TE Bvwg Beschluss 2018/3/27 W228 2113603-1

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Veröffentlicht am 27.03.2018
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Entscheidungsdatum

27.03.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W228 2113603-1/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Reinhard SEITZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX 1958 , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 21.07.2015, GZ: XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung von Ersatzleistungen infolge Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat am 20.02.2014 einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer nach dem österreichischen Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes des Verdienstentganges gestellt. Der Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sie im Kinderheim Wilhelminenberg gewesen sei. Seit sie bei der Kommission wieder über die damaligen Erlebnisse gesprochen habe, sei es ihr immer schlechter gegangen. Sie habe das Haus nicht mehr verlassen wollen. Vom Weißen Ring habe sie eine Entschädigung in Höhe von € 15.000.-- und 80 Therapiestunden zugesprochen bekommen. Von den Stunden habe sie 10 konsumiert, sei aber zu dem Schluss gekommen, dass ihr das nichts helfe und sie nur weiter aufwühle. Sie habe bei der Gemeinde als Hausbesorgerin gearbeitet, dieses Arbeitsverhältnis sei dann aufgelöst worden, da sie es psychisch nicht mehr geschafft habe.

Aus dem Clearingbericht geht hervor, dass die Beschwerdeführerin zunächst von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden sei. Sie habe sich ihrer Mutter anvertraut, die ihr nicht glaubte und sei sie in der Folge im Alter von zehn Jahren für acht Monate ins Heim Wilhelminenberg gekommen. Dort habe sie schweren sexuellen Missbrauch erlebt. Die Zeit am Wilhelminenberg sei so schlimm gewesen, dass sie sich damals als zehnjähriges Mädchen überlegt habe sich umzubringen. Nacht acht Monaten sei sie wieder nachhause gekommen und sei von ihrem Stiefvater weiterhin misshandelt und missbraucht worden. In weiterer Folge sei sie in verschiedenen Heimen in Brunn am Gebirge, Nußdorf, Rochusgasse und Klosterneuburg gewesen. Auch in diesen Heimen sei es streng zugegangen und hätten Erniedrigungen stattgefunden. Die Beschwerdeführerin kämpfe noch immer mit den Erlebnissen ihrer Kindheit. Sie wäre gerne Journalistin oder Sozialarbeiterin geworden, dazu sei es aber nie gekommen. Sie leide an Panikattacken, Klaustrophobie und Depressionen.

Mit Schreiben des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 30.10.2014 wurde der Beschwerdeführerin aufgetragen, zusätzliche Unterlagen beizubringen, aus denen ersichtlich ist, dass sie aufgrund der erlittenen Misshandlungen noch immer einen Verdienstentgang erleide. Sie wurde aufgefordert darzulegen, welchen Beruf sie ohne ihre traumatisierenden Heimerlebnisse ergriffen hätte und warum sie gerade diesen Beruf ergriffen hätte.

In einem Schreiben vom 10.11.2014 führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie bereits im Alter von fünf Jahren mit ihrer Oma, die ihre einzige Bezugsperson gewesen sei, Lesen und Schreiben gelernt habe. Nach einer Schulexkursion zum "Kurier" sei für sie festgestanden, dass sie Journalistin werden wolle. In der Schule sei sie regelmäßig für ihren Stil und ihre Ausdruckskraft gelobt worden. Sie habe an zahlreichen Schülerzeitungsprojekten mitgearbeitet. Diverse fachbezogene Workshops und Kurse über die Sommerferien seien ihr von ihrem Vater verboten worden. Gegen ihren Willen sei sie schließlich in eine Lehre als Schuhverkäuferin gesteckt worden. Sie sei überzeugt davon, dass sie ohne die traumatisierenden Heimaufenthalte sowie ohne diese Schwierigkeiten durch ihr familiäres Umfeld ihre Lebensberufung umsetzen hätte können.

Mit Bescheid der PVA vom 27.03.2015 wurde der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Invaliditätspension für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.03.2016 anerkannt.

