TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/24 96/21/0480

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Veröffentlicht am 24.02.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §59 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des A in Linz, geboren am 2. August 1967, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwalt in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 5. Februar 1996, Zl. St 383-1/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer, ein liberianischer Staatsangehöriger, in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus: Der Beschwerdeführer sei am 12. September 1994 mit Hilfe von Schleppern in das Bundesgebiet gelangt. Sein am 16. September 1994 gestellter Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. September 1994 abgewiesen worden. Seine gegen diesen Bescheid erhobene Berufung sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Jänner 1995 als verspätet zurückgewiesen worden. Weiters sei der Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 20. September 1994 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 FrG ausgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer habe im Asylverfahren angegeben, in seiner Heimat herrsche seit Dezember 1989 Bürgerkrieg. Er wäre in der Landwirtschaft tätig gewesen und hätte sich niemals für Politik interessiert und auch nicht an den Kampfhandlungen teilnehmen wollen. Im Mai 1994 wäre der Beschwerdeführer von Rebellen des Charles Taylor rekrutiert worden und hätte eine militärische Ausbildung erhalten sollen. Nach 20 Tagen wäre ihm die Flucht gelungen. Er gehörte dem Stamm der Mandingo an; Charles Taylor und auch Prince Johnson würden dem Stamm der Loma angehören. Bei einer Abschiebung würde ihm von zwei Seiten Gefahr drohen; die Anhänger der NPFL, der Gruppe um Charles Taylor, würden ihn als Angehörigen der Mandingo verfolgen und die Mandingo wegen Kollaboration mit dem Gegner. In Liberia gebe es seit Ausbruch des Bürgerkriegs im Dezember 1989 keine geordnete Staatsmacht.

Am 20. August 1995 - so die belangte Behörde weiter - hätten alle Konfliktparteien in Liberia unter Vermittlung der Nachbarländer ein neues Abkommen zur Beendigung des Bürgerkrieges unterzeichnet. Am 2. September 1995 sei ein neuer Staatsrat eingesetzt worden, der am 4. September 1995 mit der Ernennung von 16 Ministern die Bildung einer Übergangsregierung für Liberia beschlossen habe. Je fünf Ressorts würden von Mitgliedern der Gruppe des Charles Taylor und von Mitgliedern des Mandingo-Stammes geleitet. Der Beschwerdeführer habe zwar unter Berufung auf einen Zeitungsbericht vom 12. September 1995 angeführt, dass nur zehn Tage nach dem Amtsantritt der Übergangsregierung sich zwei der sieben Bürgerkriegsparteien neue Kämpfe geliefert hätten; dadurch könne aber noch nicht auf einen Zerfall der "Staatsregierung" geschlossen werden; der Behörde sei bisher Derartiges nicht bekannt geworden. Es sei daher bei der derzeit gegebenen Situation davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer aktuell keine vom Staat auch nur gebilligte Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG drohe. Die von ihm bezeichneten Gefahren bezögen sich lediglich auf die Bürgerkriegsparteien, die sich nun aber, nach auch von ihm nicht widerlegten Informationen, zu einer Staatsregierung zusammengeschlossen hätten. Im Übrigen lasse sein Vorbringen, das einzig und allein auf eine Zwangsrekrutierung durch die Truppen des Charles Taylor abstelle, weder ersehen, dass er deshalb - vom Staat gesehen - der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre, noch dass er aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt würde. Eine Verfolgung aus politischen Gründen scheide insofern aus, als er sich niemals für Politik interessiert habe; eine Verfolgung von Staats wegen aus Gründen seiner Rasse könne seinem Vorbringen ebenfalls nicht entnommen werden. Diese Auffassung werde im Übrigen auch vom Bundesasylamt vertreten, wenn dieses in der Begründung seines Bescheides ausgeführt habe, dass Zwangsrekrutierungen durch die Rebellen des Charles Taylor nicht als Verfolgung im Sinn des Asylgesetzes zu qualifizieren seien. Der Beschwerdeführer habe im Grund genommen der in seinem Heimatland zumindest damals herrschenden Bürgerkriegssituation entkommen wollen, was jedoch nicht ausreiche, Gefahren im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Verfolgungen im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG "zu ergeben".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten unter Verzicht

auf die Erstattung einer Gegenschrift vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorweg ist die Rüge des Beschwerdeführers zu behandeln, die Fremdenbehörde erster Instanz hätte seinen Antrag lediglich abzuweisen gehabt und nicht umgekehrt feststellen dürfen, dass seine Abschiebung zulässig sei. Indem die belangte Behörde diese Entscheidung bestätigt habe, habe sie in rechtlicher Hinsicht genauso wie die Fremdenbehörde erster Instanz geirrt. Dieses Vorbringen geht schon deswegen fehl, weil die erstinstanzliche Behörde im Bescheid vom 2. November 1995 keineswegs mit einer positiven Formulierung des Spruchs eine Zulässigkeit der Abschiebung nach Liberia, sondern im Einklang mit der gesetzlichen Anordnung des § 54 Abs. 1 FrG festgestellt hat, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Ergänzend sei bemerkt, dass die Aufnahme der sich daraus zwingend ergebenden Rechtsfolge der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia in den Bescheid keine Verletzung des hier allein in Betracht kommenden Rechtes auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in sein Heimatland bewirkt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1998, Zl. 97/18/0269).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iS des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 97/21/0911, mwN.)

