TE Vfgh Erkenntnis 2018/3/14 E2149/2017

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Veröffentlicht am 14.03.2018
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37/02 Kreditwesen

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Anlassfall

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.       Mit Bescheid vom 24. Februar 2017 forderte die Finanzmarktaufsichtsbehörde die beschwerdeführende Gesellschaft gemäß §22b Abs1 und §26a FMABG sowie §5 VVG unter Androhung einer Zwangsstrafe iHv € 10.000,– zur Vorlage näher bezeichneter Unterlagen in Bezug auf das Geschäftsmodell der beschwerdeführenden Gesellschaft auf. Die Finanzmarktaufsichtsbehörde begründete diese Aufforderung damit, dass der Verdacht einer konzessionslosen Ausübung eines Kapitalfinanzierungsgeschäftes iSd §1 Abs1 Z15 BWG durch die beschwerdeführende Gesellschaft bestehe und die Finanzmarktaufsichtsbehörde zur Klärung dieses Sachverhaltes ein Ermittlungsverfahren eingeleitet habe. Da die beschwerdeführende Gesellschaft dieser Aufforderung nicht nachkam, verhängte die Finanzmarktaufsichtsbehörde mit Bescheid vom 17. März 2017 über sie gemäß §5 VVG und §26a FMABG eine Zwangsstrafe in Höhe von € 10.000,–. Gleichzeitig drohte die Finanzmarktaufsichtsbehörde eine weitere Zwangsstrafe in Höhe von € 15.000,– an.

2.       Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft, der Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 17. März 2017 die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht hiezu – zusammengefasst – aus, §22 Abs2 FMABG ordne hinsichtlich Beschwerden gegen Bescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde, die keine Verwaltungsstrafsachen beträfen, – abweichend vom allgemeinen System des §13 Abs1 VwGVG – einen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung an; diese könne lediglich bei Vorliegen näher bezeichneter Voraussetzungen zuerkannt werden. Da der im angefochtenen Bescheid verhängten bzw. angedrohten Zwangsstrafe kein Strafcharakter zugrunde liege, sei diese Bestimmung anwendbar. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht, zumal dem das zwingende öffentliche Interesse am Vollzug des Bankwesengesetzes entgegenstehe. Darüber hinaus führe aber auch eine Abwägung der betroffenen Interessen zu keinem anderen Ergebnis.

3.       In ihrer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bringt die beschwerdeführende Gesellschaft unter anderem vor, es sei nicht nachvollziehbar, worauf die Finanzmarktaufsichtsbehörde ihren Verdacht gründe, dass die beschwerdeführende Gesellschaft ein Bankgeschäft ohne die erforderliche Konzession betreibe; vielmehr liege der Verdacht nahe, die Finanzmarktaufsichtsbehörde wolle durch das Ersuchen um Übermittlung bestimmter Unterlagen die für das Strafverfahren erforderlichen, bisher aber nicht vorhandenen Beweise organisieren. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei notwendig, um einen gravierenden Eingriff in die Grundrechte der beschwerdeführenden Gesellschaft hintanzuhalten. Da die beschwerdeführende Gesellschaft ihre operative Geschäftstätigkeit bis auf Weiteres eingestellt habe, stünden dem auch keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- bzw. Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

5.       Die Finanzmarktaufsichtsbehörde erstattete eine Äußerung, in welcher sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt.

6.       Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

6.1.    Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 2. März 2018, G257/2017, §22 Abs2 FMABG, BGBl I 97/2001, idF BGBl I 70/2013, als verfassungswidrig aufgehoben.

6.2.    Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes, der ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 6.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).

6.3.    Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 2. März 2018. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 21. Juni 2017 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Beschlusses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Der Beschluss ist daher aufzuheben.

7.       Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 VfGG abgesehen.

8.       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E2149.2017

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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