TE Vfgh Beschluss 1997/12/11 G13/97, G14/97, G15/97, G40/97, V95/97, V96/97, V97/97, V113/97

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Veröffentlicht am 11.12.1997
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Index

60 Arbeitsrecht
60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

B-VG Art20 Abs2
B-VG Art133 Z4
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Schlichtungsstellen-GeschäftsO, BGBl 444/1987 §8 Abs1
Schlichtungsstellen-GeschäftsO, BGBl 444/1987 §10 Abs3, Abs4
ArbVG §97 Abs2
ArbVG §109 Abs3
ArbVG §146 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung der Anträge des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung der die Zuständigkeit der Schlichtungsstellen zur Entscheidung über Betriebsvereinbarungen und deren Wirkung regelnden Bestimmungen des ArbVG sowie von Bestimmungen der Schlichtungsstellen-GeschäftsO; Qualifizierung der Schlichtungsstellen als weisungsfreie Kollegialbehörden; Ausnahme der von den Schlichtungsstellen zu besorgenden Angelegenheiten von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung:

I.1. a) Beim Verwaltungsgerichtshof sind vier Beschwerden gegen Bescheide von nach dem Arbeitsverfassungsgesetz 1974 (ArbVG) errichteten Schlichtungsstellen betreffend Abschluß bzw. Erlassung einer Betriebsvereinbarung gemäß §97 Abs1 Z4 iVm §109 Abs1 ArbVG (eines sogenannten Sozialplans) anhängig. In allen Fällen war die jeweilige belangte Schlichtungsstelle vom jeweiligen Präsidenten des Gerichtshofes gemäß §144 Abs4 ArbVG bestellt worden, der Vorsitzende jeweils aus dem Kreis der Richter des Gerichtshofes (§144 Abs2 leg.cit.), die Beisitzer aufgrund der Namhaftmachung durch die Streitteile (§144 Abs3 ArbVG).

Aus Anlaß von je zwei dieser Beschwerden stellte der Verwaltungsgerichtshof mit gleichlautenden Beschlüssen vom 20. Dezember 1996 gemäß Art140 Abs1 B-VG (zunächst) den Antrag,

"1. §97 Abs2 des Arbeitsverfassungsgesetzes - ArbVG in der Fassung des Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetzes - NSchG BGBl. Nr. 354/1981,

2. folgende Sätze im §109 Abs3 ArbVG:

a) Jenen Satz, der in der Stammfassung BGBl. Nr. 22/1974 der zweite Satz des §109 Abs3 war, und

b) jenen Satz, der durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 460/1993 als letzter Satz an §109 Abs3 angefügt wurde, sowie

3. die beiden letzten Sätze des §146 Abs2 ArbVG in der Stammfassung"

als verfassungswidrig aufzuheben.

Diese Anträge sind hg. zu G13/97 und G14/97

protokolliert.

In Ergänzung der eben genannten Beschlüsse stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 13. Juni 1997 die (zusätzlichen) Anträge gemäß Art139 Abs1 B-VG, den zweiten Satz des §8 Abs1 sowie §10 Abs3 und 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 30. Juli 1987, mit der die Errichtung und Geschäftsführung der Schlichtungsstellen geregelt wird (Schlichtungsstellen-Geschäftsordnung - SchliSt-Geo), BGBl. 444, als gesetzwidrig aufzuheben.

Diese Anträge sind hg. zu V95/97 und V96/97

protokolliert.

b) Aus Anlaß von drei weiteren bei ihm anhängigen Beschwerden stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 20. Dezember 1996 bzw. mit Beschluß vom 17. Dezember 1996 gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag, §97 Abs2 ArbVG idF BGBl. 354/1981 und die beiden letzten Sätze des §146 Abs2 ArbVG id Stammfassung, BGBl. 22/1974, als verfassungswidrig aufzuheben, und sodann mit Beschlüssen vom 13. bzw. 25. Juni 1997 gemäß Art139 Abs1 B-VG den Antrag, §8 Abs1 zweiter Satz und §10 Abs3 und 4 SchliSt-Geo als gesetzwidrig aufzuheben.

Diese Anträge sind beim Verfassungsgerichtshof zu G15/97, V97/97 und G40/97, V113/97 protokolliert.

