TE Vwgh Erkenntnis 2000/1/27 98/20/0352

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Veröffentlicht am 27.01.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des am 28. Oktober 1973 geborenen BS in Wien, vertreten durch Dr. Edith Hlawati, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, diese vertreten durch Dr. Marcella Zauner-Grois und Dr. Christof Dunst, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. April 1998, Zl. 201.048/0-V/15/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 27. Oktober 1997 in das Bundesgebiet ein und stellte am 31. Oktober 1997 einen Antrag auf Asylgewährung. Anlässlich seiner am 4. November 1997 vom Bundesasylamt durchgeführten schriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er sei ein Mitglied der "RUF-Revolutionary United Front". Die Regierung habe mehrere Leute verhaftet und verfolgt, was so viel hieße, dass man getötet werde. Man könne nur davonlaufen, bevor man gefunden werde. Er habe sich versteckt gehalten und sei dann davongelaufen. Wenn man von einem Soldaten entdeckt werden würde, würde man erst festgenommen und dann umgebracht werden. Er habe sich der RUF im Mai 1997 nach der Ermordung seines Vaters durch die Regierung angeschlossen. Einen Grund dafür, warum sein Vater ermordet worden sei, konnte der Beschwerdeführer nicht angeben. Wenn man gefragt werde, ob man für die Regierung sei und man würde dies verneinen, dann würde man umgebracht werden. Es hätte Kämpfe gegeben. Er sei nicht getötet worden, weil er davongelaufen sei. Auch sein Vater habe versucht davon zu laufen, sei aber erwischt und getötet worden. Alle seien in verschiedene Richtungen davongelaufen. Im Busch hätten sich alle Leute wieder getroffen und dort hätte er erfahren, wer umgebracht worden sei. Daraufhin sei der Beschwerdeführer herum gezogen und habe Nahrung gesucht und sei insgesamt von Mai 1997 bis 27. Oktober 1997 auf der Flucht vor der Regierung gewesen.

Das Bundesasylamt befragte den Beschwerdeführer darüberhinaus zu den Lebensumständen sowie zu den geografischen und sozialen Verhältnissen in Sierra Leone.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. November 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen. Das Bundesasylamt stellte fest, dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner behaupteten Staatsangehörigkeit und somit auch hinsichtlich des behaupteten Fluchtgrundes habe ebenso wie den Angaben zum Fluchtweg die Glaubwürdigkeit aberkannt werden müssen. Dies wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, Grunddaten über sein Heimatland zu nennen, und sich auch bei einigen - genauer wiedergegebenen - Angaben seiner Fluchtgründe in Widersprüche verwickelt habe.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung versuchte der Beschwerdeführer, einige der im erstinstanzlichen Bescheid genannten Widersprüche aufzuklären, und brachte darüberhinaus vor, während der Vernehmung unter großem psychischen Stress gestanden zu sein, weshalb ihm die einfachsten Dinge nicht eingefallen seien. Schließlich meinte er, als aktives Mitglied der RUF nach dem Putsch im Mai 1997 in größter Gefahr gewesen zu sein, weil die Soldaten des neuen Militärdiktators ein Blutbad unter all denen angerichtet hätten, die nicht Anhänger des neuen Präsidenten seien. Ausdrücklich beantragte der Berufungswerber neben der Einholung eines Gutachtens des UNHCR seine neuerliche Vernehmung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30. April 1998 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76 (AsylG), abgewiesen. Die belangte Behörde schloss sich hinsichtlich der mangelnden Glaubwürdigkeit der Angaben des Berufungswerbers zu seiner Staatsangehörigkeit der von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Beweiswürdigung vollinhaltlich an und erhob diese Passagen zum Bestandteil des gegenständlichen Bescheides. Dem Berufungseinwand, dass dem Berufungswerber auf Grund psychischen Stresses die einfachsten Dinge nicht eingefallen seien, wurde entgegnet, dass sich die Unkenntnis des Berufungswerbers nicht nur auf die Beantwortung vereinzelter, sondern nahezu sämtlicher elementarer Fragen bezogen habe, sodass diesem Argument die Glaubwürdigkeit versagt bleiben müsse. Schließlich habe ein Abspruch über die - mit der Berufung beantragte - vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 AsylG 1991 deshalb entfallen können, weil die vorläufige Aufenthaltsberechtigung sowohl nach der alten als auch nach der neuen Gesetzeslage mit dem rechtskräftig negativen Abschluss des Asylverfahrens ende. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG habe für die erkennende Behörde keine Verpflichtung bestanden, eine Non-Refoulement-Prüfung vorzunehmen, weil die Entscheidung der erstinstanzlichen Behörde vor dem 1. Jänner 1998 ergangen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden, weshalb für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat grundsätzlich auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG über die Durchführung einer öffentlich-mündlichen Verhandlung, Anwendung findet. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist § 67d AVG auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegen stehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.

In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer zu dem im Rahmen der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes erhobenen Vorwurfs der Unkenntnis seines angeblichen Heimatlandes und der Widersprüchlichkeiten in seinen Fluchtgründen Stellung genommen und zum einen versucht, diese aufzuklären, und zum anderen darauf hingewiesen, er sei anlässlich der Ersteinvernahme unter psychischem Stress gestanden, weshalb ihm die Beantwortung auch der einfachsten Dinge nicht möglich gewesen sei. Darüberhinaus hat der Beschwerdeführer in der Berufung erstmals geltend gemacht, auch nach dem Machtwechsel im Mai 1997 von den Soldaten des mittlerweile an die Macht gelangten neuen Präsidenten wegen seiner Mitgliedschaft bei der RUF verfolgt zu werden.

Die belangte Behörde hat die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz zur Gänze übernommen und auch dem Argument des Beschwerdeführers hinsichtlich der "Stresssituation" bei seiner Ersteinvernahme die Glaubwürdigkeit versagt. Auf das neue Sachvorbringen in der Berufung ist die belangte Behörde nicht näher eingegangen. Dem Berufungsvorbringen kann nun entnommen werden, der Beschwerdeführer sehe sich in der Lage, bei der von ihm ausdrücklich beantragten neuerlichen Vernehmung die Bedenken, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, auszuräumen und damit die relevante Beweisgrundlage zu verbreitern. Die belangte Behörde hätte sich in Anbetracht des die Unglaubwürdigkeit seiner Darstellungen bestreitenden Vorbringens des Beschwerdeführers nicht auf eine bloße Überprüfung der Beweiswürdigung anhand der Aktenlage beschränken dürfen, sondern den Beschwerdeführer im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einvernehmen müssen. Dabei wäre auch auf die (erstmals) von der belangten Behörde - im Übrigen mit einer nicht schlüssigen Begründung - als unglaubwürdig gewertete Behauptung des Beschwerdeführers, er sei bei seiner Ersteinvernahme unter starkem psychischen Stress gestanden, weshalb ihm die einfachsten Dinge nicht eingefallen seien, einzugehen gewesen.

Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Ist dies nicht offensichtlich, so hat der Beschwerdeführer dies darzutun.

Unter Zugrundelegung des im Falle der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gegebenenfalls als glaubwürdig erachteten Vorbringens des Beschwerdeführers wäre aber nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer aus politischen Gründen asylrelevante Verfolgung zu befürchten gehabt hätte. Bei Vermeidung des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels hätte diese somit zu einem anderen Bescheid gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf die beantragte Vergütung von Umsatzsteuer, die im Gesetz neben dem pauschalierten Ersatz von Schriftsatzaufwand nicht vorgesehen ist.

Wien, am 27. Jänner 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998200352.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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