TE Vwgh Erkenntnis 2000/1/25 98/05/0113

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Veröffentlicht am 25.01.2000
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;

Norm

BauO NÖ 1996 §21 Abs6;
BauO NÖ 1996 §6 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Kurt Brandner und des Franz Gruber-Ellinger, beide in Haag, beide vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in Wien VIII, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 30. April 1998, Zl. RU1-B-9802/00, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Fides Entsorgungsges.m.b.H. in Pöchlarn, vertreten durch

Dr. K. Rainer Onz, Rechtsanwalt in Wien III, Ungargasse 59-61), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer zusammen haben dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.560,-- und der Mitbeteiligten in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren der Mitbeteiligten wird abgewiesen.

Begründung

Am 10. Juni 1997 suchte die Mitbeteiligte bei der damals zuständigen Baubehörde, der Stadtgemeinde Haag, um die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung einer Kompostieranlage auf dem Grundstück Nr. 66/2, EZ 82, KG Heimberg, an. Bei der Bauverhandlung vom 11. August 1997 wurde das Projekt dahingehend beschrieben, dass im Bereich einer ehemaligen Ziegelei, deren bestehende Gebäude zum Teil für die Kompostieranlage mitverwendet würden, eine Anlieferfläche für angelieferten Klärschlamm und Strukturmaterial, eine Lagerfläche für insgesamt vier Mieten, eine Brückenwaage, ein Oberflächenwasserspeicher und ein Büro- und Sanitärgebäude errichtet würden; in einem bestehenden Hallenteil sollte der fertige Kompost bis zum Abtransport zwischengelagert werden. Der Bausachverständige führte in der Verhandlung aus, dass im Bauverfahren im Gegensatz zum Gewerbeverfahren das eingereichte Projekt nur in bautechnischer Hinsicht und hinsichtlich der Nachbarrechte ausschließlich im Sinne des § 6 Abs. 2 Z. 3 Nö BauO beurteilt werde. Das Projektgrundstück sei nach dem Gutachten als Bauland-Betriebsgebiet ausgewiesen, während die angrenzenden Grundstücke als Grünland-Materialgewinnungsstätte mit Folgenutzung Aushubdeponie und als Grünland-Landwirtschaft bzw. Grünland-Forstwirtschaft gewidmet seien. An baulichen Anlagen würden Anliefer- und Lagerflächen sowie ein Abwasserspeicher neu errichtet und eine schon bestehende Betriebshalle als Lagerhalle verwendet werden. Im Projekt werde für die Abwasserbeseitigung Sorge getragen. Bei der Planung seien die entsprechenden bautechnischen Bestimmungen beachtet worden, sodass die geplante und beschriebene Anlage soweit den Bestimmungen der Nö BauO entspreche, dass dafür die Baubewilligung unter Vorschreibung im Einzelnen aufgezählter Auflagen erteilt werden könne.

Die beschwerdeführenden Nachbarn, die bei dieser Verhandlung anwesend waren, gaben (laut Protokoll) keine Erklärung ab. Der Verhandlungsleiter erklärte, dass das baubehördliche Verfahren nach Vorliegen einer Entscheidung der Gewerbebehörde fortgeführt werde.

Auf Seite fünf der Niederschrift findet sich unterhalb der Unterschriften der handschriftliche Vermerk des Leiters der gleichzeitig abgehaltenen gewerberechtlichen Verhandlung, dass laut Mitteilung des Bürgermeisters die Unterschrift von den erschienenen Anrainern mit dem Bemerken verweigert worden sei, dass sie gegen dieses Bauvorhaben seien.

Mit Schreiben vom 29. Jänner 1998 übermittelte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Haag den Bauakt zur Fortführung des baubehördlichen Verfahrens an die Bezirkshauptmannschaft Amstetten zur Weiterführung des Verfahrens nach nunmehriger Zuständigkeit durch die Bezirksverwaltungsbehörde.

Die Bezirkshauptmannschaft Amstetten erteilte mit Bescheid vom 3. Februar 1998 die begehrte Baubewilligung zur Errichtung einer Kompostieranlage samt Oberflächenwasserspeicher im Sinne der Beschreibung in der Verhandlung, der Baubeschreibung und der Planunterlagen. In der Begründung wurde auf das Gutachten des Bausachverständigen verwiesen.

