TE Lvwg Erkenntnis 2018/4/25 VGW-151/032/1484/2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.04.2018
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Entscheidungsdatum

25.04.2018

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

NAG §2 Abs1 Z9
NAG §11 Abs1
NAG §11 Abs2
NAG §27 Abs1
NAG §27 Abs2
NAG §27 Abs3
NAG §27 Abs4
NAG §28 Abs5
NAG §30 Abs1
NAG §46 Abs1

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des J. Da. (geb.: 1994, StA: Serbien), vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Dezember 2017, Zl. MA35-9/3144890-01, mit welchem der Aufenthaltstitel für den Zweck "Rot-Weiß-Rot – Karte plus (Familiengemeinschaft)" gemäß § 28 Abs. 5 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG und § 30 Abs. 1 NAG, entzogen wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 17. April 2018, den

BESCHLUSS

gefasst:

I.       Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 17 VwGVG, §§ 76 Abs. 1 und 53b AVG wird dem Beschwerdeführer der Ersatz der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 24. April 2018, Zl. VGW-KO-032/356/2018-1, mit € 123,– bestimmten Barauslagen für die zur mündlichen Verhandlung am 17. April 2018 in der Zeit zwischen 10:00 Uhr bis 12:25 Uhr beigezogene nichtamtliche Dolmetscherin auferlegt. Der Beschwerdeführer hat der Stadt Wien die genannten Barauslagen durch Banküberweisung auf das Bankkonto mit der Kontonummer IBAN AT16 1200 0006 9621 2729, BIC BKAUATWW, lautend auf "MA6 BA40" mit dem Verwendungszweck "VGW-KO-032/356/2018" binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

sowie

IM NAMEN DER REPUBLIK

zu Recht erkannt:

II.      Gemäß § 28 Abs. 5 iVm § 27 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, wird der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde behoben.

III.    Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid des Landeshauptmanns der Stadt Wien, Zl. MA35-9/3144890-01, vom 18. Dezember 2017 wurde der dem Beschwerdeführer am 23. Mai 2017 erteilte Aufenthaltstitel für den Zweck "Rot-Weiß-Rot – Karte plus (Familiengemeinschaft)" mit Gültigkeit von 15. Mai 2017 bis 15. Mai 2018 gemäß § 28 Abs. 5 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 NAG entzogen, weil die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht mehr vorlägen.

2.       Dagegen richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die Behebung des angefochtenen Bescheids, in eventu die Zurückverweisung an die belangte Behörde zur neuerlichen Entscheidung, begehrt.

3.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor.

4.       Am 17. April 2018 führte das Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer als Partei und dessen Ex-Ehegattin D. M. sowie dessen Mutter R. P. als Zeuginnen einvernommen wurden.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zu Grunde:

Der am … 1994 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien. Sein Reisepass ist bis 23. November 2027 gültig.

Der Beschwerdeführer hat am 4. Oktober 2016 in Serbien, S., die serbische Staatsangehörige D. M., geboren 1990, geheiratet. Diese hat den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" inne. Die Ehe wurde mit Urteil des Grundgerichts der Republik Serbien in S. vom 12. Oktober 2017 einvernehmlich geschieden.

Der Beschwerdeführer hat D. M. im Sommer 2015, während er zu Besuch bei seiner Großmutter in Wien war, an ihrem Arbeitsplatz in einem Kaffeehaus im 20. Bezirk kennengelernt. Nach dieser ersten Begegnung trafen sich die beiden mehrmals im Kaffeehaus, tauschten nach circa einer Woche die Telefonnummern aus und verabredeten sich sodann zu einem Spaziergang an der Donau. Am 1. August 2015 kam es zum ersten Kuss, als die beiden mit Freunden in der Stadt unterwegs waren. Nach einem Besuch in einem Club verbrachten der Beschwerdeführer und D. M. die erste gemeinsame Nacht und hatten zum ersten Mal Geschlechtsverkehr. Der Beschwerdeführer hielt sich in der folgenden Zeit, soweit es die sichtvermerkfreien Zeiten zuließen, immer wieder in Wien auf. D. M. kam ihn nie in Serbien besuchen. Am 14. Februar 2016 machte ihr der Beschwerdeführer in ihrer Wohnung in Wien einen Heiratsantrag und schenkte ihr einen Verlobungsring. Anfang Oktober 2016 fuhr D. M. nach Serbien zu ihren Eltern, um dort vom Beschwerdeführer abgeholt zu werden und am 4. Oktober 2016 den Beschwerdeführer in S. zu heiraten. An dieser Verehelichung nahmen nur das Ehepaar und zwei Trauzeugen, ein Verwandter und ein Freund des Beschwerdeführers, teil. Da es die finanziellen Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt nicht zuließen, planten der Beschwerdeführer und D. M. zu einem späteren Zeitpunkt eine größere Hochzeitsfeier zu veranstalten. Wenige Tage nach der Hochzeit kehrten die Eheleute nach Wien zurück, wo der Beschwerdeführer am 25. Oktober 2016 beim Magistrat der Stadt Wien einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot – Karte plus (Familiengemeinschaft)" stellte.