Die beim Verwaltungsgerichtshof zZ 96/02/0567

protokollierte Beschwerde, die Anlaß für das beim Verfassungsgerichtshof zu G15/97, V97/97 geführte Verfahren ist, richtet sich gegen einen Bescheid einer beim Arbeits- und Sozialgericht Wien errichteten Schlichtungsstelle, mit dem ein Antrag auf "Erlassung einer Betriebsvereinbarung" mit der Begründung zurückgewiesen wurde, daß die Schlichtungsstelle zur "Erlassung" der beantragten Betriebsvereinbarung im Hinblick auf §1 Abs2 Z5 des ArbeitskräfteüberlassungsG und §97 Abs1 Z1a ArbVG unzuständig sei.

Gegenstand des beim Verwaltungsgerichtshof zZ 96/01/0993 protokollierten Verfahrens ist ein Bescheid einer Schlichtungsstelle, mit dem über Antrag des beschwerdeführenden Arbeiterbetriebsrates eine Betriebsvereinbarung gemäß §97 Abs1 Z2 ArbVG iVm §14 Abs2 AZG betreffend die generelle Festsetzung des Beginns und Endes der täglichen Arbeitszeit, der Dauer und Lage der Arbeitspausen und der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage erlassen wurde. Die beim Verwaltungsgerichtshof zZ 96/01/0994 anhängige Beschwerde wiederum richtet sich gegen einen Bescheid einer Schlichtungsstelle, mit dem über Antrag der mitbeteiligten Partei - das Vorliegen eines solchen Antrags wird von der beschwerdeführenden Gesellschaft, dem Arbeitgeber, bestritten - eine Betriebsvereinbarung gemäß §97 Abs1 Z2 ArbVG erlassen wurde. Aus Anlaß dieser beiden Verfahren stellte der Verwaltungsgerichtshof die beim Verfassungsgerichtshof zu G40/97, V113/97 protokollierten Anträge.

2. a) In den Gesetzesprüfungsverfahren haben sowohl die Bundesregierung als auch mehrere Parteien der verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren Äußerungen erstattet. Die Bundesregierung beantragt, die Anträge als unbegründet abzuweisen und - für den Fall der Aufhebung - eine Frist für deren Inkrafttreten von 18 Monaten zu setzen. Die beteiligten Parteien treten zum Teil den Bedenken des Verwaltungsgerichthofes bei, zum Teil begehren sie die Ab- bzw. Zurückweisung des jeweiligen aus Anlaß ihres Beschwerdeverfahrens gestellten Antrages.

b) In den Verordnungsprüfungsverfahren hat der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales Äußerungen erstattet, in denen er die Abweisung der Verordnungsprüfungsanträge begehrt. Die von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme "vorgebrachten Argumente (seien) auf die angefochtenen Verordnungsbestimmungen anwendbar", zumal gegen sie keine gegenüber den Gesetzesprüfungsanträgen neuen inhaltlichen Argumente vorgebracht worden seien. Weiters hat eine Partei eines verwaltungsgerichtlichen Anlaßverfahrens eine Äußerung erstattet, in der sie den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes beitritt.

II.1. Die angefochtenen (in der Wiedergabe hervorgehobenen) Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes 1974 stehen in folgendem normativen Zusammenhang und haben den in der Folge wiedergegebenen Wortlaut:

a) §97 Abs1 ArbVG enthält eine Aufzählung von Angelegenheiten, in denen Betriebsvereinbarungen iSd §29 ArbVG abgeschlossen werden können. Nach dessen Z2 zählt dazu eine generelle Festsetzung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit, der Dauer und der Lage der Arbeitspausen und der Verteilung auf die einzelnen Wochentage; nach Z4 fallen darunter Maßnahmen zur Verhinderung, Beseitigung oder Minderung der Folgen einer Betriebsänderung iSd §109 Abs1 Z1 bis 6, sofern diese wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich bringt (sogenannte Sozialpläne).

