TE Lvwg Erkenntnis 2018/5/17 LVwG-AV-1292/001-2017

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Veröffentlicht am 17.05.2018
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Entscheidungsdatum

17.05.2018

Norm

MSG NÖ 2010 §8 Abs2
MSG NÖ 2010 §21
AVG 1991 §59
ABGB §6
ABGB §7

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch die Richterin HR Mag. Marihart über die Beschwerde der Frau A, in ***, ***, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wiener Neustadt vom 19. September 2017, Zl. ***, betreffend Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtverfahrensgesetz (VwGVG) mit der Maßgabe stattgegeben, dass der Spruch des bekämpften Bescheides zu lauten hat wie folgt:

„Der Bescheid vom 13.03.2017, Zl. ***, wird gemäß § 21 NÖ Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG), in Bezug auf den von Frau A gestellten Antrag dahingehend abgeändert, dass ihr für den Zeitraum 01.05.2017 bis 31.05.2017 eine Geldleistung in der Höhe von € 73,20,-- zu gewähren ist.“

Die Spruchpunkte des Bescheides vom 13.03.2017, Zl. ***, die sich auf die Anträge des Herrn B, den minderjährigen C, der mj. D, dem mj. E beziehen (1., 3., 4. und 5. Absatz dieses Spruches), bleiben unverändert.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wiener Neustadt (im Folgenden: belangte Behörde) vom 13.03.2017, Zl. ***, wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin sowie ihrer drei minderjährigen Kinder vom 17.01.2017 (am selben Tag bei der Behörde eingelangt) auf Geldleistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung stattgegeben. Der Antrag des Gatten der Beschwerdeführerin wurde hingegen abgewiesen. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 19.09.2017, Zl. *** wurde der dieser Bescheid abgeändert. Adressiert war dieser Bescheid ausschließlich an Frau A. Der Spruch dieses Bescheides lautet wie folgt:

Die Ihnen mit ha. Bescheid vom 13. März 2017 gewährte Mindestsicherung in der Höhe von monatlich € 460,30 (bis 31. Jänner 2018) wird ab 1. Mai 2017 eingestellt.“

Begründet wurde dieser Bescheid damit, dass aufgrund der Geburt des Kindes der Beschwerdeführerin die Mindestsicherung neu zu berechnen gewesen sei. Der Gatte der Beschwerdeführerin erhalte nunmehr vom Arbeitsmarktservice eine tägliche Leistung von € 32,06. Die Beschwerdeführerin selbst beziehe ein Kinderbetreuungsgeld von € 14,53. Weiters erhalte sie eine monatliche Wohnbeihilfe in der Höhe von € 107,00. Das monatliche Einkommen liege somit über dem höchstmöglichen Mindeststandard in der Höhe von € 1.500,00.

2.   Zum Beschwerdevorbringen:

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Im Wesentlichen brachte sie darin Bedenken hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit des § 11b NÖ MSG vor. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, sowie die ihr die ungekürzten Mindeststandards unter Außerachtlassung des § 11b NÖ MSG zu gewähren.

Diese Beschwerde samt bezughabendem verwaltungsbehördlichem Akt wurde dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem Ersuchen um Entscheidung vorgelegt. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde ausdrücklich verzichtet.

3.   Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

Mit Schreiben vom 26.03.2018 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung geladen und unter einem aufgetragen Einkommensnachweise und Vermögensnachweise dem erkennenden Gericht zu übermitteln.

Mit Schreiben vom 19. April 2018 übermittelte die Behörde eine schriftliche Stellungnahme in welcher ausgeführt wurde, dass die Beschwerdeführerin ein laufendes Einkommen in Form von Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von € 14,53 erhalte und ihr Ehemann Notstandshilfe in Höhe von täglich € 31,09 bis 7. Mai 2017, vom 8. Mai bis 31. Dezember 2017 in Höhe von € 32, 06 täglich bzw. ab 1.1. 2018 in Höhe von € 32,67 täglich.

Am 4. Mai 2017 führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der Beweise erhoben wurden durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde sowie den Akt des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, auf deren Verlesung verzichtet wurde, In der Verhandlung wurden Unterlagen betreffend Einkommen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes, aktuellen Kontostandes und eine Kopie der Geburtsurkunde des jüngsten Kindes vorgelegt.

4.   Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin.