Von Oktober 2016 bis April 2017 hielt sich der Beschwerdeführer mit mehreren Unterbrechungen in Wien auf und wohnte während seiner Aufenthalte in der Wohnung seiner Ehegattin D. M. in Wien, N.-straße. Aus finanziellen Gründen waren die Ehegatten ab März 2017 gezwungen, in die Wohnung der Mutter des Beschwerdeführers in Wien, F.-gasse, einzuziehen. Diese Wohnung war etwa 60 m² groß und verfügte über zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, eine Küche mit Essbereich, Bad und WC. Die Ehegatten teilten sich ein Schlafzimmer und schliefen in einem Bett, die Mutter schlief in einem eigenen Zimmer. Der Beschwerdeführer und D. M. beteiligten sich an den laufenden Kosten, mussten jedoch keinen Mietzins zahlen.

Nach circa einem bis drei Monaten nach dem Umzug entstanden zwischen den Ehegatten Spannungen, die darauf zurückzuführen waren, dass sie unterschiedliche Vorstellungen von ihrer gemeinsamen Zukunft hatten. Dem Kinderwunsch des Beschwerdeführers wollte D. M. vorerst noch nicht nachkommen. Diese Differenzen führten im Sommer 2017 zu einem gröberen Streit infolgedessen D. M. aus der gemeinsamen Wohnung in Wien, F.-gasse, auszog. Ein paar Monate später entschieden sich die Ehegatten zu einer Scheidung, die sodann mit Urteil des Grundgerichts in S. vom 12. Oktober 2017 einvernehmlich vollzogen wurde.

Am 23. Mai 2017 wurde dem Beschwerdeführer der ihm erteilte Aufenthaltstitel für den Zweck "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" in Wien ausgefolgt.

Ab Juni 2017 ging der Beschwerdeführer einer Beschäftigung nach, seit 12. September 2017 ist er Arbeitnehmer der B. GmbH und bezieht ein übers Jahr gerechnete und die Sonderzahlungen berücksichtigendes durchschnittliches monatliches Nettogehalt von € 1.538,–. Das Dienstverhältnis wurde auf unbefristete Zeit geschlossen.

Der Beschwerdeführer ist vermögenslos und hat derzeit auf seinem Bankkonto ein Negativsaldo in Höhe von circa € 1.916,–.

Die Mutter des Beschwerdeführers ist Hauptmieterin der Wohnung in Wien, F.-gasse, und räumt diesem mit Wohnrechtsvereinbarung vom 12. April 2018 ab sofort bis 30. April 2019 ein Wohnrecht ein. Für die Mitbenutzung leistet der Beschwerdeführer eine monatliche Beteiligung in der Höhe von € 250,–. Der Mietvertrag der Mutter des Beschwerdeführers ist bis 30. April 2019 gültig.

Der Beschwerdeführer ist bei der Wiener Gebietskrankenkasse als Arbeiter versichert.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und weist keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen auf. Gegen den Beschwerdeführer ist kein Einreise- oder Aufenthaltsverbot oder eine Rückkehrentscheidung aufrecht.

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens und der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie durch Einholung verschiedener Registerauszüge (Sozialversicherungsdaten, Zentrales Melderegister, Strafregister, etc.). In der mündlichen Verhandlung am 17. April 2018 wurden neben dem Beschwerdeführer als Partei D. M. und R. P. als Zeuginnen einvernommen.