§97 Abs2 ordnet sodann für bestimmte der in Abs1

genannten Angelegenheiten eine Erzwingbarkeit einer Betriebsvereinbarung durch die Entscheidung von ad hoc einzurichtenden Schlichtungsstellen an; er lautet in der zum Zeitpunkt der Erlassung der beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheide maßgeblichen Fassung, BGBl. 354/1981:

"Kommt in den in Abs1 Z1 bis 6 und 6 a bezeichneten Angelegenheiten zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat über den Abschluß, die Abänderung oder Aufhebung einer solchen Betriebsvereinbarung eine Einigung nicht zustande, so entscheidet - insoweit eine Regelung durch Kollektivvertrag oder Satzung nicht vorliegt - auf Antrag eines der Streitteile die Schlichtungsstelle."

§97 Abs3 erklärt u.a. die Bestimmung des Abs1 Z4 auf Betriebe, in denen dauernd weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden, für nicht anwendbar.

Der unter der Überschrift "Mitwirkung bei Betriebsänderungen" stehende §109 ArbVG verpflichtet den Betriebsinhaber, den Betriebsrat von geplanten Betriebsänderungen ehestmöglich, jedenfalls aber so rechtzeitig vor der Betriebsänderung in Kenntnis zu setzen, daß eine Beratung über deren Gestaltung noch durchgeführt werden kann (Abs1) und gibt dem Betriebsrat das Recht, Vorschläge zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung von für die Arbeitnehmer nachteiligen Folgen von Maßnahmen gemäß Abs1 zu erstatten; hiebei hat der Betriebsrat auch auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Betriebes Bedacht zu nehmen (Abs2).

§109 Abs3 bestimmt sodann in der Fassung der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, BGBl. 502/1993:

"Bringt eine Betriebsänderung im Sinne des Abs1 Z1 bis 6 wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich, so können in Betrieben, in denen dauernd mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind, Maßnahmen zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung dieser Folgen durch Betriebsvereinbarung geregelt werden. Sind mit einer solchen Betriebsänderung Kündigungen von Arbeitnehmern verbunden, so soll die Betriebsvereinbarung auf die Interessen von älteren Arbeitnehmern besonders Bedacht nehmen. Kommt zwischen Betriebsinhaber und Betriebsrat über den Abschluß, die Abänderung oder Aufhebung einer solchen Betriebsvereinbarung eine Einigung nicht zustande, so entscheidet - insoweit eine Regelung durch Kollektivvertrag oder Satzung nicht vorliegt - auf Antrag eines der Streitteile die Schlichtungsstelle. Bei der Entscheidung der Schlichtungsstelle ist eine allfällige verspätete oder mangelhafte Information des Betriebsrates (Abs1) bei der Festsetzung der Maßnahmen zugunsten der Arbeitnehmer in der Weise zu berücksichtigen, daß Nachteile, die die Arbeitnehmer durch die verspätete oder mangelhafte Information erleiden, zusätzlich abzugelten sind."

(Der dritte Satz steht in der Stammfassung in Geltung; er war zunächst der zweite Satz dieses Absatzes und wurde durch die Einfügung des (nunmehrigen) zweiten Satzes durch ArtII Z2 der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, BGBl. 502, zum dritten Satz dieses Absatzes. Der vierte Satz wurde durch ArtI Z21 der Novelle zum ArbVG und zum Arbeitskräfteüberlassungsgesetz BGBl. 460/1993 dem Abs3 des §109 ArbVG (als damals dritter und letzter Satz dieses Absatzes) angefügt; durch die schon erwähnte Einfügung eines zweiten Satzes in Abs3 des §109 ArbVG durch ArtII Z2 der Novelle BGBl. 502/1993 wurde er zum vierten Satz dieses Absatzes.)

b) Im III., den Behörden und dem Verfahren gewidmeten Teil des ArbVG finden sich im Abschnitt 2 unter der Überschrift "Schlichtungsstelle" folgende Bestimmungen:

"Errichtung und Zusammensetzung

§144. (1) Zur Entscheidung von Streitigkeiten über den Abschluß, die Änderung oder die Aufhebung von Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten, in welchen das Gesetz die Entscheidung durch Schlichtungsstellen vorsieht, ist auf Antrag eines der Streitteile eine Schlichtungsstelle zu errichten. Die Schlichtungsstelle ist am Sitz des mit Arbeits- und Sozialrechtssachen in erster Instanz befaßten Gerichtshofes, in dessen Sprengel der Betrieb liegt, zu errichten. Bei Streitigkeiten über den Abschluß, die Änderung oder Aufhebung von Betriebsvereinbarungen, deren Geltungsbereich Betriebe umfaßt, die in zwei oder mehreren Sprengeln liegen, ist der Sitz des Unternehmens, dem die Betriebe angehören, maßgebend. Durch Vereinbarung der Streitteile kann die Schlichtungsstelle am Sitz eines anderen mit Arbeits- und Sozialrechtssachen in erster Instanz befaßten Gerichtshofes errichtet werden. Ein Antrag auf Entscheidung einer Streitigkeit durch die Schlichtungsstelle ist an den Präsidenten des in Betracht kommenden Gerichtshofes zu richten.

(2) Die Schlichtungsstelle besteht aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern. Der Vorsitzende ist vom Präsidenten des Gerichtshofes auf einvernehmlichen Antrag der Streitteile zu bestellen. Kommt eine Einigung der Streitteile auf die Person des Vorsitzenden innerhalb von zwei Wochen ab Antragstellung (Abs1) nicht zustande, so ist er auf Antrag eines der Streitteile vom Präsidenten des Gerichtshofes zu bestellen. Die Bestellung hat aus dem Kreise der Berufsrichter zu erfolgen, die bei dem Gerichtshof mit Arbeits- und Sozialrechtssachen befaßt sind. Sie bedarf der Zustimmung des zu Bestellenden.

(3) Jeder der Streitteile hat zwei Beisitzer namhaft zu machen, davon einen aus einer Beisitzerliste; der zweite Beisitzer soll aus dem Kreise der im Betrieb Beschäftigten namhaft gemacht werden. Hat einer der Streitteile binnen zwei Wochen ab Antragstellung (Abs1) die Nominierung der Beisitzer nicht vorgenommen, so hat der Präsident des in Betracht kommenden Gerichtshofes sie aus der Liste der Beisitzer jener Gruppe (Arbeitgeber oder Arbeitnehmer), welcher der Säumige angehört, zu bestellen.

(4) Die Streitteile haben die Einigung auf die Person des Vorsitzenden und die Nominierung der Beisitzer dem Präsidenten des in Betracht kommenden Gerichtshofes mitzuteilen, der den Vorsitzenden der Schlichtungsstelle und die Beisitzer unverzüglich zu bestellen hat."

§145 ArbVG trifft nähere Regelungen über die vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu erstellende Beisitzerliste.

§146 ArbVG bestimmt sodann:

"Verhandlung und Beschlußfassung

§146. (1) Die Schlichtungsstelle ist - soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird - verhandlungs- und beschlußfähig, wenn sowohl der Vorsitzende als auch von jedem der Streitteile zwei Beisitzer anwesend sind. Wurde eine Verhandlung der Schlichtungsstelle bereits einmal vertagt, weil ein Beisitzer ohne rechtmäßigen Hinderungsgrund nicht erschienen ist, und ist in der fortgesetzten Verhandlung abermals derselbe oder ein anderer von der gleichen Partei namhaft gemachter Beisitzer unentschuldigt nicht erschienen, so wird die Verhandlung und Entscheidung nicht gehindert, sofern der Vorsitzende und mindestens ein Beisitzer anwesend sind. Bei der Beschlußfassung hat sich der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit nicht zustande, so nimmt der Vorsitzende nach weiterer Beratung an der erneuten Beschlußfassung teil. Er gibt seine Stimme als letzter ab. Stimmenthaltung ist unzulässig.

(2) Die Schlichtungsstelle hat die Entscheidung möglichst rasch innerhalb der durch die Anträge der Parteien bestimmten Grenzen und unter Abwägung der Interessen des Betriebes einerseits und der Belegschaft andererseits zu fällen. Sie ist dabei an das übereinstimmende Vorbringen und die übereinstimmenden Anträge der Streitteile gebunden. Die Entscheidung gilt als Betriebsvereinbarung. Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.

(2a) Über Angelegenheiten gemäß §97 Abs1 Z2 in Verbindung mit einer kollektivvertraglichen Ausdehnung des Durchrechnungszeitraumes gemäß §4 Abs8 Arbeitszeitgesetz, BGBl. Nr. 461/1969, in der jeweils geltenden Fassung, hat die Schlichtungsstelle binnen vier Wochen zu entscheiden.

