TE Vwgh Erkenntnis 2000/5/30 96/05/0228

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Veröffentlicht am 30.05.2000
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L37169 Kanalabgabe Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82009 Bauordnung Wien;
L82309 Abwasser Kanalisation Wien;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §66 Abs2;
AVG §8;
BauO Wr §134a lite;
BauO Wr §6 Abs6;
BauO Wr §60 Abs1 litb;
BauO Wr §70 Abs1;
BauO Wr §76;
BauO Wr §93 Abs1;
BauO Wr §93 Abs2;
BauO Wr 1883 §75;
Kanalanlagen- und EinmündungsgebührenG Wr §5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Dr. Helmut Leuker in Wien, vertreten durch Dr. Ulrich O. Daghofer, Rechtsanwalt in Graz, Albrechtgasse 3, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 1. Juli 1996, Zl. MD-VfR - B XVII - 51/95, betreffend eine Bauangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 12. September 1994 richtete der Beschwerdeführer an den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 (MA 37), das "Bauansuchen zwecks Kanalanschluss laut beiliegender vidierter Pläne". Von seinem Wohnhaus auf der Liegenschaft Wien XVII, Promenadenweg 34, soll eine Kanalleitung zum öffentlichen Kanal unter der Verkehrsfläche Waldrandweg geschaffen werden. Der Einreichplan des Beschwerdeführers enthält eine Zustimmungserklärung der Magistratsabteilung 30-Kanalisation vom 18. August 1994.

Nach der Bekanntgabe der Bebauuungsbestimmungen besteht für die Liegenschaft des Beschwerdeführers die Widmung Wohngebiet Bauklasse I offen; auf dem mit der Beschwerde vorgelegten Plandokument Nr. 3536 ist eine grössere Baulichkeit auf dieser Liegenschaft eingetragen.

Mit Bescheid vom 23. Februar 1995 schrieb die MA 37 dem Beschwerdeführer die Kanaleinmündungsgebühr vor.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 1995 erteilte die MA 37 dem Beschwerdeführer gemäß § 71 der Bauordnung für Wien auf jederzeitigen Widerruf nachträglich die Bewilligung, nach den mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Plänen einen Hauskanal zur Einleitung der Schmutzwässer in den öffentlichen Straßenkanal herzustellen. Vorgeschrieben wurde, dass die bauliche Herstellung auf jederzeit mögliches Verlangen der Behörde ohne Anspruch auf Entschädigung oder den Ersatz irgendwelcher Kosten abzutragen sei. In der Begründung wurde darauf hingewiesen, dass die Bauführung nach den bestehenden Vorschriften zulässig sei; da kein bewilligter Baubestand vorhanden sei, habe die Bewilligung für diesen Kanalanschluss nur gemäß § 71 BO auf jederzeitigen Widerruf erteilt werden können.

In seiner dagegen erstatteten Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Ansuchen "praktisch abgewiesen" worden sei. Er beantragte eine Bewilligung nach "§ 60 BO". Beim Hauskanalanschluss handle es sich weder um einen vorübergehenden Zweck in Form eines mobilen Bauwerkes, noch widerspreche er den sachlichen Gegegebenheiten, zu denen ein Kanalanschluss erforderlich sei, noch widerspreche er in baulicher Hinsicht den Vorschriften der BO. Der Kanalanschluss sei kein Provisorium, sondern ein endgültiges und behördlich vorgeschriebenes Werk.

Die MA 37 wies anlässlich der Weiterleitung der Berufung an die Berufungsbehörde darauf hin, dass die auf der Liegenschaft bestehende Baulichkeit keine Bewilligung aufweise und keine Bauplatzschaffung nachgewiesen sei, weshalb eine Bewilligung nach § 71 BauO für Wien erteilt worden sei.

Dies hielt die Berufungsbehörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14. Dezember 1995 vor; er antwortete, dass sich die bestehende Baulichkeit auf einer im Bauland gelegenen Liegenschaft seit den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts befinde. Das Gebäude sei bis in die 60er-Jahre als Heuriger genutzt worden und diente in weiterer Folge Wohnzwecken. Die Magistratsabteilung 30, die die Kanalisation in der öffentlichen Straße verlegt habe, habe entgegenkommender Weise den Kanalstrang um 10 m verlängert, damit der Hauskanalanschluss für den Beschwerdeführer erfolgen kann. Er habe einen Anspruch auf einen "definitiven" Kanalanschluss. Es handle sich um keinen Bau vorübergehenden Bestandes im Sinne des § 71 BauO für Wien, zumal der bestimmungsgemäße Zweck der Grundfläche eindeutig als Bauland definiert sei. Der Kanalanschluss stelle ein auf Dauer angelegtes Projekt dar. Eine Ausnahmegenehmigung im Sinne des § 71 BauO für Wien sei nicht erforderlich.