Für das Verwaltungsgericht Wien haben sich die Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ex-Ehegattin zum Entstehen der Beziehung, zum gemeinsamen Eheleben sowie zu den Gründen der Scheidung als glaubhaft erwiesen. So konnten die wesentlichen chronologischen Details übereinstimmend wiedergegeben werden, auch hatte das Verwaltungsgericht Wien den Eindruck einer früher zwischen den Ex-Eheleuten bestanden habenden tiefen emotionalen Verbindung und intimen körperlichen Beziehung. Die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers und der D. M. zu ihrer Beziehung ergibt sich für das Verwaltungsgericht auch daraus, dass einschneidende Daten – wie zum Beispiel der Jahrestag, der Tag der Verlobung, der Hochzeitstag, das Monat des Zusammenziehens, des Umziehens, aber auch das Monat der Trennung –, und die Begebenheiten an diesen Tagen (wie zum Beispiel der Besuch im Schwimmbad), ohne Zögern und übereinstimmend abgerufen werden können. Dass die Ehe ohne Beisein der engeren Familie oder von Freunden geschlossen wurde, konnte insofern nachvollziehbar begründet werden, als diese Verehelichung lediglich als formeller Akt angesehen wurde und ein größeres Fest zu einem späteren Zeitpunkt, sobald sich die finanziellen Verhältnisse gebessert haben, geplant war. Auch das verhältnismäßig schnelle Ende der nur kurz dauernden Ehe konnte nachvollziehbar begründet werden. So war es den divergierenden Vorstellungen der gemeinsamen Zukunft geschuldet, dass ein Fortsetzten des Ehelebens unmöglich wurde. Die Pläne des Beschwerdeführers, Kinder zu bekommen, ließen sich nicht mit den Wünschen der D. M., die sich dafür noch zu jung fühlte und vorerst noch arbeiten und reisen wollte, vereinen und führten zunehmend zu Konflikten.

Die Angaben der Mutter des Beschwerdeführers stützen dessen Angaben und jene der D. M., zumal sich auch ihre Darstellung der Ereignisse mit deren Aussagen weitgehend deckt.

Aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Lohnzetteln ergibt ein durchschnittliches monatliches Bruttogehalt von € 1.685,50. Unter Zugrundelegung dieses Betrags ergibt sich mittels des Brutto-Netto-Rechners des Bundesministeriums für Finanzen ein Jahresnettogehalt von ca. € 18.465,–, geteilt durch zwölf Monate ergibt dies ein monatliches Nettogehalt von ca. € 1.538,–. Die Gehaltsschwankungen sind auf die Anzahl der vom Beschwerdeführer verrichteten Wochenenddienste zurückzuführen.

Den Kontoauszügen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer von 1. April 2018 bis 13. April 2018 ein negatives Saldo von circa € 1.250,– bis € 2.583,– auf seinem Konto verzeichnete, wobei die genauen Beträge fast täglich schwankten. Daraus ergibt sich ein durchschnittliches Minus von circa € 1.916,–.

Die übrigen Feststellungen, insbesondere zur Wohnrechtsvereinbarung, zur strafrechtlichen Unbescholtenheit sowie zur Krankenversicherung ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt und den damit übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers bzw. seiner Mutter in der mündlichen Verhandlung.

[bis hier]

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, lauten:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

         1. – 8. […]

         9. Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;

[…]

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

         1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

         2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

         3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

         4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

         5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

         6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

         1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

         2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

         3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

         4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

         5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

         6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

         7. in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

[…]

Niederlassungsrecht von Familienangehörigen

§ 27. (1) Familienangehörige mit einem Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5 und 8 haben ein eigenständiges Niederlassungsrecht. Liegen die Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht mehr vor, ist dem Familienangehörigen ein Aufenthaltstitel auszustellen, dessen Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 vorliegt und er die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 erfüllt.

(2) Dem Familienangehörigen ist trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 bis 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 ein Aufenthaltstitel auszustellen, dessen Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht,

         1. bei Tod des Ehegatten, eingetragenen Partners oder Elternteils;

         2. bei Scheidung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft wegen überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten oder eingetragenen Partners oder

         3. aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen.

(3) Besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des Abs. 2 Z 3 liegen insbesondere vor, wenn

         1. der Familienangehörige Opfer einer Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) ist;

         2. der Familienangehörige Opfer von Gewalt wurde und gegen den Zusammenführenden eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder

         3. der Verlust des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden die Folge einer Maßnahme nach dem FPG war, die auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung des Zusammenführenden wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung gesetzt wurde.