Im verfahrensrelevanten Zeitraum (dies ist der 01.05.2017 bis 31.01.2018) lebte die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Gatten und ihren vier minderjährigen Kindern in einer Mietwohnung in der ***. Sie verfügte ab 8. Mai 2017 über ein Einkommen in Form des Kinderbetreuungsgeldes in der Höhe von € 14,53 täglich und Beihilfe von € 6,06 täglich. Ihr Gatte bezog in diesem Zeitraum Notstandshilfe vom Arbeitsmarktservice in der Höhe von € 31,09 bis 7. Mai 2017, € 32,06 täglich bis 31.12.2017 und ab 1.1.2018 € 32,67 täglich.

Weiters wurde von der Beschwerdeführerin Wohnbeihilfe in der Höhe von € 107,00 monatlich bezogen. Die von der Beschwerdeführerin und ihrer Familie monatlich zu tragenden Wohnkosten betrugen € 463,57 (nach Abzug der Wohnbeihilfe).

Die Beschwerdeführerin hat am *** ihre Tochter F geboren. Ab diesem Zeitraum war die Beschwerdeführerin zur Betreuung ihrer Tochter zuhause. Eine anderweitige Betreuung war alleine schon aufgrund des jungen Alters der Tochter nicht möglich.

Mit Erkenntnis vom 07.03.2017, Zl. G 136/2017-19 ua hob der Verfassungsgerichtshof unter anderem § 11b NÖ MSG als verfassungswidrig auf. In diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass er sich veranlasst sehe, von der ihm durch Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind. Die Aufhebung dieser Bestimmungen wurde im LGBl. Nr. 19/2018 kundgemacht.

5.   Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aufgrund des nachvollziehbaren Aktes der belangten Behörde, der von ihr übermittelten Stellungnahme betreffend das Einkommen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten und wurde diesen von der Beschwerdeführerin auch nicht entgegengetreten. Die Höhe der Miete ergibt sich aus den vorgelegten Kontoauszügen, aus welchen die Mietabbuchung ersichtlich ist.

Dass die Beschwerdeführerin nicht nur Kinderbetreuungsgeld sondern auch eine monatliche Beihilfe in Höhe von € 6,06 bekommt, ergibt sich aus der von ihr vorgelegten Urkunde der NÖGKK.

Die Feststellungen betreffend das aufhebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes konnten aufgrund der Übermittlung desselben an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich getroffen werden. Die Kundmachung der Aufhebung konnte durch Einsichtnahme in das Rechtsinformationssystem (***) festgestellt werden.

6.   Rechtslage:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) lauten wie folgt:

§ 17

Anzuwendendes Recht

Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren anzuwenden hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28

Erkenntnisse

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

[…]

Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ Mindestsicherungsgesetzes (NÖ MSG) idF LGBl. Nr. 19/2018 lauten:

§ 5

Anspruchsberechtigte Personen

(1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung haben nach Maßgabe dieses Abschnittes Personen, die

1.   hilfsbedürftig sind,

2.   ihren Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen ihren Aufenthalt in Niederösterreich haben und

3.   zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind.

(2) Zum Personenkreis nach Abs. 1 Z 3 gehören jedenfalls:

1.   österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sowie deren Familienangehörige, die über einen Aufenthaltstitel “Familienangehöriger” gemäß § 47 Abs. 2 NAG verfügen;

[…]

[…]

§ 6

Einsatz der eigenen Mittel

(1) Die Bemessung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem 3. Abschnitt hat unter Berücksichtigung des Einkommens und des verwertbaren Vermögens der Hilfe suchenden Person zu erfolgen.

[…]

§ 7

Einsatz der Arbeitskraft

(1) Arbeitsfähige Personen, die zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung berechtigt sind, müssen bereit sein, ihre Arbeitskraft für eine zumutbare Beschäftigung einzusetzen. Dabei ist hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit sowie der Zumutbarkeit einer Beschäftigung grundsätzlich von denselben Kriterien wie bei der Notstandshilfe (bzw. bei Bezug von Arbeitslosengeld von den bei diesem vorgesehenen Kriterien) auszugehen.

