TE Vwgh Erkenntnis 2018/5/2 Ra 2017/02/0254

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Veröffentlicht am 02.05.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10 Verfassungsrecht;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
30/01 Finanzverfassung;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §6;
ABGB §7;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
AVG §37;
AVG §63 Abs3;
AVG §8;
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §7;
VwGVG 2014 §9 Abs1 Z1;
VwGVG 2014 §9 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des R in H, vertreten durch Dr. Peter Krömer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 26. September 2017, Zl. LVwG-S-1232/001-2017, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 24. April 2017, Zl. LFS2-V-16 6725/5, wurde der Revisionswerber als das gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der I. GmbH mehrerer arbeitnehmerschutzrechtlicher Übertretungen schuldig erkannt. Dagegen erhob der Revisionswerber am 17. Mai 2017 Beschwerde an das Verwaltungsgericht, wobei als Beschuldigter eindeutig - sowohl im Rubrum der Beschwerde als auch am Ende des Schriftsatzes - der Revisionswerber namentlich angeführt wurde. Im Rubrum der Beschwerde wurde die Geschäftszahl LFS2-V-16 6726/5 angegeben, im Schriftsatz selbst findet sich hingegen die korrekte Geschäftszahl LFS2-V-16 6725/5.

2 Mit im Wesentlichen gleichlautendem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld ebenfalls vom 24. April 2017 zur Zl. LFS2-V-16 6726/5 wurde ein weiteres zur Vertretung nach außen berufenes Organ der I. GmbH, DI H., derselben arbeitnehmerschutzrechtlichen Übertretungen schuldig erkannt. Dagegen erhob der in jenem Verfahren Beschuldigte, DI H., am 19. Mai 2017 zur Zl. LFS2-V-16 6726/5, vertreten durch denselben Rechtsanwalt wie der Revisionswerber, Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

3 Die Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts als unzulässig zurückgewiesen und die ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

4 Das Verwaltungsgericht führte darin aus, dass die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld gegen DI H. das Straferkenntnis vom 24. April 2017, LFS2-V-16 6726/5, erlassen habe. In diesem Bescheid habe die Bezirkshauptmannschaft über den Beschuldigten DI H. vier Verwaltungsstrafen nach der Bauarbeiterschutzverordnung verhängt. Gegen diese Entscheidung habe der Revisionswerber - anwaltlich vertreten - als "Beschuldigter" Beschwerde erhoben. Die Beschwerde erweise sich als unzulässig, indem im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren DI H. Beschuldigter und Adressat des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 24. April 2017, LFS2-V-16 6726/5, sei, nicht aber der Revisionswerber. Gegen den Revisionswerber sei das im Gegenstand bekämpfte Straferkenntnis nicht erlassen worden, sodass der Revisionswerber, welcher nicht Bescheidadressat sei, auch kein Beschwerderecht besitze.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge den Beschluss wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben, in eventu den Beschluss dahingehend abändern, dass der Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld in Form eines Erkenntnisses stattgegeben werde. Weiters beantragte der Revisionswerber Kostenzuspruch.

6 Die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld erstattete nach Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung. In dieser führte sie unter anderem aus, dass durch den Rechtsvertreter des Revisionswerbers in einer E-Mail vom 19. Mai 2017 zwei Beschwerden eingebracht worden seien, zum einen eine Beschwerde von DI H., zum anderen eine Beschwerde des Revisionswerbers. Von dem Rechtsanwalt sei in beiden Beschwerden im Betreff die Zl. LFS2-V-16 6726/5 angeführt worden. Aufgrund eines Versehens seitens der belangten Behörde sei in Folge irrtümlich der Akt zur Zl. LFS2-V-16 6726/5 (betreffend DI H.) dem Verwaltungsgericht doppelt vorgelegt wurden und der Akt LFS2-V-6725/5 (betreffend den Revisionswerber, Anm.) vorerst gar nicht. Diese Vorlage zur Entscheidung sei am 22. November 2017 nachgeholt worden. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht legte in der Revisionsbeantwortung weiters dar, der Fehler in der Bezeichnung sei für das Verwaltungsgericht nicht offenkundig erkennbar gewesen und beantragte, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision als unzulässig zurückweisen, in eventu als unbegründet abweisen. Gleichzeitig beantragte sie Kostenzuspruch.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Der Revisionswerber bringt vor, es gehe gegenständlich um die grundsätzliche Rechtsfrage," ob dem Revisionswerber sein Beschwerderecht aberkannt werden (könne), wenn der bekämpfte Bescheid, der gegen ihn adressiert sei, sowohl im Bescheidantrag als auch in der Ausführung der Beschwerde selbst richtig angegeben worden sei und einzig auf dem Deckblatt in seiner Kennzeichennummer um eine Ziffer (abweiche)". Es stelle sich daher auch die Rechtsfrage, "welcher rechtlichen Bedeutung dem nicht zwingend notwendigen Deckblatt einer schriftlichen Beschwerde im Hinblick auf die eigentlich ausgeführte Beschwerde zukomme, und ob eine Diskrepanz in einer Ziffer über mehr als ein minderes Grad des Versehens angesehen werden" dürfe. Zusammengefasst liege nach Ansicht des Revisionswerbers eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, nämlich welchen Grad des Versehens eine offenkundige Fehlbezeichnung der Kennzeichennummer des zu bekämpfenden Bescheides auf dem Deckblatt darstelle, wenn in der eigentlichen Beschwerde inklusive Begehren der Bescheid inklusive Kennzeichennummer korrekt angeführt sei und ob dieses Versehen das Verwaltungsgericht zu einer sofortigen Zurückweisung ohne vorhergehenden Verbesserungsauftrag ermächtige.