(4) Der Familienangehörige hat die Umstände nach Abs. 1 bis 3 der Behörde unverzüglich, längstens jedoch binnen einem Monat, bekannt zu geben.

Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) – (4) […]

(5) Aufenthaltstitel sind zu entziehen, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles nicht mehr vorliegen. Von einer Entziehung kann abgesehen werden, wenn ein Fall des § 27 Abs. 1 bis 3 vorliegt oder dem Fremden im Rahmen eines Zweckänderungsverfahrens (§ 26) ein anderer Aufenthaltstitel zu erteilen ist. § 10 Abs. 3 Z 1 gilt.

[…]

Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption

§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen.

[…]

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

1.   – 1a. […]

         2.       ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

         a)       einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' innehat,

[…]"

2.       Nach der Verehelichung am 4. Oktober 2016 mit der serbischen Staatsangehörigen D. M., welche einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" innehat, und Stellung eines Erstantrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels am 25. Oktober 2016 wurde dem Beschwerdeführer am 23. Mai 2017 der ihm erteilte Aufenthaltstitel für den Zweck "Rot-Weiß-Rot – Karte plus (Familiengemeinschaft)" in Wien ausgefolgt. Dieser Aufenthaltstitel ist gültig bis 15. Mai 2018.

Mit Urteil des Grundgerichts in S. vom 12. Oktober 2017 wurde die Ehe des Beschwerdeführers mit D. M. einvernehmlich geschieden. Für die Verleihung des Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot – Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG ist Voraussetzung, dass die Zusammenführung mit einem Familienangehörigen erfolgt. Zur Definition des Begriffes "Familienangehöriger" ist auf § 2 Abs. 1 Z 9 NAG zurückzugreifen, wonach vom Begriffsumfang ua. der Ehegatte erfasst ist. Gerade diese besondere Erteilungsvoraussetzung lag für den Beschwerdeführer jedoch nach der Scheidung von D. M. nicht mehr vor, sind doch geschiedene Ehegatten nicht mehr als Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG zu werten (vgl. VwGH 10.11.2010, 2008/22/0123).

3.       Gemäß § 28 Abs. 5 NAG sind Aufenthaltstitel zu entziehen, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles, wie im vorliegenden Fall die Familienangehörigkeit, nicht mehr vorliegen. Von einer Entziehung kann jedoch abgesehen werden, wenn ein Fall des § 27 Abs. 1 bis 3 vorliegt. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien ist das "kann" in dieser Bestimmung nicht als freies Ermessen der Behörde zu lesen, sondern besteht ein Rechtsanspruch auf Absehen von der Entziehung, wenn die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 bis 3 NAG vorliegen.

Das Beweisverfahren hat nicht ergeben, dass Fälle des § 27 Abs. 2 NAG vorliegen würden, insbesondere ist die Ehe einvernehmlich geschieden worden, die Ex-Ehegattin ist nicht verstoben und es liegen auch keine besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des § 27 Abs. 3 NAG, wie zum Beispiel eine Zwangsehe oder Gewaltanwendung, vor. Somit verbleibt gemäß § 27 Abs. 1 NAG zu prüfen, ob im gegenständlichen Fall Erteilungshindernisse gemäß § 11 Abs. 1 vorliegen und der Beschwerdeführer die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 erfüllt. Sind die Voraussetzungen erfüllt, liegt ein Fall des § 27 Abs. 1 NAG vor und ist folglich von einer Entziehung des Aufenthaltstitels gemäß § 28 Abs. 5 NAG abzusehen.

4.       Zu den allgemeinen Erteilungsvoraussetzung

4.1.     Erteilungshindernisse des § 11 Abs. 1 NAG

Der Beschwerdefall liefert – mit Ausnahme des von der belangten Behörde angedeuteten Verdachts einer Scheinehe – keine Anhaltspunkte, wonach hinsichtlich des Beschwerdeführers ein Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 NAG vorliegen könnte. Insbesondere hat sich der Beschwerdeführer – im Hinblick darauf, dass er einen bis zum 15. Mai 2018 gültigen Aufenthaltstitel innehat – nicht rechtswidrig im Bundesgebiet aufgehalten.