[…]

(3) Bereit zum Einsatz der Arbeitskraft ist, wer bereit ist,

1.   eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen,

[…]

[…]

(6) Bei der Beurteilung der Abs. 1 bis 5 ist auf die persönliche und familiäre Situation der Hilfe suchenden Person Rücksicht zu nehmen. Der Einsatz der Arbeitskraft darf insbesondere nicht verlangt werden bei Personen, die

[…]

2.   Betreuungspflichten gegenüber Kindern haben, welche das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und keiner Beschäftigung nachgehen können, weil keine geeigneten Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen,

[…]

[…]

§ 8

Berücksichtigung von Leistungen Dritter

[…]

(2) Das Einkommen eines mit der Hilfe suchenden Person im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten bzw. einer Ehegattin, eines eingetragenen Partners bzw. einer eingetragenen Partnerin oder einer sonst unterhaltsverpflichteten Person sowie eines Lebensgefährten bzw. einer Lebensgefährtin ist bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit zu berücksichtigen, als es den für diese Personen nach § 11 Abs. 1 maßgebenden Mindeststandard übersteigt.

[…]

§9

Allgemeines

[…]

(2) Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes (Abs. 1 Z 1) oder zur Deckung des Wohnbedarfes (Abs. 1 Z 2) werden grundsätzlich durch einmalige oder laufende Geldleistungen (Mindeststandards) erbracht. Laufende Geldleistungen werden jeweils am Monatsletzten im Nachhinein fällig. Zur Vermeidung von Härtefällen kann bei der erstmaligen Auszahlung ein Vorschuss gewährt werden.

(2a) Geldleistungen nach Abs. 2 gebühren aliquot ab Antragstellung, wobei der Kalendermonat einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist.

(3) […]

(4) Laufende Geldleistungen nach Abs. 2 und Sachleistungen oder stationäre Hilfe nach Abs. 3 sind entsprechend der konkreten Notlage angemessen zu befristen, bei erstmaliger Gewährung mit maximal sechs Monaten, bei jeder weiteren Gewährung mit maximal zwölf Monaten. Bei dauernder Arbeitsunfähigkeit oder Erreichung des Regelpensionsalters kann die weitere Befristung entfallen.

[…]

§ 11

Mindeststandards

(1) Die Landesregierung hat ausgehend vom Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs. 1 lit.a bb) ASVG abzüglich des Beitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung durch Verordnung die Höhe der Mindeststandards zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes insbesondere für folgende hilfsbedürftige Personen entsprechend den folgenden Prozentsätzen festzulegen:

[…]

3.   für volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Haushalts- oder Wohngemeinschaft leben……………………………………………………………............75%,

4.   […]

5.   für minderjährige Personen, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht und die mit zumindest einer ihnen gegenüber unterhaltspflichtigen oder volljährigen Person im gemeinsamen Haushalt leben …………………………………………...………………..... 23%.

(2) […]

(3) Mindeststandards zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes nach Abs. 1 beinhalten grundsätzlich einen Geldbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes im Ausmaß von 25% bzw. bei hilfsbedürftigen Personen, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen, einen Geldbetrag im Ausmaß von 12,5%. Besteht kein oder ein geringerer Aufwand zur Deckung des Wohnbedarfes oder erhält die hilfebedürftige Person bedarfsdeckende Leistungen (z. B. eine Wohnbeihilfe oder einen Wohnzuschuss), sind die jeweiligen Mindeststandards um diese Anteile entsprechend zu reduzieren, höchstens jedoch um 25% bzw. 12,5%.

(4) Die Mindeststandards nach Abs. 1 sind zwölf Mal pro Jahr zu gewähren.

(5) […]

§ 21

Neubemessung und Einstellung von Leistungen

(1) Die Leistung ist von Amts wegen mit schriftlichem Bescheid rückwirkend neu zu bemessen, wenn Änderungen der Voraussetzungen eintreten; fallen Voraussetzungen weg, ist die Leistung mit schriftlichem Bescheid rückwirkend einzustellen.

[…]

Die maßgeblichen Bestimmungen der NÖ Mindeststandardverordnung (NÖ MSV) idF LGBl. 104/2016 lauten wie folgt:

§ 1

Geldleistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes

(1) Der Mindeststandard an monatlichen Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes beträgt für:

[…]

2.   volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen im gemeinsamen Haushalt leben:

a)   je Person…………………………………………………………………...........475,01 Euro;

[...]

