TE Vfgh Erkenntnis 1997/12/12 B3113/96, B3760/96

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Veröffentlicht am 12.12.1997
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art117 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Richtlinien des Rates vom 19.12.94. 94/80/EG, und 13.05.96. 96/30/EG, betreffend das Kommunalwahlrecht von Unionsbürgern
Wr GemeindewahlO 1996 §16
EG-Vertrag Art8b

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses von EU-Bürgern vom Kommunalwahlrecht in Wien; kein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch von Unionsbürgern auf das aktive und passive Wahlrecht bei Gemeinderatswahlen; keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Schaffung einer anspruchsbegründenden Regelung über das Wahlrecht von Unionsbürgern in anderen Mitgliedstaaten im österreichischen (Verfassungs)Recht; keine Verpflichtung Österreichs zur Ausführung der erst nach dem EU-Beitritt Österreichs inkraftgetretenen EG-Kommunalwahlrichtlinie

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.1. Der Beschwerdeführer in dem zu B3113/96 protokollierten Verfahren ist italienischer Staatsangehöriger und hat - seinen eigenen Angaben zufolge - seit 20. Februar 1986 seinen (Haupt-)Wohnsitz in Wien. Mit an die Bezirkswahlbehörde für den

10. Wiener Gemeindebezirk gerichtetem Schreiben vom 6. September 1996 hat er gemäß §30 der Wiener Gemeindewahlordnung 1996 - GWO, LGBl. 16, idF LGBl. 1996/27 und 1996/31, gegen seine Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis für die Gemeinderatswahl am 13. Oktober 1996 Einspruch erhoben. Diesem Einspruch wurde mit Bescheid der genannten Bezirkswahlbehörde vom 9. September 1996 keine Folge gegeben. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der (Wiener) Stadtwahlbehörde vom 13. September 1996 abgewiesen. Begründend wurde dazu ausgeführt, daß der nunmehrige Beschwerdeführer als nichtösterreichischer EU-Bürger gemäß §16 Abs2 GWO nur an der Bezirksvertretungs- und nicht auch an der Gemeinderatswahl teilnahmeberechtigt sei und daher im Wählerverzeichnis (nur) für die Bezirksvertretungswahl als wahlberechtigt eingetragen bleibe.

1.2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in dem durch Art117 Abs2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechtes bei der Wahl des (Wiener) Gemeinderates sowie in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung, nämlich des §16 Abs1 und 2 GWO, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend wird dazu - unter Wiedergabe eines mittlerweile publizierten Rechtsgutachtens (vgl. Mayer, Das Kommunalwahlrecht der Unionsbürger in Wien, ÖJZ 1997, 361) - im wesentlichen folgendes ausgeführt:

"Mit dem Vertrag über die Europäische Union - Vertrag von Maastricht - wurde ua Art8b EGV geschaffen; dessen Abs1 gewährt jedem Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen im Wohnsitzstaat; dabei gelten für ihn dieselben Bedingungen wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaates. Damit wurde erstmals das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger primärrechtlich verankert; es bedarf freilich - das ergibt sich aus Art8b Satz 2 EGV - näherer Ausgestaltung durch Durchführungsvorschriften; in diesen können auch Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, wenn dies aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaates gerechtfertigt ist.

Die Durchführungsvorschriften wurden fristgerecht vor dem 31. Dezember 1994 durch Richtlinie erlassen. Durch eine Änderung dieser Richtlinie im Jahre 1996 wurde gemeinschaftsrechtlich normiert, daß in Wien die Bezirke als 'lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe' anzusehen sind. Dies hat gemeinschaftsrechtlich die Bedeutung, daß in Wien die Einräumung des Kommunalwahlrechtes für Unionsbürger auf Bezirksebene geboten ist. Dem wurde durch die Wiener Gemeindewahlordnung 1996 auch Rechnung getragen.

