TE Vwgh Erkenntnis 2000/1/24 99/17/0399

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Veröffentlicht am 24.01.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
55 Wirtschaftslenkung;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
MRK Art6 Abs2;
PrAG 1992 §15 Abs2;
PrAG 1992 §2 Abs1;
VStG §5 Abs1;
VStG §51e;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 27. Juli 1999, Zl. UVS-04/G/24/00542/98, betreffend Übertretung gemäß § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 2 des Preisauszeichnungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Inhalt einer Anzeige an den Magistrat der Stadt Wien vom 13. Jänner 1998 seien auf einem Ständer vor einem von der A-Ges.m.b.H. betriebenen Verkaufskiosk etwa 20 Sorten verschiedener Ansichtskarten von Wien zum Verkauf ausgestellt und bereitgehalten gewesen, ohne dass eine Preisangabe (Schild oder Verzeichnis) vorhanden gewesen sei.

Mit Note vom 30. Juni 1998, dem Beschwerdeführer zugestellt am 6. Juli 1998, forderte der Magistrat der Stadt Wien den Beschwerdeführer auf, sich als gewerberechtlich verantwortlicher Geschäftsführer der A-Ges.m.b.H. zu diesem Vorwurf bis 15. Juli 1998 zu äußern.

Der Beschwerdeführer teilte mit, er habe einen näher bezeichneten Rechtsanwalt mit seiner Vertretung betraut. Er beantragte Fristverlängerung, weil dieser bis 13. Juli 1998 ortsabwesend sei. Eine Äußerung des Beschwerdeführers erfolgte bis 15. Juli 1998 nicht.

Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 21. Juli 1998 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe es als gewerberechtlicher Geschäftsführer der A-GesmbH zu verantworten, dass diese Gesellschaft zu einem näher angeführten Zeitpunkt an einem näher angeführten Verkaufsstand auf einem Ständer ca. 20 verschiedene Ansichtskarten von Wien zum Verkauf ausgestellt und bereitgehalten habe, ohne dass eine Preisangabe (Schild oder Verzeichnis) vorhanden gewesen sei. Mehrere Kunden hätten auch tatsächlich Karten gekauft und nach dem Preis fragen müssen. Der Beschwerdeführer habe hiedurch § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Preisauszeichnungsgesetz, BGBl. Nr. 146/1992, verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in der Höhe von S 4.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen verhängt. Darüber hinaus wurde dem Beschwerdeführer ein Kostenersatz von S 400,-- auferlegt.

In der Begründung dieses Bescheides legte die erstinstanzliche Strafbehörde zunächst dar, weshalb sie dem Begehren des Beschwerdeführers auf Fristverlängerung nicht Rechnung trug. Auf Grund der Anzeige sei die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat erwiesen. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dass ihm die Einhaltung der übertretenen Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden nicht möglich gewesen sei. Die Verschuldensfrage im Sinne des § 5 VStG sei daher zu bejahen. Sodann begründete die belangte Behörde ihre Strafbemessung.

Der Beschwerdeführer erhob, anwaltlich vertreten, Berufung. In diesem Zusammenhang rügte er vorerst die Unterlassung der Gewährung des Parteiengehörs und führte aus, aus welchen Gründen die erstinstanzliche Behörde gehalten gewesen wäre, seinem Antrag auf Fristverlängerung Rechnung zu tragen. Infolge der Verhinderung seines Rechtsanwaltes sei es diesem auch nicht möglich gewesen, Akteneinsicht zu nehmen.

Dem Beschwerdeführer sei es infolge dieser Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht möglich gewesen, zu behaupten und zu beweisen, dass ihm die Einhaltung der übertretenen Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden nicht möglich gewesen sei:

Im Dezember 1997 sei vom Beschuldigten ein Mitarbeiter mit einer laut Invalideneinstellungsschein 50 %igen geistigen Behinderung teilzeitbeschäftigt worden. Dieser Mitarbeiter sollte nur für einen kurzen Zeitraum von einem Monat den - ansonsten immer an Dritte verpachteten und nicht als weitere Betriebsstätte der A-GesmbH dienenden - Zeitungskiosk betreuen. Der neue Mitarbeiter sei vom Beschuldigten bzw. von einem weiteren Mitarbeiter der A-GesmbH schon auf Grund seiner geistigen Behinderung "nochmals" (richtig wohl: mehrmals) wöchentlich kontrolliert worden. Bei sämtlichen Kontrollen vor dem inkriminierten Zeitpunkt habe es keine Beanstandungen gegeben. Insbesondere habe der Beschuldigte keine Kenntnis davon gehabt, dass der Mitarbeiter zum inkriminierten Zeitpunkt Ansichtskarten zum Verkauf ausgestellt gehabt habe, welche ohne Preisangabe versehen gewesen seien. Der Verkauf von Ansichtskarten sei vom Beschwerdeführer an seinen Mitarbeiter weder in Auftrag gegeben worden, noch habe der Beschwerdeführer einem solchen Verkauf zugestimmt. Bei den vorangegangenen Kontrollen seien keine Ansichtskarten feilgeboten worden.

Zum Beweis dieses Vorbringens berief sich der Beschwerdeführer auf seine Einvernahme als Partei und auf die Einvernahme des Zeugen, der neben dem Beschuldigten behauptetermaßen ebenfalls Kontrollen durchgeführt habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Juli 1999 gab die belangte Behörde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge.

Begründend führte die belangte Behörde aus, das Vorliegen des angelasteten Tatbestandes in objektiver Hinsicht sei auf Grund der Anzeige erwiesen und vom Beschwerdeführer auch nicht weiter bestritten.

Der Beschwerdeführer habe sich als gewerberechtlicher Geschäftsführer verantwortlich gemacht. Dieser sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gehalten, die ihm unterstellten Mitarbeiter unabhängig von den ihm zukommenden Informationen auf die Einhaltung ihrer Kontroll- und Informationspflicht zu kontrollieren, wobei sie gewerberechtlich relevante Geschehnisse von sich aus zu verfolgen hätten und sich nicht nur mit den ihnen zukommenden Informationen begnügen dürften. Ein dem § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG entsprechendes Vorbringen eines gewerberechtlichen Geschäftsführers in einem auf § 367 Z. 25 GewO 1994 gestützten Verwaltungsstrafverfahren müsse somit im Sinne der Möglichkeiten eines modernen Bericht- und Kontrollwesens zumindest die in Frage kommenden, datumsmäßig fixierten Überprüfungs- bzw. Kontrolltermine des gewerberechtlichen Geschäftsführers, in weiterer Folge aber auch der ihm unterstellten Personen benennen, um der Behörde eine entsprechende Beurteilung zu ermöglichen. Bloß stichprobenartige Kontrollen (mehrmals wöchentlich) eines Angestellten, von dem man infolge seiner geistigen Behinderung eine nur eingeschränkte Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen voraussetzen könne, seien nicht als ausreichende Kontrolltätigkeit, welche schuldbefreiend wirken könnte, anzusehen. Auch werde keine Kontrolle des angeblich ebenfalls kontrollierenden Angestellten behauptet. Es sei daher auch von der Verwirklichung der subjektiven Tatseite auszugehen.

Weiters legte die belangte Behörde ihre Erwägungen zur Strafbemessung dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Einhaltung des Parteiengehörs und auf Unterbleiben einer Bestrafung in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen hiefür verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 51e VStG in der gemäß § 66b Abs. 8 VStG hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 lautet (auszugsweise):

"§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn

1. der Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn

1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

2.

sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder

3.

im angefochtenen Bescheid eine 3 000 S nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

              4.       sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet

und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung der Verhandlung in der Berufung zu beantragen. ...

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

..."

