TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/23 99/20/0002

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Veröffentlicht am 23.03.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des IA, geboren am 1. Jänner 1971, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. November 1998, Zl. 203.361/0-II/04/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 16. November 1995 in das Bundesgebiet ein und stellte am 17. November 1995 einen Antrag auf Gewährung von Asyl, den er wie folgt begründete:

"Ich bin seit 1992 Mitglied der Pakistan Muslim Liga und hatte

deswegen Schwierigkeiten in meiner Heimat.

(...)

Am 5.11.1994 fand in Lahore eine Versammlung der PML statt, im Zuge dieser Versammlung kam es zur Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern der Pakistan Peoples Party welche die Versammlung störten und auf die Teilnehmer geschossen haben. Die Polizei schritt ein und löste die Versammlung auf.

Am 5.9.1995 kam es anlässlich einer ähnlichen Versammlung wieder zu Ausschreitungen zwischen den Mitgliedern der PPP und PML. Die Polizei schritt wieder ein und verhaftete 5 Personen darunter auch mich. Ich war bis 29.10.1995 in Haft. Die Polizei wollte von mir Namen und Adressen von anderen PML-Mitgliedern wissen. Während meiner Haftzeit kam es zu einer Gerichtsverhandlung, cirka 15 Tage nach meiner Verhaftung, ich wurde jedoch nicht schuldig gesprochen oder sonst irgendwie verurteilt. Ich glaube daß meine Haftentlassung gegen Kaution abgelehnt wurde. Nach meiner Entlassung am 29.10.1995 habe ich beschlossen meine Heimat zu verlassen ..."

Mit Bescheid vom 20. Dezember 1995 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag mit der wesentlichen Begründung ab, dass polizeiliche Maßnahmen wie die Festnahme und die Anhaltung von Teilnehmern an verbotenen Demonstrationen keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 1 Asylgesetz 1991 darstellten.

In seiner dagegen erhobenen Berufung vom 8. Jänner 1996 führte der Beschwerdeführer unter anderem aus:

"Tatsache ist, daß gegen mich ein Bericht an das Gericht über die polizeilichen Erhebungen ... existiert, welchen ich in Kopie diesem Berufungsantrag beilege. Darin ist ersichtlich, daß der erhobene Vorwurf das Organisieren von politischen Konferenzen ist, daß es sich dabei um die typischen Vorwürfe im Zuge politischer Verfolgung gegen politisch oppositionelle handelt. Dies habe ich in der Einvernahme dargetan, doch es wird im angefochtenen Bescheid unterdrückt, verschwiegen.

Wahrscheinlich ist der normalerweise zu erwartende Haftbefehl mittlerweile auch schon ausgestellt.

Bei einer Rückkehr in mein Heimatland hätte ich mit der sofortigen Verhaftung zu rechnen. Da ich Mitglied der von der pakistanischen Regierung bekämpften Muslim Liga bin, kann ich in Pakistan kein ordentliches Gerichtsverfahren erwarten, sondern würde nach meiner Verhaftung tot aufgefunden werden. Typischerweise würde es dann heißen, ich sei 'auf der Flucht erschossen worden'. So ist es bereits vielen Mitgliedern der Muslim Liga (ergangen).

Nach einer etwaigen Rückkehr nach Pakistan hätte ich zu gegenwärtigen, festgenommen und wie andere Mitglieder der politischen Opposition gefoltert und getötet zu werden.

Ich hätte nach der in Pakistan gepflogenen Vorgangsweise gegen politisch Andersgesinnte keinerlei Chance, den gegen mich erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen in einem auch nur den Mindestanforderungen an die Justizförmlichkeit entsprechenden Gerichtsverfahren entgegenzutreten."