Die gemeinschaftsrechtliche Regelung ist freilich keine abschließende in dem Sinn, daß die Mitgliedstaaten das Wahlrecht nicht in einem weiteren Umfang gewähren dürften, als es gemeinschaftsrechtlich vorgesehen ist. Art8b legt in Verbindung mit den zit Durchführungsvorschriften ein Mindestmaß an Rechten fest; das Kommunalwahlrecht ist ein bedeutender Schritt in Richtung 'Politische Union'; den Mitgliedstaaten ist es daher gemeinschaftsrechtlich keineswegs verwehrt, das Kommunalwahlrecht über das gemeinschaftsrechtlich gebotene Maß hinaus einzuräumen. Eine diesbezügliche Gebundenheit des nationalen Verfassungsgesetzgebers besteht nicht.

Die B-VG-Nov 1994 vom 21. Dezember 1994 verfolgt das Ziel, die Bundesverfassung den Erfordernissen anzupassen, die sich aus dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ergaben. ArtI Z15 der zit Novelle änderte Art117 Abs2 B-VG durch Einfügung des folgenden vierten Satzes:

'Unter den von den Ländern festzulegenden Bedingungen steht das aktive und passive Wahlrecht auch den Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu.'

Diese Bestimmung trat mit Wirksamwerden des Beitritts der Republik Österreich zur Europäischen Union, dh am 1. Jänner 1995, in Kraft. Die Bestimmung ist zunächst ihrem Wortlaut nach insoweit eindeutig und klar, als sie Unionsbürgern ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Wahlrecht bei Gemeinderatswahlen gewährt. Dieses Recht kann von den Ländern ausgestaltet werden; die Länder können die 'Bedingungen' festlegen, 'unter' welchen dieses Recht besteht. Die zit Bestimmung des Art117 Abs2 B-VG normiert damit ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, das unter einem 'Ausgestaltungsvorbehalt' steht. Der Landesgesetzgeber ist befugt, bestimmte Voraussetzungen zu normieren, von deren Vorliegen oder Nichtvorliegen das Wahlrecht abhängt; dabei sind zunächst die Determinanten zu beachten, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben. Soweit das Gemeinschaftsrecht Freiräume läßt, kann der Landesgesetzgeber unter Beachtung der ihm vom nationalen Recht vorgegebenen Determinanten das Recht der Unionsbürger näher ausgestalten.

Es ist hier nicht zu untersuchen, wie weit der Spielraum des Landesgesetzgebers im einzelnen reicht; mit Sicherheit kann man sagen, daß der Landesgesetzgeber nicht befugt ist, das Wahlrecht der Unionsbürger zum Gemeinderat schlechthin auszuschliessen. Art117 Abs2 B-VG ordnet klar an, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber das Wahlrecht gewährt, und nicht, daß er den Landesgesetzgeber ermächtigt, es - verfassungsrechtlich nach Belieben - zu gewähren oder nicht. Der Landesgesetzgeber darf nur die 'Bedingungen' festlegen, dabei einzelne Wahlausschließungsgründe vorsehen; ein allgemeiner Ausschluß von Unionsbürgern bei Gemeinderatswahlen wäre bundesverfassungswidrig; soweit der Wortlaut des Art117 Abs2 vierter Satz B-VG.

Mit einer bedenklichen methodischen Vorgangsweise scheint Schnedl (Das Wahlrecht der Unionsbürger bei Kommunalwahlen, ÖJZ 1995, 841; derselbe, Die Umsetzung der Kommunalwahlrichtlinie der EU in Österreich, ÖGZ 1996, 22) zu einem anderen Resultat zu gelangen: Obwohl er bei einer Textinterpretation des Art117 Abs2 B-VG zum hier vertretenen Ergebnis - 'Pflicht' der Länder zur Ausgestaltung des Wahlrechts der Unionsbürger - zu kommen scheint, dürfte er vor allem aufgrund des Berichtes des Verfassungsausschusses schlußendlich doch wieder eine andere Auffassung vertreten. Die zit Stelle im AB lautet:

'Durch die vorgeschlagene Neuregelung in Art117 Abs2 B-VG werden die Landesgesetzgeber ermächtigt - jedoch nicht verpflichtet - , bereits vor Inkrafttreten einer künftigen EU-Richtlinie zum Kommunalwahlrecht ausländischen EU-Bürgern das aktive und passive Wahlrecht bei Gemeindewahlen einzuräumen.'