Mit Schreiben des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 26.05.2015 wurde der Beschwerdeführerin die Sach- und Rechtslage im Rahmen des Parteiengehörs erörtert und wurde ihr Gelegenheit gegeben, dazu eine Stellungnahme anzugeben.

Das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, hat mit Bescheid vom 21.07.2015, GZ: XXXX , den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Ersatzleistungen infolge Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 3, § 3 sowie § 10 Abs. 1 VOG abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die geschilderten Misshandlungen im Heim Wilhelminenberg sowie der sexuelle Missbrauch und die Vergewaltigungen mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit als zutreffend angenommen werden können. Zu dem sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater sowie den Vorkommnissen in der Kinderübernahmestelle und den Heimen Brunn am Gebirge, Nußdorf, Rochusgasse und Klosterneuburg hätten jedoch keine Feststellungen getroffen werden können, da lediglich die Aussagen der Beschwerdeführerin vorliegen würden, ohne dass weitere objektivierbare Unterlagen beigebracht wurden. Es habe sohin zwar mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin Opfer einer rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG geworden sei, ihr Ansuchen um Ersatz des Verdienstentganges könne jedoch nicht bewilligt werden, da von einer maßgeblichen Beeinflussung ihres beruflichen Werdeganges durch die Misshandlungen und Missbrauchslebnisse in der Kindheit vor dem Jahr 2012 nicht ausgegangen werden könne, insbesondere da bis 2013 akausale Krankenstände dokumentiert wurden. Bei der Berechnung eines eventuellen Verdienstentganges könne allenfalls das Einkommen der letzten fünf Jahre, vor der Beeinflussung ihres Berufsverlaufs, herangezogen werden. Die Beschwerdeführerin habe innerhalb dieses Zeitraums großteils Notstandshilfe und Krankengeld bezogen bzw. geringfügig für 7 Monate bei einer Tankstelle gearbeitet. Daher würde sich ab dem auf den Antragszeitpunkt folgenden Monat auch rein rechnerisch kein Verdienstentgang ergeben, da hierfür das fiktive Einkommen (Durchschnittsnettoeinkommen der letzten 5 Jahre vor Beeinflussung) über der Höhe der derzeitigen Invaliditätspension der PVA liegen müsste, was bei einer Pensionshöhe von € 1.040,19 allerdings mit Sicherheit nicht angenommen werden könne.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 21.08.2015 fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher sie eine ausführliche Darstellung ihres gesamten Lebensweges tätigte. Ihr Leiden habe begonnen, als sie im Oktober 1967 von ihrer Oma zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, der sie regelmäßig sexuell missbrauchte, gezogen sei. In weiterer Folge sei sie vom 14.08.1968 bis 10.10.1968 im Kinderheim Lustkandlgasse gewesen bevor sie am 15.10.1968 ins Kinderheim Wilhelminenberg gekommen sei. Die Beschwerdeführerin schilderte die dortigen Erlebnisse detailliert. Am 28.06.1969 sei sie wieder zurück zu ihrer Mutter gekommen, wo die Misshandlungen durch den Stiefvater weiter gegangen seien. Am 25.02.1972 sei sie schließlich zu ihrem leiblichen Vater gezogen, welcher ein extremer Alkoholiker gewesen sei und die Beschwerdeführerin regelmäßig massiv geschlagen und misshandelt habe. Am 15.10.1973 sei sie in das Jugend/Lehrlingsheim Brunn am Gebirge gekommen und am 15.11.1974 schließlich in ein Heim in Klosterneuburg und sei es in diesen Heimen zu weiteren Erniedrigungen gekommen. Ihr Leben sei aufgrund ihrer Erlebnisse in der Kindheit ein einziger Angstzustand.