Unter anderem die Beschwerdeführer erhoben gegen diesen Bescheid Berufung. Als Begründung wurde angeführt:

"1. Es wird ein Dichtheitsattest für diverse Bauteile verlangt, jedoch NICHT für die Verbindungsstücke.

2. Die Sickerwasserentsorgung ist NICHT sichergestellt. Es wird zumindest eine verbindliche Abnahmeerklärung eines befugten Entsorgers verlangt.

3. Eine Rückverrieselung auf die Mieten ist laut gewerberechtl. Bescheid unzulässig. Jetzt scheint dieser Punkt auf einmal wieder in einem Bescheid auf.

4. Für die Beseitigung von Altlasten im Falle einer Insolvenz der Betreiberfirma musste schon im Interesse der Behörde liegen, einen dementsprechenden Haftrücklass vorzuschreiben - oder haftet der Grundeigentümer dafür?"

Weiters wurde die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde in Frage gestellt, weil bei der Gemeinde noch immer ein Bauverfahren "laufe". Die seinerzeitige Bauverhandlung sei ohne Abfassung einer Niederschrift abgebrochen worden. Gerügt wurde, dass den Beschwerdeführern nicht garantiert werde, dass es nicht stinkt und dass keine Gefährdungen für das Grundwasser gegeben seien. Sie beantragten die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides aus sachlichen Gesichtspunkten sowie wegen Nichtigkeit.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück. Da die Berufungswerber nicht in der Bauverhandlung subjektiv-öffentliche Rechte im Sinne des § 6 Abs. 2 Z. 3 Nö BauO gegen die Kompostieranlage erhoben hätten, hätten sie im Verfahren keine Parteistellung erlangt. Mangels Parteistellung sei ihre Berufung als unzulässig zurückzuweisen.

In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde erachten sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gewährung der Parteistellung sowie auf rechtliches Gehör und Durchführung eines baubehördlichen Bewilligungsverfahrens entsprechend der Bauordnung für Niederösterreich verletzt. Sie begehren die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Weiters legten die Beschwerdeführer eine von 16 Personen unterfertigte eidesstattliche Erklärung über den Verlauf der Bauverhandlung vom 11. August 1997 vor.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die Mitbeteiligte, eine Gegenschrift.

Auch die Stadtgemeinde Haag gab eine Stellungnahme ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Sofern das Recht zur Einbringung der Berufung und sonstiger Rechtsmittel in der Verwaltungsvorschrift nicht ausdrücklich geregelt ist, steht das Berufungsrecht demjenigen zu, der in dem Verwaltungsverfahren als Partei im Sinne des § 8 AVG anzusehen ist; das Berufungsrecht ist untrennbar mit der Rechtsstellung als Partei in einem Verfahren verbunden. Personen, die keine Stellung als Partei haben, kommt demgemäß kein Berufungsrecht zu (siehe die Nachweise bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 1169). Ob die belangte Behörde die Berufung zu Recht zurückgewiesen hat, hängt also davon ab, ob die Beschwerdeführer Parteistellung erlangt haben.

§ 6 Abs. 1 bis 3 der Nö BauO 1996 in der Stammfassung

LGBl. Nr. 8200-0, lautete:

"Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung bzw. können erlangen:

1.

der Bauwerber und/oder der Eigentümer des Bauwerks

2.

der Eigentümer des Baugrundstücks

3.

die Eigentümer der Grundstücke, die mit dem Baugrundstück eine gemeinsame Grenze haben oder von diesen durch eine öffentliche Verkehrsfläche, ein Gewässer oder einen Grüngürtel mit einer Breite bis zu 14 m getrennt sind (Nachbarn), und

              4.              die Eigentümer eines ober- oder unterirdischen Bauwerks auf den Grundstücken nach Z. 2 und 3, z.B. Superädifikat, Baurechtsobjekt, Keller, Kanalstrang (Nachbarn).

Nachbarn werden nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Im Baubewilligungsverfahren werden sie nur dann Parteien, wenn sie diese Rechte spätestens in der Bauverhandlung geltend machen. Beteiligte sind alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden.

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4) sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben, gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der Gebäude der Nachbarn dienen.

(3) Bei gewerblichen Betriebsanlagen werden im baubehördlichen Verfahren subjektiv-öffentliche Rechte nur nach Abs. 2 Z. 3 begründet.

