TE Vfgh Erkenntnis 1997/12/11 V108/97

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Veröffentlicht am 11.12.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 26.07.65 idF der Erlässe vom 20.09.76 und 14.08.95 betreffend das Anlegen von Handfesseln
BGBlG 1985 §2 Abs1 litf

Leitsatz

Aufhebung von Bestimmungen des Erlasses des Innenministers betreffend das Anlegen von Handfesseln mangels gehöriger Kundmachung von als Rechtsverordnung zu qualifizierenden Regelungen im Bundesgesetzblatt; Einstellung des Verfahrens hinsichtlich von Erlaßstellen ohne normative Wirkung mangels eines geeigneten Prüfungsgegenstandes

Spruch

I. §1 und §2 Abs1 des Erlasses des Bundesministers für Inneres vom 26. Juli 1965, Zl. 67.448-3A/65, idF der Erlässe des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1976, Zl. 3104/21-II/3/76, und vom 14. August 1995, Zl. 20.327/943-II/3/95, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1998 in Kraft.

Der Bundesminister für Inneres ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

II. Im übrigen wird das Verordnungsprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine auf Art144 B-VG gestützte, zu B493/97 protokollierte Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark (im folgenden: UVS) vom 30. Dezember 1996 anhängig, mit dem die Beschwerde gegen die - im Zuge einer unbekämpft gebliebenen Festnahme und Anhaltung - am 1. Juli 1996 (in der Zeit von etwa 15.00 Uhr bis 15.30 Uhr) erfolgte Fesselung des Beschwerdeführers im Bereich des Hauptbahnhofes Graz gemäß §§67a Abs1 Z2, 67c Abs1 und 4 AVG sowie §2 Z4 und §6 Abs1 WaffengebrauchsG 1969 und Art3 EMRK als unbegründet abgewiesen wurde.

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.3. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 19. Juni 1997 beschlossen, die Gesetzmäßigkeit der §§1, 2 Abs1, 3 und 4 des Erlasses des Bundesministers für Inneres vom 26. Juli 1965, Zl. 67.448-3A/65, idF der Erlässe des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1976, Zl. 3104/21-II/3/76, und vom 14. August 1995, Zl. 20.327/943-II/3/95 (im folgenden: HFDA), von Amts wegen zu prüfen.

Die ersten vier Paragraphen dieses Erlasses (die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben) lauten:

"I. Allgemeine Bestimmungen

§1

Handfesseln dürfen einer Person nur angelegt werden, wenn diese sich in rechtmäßigem Gewahrsam befindet und auf Grund bestimmter Tatsachen

a) eine Selbstgefährdung,

b) eine Gefährdung anderer Personen oder

eine Beschädigung von Sachen oder

c) ein Fluchtversuch

zu besorgen ist.

§2

(1) Bei Greisen, offensichtlich kranken, körperbehinderten oder gebrechlichen Personen sowie bei Frauen dürfen Handfesseln nur angewendet werden, wenn außer den vorgenannten allgemeinen Voraussetzungen noch besondere Gründe vorliegen, welche diese Maßnahmen unbedingt erforderlich scheinen lassen.

(2) Diese besonderen Gründe sind in dem vom Sicherheitsorgan verfaßten schriftlichen Bericht (Meldung, Anzeige) ausdrücklich anzuführen, oder wenn sich diese Maßnahme erst in einem späteren Zeitpunkt der Amtshandlung nötig erweist, von dem für die Schließung verantwortlichen Sicherheitsorgan aktenkundig zu machen.

§3

Die Schließung mit Handfesseln darf nur auf das zur Erreichung des angestrebten Zweckes unumgänglich erforderliche Zeitausmaß und demnach nie durch längere Zeit aufrechterhalten werden, als es das strengste Bedürfnis erfordert.

§4

Die Schließung mit Handfesseln ist, sofern es die Umstände erlauben, stets mit möglichster Vermeidung von Aufsehen sowie mit möglichster Schonung der Person und in einer solchen Art vorzunehmen, daß Verletzungen oder eine nachhaltige Beeinträchtigung der Blutzirkulation unterbleiben."

1.4. Der Verfassungsgerichtshof nahm unter Hinweis auf die oben wiedergegebenen, sich durchwegs einer imperativen Diktion bedienenden Formulierungen vorläufig an, daß der - in Teilen - in Prüfung gezogene Erlaß zum Teil die Rechtsstellung der von einer Schließung mit Handfesseln bedrohten bzw. betroffenen Personen unmittelbar zu gestalten (vgl. VfSlg. 12744/1991 mwH) und sich nicht mit schlichten (normlosen) Hinweisen nach Art einer Richtlinie - namentlich zur Ermessens-Handhabung - zu begnügen scheine.

