

c)   Änderungen der im Abgabenbescheid nach lit.b festgesetzten Gebühren;

(2) Der Abgabenbescheid hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung als Abgabenbescheid;

b) den Grund der Ausstellung;

c) bei der Fäkalienabfuhr die Zahl der jährlichen Einsammlungen;

d) die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe;

e) den Fälligkeitstermin, im Falle des Abs. 1 lit.b und c die Fälligkeitstermine und die Höhe der jeweiligen Teilbeträge;

f) die Rechtsmittelbelehrung und

g) den Tag der Ausfertigung.

(3) Die in der Abgabenentscheidung festgesetzte Kanalbenützungsgebühr oder Fäkalienabfuhrgebühr ist so lange zu entrichten, solange nicht ein neuer Abgabenbescheid ergeht.

(4) Der Abgabenbescheid nach Abs. 1 lit. c ist insbesondere auf Grund einer im § 13 Abs. 1 genannten Veränderung, ferner bei Änderung der Einheitssätze, bei der Fäkalienabfuhr auch bei Änderung des Einsammlungsplanes zu erlassen.

2.3. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985:

§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:

         1.       Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;

         2.       Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;

         3.       Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.

(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden. …

(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

3.         Würdigung:

3.1. Zu Spruchpunkt 1.:

Die Beschwerde ist begründet.

3.1.1.

In der Sache ist eingangs festzuhalten, dass sich das Beschwerdevorbringen auf die Frage reduzieren lässt, ob die Vorschreibung der Kanaleinmündungsergänzungsabgabe dem Grunde nach zu Recht erfolgt ist.

3.1.2.

Gemäß Art. 116 Abs. 1 B-VG nimmt die Gemeinde als juristische Person des öffentlichen Rechts an der Hoheitsgewalt des Staates teil. Die Besonderheit der Gebietskörperschaft ist die Personengemeinschaft eines bestimmten Gebietes. Im Lichte des Art. 118 Abs. 2 sind wesentliche Elemente der Gebietskörperschaft Gemeinde jedenfalls ihr Gebiet und ihre Gebietshoheit, die über die darauf lebenden Menschen ausgeübt wird (Oberndorfer in Pabel, Das österreichische Gemeinderecht, 3. Ausgabe, Manz, 1. Teil S. 6 f, sowie VfSlg. 14.457/1996). Als Gebietshoheit wird dabei die rechtliche Herrschaft innerhalb eines bestimmten Gebietes über jedermann bezeichnet, der sich in diesem Gebiet aufhält. Die für die mit Gebietshoheit ausgestattete Gebietskörperschaft Gemeinde kennzeichnende Teilhabe an der Hoheitsgewalt des Staates ergibt sich dabei aus der Zuerkennung des eigenen Wirkungsbereiches, wie er in Art. 118 Abs. 2 und 3 B-VG umschrieben ist (vgl. VwGH VwSlg. 3.577/1967).

Im Rahmen dieses Wirkungsbereiches sind die gemeindlichen Hoheitsakte auf das jeweilige Gemeindegebiet beschränkt. So hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Eignung einer Verwaltungsaufgabe dann nicht gegeben ist, wenn die erforderlichen Maßnahmen für das Gemeindegebiet nicht mit Erfolg getroffen werden können, weil wirksame Maßnahmen über das Gemeindegebiet hinausgreifen müssten (vgl. VwSlg. 7.348 A/1968). Auch der Verfassungsgerichtshof hat eine Verwaltungsmaßnahme, deren Wirkung über das Ortsgebiet hinausreicht, aus dem eigenen Wirkungsbereich ausgenommen (vgl. VfSlg. 5.430/1966, 5.825/1968, 7.335/1984 und 11.307/1978). Daraus folgt, dass Hoheitsverwaltung im eigenen Wirkungsbereich nur innerhalb der Grenzen des Gemeindegebietes möglich ist (im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gilt diese Beschränkung nicht).

3.1.3.

Der Verfassungsgerichtshof hat festgehalten, dass aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsschutzkonzept ein für den Gesetzgeber bestehender "Rechtstypenzwang" abzuleiten ist (vgl. VfSlg 17.137/2003, VfSlg 18.905/2009 und VfSlg 19.157/2010). In diesem Zusammenhang sieht das Bundesverfassungsrecht für den Bereich der Hoheitsverwaltung bestimmte Rechtsformen des Verwaltungshandelns vor, derer sich die Verwaltungsbehörden bei der Vollziehung von Gesetzen zu bedienen haben. Es handelt sich dabei um die Verordnung, den Bescheid, den Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die Weisung (vgl. VwGH vom 13. September 2016, Zl. Ro 2014/03/0062). Für den Bescheidcharakter einer behördlichen Willenserklärung ist in erster Linie maßgebend, ob sie einen die zur Entscheidung stehende Rechtssache bindend regelnden Spruch enthält, der in Rechtskraft erwachsen kann. Der Bescheidcharakter kommt einer Erledigung jedenfalls zu, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat (vgl. VwGH vom 9. November 2009, Zl. 2006/18/0450).