(2) Der Mindeststandard an monatlichen Geldleistungen zur Deckung des Wohnbedarfes beträgt für Personen, mit Ausnahme solcher, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen:

[…]

2.   volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen im gemeinsamen Haushalt leben:

a)   je Person………………………………………………………………….bis zu 158,34 Euro;

b)   […]

[…]

[…]

Die maßgeblichen Bestimmungen der NÖ Mindeststandardverordnung (NÖ MSV) idF LGBl. 104/2017 (in Kraft seit dem 01.01.2018) lauten wie folgt:

§ 1

Geldleistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes

(1) Der Mindeststandard an monatlichen Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes beträgt für:

[…]

2.   volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen im gemeinsamen Haushalt leben:

a)   je Person…………………………………………………………………...........485,46 Euro;

b)   […]

[…]

(2) Der Mindeststandard an monatlichen Geldleistungen zur Deckung des Wohnbedarfes beträgt für Personen, mit Ausnahme solcher, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen:

[…]

2.   volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen im gemeinsamen Haushalt leben:

a)   je Person………………………………………………………………….bis zu 161,82 Euro;

b)   […]

[…]

[…]

7.   Erwägungen:

Zur anwendbaren Rechtslage ist auszuführen, dass die mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 07.03.2018, Zl. G 136/2017-19 ua, erfolgte Aufhebung des § 11b NÖ MSG mit Ablauf des Kundmachungstages, gegenständlich der 13.03.2018, in Kraft getreten ist. Dies hat zur Folge, dass die im behördlichen Verfahren in Geltung stehende und somit von der belangten Behörde anzuwendende Bestimmung des § 11b NÖ MSG aufgrund des Ausspruchs gemäß Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG für den gesamten verfahrensrelevanten Zeitraum im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nicht mehr anzuwenden war.

Zunächst ist zur Anspruchsberechtigung der Beschwerdeführerin anzumerken, dass sie österreichische Staatsbürgerin ist und somit zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen gemäß § 5 NÖ MSG zählt.

Hinsichtlich der gemäß § 2 Abs. 1 NÖ MSG geforderten Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft ist auszuführen, dass festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin im verfahrensrelevanten Zeitraum Betreuungspflichten gegenüber ihrer am *** geborenen Tochter hatte und keine anderen Betreuungseinrichtungen zur Verfügung standen. Somit ist auf die Beschwerdeführerin die Bestimmung des § 7 Abs. 6 Z 2 NÖ MSG anzuwenden und darf bei ihr der Einsatz der Arbeitskraft nicht verlangt werden.

Da der Beschwerdeführerin somit grundsätzlich Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zustehen, ist im nächsten Schritt darauf einzugehen, in welcher Höhe dieser Anspruch besteht.

Zunächst waren der Beschwerdeführerin und ihren drei minderjährigen Kindern aufgrund des Antrags vom 17.01.2017 Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gewährt worden. Im für diesen Antrag vorgegebenen Formular scheint nur Frau A als Antragstellerin auf. Herr B und die drei minderjährigen Kinder werden in der Beilage A „Angaben zu allen im gemeinsamen Haushalt/in Wohngemeinschaft lebenden Personen, unabhängig davon, ob diese Person einen Anspruch auf Leistungen der BMS hat“ genannt. Dies ist insofern zulässig, als gemäß § 15 Abs. 2 Z 2 lit. a NÖ MSG Anträge auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für die Hilfe suchende Person auch vom gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter gestellt werden können, wobei dies gemäß lit. b leg. cit. bei im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitgliedern oder Angehörigen jeweils auch ohne Nachweis der Bevollmächtigung möglich ist, wenn keine Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis bestehen. Dies korrespondiert im Übrigen auch mit der Bestimmung des § 9 Abs. 4 AVG. Die Antragstellung der Frau A auch im Namen ihrer Familie war somit jedenfalls zulässig. Somit sind auch trotz der irreführenden Formulierung in dem vorgegebenen Formular, in dem nur Frau A als Antragstellerin genannt wurde, auch Herr B sowie die drei minderjährigen Kinder als Antragsteller zu werten, die von Frau A vertreten wurden. Davon scheint im Übrigen auch die belangte Behörde in ihrem Bescheid vom 17.03.2017, Zl. *** ausgegangen zu sein, da sie im Spruch jeweils über den Antrag von dem betroffenen Familienmitglied, „vertreten durch Frau A“ abspricht.

Im bekämpften Abänderungsbescheid der belangten Behörde, welcher aufgrund der Geburt der Tochter und des nunmehr bezogenen Kinderbetreuungsgeldes erlassen wurde, hat die belangte Behörde die „[der Beschwerdeführerin] mit ha. Bescheid vom 13. März 2017 gewährte Mindestsicherung in der Höhe von monatlich € 460,30 (bis 31. Jänner 2018) […] ab 1. Mai 2017 eingestellt“.