(3) Auf das Verfahren vor der Schlichtungsstelle sind im übrigen die für das Verfahren vor dem Bundeseinigungsamt geltenden Vorschriften anzuwenden. §7 Abs1 AVG ist nur auf die aus einer Beisitzerliste namhaft gemachten Beisitzer anzuwenden. §40 Abs1 AVG ist mit der Maßgabe anzuwenden, daß auf einvernehmlichen Antrag der Streitteile die Verhandlungen im Betrieb stattzufinden haben."

(Die Abs1 und 3 dieser Bestimmung stehen in der Fassung BGBl. 563/1986 (iVm ArtI BGBl. 617/1987), Abs2 steht in der Stammfassung in Geltung. Der durch die Novelle BGBl. 417/1996 eingefügte Abs2a ist mit 1. August 1996 in Kraft getreten und auf Verfahren vor Schlichtungsstellen anzuwenden, deren Errichtung nach dem 31. Juli 1996 beantragt worden ist.)

Der mit "Zuständigkeit der Schlichtungsstelle" überschriebene - vom Verwaltungsgerichtshof nicht angefochtene - §159 ArbVG hat folgenden (noch aus der Stammfassung herrührenden) Wortlaut:

"§159. In allen Angelegenheiten, in denen das Gesetz bei Nichtzustandekommen einer Einigung über den Abschluß, die Aufhebung oder die Abänderung einer Betriebsvereinbarung die Anrufung der Schlichtungsstelle zuläßt, hat diese zwischen den Streitteilen zu vermitteln, Vorschläge zur Beilegung der Streitfragen zu erstatten und auf eine Vereinbarung der Streitteile hinzuwirken; falls erforderlich, hat sie eine Entscheidung zu fällen."

Weiters beruft §164 Abs2 ArbVG die Schlichtungsstellen zur Aufhebung von im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ArbVG in Geltung gestandenen Arbeitsordnungen (Dienstordnungen gemäß §200 Allgemeines BergG) und Betriebsvereinbarungen, wenn eine Einigung darüber zwischen dem Betriebsrat und dem Betriebsinhaber nicht zustande kommt und ihre Aufhebung von einem der beiden beantragt wird, wobei §146 Abs2 ArbVG sinngemäß anzuwenden ist.

2. Die aufgrund des §161 Abs1 Z7 ArbVG vom

Bundesminister für (damals:) Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz erlassene Schlichtungsstellen-Geschäftsordnung, BGBl. 444/1987, enthält sodann nähere Regelungen über die Errichtung, Zusammensetzung, Verhandlungs- und Beschlußfähigkeit sowie Geschäftsführung der Schlichtungsstellen.

Die §§8 und 10 der Geschäftsordnung (im folgenden: Geo) treffen nähere Regelungen über das Verfahren vor den und die Entscheidung der Schlichtungsstellen.

§8 Abs1 Geo, dessen zweiter Satz vom Verwaltungsgerichtshof angefochten ist, lautet:

"Die Schlichtungsstelle hat in einer mündlichen Verhandlung zwischen den Streitteilen zu vermitteln, Vorschläge zur Beilegung der Streitigkeit zu erstatten und auf eine Vereinbarung der Streitteile hinzuwirken. Kommt zwischen den Streitteilen keine Vereinbarung zustande und wird der Antrag nicht zurückgezogen, so hat die Schlichtungsstelle eine Entscheidung zu fällen. Vor der Beschlußfassung über die Entscheidung ist den Streitteilen Gelegenheit zur geben, Regelungsvorschläge zu erstatten."

§10 Abs1 Geo verpflichtet die Schlichtungsstelle die Entscheidung möglichst rasch innerhalb der durch die Anträge der Streitteile bestimmten Grenzen und unter Abwägung der Interessen des Betriebes einerseits und der Arbeitnehmerschaft andererseits zu fällen. Abs2 normiert eine Bindung der Schlichtungsstelle an das übereinstimmende Vorbringen und die übereinstimmenden Anträge der Streitteile.

