TE Vwgh Erkenntnis 2000/1/19 99/01/0377

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Veröffentlicht am 19.01.2000
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §58 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StGB §83;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des TP in D, geboren am 31. Juli 1975, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schillerstraße 17, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 9. Juli 1999, Zl. Ia 370-721/98, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 9. Juli 1999 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 2. Dezember 1998 auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 - StbG, ab. Die belangte Behörde stellte folgenden Sachverhalt fest:

"Der Verleihungswerber wurde am 31.7.1975 in Dornbirn/Österreich geboren. Er ist eigenberechtigt und besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Die österreichische Staatsbürgerschaft hat er nie besessen. Der Verleihungswerber hat seit Geburt ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich.

Er hat in Österreich fünf Klassen die Volksschule und vier Klassen die Hauptschule besucht. Anschließend besuchte er 2 1/2 Jahre die gewerbliche Berufsschule. In dieser Zeit hat er zwei verschiedene Lehrausbildungen begonnen, die er beide wieder abgebrochen hat. Er hat dann bei verschiedenen Firmen in Vorarlberg gearbeitet. Seit dem 24.2.1997 ist er bei der Firma Fein-Elast in Lustenau beschäftigt.

Der Verleihungswerber wurde vom Landesgericht Feldkirch mit Urteil vom 10.3.1998 wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen a S 200,--, somit insgesamt S 40.000--, verurteilt. Die Verurteilung erfolgte, weil Tunja Palaz am 17.11.1997 eine andere Person durch Versetzen eines Faustschlages ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt hat, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen Nasenbeinbruch (mit Verschiebung der Bruchenden), zur Folge hatte.

Von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn wurde der Verleihungswerber wie folgt rechtskräftig bestraft:

mit Bescheid vom 26.2.1998, Zl. X-3826-1998, wegen einer Übertretung nach § 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz mit einer Geldstrafe von S 1.000,--;

mit Bescheid vom 26.2.1998, Zl. X-4186-1998, wegen Übertretungen nach den §§ 52 lit. a Z. 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.900,--."

Dieser Sachverhalt sei unbestritten. Gestützt auf die der gerichtlichen Verurteilung und den Verwaltungsstrafen zugrundeliegenden Übertretungen begründete die belangte Behörde, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Verurteilung erst ein halbes Jahr vor Einbringung des Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erfolgt sei. Auch die beiden Verwaltungsübertretungen seien ca. ein halbes Jahr vor Einbringen des Staatsbürgerschaftsantrages begangen worden. Die gerichtliche Straftat sei schwer wiegend, es sei erst kurze Zeit seit der Tatbegehung vergangen. Es könne derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Verleihungswerber Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit und die anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zu sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet (Z. 6). Hiebei handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung; bei der Beurteilung, ob sie vorliegt, ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt. Bei der Klärung der Frage, ob diese Voraussetzung gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt ist, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährden. Dabei fallen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit besonders ins Gewicht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. September 1997, Zl. 96/01/0773, und vom 22. Dezember 1999, Zl. 98/01/0086). Eine Gefährdung der in § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG genannten Interessen ist - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch bei Verstößen gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, gegeben (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1997, Zl. 96/01/0694).