Damit dürfte der Bundesminister für Inneres - so wird im Prüfungsbeschluß vorläufig angenommen - den unterstellten Verwaltungsbehörden ein bestimmtes Vollzugsverhalten zur Pflicht gemacht haben: Der Erlaß richte sich dabei formell zwar nur an behördliche Organe, inhaltlich jedoch auch - zumindest teilweise - an die Rechtsunterworfenen selbst, deren Rechte er bindend gestalten würde; er dürfte daher in die Kategorie der "Rechtsverordnungen" einzureihen sein.

Der Verfassungsgerichtshof hegte zunächst das Bedenken, daß der in Prüfung gezogene Verwaltungsakt sohin als Rechtsverordnung eines Bundesministers zu qualifizieren sei. Dennoch sei sie nicht im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden. Der Verwaltungsakt dürfte daher an einem Kundmachungsmangel leiden und schon aus diesem Grund gesetzwidrig sein.

Der Verfassungsgerichtshof hegte das weitere Bedenken, daß der - teilweise - in Prüfung gezogene Erlaß der gesetzlichen Grundlage ermangle.

1.5. Der Bundesminister für Inneres erstattete eine Äußerung, in der er die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Rechtsnormen verteidigt und den Bedenken, es liege ein Kundmachungsmangel vor, im wesentlichen entgegenhält:

".... Für die Handfesseldienstanweisung (HFDA) idgF geht das Bundesministerium für Inneres davon aus, daß sich diese lediglich auf Regelungen über die Anwendung und Handhabung der Handfessel durch die Organwalter innerhalb der durch die Rechtsvorschriften eingeräumten Ermächtigung beschränkt und nicht darüber hinausgeht und somit als generelle Weisung zu qualifizieren ist.

....

Mit der HFDA wird .... nur jener durch die gesetzlichen Vorgaben eindeutig umschriebene Ermächtigungsbereich in einfacher und leicht verständlicher Weise den unterstellten Organwaltern näher gebracht.

Damit wird nach Ansicht des Bundesministeriums für Inneres die Rechtsstellung eines Betroffenen nicht durch die Handfesseldienstanweisung gestaltet, sondern ausschließlich durch gehörig kundgemachte Gesetze.

Die Handfesseldienstanweisung ist daher als generelle Weisung gemäß §45 BDG 1979 nach Meinung des Bundesministeriums für Inneres nicht als gesetzwidrig anzusehen."

II. Der Verfassungsgerichtshof

hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Der Prüfungsbeschluß ging vorläufig davon aus, daß der zitierte Erlaß durch die Versendung an alle Sicherheitsdirektionen (außer Wien) und an alle Bundespolizeibehörden Bestandteil der Rechtsordnung geworden ist. Diese Annahme hat sich als zutreffend herausgestellt.

Weiters wurde vorläufig angenommen, daß sich der ministerielle Verwaltungsakt zwar dabei formell nur an behördliche Organe richtet, inhaltlich jedoch auch - zumindest teilweise - an die Rechtsunterworfenen selbst, deren Rechte er bindend gestaltet.

1.2. Der Bundesminister für Inneres wendet dagegen zunächst ein, daß die HFDA als generelle Weisung zu qualifizieren sei.

1.3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 13632/1993) ist für die Qualität eines Verwaltungsaktes als Verordnung nicht der formelle Adressatenkreis und die äußere Bezeichnung und auch nicht die Art der Verlautbarung, sondern nur dessen Inhalt maßgebend.

Wird durch eine generelle Vorschrift die Rechtslage der Betroffenen gestaltet, so wendet sich diese ihrem Inhalt nach an die Allgemeinheit und stellt daher eine Rechtsverordnung dar (vgl. z.B. VfSlg. 4571/1963, 6946/1972, 8647/1979, 11472/1987, 12744/1991).

Voraussetzung für die Qualifizierung eines als "Erlaß" bezeichneten Verwaltungsaktes als Verordnung ist u.a., daß seine Formulierungen imperativ gehalten sind (und sich nicht etwa in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen), indem sie das Gesetz bindend auslegen (vgl. z.B. VfSlg. 13632/1993, 13784/1994 und die dort jeweils zitierte Vorjudikatur) und solcherart den der Behörde vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsspielraum einengen (vgl. z.B. VfSlg. 10518/1985, 11467/1987).

1.4. Diese Voraussetzungen treffen auf §1 und §2 Abs1 des in Rede stehenden Erlasses zu:

Diese Bestimmungen bedienen sich - unmißverständlich - einer imperativen Diktion und legen fest, unter welchen Umständen welchen Personen Handfesseln angelegt werden dürfen. Damit wird die Rechtssphäre der betroffenen Personen gestaltet und das Gesetz (s. 1.5.) bindend ausgelegt. Diese Bestimmungen sind sohin als (Rechts-)Verordnungen zu qualifizieren.