Der Beschwerdeführer hat sich bei seinem Erstantrag vor der belangten Behörde auf seine mit D. M. am 4. Oktober 2016 in Serbien geschlossene Ehe berufen. Wie sich aus den im verwaltungsbehördlichen Verfahren getroffenen Feststellungen ersehen lässt, hatten der Beschwerdeführer und seine damalige Ehegattin zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 23. Mai 2017 (durch Ausfolgung der Aufenthaltskarte) einen gemeinsamen Wohnsitz, haben im selben Bett geschlafen und sind in enger emotionaler und körperlicher Beziehung gestanden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Scheinehetatbestand des § 30 Abs. 1 NAG unter anderem dann erfüllt, wenn sich der Ehegatte zur Erteilung eines Aufenthaltstitels auf eine Ehe beruft, obwohl kein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt wird. Dabei erfordert § 30 Abs. 1 NAG nicht, dass die Ehe – quasi in Missbrauchsabsicht – zu dem Zweck geschlossen wurde, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, sondern dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde oder des Verwaltungsgerichts kein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK (mehr) geführt wird (VwGH 27.4.2017, Ro 2016/22/0014). Zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung eines Aufenthaltstitels an den Beschwerdeführer lag angesichts eines aufrechten Ehelebens iSd Art. 8 EMRK somit keine Scheinehe vor und war es dem Beschwerdeführer nicht gemäß § 30 Abs. 1 NAG verwehrt, sich vor der belangten Behörde auf diese Ehe zu berufen. Dass D. M. zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich im August 2017 aus der gemeinsamen Wohnung auszog und die Ehe im Oktober 2017 geschieden wurde, schadet dieser Beurteilung nicht, zumal das rechtskräftig abgeschlossene Erteilungsverfahren von der belangten Behörde auch nicht wiederaufgenommen wurde.

4.2.     Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 NAG

4.2.1.       Kein Widerstreiten öffentlicher Interessen (§ 11 Abs. 2 Z 1 NAG):

Der Beschwerdeführer ist unbescholten und weist auch keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen auf. Es ist nicht zu erkennen, dass sein Aufenthalt öffentlichen Interessen iSd § 11 Abs. 4 NAG widerstreitet, zumal im auch kein Eingehen einer Scheinehe vorzuwerfen ist (vgl. die Ausführungen eben unter Pkt. III.4.1.).

4.2.2.       Rechtsanspruch auf ortsübliche Unterkunft (§ 11 Abs. 2 Z 2 NAG):

Die Mutter des Beschwerdeführers ist Hauptmieterin einer ca. 60 m² großen Wohnung in Wien bis zumindest 30. April 2019. Diese Wohnung bietet dem Beschwerdeführer und seiner Mutter getrennte Schlafzimmer und ist auf Grund der Größe als ortsüblich für zwei erwachsene Personen zu erkennen. Mit Wohnrechtsvereinbarung wurde dem Beschwerdeführer bis zumindest 30. April 2019 ein Rechtsanspruch zum Wohnen eingeräumt.

4.2.3.  Alle Risiken abdeckender Krankenversicherungsschutz (§ 11 Abs. 2 Z 3 NAG)

Der Beschwerdeführer ist bei der Wiener Gebietskrankenkasse als Arbeitnehmer bei einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Es liegt damit ein umfassender im Inland leistungspflichtiger Krankenversicherungsschutz vor (vgl. zu diesen Anforderungen VwGH 7.12.2016, Fe 2015/22/0001).

4.2.4.  Keine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 2 Z 4 NAG):

Der für den Beschwerdeführer erforderliche Lebensunterhalt berechnet sich gemäß § 11 Abs. 5 NAG nach der Höhe der Richtsätze des § 293 ASVG. Demnach ist im Beschwerdefall ein Richtsatz von € 909,42 als Lebensunterhalt vorzuweisen.

Dem Beschwerdeführer steht monatlich ein Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit von ca. € 1.538,– zur Verfügung.

Davon sind als regelmäßige Belastung die monatlichen Wohnbeiträge in Höhe von € 250,– abzüglich des einmaligen Werts der "freien Station" (§ 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG) sohin € 288,87 in Abzug zu bringen.