Die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Abs3 und 4 des §10 wiederholen die Anordnungen der letzten beiden Sätze des §146 Abs2 ArbVG nahezu wörtlich; sie lauten:

"(3) Die Entscheidung der Schlichtungsstelle gilt als Betriebsvereinbarung.

(4) Gegen die Entscheidung der Schlichtungsstelle ist eine Berufung nicht zulässig."

III.Der Verfassungsgerichtshof

hat zur Zulässigkeit der zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Aus Anlaß der unter Pkt. I. referierten Beschwerden stellte der Verwaltungsgerichtshof schon einmal Anträge auf Aufhebung von Bestimmungen des ArbVG, die die Einrichtung der Schlichtungsstellen und deren Zuständigkeit zur Entscheidung über Betriebsvereinbarungen betrafen. Diese Anträge mußte der Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 8. Oktober 1996, G66/95, 67/95, 150/95, und vom 9. Oktober 1996, G223/96, zurückweisen, weil die die Einrichtung der Schlichtungsstellen regelnden Bestimmungen zwar bei der bescheidmäßigen Konstituierung der Schlichtungsstellen, nicht aber bei Erlassung der (beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen) Bescheide durch die Schlichtungsstellen anzuwenden sind und der anfechtende Verwaltungsgerichtshof die die Zuständigkeit der Schlichtungsstellen betreffenden Bestimmungen zum Teil nicht in jener Fassung angefochten hatte, in der sie bei Bescheiderlassung in Geltung standen, zum Teil nicht in einer den Anforderungen des §62 Abs1 VerfGG entsprechenden Weise bestimmt bezeichnet hatte.

Nunmehr ficht der Verwaltungsgerichtshof bloß die die Zuständigkeit der Schlichtungsstellen zur Entscheidung über Betriebsvereinbarungen und deren Wirkung regelnden Bestimmungen des ArbVG und die mit diesen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes in untrennbaren Zusammenhang stehenden Vorschriften dieses Gesetzes sowie die die angefochtenen Anordnungen des Gesetzes wiederholenden Bestimmungen der Geo an.

2. a) Der Verwaltungsgerichtshof geht in der Begründung seiner Anträge davon aus, daß es sich bei den in Beschwerde gezogenen Erledigungen um Bescheide von Verwaltungsbehörden handle und er daher über die gegen diese Bescheide bei ihm eingebrachten Beschwerden zu entscheiden habe. Dies deshalb, weil die Schlichtungsstellen bei den Arbeits- und Sozialgerichten nach den §§144 ff. ArbVG weder als Gerichte im Sinne des B-VG noch als Kollegialbehörden nach dem Muster der Art20 Abs2 und Art133 Z4 B-VG eingerichtet seien:

"... Sie haben kraft ihrer Nennung im ArtII Abs2 EGVG (Z. 10) die Verwaltungsverfahrensgesetze anzuwenden. Für sie gilt in keiner Weise das Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art87 Abs3 B-VG); insbesondere nicht für den im Falle der Nichteinigung der Streitteile über die Person des Vorsitzenden vom Gerichtshofpräsidenten - mit ihrer Zustimmung - zu bestellenden Richter. Die Rechtsqualität der Schlichtungsstellen als Verwaltungsbehörden wird im übrigen von Rechtsprechung (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 1978, Zl. 769, 770/78 = Slg. Nr. 9606/A, und vom 16. Oktober 1979, Zl. 3396/78 = Slg. Nr. 9945/A) und Schrifttum (Tomandl, Arbeitsrecht1, 1984, S. 25; Mayer, ZAS 1979, 154, B. Binder, RdA 1979, S. 309) bejaht.

... Es handelt sich um Bundesbehörden der sogenannten unmittelbaren Bundesverwaltung (Art102 Abs2 B-VG - 'Arbeitsrecht'). Zwar unterliegen ihre Entscheidungen keinem Rechtsmittelzug (§146 Abs2 letzter Satz ArbVG). Es fehlt aber der Ausschluß der Ausübung des Aufsichtsrechtes durch eine Oberbehörde, sodaß jedenfalls der Bundesminister für Arbeit und Soziales derartige Befugnisse (§68 Abs2 und 4 sowie §73 Abs2 AVG) ausüben kann (vgl. dazu Mayer a.a.0.). ..."

b) Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Rechtsauffassung nicht und qualifiziert die Schlichtungsstellen als weisungsfreie Kollegialbehörden im Sinne des Art20 Abs2 B-VG. Diese Bestimmung des B-VG lautet:

"Ist durch Bundes- oder Landesgesetz zur Entscheidung in oberster Instanz eine Kollegialbehörde eingesetzt worden, deren Bescheide nach der Vorschrift des Gesetzes nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen und der wenigstens ein Richter angehört, so sind auch die übrigen Mitglieder dieser Kollegialbehörde in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden."