Die belangte Behörde wäre vorliegendenfalls aus dem Grunde des § 51e Abs. 1 VStG verpflichtet gewesen, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Die Voraussetzungen für den Entfall oder das Absehen von einer Berufungsverhandlung nach den Abs. 2 bis 5 des § 51e VStG lagen hier nicht vor. Insbesondere wurde mit dem vor der belangten Behörde angefochtenen Bescheid eine S 3.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt (der Beschwerdeführer musste daher die mündliche Verhandlung nicht beantragen, sodass dahingestellt bleiben kann, ob in einem Verfahren wie dem vorliegenden § 51e insoweit idF vor BGBl. I Nr. 158/1998 anzuwenden ist oder nicht); in der Berufung wurde auch nicht bloß eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die erstinstanzliche Behörde behauptet.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind die unabhängigen Verwaltungssenate u.a. gerade aus dem Grund eingerichtet worden, um eine Tatsacheninstanz zu schaffen, die grundsätzlich nach durchgeführter mündlicher Verhandlung entscheidet. Weiters wurde ausgeführt, dass ein Berufungswerber darauf vertrauen darf, dass über seine (zulässige) Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat eine mündliche Verhandlung durchgeführt werde, sofern dieser Berufung nicht ohnedies ein Erfolg beschieden sei. Ein Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 51e VStG stellt jedenfalls einen Verfahrensmangel dar, der, wie andere Verfahrensfehler auch, dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führt, wenn die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG; vgl. zu all dem das hg. Erkenntnis vom 24. März 1995, Zl. 92/17/0281).

Das oben wiedergegebene Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers kann nicht von vornherein und ohne nähere Ermittlungen der belangten Behörde als zur Glaubhaftmachung fehlenden Verschuldens im Sinne des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG untauglich qualifiziert werden. Angesichts des Art. 6 Abs. 2 MRK darf die in § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG umschriebene Obliegenheit der Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens nicht überspannt werden. Die belangte Behörde wäre daher angesichts des oben wiedergegebenen Berufungsvorbringens verpflichtet gewesen, in einer durchzuführenden mündlichen Verhandlung von Amts wegen den zur Beurteilung der subjektiven Vorwerfbarkeit der Unterlassung der Preisauszeichnung maßgeblichen Sachverhalt amtswegig zu ermitteln. In diesem Zusammenhang wären insbesondere Feststellungen darüber zu treffen gewesen, wie oft der Beschwerdeführer nun tatsächlich persönlich kontrolliert hat bzw. wie oft derartige Kontrollen durch einen anderen Bediensteten durchgeführt wurden, sowie weiters, ob angesichts der festzustellenden Unternehmensstruktur und -organisation der A-GesmbH eine weiter gehende Kontrolle des behinderten Mitarbeiters, sowie eine Kontrolle des kontrollierenden Mitarbeiters überhaupt möglich und zumutbar war.

Bei Beurteilung dieser Frage wird zu klären sein, ob und welche Anhaltspunkte für den Beschwerdeführer gegeben waren, vorherzusehen, dass der behinderte Mitarbeiter Karten feilbieten könnte, die angeblich zum Verkauf gar nicht bereitgehalten wurden, und auch insbesondere die konkrete Art der geistigen Beeinträchtigung des am Verkaufskiosk der A-GesmbH tätig gewesenen Mitarbeiters festzustellen sein. In der Auswahl eines schlechthin untauglichen Mitarbeiters könnte ein Auswahlverschulden gelegen sein. Ein gerade noch zur Bewältigung der übertragenen Aufgabe tauglicher Mitarbeiter müsste intensiver überwacht werden als ein durchschnittlich begabter.

Im Hinblick darauf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers - im Sinne des oben Ausgeführten - jedenfalls einen (die amtliche Ermittlungspflicht auslösenden) Anhaltspunkt für dessen mangelndes Verschulden darstellt, durfte die belangte Behörde dieses Vorbringen nicht schon ohne weitere Ermittlungen als rechtlich irrelevant abtun.

Es liegt aber auch auf der Hand, dass die unterlassene mündliche Verhandlung nicht von vornherein als für den Ausgang des Verfahrens unerheblich angesehen werden kann, zumal aus dem Grunde des § 51i VStG im Falle der - hier gebotenen - Durchführung der Verhandlung bei Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen wäre, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Jänner 1999, Zl. 97/09/0051). Vor diesem Hintergrund erweist sich schon das Vorbringen des Beschwerdeführers, die belangte Behörde wäre bei umfassender Prüfung des Sachverhaltes zu der Erkenntnis gelangt, dass dem Beschwerdeführer auf Grund einer ausreichenden Kontrolltätigkeit kein Verschulden treffe, als ausreichend, dem von der Rechtsprechung aufgestellten Erfordernis, in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde die Relevanz des Verfahrensmangels darzutun, zu entsprechen.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Jänner 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999170399.X00

Im RIS seit

01.02.2001

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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