RS Vfgh 2016/10/11 E1095/2016

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Veröffentlicht am 11.10.2016
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ASVG §308 Abs6, §311
StGG Art5

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Regelung des ASVG über die Berechnung des Überweisungsbetrags anlässlich des Übertritts in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis; pauschalierende Heranziehung unterschiedlicher Bemessungsgrundlagen für Männer und Frauen angesichts der durchschnittlichen faktischen Verhältnisse im Hinblick auf Unterschiede im Durchschnittseinkommen unselbständig erwerbstätiger Männer und Frauen nicht unsachlich; keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts; keine Verletzung des beschwerdeführenden Landes in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht; kein Eigentumseingriff

Rechtssatz

§308 Abs6 ASVG bestimmt, in welchem Ausmaß der Dienstgeber eines pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnisses an jenem Beitragsaufkommen beteiligt werden soll, welches (im Umlageverfahren der gesetzlichen Pensionsversicherung) für Zeiträume von Beschäftigungszeiten geleistet wurde, die der Dienstgeber im pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnis für die Bemessung des Ruhegenusses berücksichtigt. Die Argumentation, die eine Verfassungswidrigkeit des §308 ASVG wegen einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts darzutun versucht, geht daher ins Leere, weil weder die Rechtsstellung von weiblichen oder männlichen Dienstnehmern noch das Ausmaß von deren Pensionsansprüchen von dieser Bestimmung berührt wird.

Europäisches Sekundärrecht kein Prüfungsmaßstab.

Mit Rücksicht darauf, dass der Pensionsversicherungsträger bis zum Eintritt der versicherten Person in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis das Versicherungsrisiko getragen hat, steht dem Gesetzgeber in der Frage, ob und in welcher Höhe im Zusammenhang mit der Anrechnung von Versicherungszeiten für den öffentlich-rechtlichen Ruhegenussanspruch an die betreffende Gebietskörperschaft (hier: das Land) ein solcher Überweisungsbetrag geleistet wird, ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu.

Es liegt auch im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob dieser Überweisungsbetrag nach den tatsächlich geleisteten Sozialversicherungsbeiträgen oder ob er nach einem Durchschnittseinkommen des jeweils in Rede stehenden konkreten Versicherten bemessen werden soll oder ob er ihn pauschaliert gewährt. Die vom Gesetzgeber gewählte Regelung muss nur in sich sachlich sein, dh dass sich im Falle der pauschalierenden Heranziehung unterschiedlicher, als Durchschnittswerte von Arbeitseinkünften ermittelter Bemessungsgrundlagen für bestimmte Gruppen von Versicherten diese aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ableiten lassen müssen. Dieses Erfordernis der Entsprechung der rechtlichen mit den tatsächlichen Verhältnissen kann im Hinblick auf wechselnde wirtschaftliche Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und auf den erwähnten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers jedoch nicht in einem streng mathematisch-rechnerischen Sinne verstanden werden; eine solche Differenzierung bei den Bemessungsgrundlagen muss daher nur im Großen und Ganzen den Unterschieden in den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen.

Seit der 29. Novelle zum ASVG, BGBl 31/1973, wurde das auch heute noch geltende Pauschalsystem geschaffen, das gesetzlich festgelegte, je unterschiedliche Bemessungsgrundlagen für Arbeiter und Angestellte und innerhalb dieser Gruppen für Männer und Frauen vorsieht, die nach einem unterschiedlichen Prozentsatz der Höchstbeitragsgrundlage berechnet werden.

Die Pauschalsätze des §308 Abs6 ASVG orientieren sich an den Unterschieden im Durchschnittseinkommen der unselbständig erwerbstätigen Männer und Frauen (und der dementsprechend unterschiedlichen Höhe der Beitragsleistung), wobei in diesen Durchschnittseinkommen jeweils alle versicherten Personen der betreffenden Gruppe berücksichtigt sind, gleichgültig, aus welcher Berufsgruppe sie kommen.

An der Zulässigkeit einer solchen Anknüpfung an durchschnittliche faktische Verhältnisse ändert auch der Umstand nichts, dass es unter den nach dem ASVG versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen (die im konkreten Fall beim selben Dienstgeber bestanden haben) solche gibt, bei denen das Entgelt im Rahmen von Gehaltsschemata bemessen wird, welche - wie jenes, dem die Dienstnehmerin im vorliegenden Fall nach den Behauptungen der beschwerdeführenden Partei unterlegen ist - beim Entgelt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede kennen.

Angesichts der letzten sozialstatistischen Auswertungen der Lohnsteuerdaten der Statistik Austria kann nicht gesagt werden, dass die unterschiedliche Pauschalierung in §308 Abs6 ASVG durch die Lohn- und Gehaltsentwicklung in einer Weise überholt wäre, dass sie nunmehr unsachlich geworden wäre. Die vom Gesetzgeber gewählte Berechnungsmethode wirkt auch nicht auf die faktischen Verhältnisse zurück, sodass auch insoweit von einer Diskriminierung nicht die Rede sein kann.

Die hier maßgebliche Regelung der Übertragung von Beschäftigungszeiten beim Übertritt in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis ist mit dem umgekehrten Vorgang des Ausscheidens aus einem pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnis ohne Anspruch auf Ruhegenuss iSd §311 ASVG nicht ohne Weiteres vergleichbar.

§308 Abs6 ASVG ist allein dadurch, dass der Gesetzgeber mit dem SozialrechtsänderungsG 2010, BGBl I 62/2010, und mit der Novelle BGBl I 18/2016 das Regelungssystem betreffend die Überweisungsbeträge in den Fällen des §311 ASVG geändert hat, nicht verfassungswidrig geworden.

Der beschwerdeführenden Partei (Land Tirol) wird durch das angefochtene Erkenntnis weder eine Leistungsverpflichtung auferlegt noch wird sonst in ein vermögenswertes Recht oder in eine gleichzuhaltende Anwartschaft eingegriffen. Einen solchen Eingriff sieht §308 ASVG auch gar nicht vor. Das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG ist durch das angefochtene Erkenntnis daher nicht berührt.

Keine Willkür.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Überweisungsbetrag, geschlechtsspezifische Differenzierungen, VfGH / Prüfungsmaßstab, Eigentumseingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2016:E1095.2016

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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