Die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen für die Weisungsfreiheit einer Kollegialbehörde liegen bei den Schlichtungsstellen nach dem ArbVG samt und sonders vor:

aa) Nach §144 Abs2 ArbVG besteht die Schlichtungsstelle aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern. Der Vorsitzende ist vom Präsidenten des örtlich zuständigen, mit Arbeits- und Sozialrechtssachen in erster Instanz befaßten Gerichtshofes zu bestellen, und zwar auf einvernehmlichen Antrag der Streitteile; wenn eine Einigung der Streitteile auf die Person des Vorsitzenden innerhalb einer bestimmten Frist nicht zustande kommt, dann hat die Bestellung auf Antrag bloß eines Streitteiles zu erfolgen. Nach dem vierten Satz des §144 Abs2 leg.cit. hat die Bestellung "aus dem Kreis der Berufsrichter zu erfolgen, die bei dem Gerichtshof mit Arbeits- und Sozialrechtssachen befaßt sind". Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist als Vorsitzender also jedenfalls ein Richter zu bestellen: Denn die eben zitierte Rechtsvorschrift bindet den Vorsitzenden des Gerichtshofes sowohl dann, wenn er den Vorsitzenden der Schlichtungsstelle über einvernehmlichen Antrag der Streitteile bestellt (das ist der Fall, den der zweite Satz des §144 Abs2 ArbVG vor Augen hat), als auch dann, wenn die Bestellung unter den Voraussetzungen des dritten Satzes dieses Absatzes auf Antrag nur eines der Streitteile erfolgt.

Aus den Materialien wird deutlich, daß auch der Gesetzgeber von dieser Sicht der Dinge ausging, als 1986 mit dem Arbeits- und Sozialgerichts-Anpassungsgesetz, BGBl. 563/1986, die Schlichtungsstellen von ihrer Zuordnung zu den Einigungsämtern gelöst wurden: Im besonderen Teil der Erläuterungen zur RV dieses Gesetzes (1085 BlgNR 16.GP) wird zur Neufassung des §144 ausgeführt:

"Der bisherigen Praxis folgend, sind die Vorsitzenden der Schlichtungsstellen durchwegs aus dem Kreise der Berufsrichter (Hervorhebung nicht im Original), die bei einem Gerichtshof mit Arbeits- und Sozialrechtssachen befaßt sind, zu bestellen. Es erscheint daher zweckmäßig, die Errichtung der Schlichtungsstelle und die damit verbundene Bestellung des Vorsitzenden durch ein Organ vornehmen zu lassen, welches in ähnlichem räumlichen und sachlichen Naheverhältnis zu den als Vorsitzende in Frage kommenden Richtern steht, wie bisher die Vorsitzenden der Einigungsämter. Nach der neuen Regelung ist die Errichtung einer Schlichtungsstelle vom Präsidenten des örtlich zuständigen Landes- bzw. Kreisgerichts, das mit Arbeits- und Sozialrechtssachen befaßt ist, vorzunehmen. Ihm obliegt die Bestellung eines Vorsitzenden aus dem Kreise dieser Berufsrichter, sei es auf Grund eines einvernehmlichen Vorschlages der Streitparteien oder auf Antrag einer der Parteien. Außerdem hat er die Beisitzer zu bestellen."