Die gemäß § 44 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG) in Verbindung mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Mai 1998, Zl. 96/20/0446, zur Entscheidung zuständig gewordene belangte Behörde richtete am 7. Oktober 1998 an den Beschwerdeführer folgende Verfahrensanordnung:

     "In Angelegenheit Ihrer gegen den Bescheid des Bundesasylamtes

v. 20.12.1995 ... erhobenen Berufung ... ergeht ... die

Aufforderung, binnen vier Wochen ... glaubhaft zu machen ..., daß

Ihnen, der Sie behauptet haben, wegen ihrer Mitgliedsschaft in der Pakistan-Muslim-Liga in Pakistan von asylrelevanter Verfolgung bedroht zu sein, nunmehr noch, dass heißt nach dem Sieg Ihrer Partei bei den Wahlen v. 3.2.1997, "Verfolgung" iSd. § 7 AsylG drohe."

Der Beschwerdeführer machte von dieser Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme keinen Gebrauch.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und traf folgende Feststellungen:

"Der unabhängige Bundesasylsenat bezweifelte jedoch, daß der Asylwerber derzeit noch - d.h. nachdem die Partei, deren Mitglied der Asylwerber zu sein behauptet und um derenwillen der Asylwerber seinem Vorbringen nach zu früheren Zeitpunkten 'wie andere Mitglieder der Opposition' Verfolgung erlitten hat, zur Regierung gelangt ist - asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat drohe, dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Vorbringens des Asylwerbers selbst, wonach in seinem Herkunftsstaat 'politisch Andersgesinnte keinerlei Chance' hätten, 'erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen ... entgegenzutreten', was es jedenfalls ausschließt, daß Anhänger der gegenwärtigen Regierung aus jenen politischen Gründen, die in ihrer Gegnerschaft zu früheren, abgelösten Regierungen wurzeln, heute noch (für die Dauer der gegenwärtigen Regierung) im Herkunftsstaat des Asylwerbers verfolgt werden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999, (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Beschwerdeführer bekämpft die Auffassung der belangten Behörde, dass für einen früheren Oppositionellen nach einem Regierungswechsel automatisch keine Verfolgungsgefahr mehr gegeben sein könne. Er macht geltend, dass die belangte Behörde bei einem ordentlich durchgeführten Ermittlungsverfahren festgestellt hätte, dass es sich bei der so genannten PML niemals um eine einheitliche Gruppierung gehandelt habe, sondern sich bereits 1979 verschiedene Gruppen abgespaltet hätten. Der Beschwerdeführer gehöre einer Abspaltung der PML an, die - wie auch einem UNHCR-Papier zu entnehmen sei - wiederum in Opposition zur jetzigen Regierung stehe, weshalb ihm weiterhin asylrelevante Verfolgung drohe.

Diese Ausführungen führen die Beschwerde zum Erfolg:

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1998 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG Anwendung, sofern im AsylG oder in einem anderen Gesetz keine spezielle Bestimmung normiert ist. Im AsylG findet sich zu § 67d AVG keine spezielle Regelung. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, daß eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat etwa dann nicht als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn in der Berufung ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. insoweit dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308). Auch wenn die Berufungsbehörde - wie im vorliegenden Fall - von sich aus neue Ermittlungen anstellt und die daraus gewonnenen neuen Sachverhaltsfeststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen will, ist eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen. Diesem Erfordernis kann nicht dadurch entsprochen werden, dass dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu Ermittlungsergebnissen eingeräumt wird.

Allerdings führt nicht jede Verfahrensverletzung zur Aufhebung eines damit belasteten Bescheides, sondern dazu kommt es nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ist die Relevanz eines solchen Verfahrensfehlers nicht offenkundig, so ist sie in der Beschwerde konkret darzulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1999, Zl. 98/20/0579). Diesem Erfordernis ist der Beschwerdeführer dadurch nachgekommen, dass er die Möglichkeit aufzeigte, in einem mängelfreien Verfahren insbesondere zu Feststellungen zu gelangen, nach denen er einer politischen Gruppierung angehört, die auch von der neuen pakistanischen Regierung in asylrelevanter Weise verfolgt wird.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999200002.X00

Im RIS seit

05.03.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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