TE Vwgh Beschluss 2018/6/28 Ra 2018/19/0343

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Veröffentlicht am 28.06.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache des U U, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2018, Zl. W236 1427332- 3/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 14. April 2014 den gegenständlichen, insgesamt dritten Antrag auf internationalen Schutz. Seine in den Jahren 2011 und 2013 zusammen mit seiner damaligen Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern gestellten Anträge wurden jeweils rechtskräftig negativ entschieden.

2 Zu seinem Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, Widerstandskämpfer im Tschetschenienkrieg unterstützt zu haben. Er sei verraten, entführt und schwer misshandelt worden. Auf Grund der starken Schläge leide er an Gedächtnisproblemen, Kopfschmerzen und einem kaputten linken Knie. Er werde deshalb häufig ohnmächtig und habe Schwierigkeiten, sich Dinge zu merken bzw. wiederzugeben. Auch Angehörige bzw. Freunde des Revisionswerbers seien in seiner Herkunftsregion bedroht worden und verschwunden.

3 Mit Bescheid vom 4. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, dass das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers nicht berücksichtigt worden sei. Der Aufenthalt der Kinder des Revisionswerbers in Österreich sei als rechtlich irrelevant dargestellt worden. Der Revisionswerber könne seine Kinder im Sinn der gemeinsamen Obsorge nur dann betreuen, wenn er sich in Österreich aufhalte. Es sei lebensfremd, ein Naheverhältnis auch von Tschetschenien aus aufrechterhalten zu können.

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0061, mwN).

8 Die Revision legt weder dar, dass keine verfahrensrechtlich einwandfreie Grundlage vorgelegen sei, noch wird aufgezeigt, inwiefern die Abwägung an einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel leiden würde.

9 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Privat- und Familienleben auseinandergesetzt und eine umfassende Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgenommen. Angesichts des langen Aufenthalts und des Vorhandenseins von inzwischen vier minderjährigen Kindern ging das Bundesverwaltungsgericht in seinen Erwägungen vom Vorliegen eines Privat- und Familienlebens aus. Es kam jedoch zu dem Schluss, dass die Interessenabwägung zu Lasten des Revisionswerbers ausgehe und ein Eingriff in diese Rechte somit zulässig sei.

10 Das Bundesverwaltungsgericht begründete dies damit, dass der Revisionswerber mindestens seit 26. August 2015 nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit seinen Kindern lebe und von seiner ehemaligen Ehefrau seit Ende 2013 geschieden sei. Die Obsorge für die minderjährigen Kinder komme zwar beiden Elternteilen gemeinsam zu, betreut würden die Kinder allerdings von der Mutter. Ihm selbst komme ein Besuchsrecht von einer Stunde pro Woche zu, abgesehen davon bestehe kein Kontakt. In der mündlichen Verhandlung sei der Kontakt zu seinen Kindern vom Revisionswerber kaum thematisiert worden. Zudem habe sich der Revisionswerber seit Jahren gewalttätig gegenüber seiner Familie gezeigt, was letztlich zu einer Wegweisung samt Betretungsverbot, dem Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie zwei strafrechtlichen Verurteilungen geführt habe. Seiner ehemaligen Ehefrau und seinen Kindern seien aus diesem Grund auch Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt worden. Das Familienleben sei vor diesem Hintergrund als erheblich herabgesetzt zu beurteilen, weshalb es zumutbar sei, dieses via Telefon, Internet, Briefe udgl. fortzusetzen.

Zu den in Österreich lebenden Verwandten bestehe lediglich sporadischer Kontakt. Es bestehe weder ein Abhängigkeits- noch ein sonstiges enges Bindungsverhältnis. Der Revisionswerber habe sich lediglich auf Grund von Asylanträgen, welche sich als unberechtigt erwiesen hätten, im Bundesgebiet aufgehalten. Er habe sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Zudem verfüge er über starke Bindungen zu seinem Heimatstaat, weshalb eine Wiedereingliederung auch nach sechsjähriger Abwesenheit möglich sei. In Österreich sei der Revisionswerber zudem kaum integriert, er beherrsche die Sprache nur rudimentär, sei straffällig geworden und habe keine Bildungsangebote in Anspruch genommen. In einer Gesamtschau würden daher sowohl hinsichtlich des Privat- als auch des Familienlebens die öffentlichen Interessen jene des Revisionswerbers überwiegen.

11 Dass damit fallbezogen eine unvertretbare Gewichtung der widerstreitenden Interessen erfolgt und das Bundesverwaltungsgericht somit von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre, wird in der Revision nicht aufgezeigt.

12 In der Zulässigkeitsbegründung wird zudem gerügt, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beweiswürdigung ab. Der Revisionswerber habe sein Vorbringen zu den Fluchtgründen in allen Verfahrensschritten gleich, nicht zu spät und übereinstimmend erstattet. Das Vorbringen sei nachvollziehbar und identisch gewesen, das Bundesverwaltungsgericht hätte daher "bei richtiger Berücksichtigung der Beweislastregeln" zu einem anderen Ergebnis kommen müssen.

13 Auch mit diesem Vorbringen gelingt es der Revision nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen:

14 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. zB VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0051, mwN).

15 In der Revision wird nicht dargetan, inwiefern die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre. Vielmehr erweist sich die Behauptung des Revisionswerbers, sein Vorbringen sei stets konsistent gewesen, als unrichtig. So kam es im Lauf der Verfahren - abgesehen vom gleichbleibenden Verweis auf die Unterstützung der Widerstandskämpfer - zu zahlreichen Abweichungen und Widersprüchen in seinen Aussagen.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 28. Juni 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190343.L00

Im RIS seit

19.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.08.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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