9 Die vorliegende Revision ist zulässig und im Ergebnis auch begründet.

10 Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 VwGVG haben auch Beschwerden an die Verwaltungsgerichte die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides zu enthalten (siehe VwGH 22.1.2015, Ra 2014/06/0003).

11 Gemäß der - insoweit weiterhin anwendbaren - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 63 Abs. 3 AVG idF vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 hat die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides in der Weise zu erfolgen, die es ermöglicht, unter Anwendung der Auslegungsgrundsätze der §§ 6 und 7 ABGB den angefochtenen Bescheid zu erkennen und jede Verwechslung darüber auszuschließen; keinesfalls sollte damit ein übertriebener Formalismus in das Verwaltungsverfahren eingeführt werden (vgl. etwa VwGH 24.1.2018, Ra 2017/09/0055 m.w.H.).

12 Die Behörde ist dann, wenn nicht eindeutig klar ist, wem ein Rechtsmittel zuzurechnen ist, verpflichtet, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist. Nur wenn die Behörde auf Grund des objektiven Erklärungswertes der Eingabe keinen Zweifel daran hat, dass diese einer nicht Parteistellung genießenden Person zuzurechnen ist, darf sie mit einer sofortigen Zurückweisung dieser Eingabe vorgehen (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2017/05/0077).

13 Das gänzliche Fehlen der Anführung der Geschäftszahl, wenn keine sonstigen Zweifel darüber bestanden, welchen Bescheid der Beschwerdeführer bekämpfen wollte, berechtigte die Behörde nicht zur Zurückweisung (vgl. VwGH 24.2.1993, 92/02/0255). Auch die Angabe eines unrichtigen Datums wurde vom Verwaltungsgerichtshof als offenkundiges Versehen beurteilt, weil bei verständiger Auslegung der Parteienerklärung kein Zweifel bestanden hat, welchen Bescheid die damalige Revisionswerberin bekämpften wollte (siehe VwGH 29.8.2017, Ra 2016/17/0197 m.w.H.).

14 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde sowohl die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht als auch das Datum des angefochtenen Bescheids richtig angegeben. Weiters war auch das inhaltliche Begehren sowie die von ihm bekämpfte Bestrafung ausreichend konkretisiert. Auch wurde die korrekte Geschäftszahl des Bescheides in der Beschwerde selbst mehrfach angeführt. Lediglich im Rubrum ("Deckblatt") der Beschwerde wurde eine einzelne Ziffer der Geschäftszahl ("6" statt "5") falsch angegeben. Dem Straferkenntnis des DI H. sowie der Beschwerde des Revisionswerbers lässt sich weiters entnehmen, dass beide Verfahren sich auf die I. GmbH beziehen und augenscheinlich dieselben arbeitnehmerschutzrechtlichen Übertretungen betreffen. Auch der Verfahrensakt, mag dieser auch betreffend das Verfahren von DI H. vorgelegt worden sein, wie die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht in ihrer Revisionsbeantwortung ausführt, lässt einen offensichtlichen inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Zusammenhang der Strafverfahren des DI H. sowie des Revisionswerbers erkennen. Es handelt sich somit gegenständlich bei der Angabe der im Hinblick auf eine Ziffer falschen Geschäftszahl im Rubrum um ein offenkundiges Versehen im Sinne der hg. Judikatur, welches eine eindeutige Zuordnung der Beschwerde zum bekämpften Verwaltungsakt nicht hinderte. In einem solchen Fall war das Verwaltungsgericht nicht berechtigt, die Beschwerde ohne weitere Erhebungen als unzulässig zurückzuweisen.

15 Selbst wenn das Verwaltungsgericht Zweifel an der Zuordenbarkeit der Beschwerde gehegt hätte, wäre eine Zurückweisung ohne vorhergehende Verbesserungsmöglichkeit gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG nicht rechtmäßig gewesen, weil das Verwaltungsgericht lediglich bei eindeutigen Prozesserklärungen an diese gebunden ist (vgl. erneut VwGH 29.8.2017, Ra 2016/17/0197 m.w.H.).

16 Indem das Verwaltungsgericht die Beschwerde in Verkennung der Rechtslage als unzulässig zurückwies, hat es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und damit den Revisionswerber in seinen Rechten verletzt. Der angefochtene Beschluss war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung. Wien, am 2. Mai 2018

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020254.L00

Im RIS seit

18.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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