Angesichts des klaren Wortlautes der Bestimmung und der Erläuterungen ist der Verfassungsgerichtshof - entgegen der dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes und auch der Geo (vgl. deren §5 Abs2 und 3) zugrundeligenden Interpretation - der Auffassung, daß einer Schlichtungsstelle ein Richter anzugehören hat, sodaß diese Voraussetzung des Art20 Abs2 B-VG gegeben ist.

bb) Als weitere Voraussetzung für das Vorliegen einer weisungsfreien Verwaltungsbehörde verlangt die zitierte Verfassungsvorschrift, daß die Kollegialbehörde zur Entscheidung in oberster Instanz berufen ist und ihre Bescheide nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen. Die Entscheidungen werden von den Schlichtungsstellen in erster und letzter Instanz getroffen (was für sich verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet: vgl. betreffend die Grundverkehrslandesbehörden etwa VfSlg. 13709/1994 mwH). Ausdrücklich sieht §146 Abs2 letzter Satz ArbVG vor, daß gegen ihre Entscheidungen Rechtsmittel nicht zulässig sind. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes kommt aber auch eine Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg nicht in Betracht:

Dem Verwaltungsgerichtshof ist zwar zuzugestehen, daß es eine positive gesetzliche Bestimmung nicht gibt, derzufolge dem zur Vollziehung der einschlägigen Bestimmungen des ArbVG nach dessen §208 Abs2 Z11 zuständigen Bundesminister (derzeit:) für Arbeit, Gesundheit und Soziales die Funktion als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde der Schlichtungsstellen im Sinne des §68 Abs2 und 4 AVG nicht zukommt. Eine die systematische Zusammenhänge und Wertungen berücksichtigende Interpretation der die Schlichtungsstelle betreffenden Bestimmungen des ArbVG führt jedoch zu einem solchen Auslegungsergebnis:

Die Schlichtungsstellen sind Organe schiedsgerichtsähnlicher Konstruktion, deren Aufgabe es ist, Betriebsvereinbarungen über bestimmte Angelegenheiten zu substituieren, wenn zwischen dem Betriebsrat und dem Betriebsinhaber über deren Abschluß, Änderung oder Aufhebung keine Einigung zustande kommt; damit nehmen sie eine Aufgabe wahr, die an sich von der Rechtsordnung der Gestaltung durch die Arbeitsmarktparteien überlassen und nicht der Rechtsetzung durch staatliche Organe übertragen ist. Bedenkt man dies, wird die ausdrückliche Anordnung, daß gegen Entscheidungen der Schlichtungsstellen Rechtsmittel nicht zulässig sind, in einem weiten Sinn zu verstehen sein und es auch ausschließen, den Bundesminister als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des §68 AVG anzusehen (vgl. auch VfSlg. 3506/1959).

Somit sind die Schlichtungsstellen als unabhängige kollegiale Verwaltungsbehörden im Sinne des Art20 Abs2 B-VG zu qualifizieren. Der Hinweis des Verwaltungsgerichtshofes, daß für die Schlichtungsstellen eine feste Geschäftsverteilung nicht gegeben ist, geht schon deshalb ins Leere, weil die Schlichtungsstelle jeweils ad hoc für eine ganz bestimmte von ihr zu lösende Streitigkeit eingerichtet wird.

Da die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gegen Entscheidungen der Schlichtungsstellen nicht für zulässig erklärt ist, erweisen sich die von ihr zu besorgenden Angelegenheiten - entgegen der die Anträge tragenden Prämisse des Verwaltungsgerichtshofes - als solche, die nach Art133 Z4 B-VG von seiner Zuständigkeit ausgenommen sind. Es ist daher auszuschließen, daß der Verwaltungsgerichtshof die in seinen Anträgen angefochtenen Bestimmungen, die die Zuständigkeit von Schlichtungsstellen zur Entscheidung über die Erlassung einer Betriebsvereinbarung und deren Wirkung regeln, in den bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat. Die Anträge des Verwaltungsgerichtshofs waren daher zurückzuweisen.

IV.1. Ein Kostenersatz an die Parteien der Anlaßverfahren ist im verfassungsgerichtlichen Normenprüfungsverfahren nicht vorgesehen; die Beurteilung solcher Ansprüche ist Sache des über die Verfahrenskosten entscheidenden antragstellenden Gerichts (vgl. zB VfSlg. 10832/1986 und die dort zitierte Judikatur sowie VfSlg. 14314/1995).

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Arbeitsverfassung, Schlichtungsstelle, Kollegialbehörde, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:G13.1997

Dokumentnummer

JFT_10028789_97G00013_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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