Indem der Beschwerdeführer darauf hinweist, er sei seit rund elf Jahren strafmündig und habe sich seit dieser Zeit ein einziges gerichtlich zu ahndendes Vergehen zu Schulden kommen lassen, zielt der Beschwerdeführer offensichtlich auf die Wertung seines Verhaltens während seines seit seiner Geburt andauernden Aufenthaltes in Österreich ab. Dem Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass bei der der Behörde aufgetragenen materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Bewerbers grundsätzlich dessen gesamtes Verhalten einzubeziehen ist. Jedoch hat die belangte Behörde ohnedies die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich festgestellt und zu Recht darauf hingewiesen, dass die Straftaten des Beschwerdeführers erst kurze Zeit vor Erlassung des angefochtenen Bescheides begangen wurden. Dass die belangte Behörde ihre Berechnung auf die Antragstellung abstellte, schadet im konkreten Fall deshalb nicht, weil zwischen Antragstellung und Erlassung des angefochtenen Bescheides nur ein Zeitraum von ca. sieben Monaten lag, welcher angesichts der Begehung der Taten am 17. November 1997 bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht ins Gewicht fällt, weil insgesamt lediglich ein Zeitraum von ca. eineinhalb Jahren vergangen ist. So wie ein langjähriges Wohlverhalten nach Begehung der letzten Tat indiziert, dass eine positive Persönlichkeitsentwicklung des Bewerbers seit Tatbegehung eingesetzt hat, die ein zukünftiges Wohlverhalten erwarten lässt, so indiziert die Begehung von Straftaten gegen Ende des Aufenthaltes in Österreich nach langjährigem davor gelegenem Wohlverhalten, dass sich die Persönlichkeit des Antragstellers gegen Ende seines Aufenthaltes zum Schlechteren entwickelt hat. Es ist nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde diesen Umstand negativ für den Antragsteller in ihre Beurteilung des Gesamtverhaltens einbezogen hat (vgl. zur Bedeutung der Tatbegehung kurz vor Erlassung des angefochtenen Bescheides die hg. Erkenntnisse vom 25. Februar 1998, Zl. 96/01/0107, vom 22. Dezember 1999, Zl. 98/01/0086 - in diesem Fall lag die Tatbegehung zwei Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides -, u.a.).

Der Beschwerdeführer rügt aber zu Recht, es wäre aus dem Akt hervorgekommen, dass der Tat ein erhebliches Provokationsmitverschulden des Verletzten vorausgegangen sei, das zu einer anderen Beurteilung der Tat hätte führen müssen. In den Entscheidungsgründen des im Akt einliegenden Urteils des Landesgerichtes Feldkirch, 24 Vr 252/98, findet sich folgende Begründung zum Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend das Verhalten des Verletzten:

"Der Beschuldigte rechtfertigte sich dahingehend, dass er sich in einer Notwehrsituation befunden habe. Dieser Argumentation vermochte sich das Erstgericht nicht anzuschließen. Richtig ist zwar, dass Muhamet Ali Armagan dem Beschuldigten unmittelbar vor dessen Faustschlag eine Ohrfeige ins Gesicht versetzt hat.

Dieser Situation sind allerdings verbale Konfrontationen vorausgegangen. Diese spielten sich noch im Lokal ab. Daraufhin kam es zur Aufforderung, das Lokal zu verlassen. Allen beiden Beteiligten war klar, das dies nur bedeuten konnte, dass es zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen werde.

In Anbetracht dieser Situation kann von einer Notwehrsituation nicht gesprochen werden. Dies umso weniger, als es dem Beschuldigten darüberhinaus freigestanden wäre, unmittelbar nach dem Erhalt der Ohrfeige, den Platz des Geschehens zu verlassen."

Das Tatbild ist sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht erfüllt."

Aus dem Gerichtsurteil ergibt sich damit, dass ein gleich gelagertes (provokantes) Verhalten beider Beteiligter der Tathandlung vorausging und das Fehlverhalten des Beschwerdeführers in Relation auf einen tätlichen Angriff des Kontrahenten erfolgte, weshalb im konkreten Fall daraus noch nicht der Schluss gerechtfertigt erscheint, er werde in Zukunft weitere strafbare Handlungen begehen.

Alleine für sich erfüllt diese konkrete Tat daher nicht den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG.

Daher fällt es ins Gewicht, dass die belangte Behörde es unterlassen hat, hinsichtlich der ebenfalls in diesem Zeitraum unbestrittenermaßen begangenen - weniger schwer wiegenden - Verwaltungsübertretungen die näheren Umstände betreffend deren Art und Schwere festzustellen. Dieser Verfahrensmangel hindert den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1998, Zl. 97/01/0822).

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Jänner 2000

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010377.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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