RS Vfgh 2018/3/6 G85/2017

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Veröffentlicht am 06.03.2018
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Index

24/01 Strafgesetzbuch

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StGB §25, §47
EMRK Art5

Leitsatz

Zurück- bzw Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des StGB betreffend die alljährliche Prüfung der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Unterbringung im Maßnahmenvollzug; bedingte Entlassung unter Bestimmung einer Probezeit im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Rechtssatz

Zurückweisung des Hauptantrags auf Aufhebung des §25 Abs1 zweiter Satz und Abs3 StGB, der Wortfolge "nur unter Bestimmung einer Probezeit bedingt" in §47 Abs1 StGB sowie des §47 StGB Abs2als zu eng.

Zulässigkeit des ersten Eventualantrags auf Aufhebung des §25 StGB und §47 StGB zur Gänze. Hingegen ist dieser Antrag, soweit er §21 StGB und §§157 bis 178a StVG mitanficht, unzulässig: §21 StGB wurde im Ausgangsverfahren nicht angewendet und ist daher nicht präjudiziell. Er steht aber auch nicht in dem für die Mitanfechtung erforderlichen Zusammenhang. Gleiches gilt für §§157 bis 178a StVG. Der (Eventual-)Antrag ist daher insoweit zurückzuweisen.

Der EGMR hat im Fall Kuttner (EGMR 16.07.2015, Appl 7997/08) und zuletzt erneut im Fall Lorenz (EGMR 20.07.2017, Appl 11537/11) keine systemischen Mängel in der österreichischen Rechtslage erkannt. Auch der VfGH kann nicht finden, dass die in §25 Abs3 StGB vom Gesetzgeber getroffene Anordnung, amtswegig mindestens alljährlich die Frage, ob die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher noch notwendig ist, zu prüfen, verfassungswidrig wäre.

Auch wenn in Einzelfällen - wie etwa die Fälle Kuttner und Lorenz belegen - die gesetzlich vorgegebene Frist zur Prüfung und die damit zur Vorbereitung der Entscheidung verbundene Aufbereitung der Unterlagen samt der darauf folgenden Entscheidung über die Notwendigkeit einer weiteren Unterbringung überschritten wird, oder selbst dann, wenn die Jahresfrist regelmäßig überschritten werden würde, ist dies nicht der Norm, sondern dem Vollzug im jeweiligen Einzelfall anzulasten. Die Bestimmung des §25 Abs3 StGB ermöglicht nämlich zweifelsfrei einen verfassungskonformen Vollzug.

Mit Blick auf die vom EGMR zu Art5 EMRK entwickelten Maßstäbe sind die zuständigen Gerichte in diesem Sinne nämlich gehalten, "rasch ('speedily')" über die Notwendigkeit einer (weiteren) Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu entscheiden. Dass man sich nicht damit begnügen darf, - ungeachtet des jeweiligen Einzelfalles - §25 Abs3 StGB so zu interpretieren, dass es stets hinreicht, bloß ein Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung innerhalb der Jahresfrist einzuleiten, nicht aber in der Folge rasch ("speedily") über die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung auch zu entscheiden, ergibt sich zwingend aus der jüngeren Rechtsprechung des EGMR.

Keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers; keine Verletzung des Art5 EMRK.

Wenn der Gesetzgeber die Anordnung der Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher stets nur unter Bestimmung einer Probezeit gemäß §47 Abs1 StGB erlaubt und nur unter der Annahme, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht, ist ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten. Er verfolgt damit in verfassungsrechtlich zulässiger Weise das Ziel, die Begehung weiterer Straftaten des Betroffenen möglichst hintanzuhalten, und generell den Schutz der Allgemeinheit vor "gefährlichen Personen".

Entscheidungstexte

Schlagworte

Strafrecht, Strafvollzug, Entlassung, EU-Recht, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G85.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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