Die Beschwerde wurde gemäß § 15 Abs. 2 letzter Satz VwGVG unter Anschluss der Akten des Verfahrens am 03.09.2015 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Am 01.02.2018 übermittelte die PVA - nach entsprechender Anforderung des Bundesverwaltungsgerichts - einen Bescheid vom 05.12.2017, mit welchem der Beschwerdeführerin die bis 31.12.2017 befristet zuerkannte Invaliditätspension unbefristet für die weitere Dauer der Invalidität weitergewährt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 24.01.2018 an die Beschwerdeführerin Ausführungen zur Sach- und Rechtslage getätigt. Unter anderem wurde ausgeführt, dass dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zu entnehmen sei, dass sie gerne Journalistin geworden wäre. Dies stehe jedoch im Widerspruch zu im Akt befindlichen Aufzeichnungen, wonach sie Friseurin werden habe wollen. Die Beschwerdeführerin wurde ersucht, innerhalb einer Frist von zwei Wochen zum aufgezeigten Widerspruch Stellung zu nehmen.

Am 20.02.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin ein. Darin führte sie aus, dass ein Verdienstentgang ganz klar bestehe, zumal sie aufgrund der Erlebnisse in den Heimen um die Möglichkeit gebracht worden sei, einem Job, der ihr Freunde macht, nachzugehen; ob sie dann wirklich Journalistin geworden wäre oder in einem anderen Job erfolgreich wäre, sei dahingestellt. Es gehe einzig und allein um die Tatsache, dass sie in dem Heim körperlich und seelisch zerstört worden sei. Heimkinder seien zudem automatisch in Sonderschulen untergebracht worden und somit sei auch jegliche Jobsuche von Anfang an zerstört gewesen. Sie selbst habe das Glück gehabt, eine normale Volksschule zu besuchen und sei sie anhand ihrer Noten für ein Gymnasium vorgeschlagen worden. Sie sei jedoch vom Heim aus in die nächstbeste Hauptschule geschickt worden anstatt ins Gymnasium. Als sie einmal versucht habe beim Kurier Informationen über den Job als Journalistin einzuholen, sei sie geschlagen und für mehrere Tage ohne Essen und Schlafmöglichkeit im Keller isoliert worden. Sie habe ihre Träume, Journalistin zu werden, auf ein Minimum heruntergeschraubt; ihre Priorität sei in erster Linie der Gedanke um die Flucht aus dem Heim gewesen. Nachdem sie statt ins Gymnasium in die Hauptschule gegangen sei, habe sie ihre Wünsche vergraben und sich auf das konzentriert, was Sache wer, nämlich eine Lehre zu machen und zwar eine die sie wollte, nämlich Friseurin. Sie hingegen sei vom Heim gezwungen worden, eine Lehre als Verkäuferin zu machen. Sie habe sohin ihrer Priorität von Journalistin auf Friseurin beschränken müssen. Zusammenfassend bringe sei vor, dass sie niemals die Chance gehabt habe, etwas Gutes aus ihrem Leben zu machen und sie die Erlebnisse im Heim zerbrochen hätten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat - vorliegend das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien.

Gemäß § 9d Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG) entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Gemäß § 1 Abs. 1 VOG haben österreichische Staatsbürger Anspruch auf Hilfe, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

Gemäß § 1 Abs. 3 VOG ist wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit nur Hilfe zu leisten, wenn 1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder 2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) bewirkt wird.

Leistungen nach § 3 VOG sind in Höhe jenes Betrages zu erbringen, der dem Opfer durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung als Verdienst entgangen ist oder künftighin entgeht.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Die belangte Behörde verkennt die Rechtslage, wenn sie ausführt, dass zum vorgebrachten sexuellen Missbrauch des Stiefvaters und den Vorkommnissen in der Kinderübernahmestelle und den Heimen Brunn am Gebirge, Nußdorf, Rochusgasse und Klosterneuburg keine Feststellungen getroffen werden konnten, da lediglich die Aussagen der Beschwerdeführerin vorliegen würden, ohne dass weitere objektivierbare Unterlagen beigebracht wurden. Die belangte Behörde verkennt dabei, dass die Angaben der Beschwerdeführerin diesbezüglich widerspruchsfrei sind, und daher ohne Darlegung von begründeten Zweifeln an der Richtigkeit dieser Angaben eine Feststellung entsprechend der Angaben der Beschwerdeführerin erfolgen hätte müssen.