Es ist durchaus einzuräumen, daß der genaue Sinn dieser Äußerung dunkel ist; deutlich scheint nur zu sein, daß der Ausschuß meint, die Länder seien bereits vor Erlassung der entsprechenden EU-Richtlinie zur Einführung des Wahlrechtes für Unionsbürger ermächtigt. Daran ist soviel richtig, daß sich aus keiner Stelle der B-VG-Nov 1994 (BGBl 1013) ergibt, daß das im Art117 Abs2 B-VG vorgesehene verfassungsrechtliche Kommunalwahlrecht für Unionsbürger in irgendeinem Zusammenhang mit der erwähnten Richtlinie stehen soll. Undeutlich ist die Verneinung einer 'Pflicht' der Länder, die in der zit Äußerung des Verfassungsausschusses erfolgt. Die Auffassung, es besteht keine 'Pflicht' der Länder, das Kommunalwahlrecht der Unionsbürger vorzusehen, könnte sich einmal auf die Zeit 'vor dem Inkrafttreten einer künftigen EU-Richtlinie' beziehen oder ganz allgemeine Bedeutung beanspruchen; in dem Sinne also, daß die Länder aufgrund des Art117 Abs2 B-VG überhaupt nicht - zu keiner Zeit - verpflichtet wären, ein Kommunalwahlrecht für Unionsbürger vorzusehen.

Welche dieser beiden Deutungen das trifft, was der Ausschuß tatsächlich gemeint hat, ist indes irrelevant. Denn beide Deutungen stehen mit dem Text des Art117 Abs2 B-VG im Widerspruch; in diesem heißt es nicht, daß die Länder das Wahlrecht der Unionsbürger vorsehen 'können' oder 'dürfen' oder daß sie dazu bloß ermächtigt sind, sondern daß 'das Wahlrecht...zu/steht/'. Damit (hat) der Bundesverfassungsgesetzgeber das Wahlrecht begründet, und zwar als bundesverfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht; dieses Recht besteht auch unabhängig davon, ob eine Richtlinie erlassen wurde oder nicht. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht ist am 1. Jänner 1995 in Kraft getreten und erfordert seit damals seine nähere Ausgestaltung durch den Landesgesetzgeber.

Daß der durch die B-VG-Nov 1994 (BGBl 1013) geschaffene vierte Satz nicht die normative Bedeutung hat, die ihm der Ausschuß beimessen will, ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem zweiten Halbsatz des Abs2. Diese Bestimmung stellt es dem Landesgesetzgeber tatsächlich frei, das Wahlrecht auch den Staatsbürgern zu gewähren, die in der Gemeinde bloß einen Wohnsitz - nicht aber den Hauptwohnsitz - haben. Im Vergleich dazu ist der Text des vierten Satzes wesentlich anders - nämlich strikt - formuliert.

