TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/23 97/08/0129

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Veröffentlicht am 23.02.2000
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E05204020;
E6J;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art1 lith;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art71 Abs1 lita Zii;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art71 Abs1 litb Zii;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art72a;
61991CJ0102 Knoch VORAB;
AlVG 1977 §26 Abs1 Z1 litb;
AlVG 1977 §26 Abs1 Z1;
EURallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):97/08/0605 E 23. Februar 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der R in L, vertreten durch Philipp & Partner, Rechtsanwälte in Mattersburg, Brunnenplatz 5c, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland vom 5. März 1997, Zl. LGS-Bgld./IV/1241-2/1997, betreffend Karenzurlaubsgeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1972 in Wien geborene Beschwerdeführerin war vom 1. März 1995 bis zum 31. Juli 1995 in Wien beschäftigt und trat am 6. November 1995 in der Bundesrepublik Deutschland eine auf ein Jahr befristete Beschäftigung als Praktikantin an. Für die Zeit vom 4. Juni 1996 bis zum 5. September 1996 erhielt sie im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes am 11. Juli 1996 in der Bundesrepublik Deutschland Mutterschaftsgeld.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin nach deren Rückkehr nach Österreich am 16. September 1996 bei der regionalen Geschäftsstelle Oberpullendorf gestellten Antrag auf Zuerkennung des Karenzurlaubsgeldes wegen Nichterfüllung der Anspruchsvoraussetzung eines vorherigen Anspruchs auf Wochengeld ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde hat einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Karenzurlaubsgeldes nach § 26 AlVG in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung vor der Erlassung des Karenzgeldgesetzes und der damit verbundenen Aufhebung der §§ 26 bis 32 AlVG durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 47/1997 ausschließlich deshalb verneint, weil sie der Ansicht war, durch den Bezug des Mutterschaftsgeldes in der Bundesrepublik Deutschland könne die Beschwerdeführerin die in ihrem Fall in Ermangelung eines Karenzurlaubes nach § 26 Abs. 1 Z. 1 lit. b AlVG maßgebliche Voraussetzung, es müsse infolge der Entbindung ein Anspruch auf Wochengeld entstanden sein, nicht erfüllt haben. Das in der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlte Mutterschaftsgeld sei dem Wochengeld nicht gleichzuhalten.

Diese den angefochtenen Bescheid tragende Rechtsansicht der belangten Behörde trifft aus den vom Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, Zl. 97/08/0636, näher dargestellten Gründen zumindest in dieser allgemeinen Form nicht zu. In dem erwähnten Erkenntnis, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf eine ("echte") Grenzgängerin im Sinne des Art. 71 Abs. 1 Buchstabe a Z. ii in Verbindung mit Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 die Auffassung vertreten, das Gleichstellungsgebot des Art. 72a der genannten Verordnung stehe der Auslegung des § 26 Abs. 1 Z. 1 lit. b AlVG, wonach ein Anspruch auf Wochengeld nach den österreichischen Bestimmungen bestanden haben müsse und ein in der Bundesrepublik Deutschland bezogenes Mutterschaftsgeld dem nicht gleichzuhalten sei, entgegen. Durch den Bezug des Mutterschaftsgeldes sei im konkreten Fall auch die auf das Wochengeld bezogene Voraussetzung des § 26 Abs. 1 Z. 1 lit. b AlVG gegeben.

Im vorliegenden Fall scheint festzustehen, dass die Beschwerdeführerin keine ("echte") Grenzgängerin im Sinne der zuvor erwähnten Vorschriften war. Aus der Sicht der im Vorerkenntnis vertretenen Rechtsmeinung macht es aber keinen Unterschied, ob der die Familienleistung beanspruchende voll arbeitslose Arbeitnehmer ("echter") Grenzgänger ist oder (als sogenannter "unechter Grenzgänger") sich nur der Arbeitsverwaltung des Mitgliedsstaates, in dessen Gebiet er wohnt, zur Verfügung stellt oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehrt, sofern er während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates als des zuständigen Staates (nämlich des Beschäftigungsstaates) gewohnt hat. Treffen die zuletzt genannten Voraussetzungen zu, so gilt nach Art. 72a der genannten Verordnung nichts anderes als für ("echte") Grenzgänger.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die im Vorerkenntnis vertretene Rechtsansicht aus den dort dargestellten Gründen auch hier zum selben Ergebnis führen würde, wenn die Beschwerdeführerin während ihres von vornherein zeitlich begrenzten Praktikums in der Bundesrepublik Deutschland noch im Sinne des Art. 71 in Verbindung mit Art. 1 Buchstabe h der genannten Verordnung in Österreich wohnte. Dabei ist hervorzuheben, dass schon die in Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b Z. ii besonders berücksichtigte Möglichkeit einer "Rückkehr" in den Staat, in dem man bereits "wohnt", in Verbindung mit der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes erkennen lässt, dass beschäftigungsbedingte Aufenthalte auch bei längerer Dauer keine "gewöhnlichen" im Sinne des Art. 1 Buchstabe h der Verordnung sein müssen und der Annahme gleichzeitigen "Wohnens" in einem anderen Staat nicht notwendig entgegenstehen (vgl. dazu - den Fall einer 21 Monate dauernden Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates betreffend - EuGH 8. Juli 1992, Rs C-102/91, Slg. 1992 I-4341 Knoch, Rz 3 ff und 17 bis 29).

Mit der Frage, ob die Beschwerdeführerin - vor allem angesichts des Umstandes, dass sie in der Bundesrepublik Deutschland nur ein zeitlich befristetes Praktikum absolvierte - in diesem Sinne als "unechte Grenzgängerin" einzustufen war, hat sich die belangte Behörde aufgrund ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht nicht auseinander gesetzt. Da somit nicht feststeht, dass die Beschwerdeführerin nicht schon aufgrund der im Vorerkenntnis dargestellten Erwägungen die Anspruchsvoraussetzung eines infolge der Entbindung entstandenen Anspruchs auf Wochengeld erfüllt hat, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch zu einer Auseinandersetzung mit den Rechtsfragen, die sich andernfalls stellen würden, nicht veranlasst.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. Februar 2000

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997080129.X00

Im RIS seit

18.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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