In ihrem Bescheid vom 21.07.2015 kommt die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die neurologischen Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit als kausal angesehen und die Heimerlebnisse auch als wesentliche Ursache für diese Gesundheitsschädigungen betrachtet werden können. Dieser Beurteilung ist zu folgen. Die belangte Behörde verneint jedoch die Beeinflussung des maßgeblichen Werdegangs der Beschwerdeführerin durch die Misshandlungen und Missbrauchserlebnisse in der Kindheit vor dem Jahr 2012. Dies werde insbesondere auf die Krankenstandserhebungen bei der WGKK, die Angaben im ärztlichen Gutachten der PVA sowie die Angaben der Beschwerdeführerin im Verfahren gestützt. Die belangte Behörde übersieht dabei jedoch, dass der Beschwerdeführerin durch die Vorfälle in ihrer Kindheit ein höherer Abschluss als ein Sonderschulabschluss verwehrt geblieben ist.

Festzuhalten ist, dass ohne die schädigenden Ereignisse in der Kindheit auch ein späteres Auslösen der Symptome bei der Beschwerdeführerin durch zum Beispiel mediale Berichterstattung oder Einvernahme der Beschwerdeführerin in anderen Verfahren nicht möglich gewesen wäre. Somit tritt die endgültig auslösende Ursache jedoch in den Hintergrund zur ursprünglichen Ursache.

Hinsichtlich der Berechnung des Verdienstentganges ist, wie von der belangte Behörde ausgeführt, auf ein fiktives Einkommen abzustellen. Dabei wäre jene Berufslaufbahn zugrunde zu legen, die ohne die schädigenden Umstände eingetreten wäre. Im gegenständlichen Fall ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ohne die Ereignisse in ihrer Kindheit eine Ausbildung als Friseurin abgeschlossen und als angestellte Friseurin gearbeitet hätte. Diese Zugrundelegung des Berufes der Friseurin ergibt sich aus folgenden Aufzeichnungen im Akt: "Die Jugendliche hat mit Hilfe eines Freundes eine Friseurlehrstelle ausfindig gemacht und mit der Begründung, sie sei zu einer Verkaufslehre gezwungen worden, blieb sie der Arbeitsstelle fern, bis das Lehrverhältnis gelöst worden ist." (siehe Aktenseite 80). Weiters findet sich auch auf Aktenseite 78 ein weiterer Hinweis auf den Berufswunsch: "Ich wollte nie Verkäuferin werden, doch zwang man mich dazu, ich wollte schon immer Friseurin werden. Ende Dezember gehe ich von der Firma weg und fange als Friseurlehrling neu an."

Die belangte Behörde wird sohin das Verhältnis der Pensionshöhe mit dem fiktiven Gehaltsverlauf einer angestellten Friseurin zu berechnen bzw. zu vergleichen haben und allenfalls Zahlungen betreffend Verdienstentgang zu gewähren haben, soferne der Verdienstentgang die Pensionshöhe übersteigt.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sie gerne Journalistin geworden wäre, doch kann dieser Beruf der Berechnung nicht zugrunde gelegt werden, zumal diese Berufswahl nicht objektivierbar ist. So spricht die Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 20.02.2018 von ihren "Träumen, Journalistin zu werden". Auch folgende Ausführung in dieser Stellungnahme spricht gegen eine Objektivierbarkeit des Journalistenjobs: "[...] um diese Möglichkeit wurde ich vorsätzlich vom Kinderheim der Republik Österreich gebracht, ob ich dann wirklich Journalistin geworden wäre oder in einem anderen Job erfolgreich bin, sei dahin gestellt, [...]". Die Beschwerdeführerin bringt in der Stellungnahme vom 20.02.2018 zudem erstmals vor, dass sie, nachdem sie versucht habe, beim Kurier Informationen über den Job als Journalisten einzuholen, im Heim Wilhelminenberg geschlagen und für mehrere Tage im Keller eingesperrt worden sei. Dass sie Schläge für die "falsche" Jobwahl bekommen habe, wurde im Verfahren bislang nicht vorgebracht.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für Gewährung von Ersatzleistungen infolge Verdienstentganges mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen und konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2113603.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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