3.1.4.

Im vorliegenden Fall hat nun der Bürgermeister der Marktgemeinde *** in Verkennung des Umfanges der Gebietshoheit der Gebietskörperschaft – bestätigt durch die Erledigung der belangten Behörde – einen Abgabenbescheid (Kanaleinmündungsergänzungsabgabe) erlassen, der in seinen Rechtswirkungen die in der Nachbargemeinde *** situierte Liegenschaft der Beschwerdeführerin erfasst.

Die verfahrensgegenständliche Liegenschaft ist auf dem Gemeindegebiet der Nachbargemeinde *** gelegen, sodass nur diese Gebietskörperschaft im Wege der Hoheitsverwaltung Abgaben und Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen vorschreiben dürfte (vgl. in diesem Zusammenhang jedoch die oben wiedergegebenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.11.2007, 2004/17/0208 und vom 20.7.2011, 2008/17/0144). Im vorliegenden Fall liegt nun ein Anschluss einer im Gemeindegebiet der Marktgemeinde *** gelegenen Liegenschaft an das Kanalsystem der Marktgemeinde *** vor. Mangels hoheitlicher Befugnis ist ein derartiger Anschluss über eine Gemeindegrenze hinweg nur im Rahmen eines privatrechtlichen Übereinkommens zwischen der Marktgemeinde *** und der Beschwerdeführerin denkbar.

Da Hoheitsverwaltung im eigenen Wirkungsbereich nur innerhalb der Grenzen des Gemeindegebietes möglich ist, erweisen sich die in der Folge erlassenen Abgabenbescheide (Kanaleinmündungsergänzungsabgabe) als rechtswidrig.

Die Abgabenbehörden der mitbeteiligten Gemeinde haben somit im Ergebnis die Beschwerdeführerin A in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Durchführung eines den Bestimmungen der NÖ Gemeindeordnung 1973, des NÖ Kanalgesetzes 1977 und der BAO entsprechenden Verfahrens verletzt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

3.2. Zu Spruchpunkt 2.:

Mit der gegenständlichen Beschwerde wurde von Frau A und Herrn B ein Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** als Abgabenbehörde zweiter Instanz vom 2. Juni 2016 betreffend Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe angefochten.

Ein Bescheid hat gemäß § 93 Abs. 2 BAO im Spruch die Person (Personenvereinigung, Personengemeinschaft) zu nennen, an die er ergeht (somit den Bescheidadressaten). Der Adressat ist namentlich zu nennen (vgl. VwGH 23.3.1998, 94/17/0413). Das Adressfeld gehört nach der Judikatur (vgl. VwGH 26.2.2013, 2010/15/0017) zum Bescheidspruch. Als Adressat des angefochtenen Bescheides wurde ausschließlich Frau A bezeichnet. (Nur A hatte Berufung gegen den erstinstanzlichen Abgabenbescheid erhoben).

Der Beschwerdeführer B wurde nicht als Bescheidadressat genannt. Gegen Personen, die nicht als Bescheidadressat genannt sind, vermag der Bescheid keine Wirkungen zu entfalten. Schon die Möglichkeit einer Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers durch diesen Bescheid ist somit von vorneherein ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass der angefochtene Bescheid nicht an den Beschwerdeführer ergangen ist.

Beschwerdeführer kann nur der sein, dem der Bescheid wirksam bekannt gegeben wurde und für den er auch inhaltlich bestimmt war (vgl. z.B. VwGH 7.3.1991, 90/16/0043).

Wird eine Beschwerde von einem hiezu nicht Legitimierten eingebracht, so ist sie gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO zurückzuweisen (vgl. VwGH 12.11.1987, 85/16/0113, 0114).

Gegenstand einer Beschwerde kann nur ein wirksam erlassener Bescheid sein. Mangels eines ihm gegenüber wirksam erlassenen Bescheides ist Herr B gemäß § 246 Abs. 1 BAO nicht zur Einbringung einer Beschwerde befugt. Die Einbringung der gegenständlichen Beschwerde durch Herrn B erweist sich daher als unzulässig und war diesbezüglich spruchgemäß mit der Zurückweisung des Rechtsmittels vorzugehen.

3.3.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs. 1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer nicht beantragt. Auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

3.4.    Zu Spruchpunkt 3. - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen liegen jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Finanzrecht; Kanaleinmündungsabgabe; Ergänzungsabgabe; Abgabenbescheid; Verfahrensrecht; Bescheidadressat;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.106.001.2017

Zuletzt aktualisiert am

29.08.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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