Das im Anlaßfall einschreitende Organ der Bundespolizeidirektion Graz war verpflichtet, bei seinem Einschreiten §1 und §2 Abs1 des Erlasses zu beachten. Auch der Verfassungsgerichtshof hat diese Verordnungsbestimmungen bei seiner Entscheidung über die - zulässige - Anlaßbeschwerde anzuwenden.

Das Verordnungsprüfungsverfahren ist also in dieser Hinsicht zulässig.

1.5. Anders verhält es sich jedoch mit den weiteren in Prüfung genommenen Erlaßstellen:

Die §§3 und 4 des Erlasses engen nämlich den Handlungsspielraum, den das Gesetz (so alle einfachgesetzlichen Bestimmungen, die die Sicherheitsbehörden und ihre Hilfsorgane zur Festnahme und Anhaltung ermächtigen; ferner das WaffengebrauchsG 1969 - s. insbes. §§2 und 4; das SicherheitspolizeiG - s. insbes. §§29, 33, 50; - vgl. zur gesetzlichen Zulässigkeit des Anlegens von Handfesseln z.B. VfSlg. 7081/1973, 8146/1977, 8916/1980, 9196/1981, 9231/1981, 9836/1983, 10018/1984, 10321/1985, 10427/1985, 10522/1985, 10660/1985, 10838/1986, 11146/1986, 11327/1987, 12134/1989, 12271/1990, 12450/1990, 12623/1991, 13044/1992) den Behörden und ihren Hilfsorganen einräumt, nicht ein, sondern wiederholen nur (wenngleich mit anderen Worten) den Inhalt des Gesetzes.

Diese Erlaßstellen haben daher keine normative Wirkung. Mangels geeigneten Prüfungsgegenstandes war sohin das Verordnungsprüfungsverfahren in dieser Hinsicht einzustellen.

2. In der Sache:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof äußerte im Einleitungsbeschluß das Bedenken, daß die in Prüfung genommenen Regelungen des Erlasses nicht gehörig kundgemacht wurden. Dieses Bedenken trifft zu:

Die in Prüfung verbleibenden Teile des Erlasses des Bundesministers für Inneres sind - wie oben dargetan - als Rechtsverordnung zu qualifizieren.

Die Art und Weise der Kundmachung des Erlasses widerspricht dem Gebot, daß Rechtsverordnungen der Bundesminister im Bundesgesetzblatt verlautbart werden müssen. Dieses Gebot bestand bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Stammfassung der HFDA, und zwar gemäß §2 Abs1 lite des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt, BGBl. 33/1920, idF der Bundesgesetze BGBl. 277/1925 und 60/1964, sodann gemäß §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1972, BGBl. 293/1972, idF des Bundesgesetzes BGBl. 603/1981, und hernach gemäß derselben Bestimmung des Bundesgesetzblattgesetzes 1985, BGBl. 200/1985 (und nunmehr seit 1. Jänner 1997 gemäß §2 Abs2 Z2 des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1996, BGBl. 660/1996,) wonach Verordnungen eines Bundesministers im Bundesgesetzblatt (II) kundgemacht werden müssen. §1 und §2 Abs1 HFDA sind daher schon aus diesem Grund gesetzwidrig.

2.2. Zwar wurden auch die anderen Bestimmungen des Erlasses nicht im Bundesgesetzblatt verlautbart. Einige Erlaßstellen sind aber offenkundig nicht als Rechtsverordnungen zu qualifizieren. Es ist daher ausgeschlossen, hier von der Ermächtigung des Art139 Abs3 B-VG Gebrauch zu machen und den ganzen Erlaß wegen Kundmachungsmangels aufzuheben.

2.3. Auf das im Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken, daß der - teilweise - in Prüfung gezogene Erlaß der gesetzlichen Grundlage ermangle, braucht im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen nicht weiter eingegangen zu werden.

2.4. §1 und §2 Abs1 des Erlasses des Bundesministers für Inneres waren deshalb mangels gesetzmäßiger Kundmachung aufzuheben.

2.5. Die Verpflichtung des Bundesministers für Inneres zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes sowie die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Vorschriften beruhen auf Art139 Abs5 B-VG.

3. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, 1. Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, Polizei, Sicherheitspolizei, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Fesselung, Verordnungsbegriff, RechtsV, VerwaltungsV, Verordnung Kundmachung, Kundmachung Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:V108.1997

Dokumentnummer

JFT_10028789_97V00108_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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