RS Vfgh 2018/3/2 G257/2017 (G257/2017-13)

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Veröffentlicht am 02.03.2018
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Index

37/02 Kreditwesen

Norm

B-VG Art11 Abs2
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
FinanzmarktaufsichtsbehördenG §22 Abs2
VwGVG §13
AVG §63 Abs1

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des FinanzmarktaufsichtsbehördenG betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei Vorlageanträgen und Beschwerden gegen Bescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde mangels Erforderlichkeit einer vom VwGVG abweichenden Regelung und wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip durch Ausschluss des einstweiligen Rechtsschutzes im Beschwerdevorverfahren

Rechtssatz

Aufhebung des §22 Abs2 des BG über die Errichtung und Organisation der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FinanzmarktaufsichtsbehördenG), BGBl I 97/2001, idF BGBl I 70/2013 (im Folgenden: FMABG). Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31.08.2019 in Kraft.

Die abweichende Regelung hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen Bescheide erfasst auf Grund der pauschalen Anordnung des §22 Abs2 FMABG auch solche Verfahren vor der Finanzmarktaufsichtsbehörde, die mit keiner besonderen Dringlichkeit verbunden sind, in keinem Zusammenhang mit den spezifischen Gefahren und besonderen Sachfragen der Aufsichtstätigkeit stehen und keine unionsrechtlichen Implikationen aufweisen.

Lediglich ein Großteil und nicht alle Verfahren der Finanzmarktaufsichtsbehörde sind unionsrechtlich determiniert. Mag es auch sein, dass sich im Einzelfall Abgrenzungsprobleme zwischen Verfahren mit unionsrechtlichen Implikationen und solchen, die einen rein nationalen Ursprung haben, ergeben, ermächtigt dies den Gesetzgeber nicht zur undifferenzierten Erlassung sonderverfahrensrechtlicher Bestimmungen für die gesamte Tätigkeit der Finanzmarktaufsichtsbehörde. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es sich dabei um kein spezifisches Problem des Finanzmarktaufsichtsrechts handelt.

Ebenso wenig überzeugt das Argument, wonach alle Verfahren vor der Finanzmarktaufsichtsbehörde mit einer erhöhten Dringlichkeit verbunden seien: So erfordern beispielsweise Verfahren betreffend Kostenbescheide gemäß §19 Abs5 FMABG oder Zinsvorschreibungen gemäß §97 BWG keine von §13 Abs1 und 2 VwGVG abweichenden Regelungen. Insofern sehen auch die Bundesregierung und die Finanzmarktaufsichtsbehörde letztlich kein Problem darin, dass die in diesem Zusammenhang "grundsätzlich in Form eines Mandatsbescheides [ergehenden]" Anordnungen mit einer Vorstellung bekämpft werden können, der ex lege aufschiebende Wirkung zukommt.

Wenn §22 Abs2 FMABG idF vor der Novelle BGBl I 70/2013 die Berufung gegen Bescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde - ausgenommen in Verwaltungsstrafsachen - ausschloss und damit einzig die außerordentlichen Rechtsmittel an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zuließ, war damit keine Abweichung von den allgemeinen Verwaltungsverfahrensvorschriften verbunden. Gemäß §63 Abs1 AVG (in den relevanten Fassungen) richtete sich der Instanzenzug nämlich stets "nach den Verwaltungsvorschriften". Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Zuständigkeit zur Regelung des Instanzenzuges in materiellrechtlichen Belangen nicht unter den Kompetenztatbestand des Art11 Abs2 B-VG fällt, sondern dem jeweiligen Materiengesetzgeber überlassen ist. Diesem blieb (und bleibt) es vorbehalten, das Rechtsmittel der Berufung auszuschließen, was in der Folge auch Auswirkungen auf den einstweiligen Rechtsschutz zeitigte: In diesem Fall musste einer allfälligen Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts die aufschiebende Wirkung vom angerufenen Gerichtshof im Einzelfall zuerkannt werden.

Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und das daraus abgeleitete Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes.

§22 FMABG steht einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch die Finanzmarktaufsichtsbehörde entgegen. Eine Entscheidung darüber kann gemäß §22 Abs2 FMABG nur das Bundesverwaltungsgericht fällen, womit dem Betroffenen erst nach der Vorlage der Beschwerde und Anhörung der Finanzmarktaufsichtsbehörde - nicht jedoch bereits im Rahmen des Beschwerdevorverfahrens - einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden kann.

(Anlassfall E 1810/2017, E v 05.03.2018, Aufhebung des angefochtenen Beschlusses; Quasi-Anlassfall E 2149/2017, E v 14.03.2018).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Finanzbehörden, Verwaltungsverfahren, Wirkung aufschiebende, Instanzenzug, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G257.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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