Um den Gegenstand des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zu ermitteln, muss zunächst darauf eingegangen werden, worüber die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid abgesprochen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ist nämlich "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 erster Satz AVG für die Berufungsbehörde die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat und nicht das, was der Berufungswerber zum Inhalt der Berufungsschrift gemacht hat (VwGH 11.11.1991, Zl. 90/19/0505). Diese Judikatur ist auf die Begrenzung des Beschwerdegegenstandes der Verwaltungsgerichte übertragbar.

Fraglich ist, ob die Behörde also mit dem bekämpften Bescheid über die gesamte, somit auch die der restlichen Familie ursprünglich gewährten Leistungen Bedarfsorientierten Mindestsicherung abgesprochen hat, oder lediglich über die der Beschwerdeführerin zustehenden Leistungen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Spruch eines Bescheides nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv auszulegen (vgl. VwGH 28. 01. 2004, 2000/12/0311). Für die Bedeutung einer spruchmäßigen Aussage ist weder maßgeblich, wie sie die Behörde verstanden wissen wollte, noch, wie sie der Empfänger verstand. Da Bescheide Gesetzen näher stehen als privatrechtlichen Verträgen, ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vielmehr angebracht, bei ihrer Auslegung analog den Grundsätzen der §§ 6 und 7 (und nicht der §§ 914f) ABGB vorzugehen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 110 [Stand 01.07.2005, rdb.at] mwN).

Fest steht, dass im Briefkopf des Bescheides lediglich die Beschwerdeführerin genannt ist und dessen Spruch an niemanden namentlich gerichtet ist, sondern vielmehr von der belangten Behörde die Form der direkten Anrede gewählt wurde. Somit ergibt sich weder aus dem Briefkopf, noch aus dem Spruch selbst, dass mit dem bekämpften Bescheid in die Rechte der gesamten Familie eingegriffen werden sollte und nicht nur in jene der Beschwerdeführerin. Freilich könnte sich das verwendete Wort „Ihnen“ in grammatikalischer Hinsicht grundsätzlich auch auf mehrere Personen beziehen, allerdings müssten hierfür in dem rechtskraftfähigen Teil des Bescheides, somit in seinem Spruch, an irgendeiner Stelle tatsächlich weitere Personen angeführt sein. Wenngleich nicht auszuschließen ist, dass die Intention der belangten Behörde tatsächlich auf mehrere Personen gerichtet war, (was aber, wie oben ausgeführt wurde, für die Bescheidinterpretation unerheblich ist), käme man zu einem derartigen Ergebnis nur in Zusammenschau mit dem ursprünglichen, nunmehr abgeänderten Bescheid vom 13.03.2017, Zl. *** käme. Dass ein anderer Bescheid jedoch zur Auslegung eines später ergangenen Bescheides herangezogen werden darf, kann weder den §§ 6 und 7 ABGB noch der zur Bescheidauslegung ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entnommen werden. In Frage käme lediglich, die Heranziehung der Bescheidbegründung (des auszulegenden Bescheides) (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 111 f [Stand 01.07.2005, rdb.at] mwN). Daraus ist aber im vorliegenden Fall aufgrund deren Knappheit nichts gewonnen, da gemäß § 8 Abs. 2 NÖ MSG für die Berechnung der der Beschwerdeführerin zustehenden Geldleistungen auch das Einkommen ihres Gatten zu berücksichtigen ist, und somit aus der Angabe, dass dieser Einkommen bezogen hat, nicht zwingend geschlossen werden kann, dass auch über dessen Ansprüche abgesprochen werden sollte.

Die Beschwerdeführerin lebte gemeinsam mit ihrem Gatten und ihren drei, bzw. ab dem 08.05.2017 vier minderjährigen Kindern in der Wohnung ***, ***. Da sie also in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer weiteren erwachsenen Person lebt, kommen auf sie die Mindeststandards des § 11 Abs. 1 Z 2 NÖ MSG iVm § 1 Abs. 1 Z 2 lit. a und Abs. 2 Z 2 lit. a NÖ MSV zur Anwendung. Demnach betrug der ihr zu gewährende Mindeststandard zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes monatlich € 475,01 (im Jahr 2017) bzw. € 485,46 (im Jahr 2018) und der zur Deckung des notwendigen Wohnbedarfes monatlich bis zu € 158,34 (im Jahr 2017) bzw. € 161,82 (im Jahr 2018) für die Eltern. Allerdings verringert sich bei diesen der Wohnmindeststandard, weil sie Wohnbeihilfe in Höhe von 107 Euro monatlich erhalten auf € 125,18 (2017) bzw. auf € 129,22 (2018). Bei den mj. Kindern verringert sich der gesetzliche Wohnstandard ebenso, weil auch bei Ihnen die Wohnbeihilfe anteilsmäßig angerechnet wird, von €48,56 auf €38,39 (2017) bzw. von €49,62 auf € 39,63,--(2018)