Der dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehende Lebensunterhalt übersteigt damit deutlich, nämlich um ca. € 667,– monatlich, den gemäß § 11 Abs. 5 NAG erforderlichen Richtsatz. Selbst in Hinblick auf den derzeitigen Fehlbetrag auf dem Konto des Beschwerdeführers in Höhe von € 1.916,– kann angesichts dieser Einkommenslage von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden. Durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers ist keine Belastung einer Gebietskörperschaft zu erwarten.

5.       Da der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des 1. Teils des NAG zur Gänze erfüllt, liegt ein Fall des § 27 Abs. 1 NAG vor. Die belangte Behörde hat sich bei der Entziehung des Aufenthaltstitels somit zu Unrecht auf § 28 Abs. 5 NAG gestützt und kann aus dieser Bestimmung keine Entziehung ableiten. Gegenstand vor dem Verwaltungsgericht Wien ist einzig die von der belangten Behörde ausgesprochene Entziehung des Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 5 NAG, eine Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels (zB nach § 27 Abs. 1 NAG) durch das Verwaltungsgericht Wien würde diesen Verfahrensgegenstand überschreiten. Der angefochtene Bescheid ist somit ersatzlos zu beheben.

Der Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass ihn nach § 27 Abs. 4 NAG die Pflicht tritt, Umstände nach § 27 Abs. 1 bis 3 NAG – so etwa die Scheidung von seiner Ehegattin – der Behörde unverzüglich, längstens jedoch binnen einem Monat, bekannt zu geben.

6.       Zu den auferlegten Kosten:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine klare und verlässliche Verständigung in einer mündlichen Verhandlung zu gewährleisten (vgl. VwGH 19.3.2014, 2013/09/0109). Insoweit hat die antragstellende Partei für die in Rechnung gestellten Gebühren von zu diesem Zweck beizuziehenden nichtamtlichen Dolmetschern aufzukommen (vgl. zur Tragung allfälliger Kosten für die zur vollständigen Ermittlung des Sachverhalts erforderlichen Amtshandlungen das Erkenntnis des VwGH vom 20.9.2012, 2010/06/0108).

Die Übersetzung in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2018 war auf Grund der nicht ausreichenden Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers sowie seiner Mutter für eine gänzlich unbeeinträchtigte Verständigung sowie zur verlässlichen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts erforderlich.

Dem Verwaltungsgericht Wien stand eine amtliche Dolmetscherin oder ein amtlicher Dolmetscher für die serbische Sprache nicht zur Verfügung. Für die mündliche Verhandlung hat es daher eine externe Person zur Übersetzung beigezogen.

Die Dolmetscherin legte in der Verhandlung am 17. April 2018 ihre Gebührennote, diese wurde den Verfahrensparteien vorgelegt; dagegen wurden keine Einwendungen erhoben.

Die in der Gebührennote (nach dem Gebührenanspruchsgesetz – GebAG, BGBl. 136/1975) verzeichneten Gebühren hat das Verwaltungsgericht Wien geprüft und in der im Spruch genannten Höhe für in Ordnung befunden. Die Buchhaltungsabteilung der Stadt Wien wurde zur Bezahlung der Gebühr aus Amtsmitteln angewiesen (vgl. zu alldem § 53b in Verbindung mit § 53a Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 erster Satz AVG).

Gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 erster und zweiter Satz sowie § 53b AVG hat die beschwerdeführende Partei für diese Barauslagen aufzukommen.

7.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da im Beschwerdefall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei seiner Entscheidung insbesondere betreffend die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des 1. Teils des NAG sowie die Definition des Begriffs des Familienangehörigen an der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs orientiert. Im Übrigen stellen sich im Beschwerdefall in Zusammenhang mit dem Verdacht der Aufenthaltsehe vorrangig Beweiswürdigungsfragen, die vom Verwaltungsgericht Wien nach den in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien gelöst wurden (vgl. aus der ständigen Judikatur zB 15.9.2016, Ra 2016/15/0049). Das Verfahren gemäß § 28 Abs. 5 iVm § 27 Abs. 1 NAG lässt sich unzweifelhaft aus dem Gesetzeswortlaut ablesen, die Rechtslage ist somit eindeutig (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage VwGH 8.2.2018, Ra 2017/11/0292). Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Entziehung des Aufenthaltstitels, Wegfall besonderer Erteilungsvoraussetzungen, Absehen von der Entziehung, Rechtsanspruch, Ermessensentscheidung, Allgemeine Erteilungsvorausetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.151.032.1484.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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