Nachbarn werden somit im Baubewilligungsverfahren nur dann Parteien, wenn sich die im § 6 Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte spätestens in der Bauverhandlung geltend machen. Es liegen also zwei Voraussetzungen vor, die (kumulativ) vorliegen müssen, um die Parteistellung der Nachbarn zu begründen. Zur einen Voraussetzung der Erhebung von Einwendungen während der Verhandlung brachten die Beschwerdeführer in der Berufung vor, die Verhandlung sei "abgebrochen" worden; in der Beschwerde behaupten sie, es sei vom Verhandlungsleiter erklärt worden, dass nach Ergehen der Entscheidung der Gewerbebehörde zu einer neuerlichen Bauverhandlung eingeladen werde.

Selbst wenn man davon ausginge, dass die Beschwerdeführer an der Erhebung von Einwendungen in der Verhandlung "gehindert" worden wären, wäre durch § 21 Abs. 6 BO noch die Möglichkeit gegeben gewesen, die Einwendungen nachzuholen. Diese Bestimmung lautet:

"(6) Weist ein Nachbar der Baubehörde nach, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 6 Abs. 1, zweiter Satz, spätestens in der Bauverhandlung geltend zu machen, darf er seine Einwendungen nach § 6 Abs. 2 gegen die Bauführung bis längstens 3 Monate nach dem angezeigten Baubeginn vorbringen. Solche Einwendungen sind binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses bei der Baubehörde einzubringen. Nach diesem Zeitpunkt ist für die Nachbarn die Erlangung der Parteistellung ausgeschlossen."

Diese Bestimmung - die weitestgehend der des § 134 Abs. 4 BauO für Wien gleicht - bestimmt eine absolute Frist (3 Monate nach dem angezeigten Baubeginn), nach deren Ablauf jedwede Einwendungsmöglichkeit genommen wird. Fällt das seinerzeitige Hindernis früher weg - etwa, weil die Baubewilligung dem Nachbarn zugestellt wurde - besteht kein Anlass, dass der Nachbar mit der Erhebung von Einwendungen bis 3 Monate nach dem Baubeginn (der ja Jahre nach der Erteilung der Baubewilligung eintreten kann) zuwarten darf; daher sieht der 2. Satz dieser Bestimmung vor, dass die Einwendungen binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses erhoben werden müssen.

Geht man davon aus, dass die Beschwerdeführer infolge Zusage einer weiteren Verhandlung an der Erhebung von Einwendungen spätestens in der Bauverhandlung gehindert waren, so ist dieses Hindernis jedenfalls mit der Bescheidzustellung weggefallen. Binnen zwei Wochen nach Bescheidzustellung hätten die Beschwerdeführer daher ihre Einwendungen nach § 6 Abs. 2 BO erstatten müssen.

Den zu dieser Frist erstatteten Berufungsausführungen kann aber nicht entnommen werden, dass darin die im § 6 Abs. 2 BO genannten subjektiv-öffentlichen Rechte geltend gemacht worden wären. Die oben zitierten Punkte 1 bis 4 der Berufung beziehen sich auf Ausführungsdetails und lassen keine Übereinstimmung zu den im § 6 Abs. 2 BO aufgezählten Nachbarrechten erkennen. Auch das Vorbringen: "warum garantiert uns niemand, dass es nicht stinkt", ist keine Einwendung, also keine Berufung auf ein Recht auf den Schutz vor Immissionen.

Die nicht rechtzeitige Geltendmachung von den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Rechten führte dazu, dass die Beschwerdeführer im Bauverfahren tatsächlich keine Parteistellung erlangt haben. Ihre Berufung wurde daher zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Beschwerdeschrift keine Verletzung der im § 6 Abs. 2 Nö BauO genannten Rechte behauptet. Die Sachverhaltsbehauptung, dass die geplante Anlage eine Kapazität von 100 t aufweise, ist neu, hätte also vom Verwaltungsgerichtshof aufgrund des aus § 41 Abs. 1 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbotes nicht behandelt werden können. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0159, ausgesprochen hat, dass die Nö Bau-Übertragungsverordnung, LGBl. Nr. 1092/2-0, keine Übergangsbestimmung enthalten hat, weshalb sie auch auf anhängige Verfahren anzuwenden ist.

Die Beschwerde erwies sich somit insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand deckt auch die Umsatzsteuer.

Wien, am 25. Jänner 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998050113.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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