Weiters ist das der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann zufließende Einkommen ebenso bei der Berechnung der Bedarfsorientierten Leistung als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin erhält auf Grund seines Einkommens keine gesetzlichen Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und wird in Folge sein Überschuss auch auf seine Ehefrau angerechnet.

Zur Berechnung ist wie folgt auszuführen:

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin erhält auf Grund seines Einkommens keine Bedarfsorientierte Mindestsicherung, vielmehr wird sein Überschuss (sein Einkommen minus seinen gesetzlichen Mindeststandard) gemäß § 8 Abs. 2 NÖ MSG anteilsmäßig auf seine Ehefrau und die minderjährigen Kinder angerechnet.

Die der Beschwerdeführerin tatsächlich zustehenden Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung können zusammengefasst mit folgender Formel berechnet werden: Mindeststandard zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes + (Mindeststandard zur Deckung des Wohnbedarfs – Wohnbeihilfe) – eigenes Einkommen der Beschwerdeführerin – Überschuss des Gatten. (Rechnungsbeispiel für Juni 2017: Vater würde im Monat Juni 2017 € 600,19 Euro gesetzliche Mindestsicherung zustehen (falls er kein Einkommen hätte), da er aber ein Einkommen in der Höhe von 961,8 monatlich bezieht, hat er keinen Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen, vielmehr wird sein Überschuss in der Höhe von € 361,61 noch auf die Beschwerdeführerin und die vier Kinder anteilsmäßig angerechnet. Die Beschwerdeführerin bezieht ebenso noch ein eigenes Einkommen in der Höhe von € 617,7 monatlich, das ebenso über den gesetzlichen Mindeststandard liegt, weshalb sie ebenso keine gesetzlichen Leistungen erhält. Für die mj. Kinder siehe nachstehende Begründung)

Hinsichtlich der den restlichen Familienmitgliedern der Beschwerdeführerin gebührenden Leistungen ist auszuführen, dass aufgrund der Tatsache, dass der Spruch des bekämpften Bescheides nur den Anspruch der Beschwerdeführerin zum Inhalt hatte, der abgeänderten Bescheid der belangten Behörde vom 13.03.2017, Zl. *** betreffend die anderen Familienmitgliedern nach wie vor in seiner ursprünglichen Fassung dem Rechtsbestand angehört. Die auf die restlichen Familienmitglieder bezogene Abänderung des Bescheides vom 13.03.2017 war somit nicht Sache des nunmehr bekämpften Bescheides. Allerdings sieht § 21 NÖ MSG kein diesbezügliches Ermessen der Behörde vor, vielmehr normiert diese Bestimmung, dass „die Leistung […] von Amts wegen mit schriftlichem Bescheid rückwirkend neu zu bemessen [ist]“. Somit trifft die belangte Behörde die Verpflichtung, aufgrund der geänderten Voraussetzungen durch die Geburt der Tochter und der daraus folgenden Aufteilung des Überschusses aus dem Einkommen des Gatten der Beschwerdeführerin auf nunmehr fünf statt vier Personen, auch hinsichtlich der restlichen Familienmitglieder die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ab dem 01.05.2017 neu zu bemessen. Dem steht auch die Tatsache nicht entgegen, dass der von diesen Leistungen betroffene Zeitraum bereits abgelaufen ist. Denn das Gesetz sieht keine Beschränkung vor dahingehend vor, dass eine rückwirkende Neubemessung nur innerhalb des Zeitraums, in dem die jeweiligen Leistungen bezogen werden, zulässig wäre. Hingewiesen wird auch darauf, dass bei der von der belangten Behörde vorzunehmenden Neubemessung der den restlichen Familienmitgliedern gebührenden Leistungen § 11b NÖ MSG nicht mehr anzuwenden ist.

8.   Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Sozialrecht; Mindestsicherung; Neubemessung; Verfahrensrecht; Bescheidspruch; Auslegung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.1292.001.2017

Zuletzt aktualisiert am

25.07.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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