Der Verwaltungsgerichtshof sprach bereits im Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, - im Übrigen die Bürgerkriegssituation in Liberia betreffend - aus, dass die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt demgemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies im Rahmen einer Feststellung gemäß § 54 FrG beachtlich. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben würde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohten, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

Somit verkannte die belangte Behörde mit ihrer allgemeinen Ansicht, eine ohne Billigung durch staatliche Stellen nur von Privatpersonen ausgehende Bedrohung sei nicht geeignet, die Tatbestände des § 37 FrG zu erfüllen, die Rechtslage. Fallbezogen trifft dies auf ihre Beurteilung zu, aus dem auf die Tatsache der Zwangsrekrutierung durch die Truppen des Charles Taylor abstellenden Vorbringen lasse sich nicht ersehen, dass der Beschwerdeführer deshalb - vom Staat her gesehen - einer relevanten Gefahr ausgesetzt wäre. Wie bereits dargelegt, können nämlich die aus einer Bürgerkriegssituation resultierenden Gefahren bei Fehlen einer ordnenden Staatsgewalt eine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG begründen.

Die belangte Behörde stellte zwar fest, am 20. August 1995 hätten alle Konfliktparteien in Liberia ein neues Abkommen zur Beendigung des Bürgerkriegs unterzeichnet und es sei eine Übergangsregierung eingesetzt worden, wodurch eine weitere Gefährdung aus der Bürgerkriegssituation zu verneinen sei. Damit käme dem dargestellten Rechtsirrtum keine Bedeutung mehr zu. In der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat der Beschwerdeführer jedoch unter Hinweis auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 12. September 1995 ausgeführt, dass nur zehn Tage nach dem Amtsantritt der Übergangsregierung die Kämpfe wieder aufgeflammt seien. In seiner Stellungnahme vom 29. Jänner 1996 verwies er überdies auf eine Agenturmeldung der dpa des Inhalts, dass die Kämpfe in Liberia Ende 1995 trotz des Friedensabkommens wieder aufgeflammt seien und sich Tausende Menschen auf der Flucht befänden. Beide Schriftstücke wurden vom Beschwerdeführer in Fotokopie vorgelegt und stimmen mit dem Vorbringen überein. Auf dieses Vorbringen antwortete die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - ohne Ermittlungen vorzunehmen - lediglich mit dem Hinweis, dass daraus noch nicht auf einen Zerfall der Staatsregierung geschlossen werden könne und der belangten Behörde bisher Derartiges nicht bekannt geworden sei. Diese Ausführungen reichen nicht aus, um eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall seiner Abschiebung nach Liberia verneinen zu können. Denn angesichts des festgestellten Wiederaufflammens der Kämpfe kann allein aus dem Abschluss eines Friedensabkommens noch nicht der Schluss gezogen werden, eine Staatsgewalt könne Verfolgungen einer Bürgerkriegspartei durch eine andere oder Gewaltmaßnahmen gegen Private verhindern.

Fällt dieses tragende Element der Bescheidbegründung weg, so ist unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren - das die belangte Behörde ihrer rechtlichen Beurteilung offensichtlich zugrundegelegt hat -, er sei unter Morddrohung von Angehörigen der feindlichen Bürgerkriegspartei des Charles Taylor zwangsrekrutiert worden und würde im Fall seiner Rückkehr von Angehörigen dieser Bürgerkriegspartei aus Gründen seiner Stammeszugehörigkeit und von Angehörigen seines eigenen Stammes wegen vermuteter Kollaboration mit dem Feind verfolgt, die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt.

Das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative legte die belangte Behörde ihrer Beurteilung nicht zugrunde, weshalb nicht unterstellt werden kann, es gebe räumlich stabil abgegrenzte Einflusszonen der Bürgerkriegsparteien und es könnte die Abschiebung des Beschwerdeführers in den für ihn sicheren Teil - so es einen solchen gebe - erfolgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1998, Zl. 95/21/0344).

Zusammenfassend belastete die belangte Behörde dadurch, dass sie die Angaben des Beschwerdeführers als nicht ausreichend wertete, um eine ihm drohende Verfolgung in seinem Heimatstaat glaubhaft zu machen, ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Februar 2000

Schlagworte

Inhalt des Spruches Allgemein Angewendete Gesetzesbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210480.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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