Die MA 37 erklärte in einer Stellungnahme vom 12. März 1996, dass trotz nochmaliger Überprüfungen in den Archiven keine Unterlagen über das gegenständliche Haus aufgefunden werden konnten. Das Planarchiv über die Katastralgemeinde Neuwaldegg müsse als vollständig bezeichnet werden. Es seien einzelne Baubewilligungen aus den Jahren 1890 bis 1895 bei einer stichprobenartigen Überprüfung festgestellt worden. In der ehemaligen Siedlung "Waldandacht" habe man bei stichprobenartigen Überprüfungen Baubewilligungen vorgefunden, die bis in die Jahre 1929/1930 zurückreichten.

Mit dem angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG den Bescheid der MA 37 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde erster Instanz zurück. Der Hauskanal stehe in einer festen Verbindung zur bestehenden Baulichkeit. Die Errichtung sei nicht für vorübergehende Zwecke geplant. Nach Ansicht der belangten Behörde sei auch das ergänzende Ermittlungsverfahren nicht ausreichend gewesen, um den Gegenbeweis zu erbringen, wonach es sich beim bestehenden Haus nicht um einen "alten Bestand" handle. Der ermittelte Sachverhalt sei so mangelhaft, dass die Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine. In einer solchen neuen Verhandlung werde insbesondere zu prüfen sein, ob tatsächlich ein "alter Bestand" vorliege, sowie ob die Kanalanlage an sich als selbstständiges Bauwerk bewilligt werden könne.

In seiner dagegen erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Sachentscheidung durch die belangte Behörde durch Erteilung einer endgültigen Baubewilligung nach § 70 der Bauordnung für Wien verletzt. Er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und

erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der angefochtene Bescheid beruht auf § 66 Abs. 2 AVG. Danach kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Ein auf § 66 Abs. 2 AVG gestützter letztinstanzlicher Bescheid kann mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden, wobei eine Rechtsverletzung durch einen solchen Bescheid einerseits darin gelegen sein kann, dass die Berufungsbehörde mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen von dieser Regelung zu Unrecht Gebrauch gemacht hat, aber auch darin, dass die Berufungsbehörde von einer für den Beschwerdeführer nachteiligen, jedoch für das weitere Verfahren bindenden unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist. Eine nachvollziehbare Beurteilung des Fehlens entscheidungswesentlicher Sachverhaltselemente in einem Aufhebungsbescheid nach § 66 Abs. 2 AVG setzt aber notwendigerweise eine erste rechtliche Prüfung des vorgetragenen Sachverhaltes anhand der maßgebenden Rechtsvorschriften und der für deren Anwendung geforderten Tatbestandselemente voraus. Wird nicht untersucht, welche Vorschriften auf den Verfahrensgegenstand anwendbar sind, dann kann auch nicht beurteilt werden, ob bestimmte Sachverhaltselemente als Tatbestandselemente der in Betracht kommenden Vorschriften überhaupt vorausgesetzt und somit ermittlungsbedürftig sind (hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1999, Zl. 99/10/0204).

Die belangte Behörde folgte einerseits offenbar der Baubehörde erster Instanz mit der Rechtsauffassung, dass der Hauskanal nicht gemäß § 70 BauO für Wien (im Folgenden in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 49/1993; BO) bewilligt werden könne, wenn das schon bestehende Gebäude bewilligungslos errichtet worden sei; letzteres müsse aber noch geklärt werden. Andererseits trug die belangte Behörde der Erstinstanz die Klärung der Frage auf, ob die Kanalanlage als selbstständiges Bauwerk bewilligt werden könne (sodass unabhängig davon, ob für das Gebäude eine Bewilligung vorliegt, für den Kanal eine Bewilligung erteilt werden könnte).

Gemäß § 93 Abs. 1 BO sind die Abwässer nach Maßgabe des Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren in Straßenkanäle einzuleiten; wenn eine Verpflichtung zur Einleitung in den Straßenkanal nicht besteht, sind die Abwässer in anderer geeigneter Weise zu beseitigen. Die Hauskanäle müssen nach Abs. 2 dieser Bestimmung eine solche Lage, Beschaffenheit, Größe und Abdeckung aufweisen, dass die gefahrlose und belästigungsfreie Ableitung der Abwässer sichergestellt ist und die erforderliche Wartung durchgeführt werden kann.

Hier geht es aber nicht um die in § 2 des Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren (KanalG) näher geregelte Verpflichtung zur Einleitung, sondern um die Bewilligung der Errichtung. Eine solche Bewilligung richtet sich nach § 60 Abs. 1 lit. b BO, wonach für die Errichtung aller sonstigen baulichen Anlagen (also nicht Gebäude) über und unter der Erde, zu deren Herstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, die mit dem Boden in eine kraftschlüssige Verbindung gebracht werden und wegen ihrer Beschaffenheit geeignet sind, öffentliche Rücksichten zu berühren, eine Bewilligung der Behörde erwirkt werden muss.

Beim hier gegenständlichen Vorhaben handelt es sich um einen Hauskanal im Sinne des § 93 Abs. 2 BO. Unter der Hauskanalisation ist die Gesamtheit der Anlagen zu verstehen, die der Sammlung und Ableitung der Niederschlags- und Abwässer von einem Baugrundstück entweder in eine Senkgrube bzw. Sickergrube oder in den städtischen Straßenkanal dienen; für die Qualifikation ist es nicht entscheidend, ob der Kanal auf dem Baugrundstück oder in der Verkehrsfläche verlegt wird (siehe die Definition bei Geuder-Hauer, Wiener Bauvorschriften2, 441; hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 1990, Zl. 87/05/0214).

Auf Grund der Widmung "Wohngebiet Bauklasse I offen" handelt es sich bei der gegenständlichen Liegenschaft zweifelsohne um ein "Baugrundstück" im Sinne der obigen Definition; auch die grundsätzliche Ableitungsverpflichtung nach § 93 Abs. 1 BO knüpft nicht an den Bestand eines Gebäudes und schon gar nicht an den Bestand eines konsentierten Gebäudes an. Es besteht daher kein Hindernis, die Bewilligungsfähigkeit der projektierten Hauskanalanlage allein anhand der gegebenen Widmung und der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen zu beurteilen.

§ 5 KanalG lautet samt Überschrift:

"Herstellung und Instandhaltung der Kanäle

(1) Die Herstellung und Instandhaltung der Straßenkanäle obliegt der Stadt Wien.

(2) Der Hauskanal bildet bis zu seiner Einmündung in den Straßenkanal einen Bestandteil der Baulichkeit. Seine Herstellung und Erhaltung obliegt nach den Bestimmungen des § 129 Abs. 2 der Bauordnung für Wien dem Hauseigentümer; unter diese Instandhaltungspflicht fällt auch die Verpflichtung zur Instandhaltung des Mauerwerks rings um die Einmündungsstelle.

(3) Dient ein Hauskanal den Eigentümern verschiedener Liegenschaften, so sind diese zur ungeteilten Hand - unbeschadet des Rückgriffsrechtes untereinander - verpflichtet, den Kanal zu erhalten."

Bei dem von der belangten Behörde herangezogenen § 5 Abs. 2 KanalG handelt es sich um keine baurechtliche Bestimmung, die die Qualifikation des Hauskanals bis zu seiner Einmündung in den Straßenkanal als Bestandteil der Baulichkeit gebietet. Vielmehr regelt § 5 KanalG, wer die Kanäle herstellen und instandhalten muss; insbesondere durch Abs. 2 dieser Bestimmung soll zugeordnet werden, dass hinsichtlich des Hauskanales bis zu seiner Einmündung in den Straßenkanal die Herstellung und Erhaltung den Hauseigentümer trifft, während nach Abs. 1 dieser Bestimmung die Herstellung und Instandsetzung der Straßenkanäle der Stadt Wien obliegt. Daraus kann aber keineswegs gefolgert werden, dass der Hauskanal einen "Bestandteil der Baulichkeit" bilden muss und demnach eine solche voraussetzt.

Ist somit die Hauskanalanlage als sonstige bauliche Anlage im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. b BO selbstständig bewilligungsfähig, dann spielt die Frage, ob das vorhandene Gebäude eine Baubewilligung aufweist, keine Rolle. Es bestand daher keine Veranlassung, der Baubehörde erster Instanz Aufklärungen in dieser Richtung aufzutragen, weil es sich dabei um eine Rechtsfrage, aber nicht um eine Sachfrage handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag aber auch die zwingende Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung nicht zu erkennen. Gemäß § 70 Abs. 1 BO ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn durch das Bauvorhaben subjektiv-öffentliche Nachbarrechte im Sinne des § 134a BO berührt werden können.

Schon im genannten Erkenntnis vom 30. Jänner 1990, als die Beschränkung der Nachbarrechte im Sinne des § 134a BO noch nicht galt, hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer Kanalisationsanlage mit Schächten und Pumpen ausgesprochen, dass im Hinblick auf die unterirdische Lage dieser Baulichkeiten Beeinträchtigungen der Anrainer nicht zu erwarten seien. Hier geht es um ein einfaches Kanalrohr mit einem Durchmesser von 150 mm, welches ohne Berührung von Fremdgrundstücken unmittelbar zum öffentlichen Straßenkanal geführt werden soll. Es ist daher auch eine durch § 134a lit. e BO geschützte Immissionsbeeinträchtigung von Nachbarn nicht denkbar, sodass aus dem Grunde des § 70 Abs. 1 BO eine neuerliche Verhandlung nicht erforderlich erscheint.

Da somit keinerlei Hindernis erkennbar ist, dass die belangte Behörde selbst eine Sachentscheidung trifft, belastete sie ihren auf § 66 Abs. 2 AVG gestützten Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Mai 2000

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7VwRallg7 Hauskanalisation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996050228.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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