Damit ist im Ergebnis festzuhalten, daß sich das Kommunalwahlrecht der Unionsbürger als verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht aus Art117 Abs2 B-VG ergibt und daß der Landesgesetzgeber nicht zu dessen Schaffung, sondern bloß zu dessen Ausgestaltung befugt ist. Die möglicherweise gegenteilige Auffassung des Verfassungsausschusses findet im Normtext keinen Niederschlag und ist daher unbeachtlich. Aus gegebenem Anlaß ist in aller Deutlichkeit festzuhalten, daß sich der Inhalt von Rechtsnormen in erster Linie aus dem kundgemachten Text ergibt; dies muß in einer Rechtsordnung, die eine Kundmachung aller Rechtsvorschriften zwingend und als deren existentielle Voraussetzung anordnet, als unzweifelhaft angenommen werden. Dies gilt insb für verfassungsrechtliche Regelungen über Wahlen. Eine Rechtsquelle 'Ausschußfeststellung' gibt es nicht; dennoch kommt es immer wieder vor, daß in den Gesetzesmaterialien Auffassungen 'festgestellt' oder behauptet werden, die im Widerspruch zum Normtext stehen. Sollte diese Unsitte nunmehr auch im Verfassungsrecht weitere Verbreitung finden, so wäre damit ein weiterer Höhepunkt gesetzgeberischer Unkultur erreicht. Nach wie vor hat zu gelten, daß der Gesetzgeber - insb der Verfassungsgesetzgeber - bestrebt sein muß, klare Regelungen zu schaffen; Widersprüche zwischen dem Text der Normen und ihren Erläuterungen sind daher zu vermeiden.

Im Ergebnis ist festzuhalten, daß Art117 Abs2 B-VG ein Wahlrecht für Unionsbürger zum Gemeinderat vorsieht, das als solches nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers steht; dieser ist nur zur näheren Ausgestaltung ermächtigt und verfassungsrechtlich auch 'verpflichtet'.

Für die Bundeshauptstadt Wien ergibt sich aus Art112 B-VG, daß 'die Bestimmungen des Abschnittes C dieses Hauptstückes' nach Maßgabe der Art108 bis 111 B-VG mit Ausnahme bestimmter genannter Vorschriften Anwendung findet. Damit sind die Vorschriften über Gemeinden grundsätzlich auch für Wien relevant. Art108 B-VG bestimmt, daß die Organe der Gemeinde auch Funktionen des Landes haben; so hat 'der Gemeinderat auch die Funktion des Landtages'. Die Lehre vertritt demgemäß einhellig die Auffassung, daß Wien organisatorisch in erster Linie Gemeinde ist.

Aus Art112 B-VG ergibt sich unzweifelhaft, daß Art117 Abs2 B-VG auch in Wien Anwendung zu finden hat; Art112 B-VG zählt die Bestimmungen der Gemeindeorganisation, die in Wien nicht anzuwenden sind - zB Art117 Abs6 B-VG zweiter Satz -, ausdrücklich auf. Art117 Abs2 B-VG wird nicht genannt. Auch aus der einleitenden Wendung 'nach Maßgabe der Art108 bis 111' ergibt sich nicht, daß Art117 Abs2 B-VG in Wien nicht anzuwenden wäre. Daraus folgt, daß auch in Wien den Unionsbürgern das Wahlrecht zum Gemeinderat zusteht; daß der Gemeinderat auch die Funktion des Landtages hat, vermag allein daran nichts zu ändern.

Im Ergebnis bedeutet dies, daß Unionsbürger gem Art112 iVm Art117 Abs2 B-VG ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Wahlrecht zum Wiener Gemeinderat haben; die Wiener Gemeindewahlordnung, die das Wahlrecht der Unionsbürger auf die Wahlen zu den Bezirksvertretungen beschränkt, ist daher verfassungswidrig. Dies gilt - wie schon erwähnt - ungeachtet des Umstandes, daß nach Gemeinschaftsrecht eine derartige Beschränkung zulässig wäre; denn gemeinschaftsrechtlich ist nicht ausgeschlossen, daß der innerstaatliche Gesetzgeber den Unionsbürgern Rechte einräumt, die (über) das gemeinschaftsrechtlich geforderte Mindestmaß hinausgehen.

Gegen das hier vertretene Ergebnis von der Verfassungswidrigkeit des §16 Abs1 Wiener Gemeindewahlordnung könnte man einwenden, die Geltung des Art117 Abs2 B-VG für Wien sei - ungeachtet des Wortlautes des Art112 B-VG - deshalb nicht anzunehmen, weil man dem Verfassungsgesetzgeber nicht unterstellen dürfe, er habe angeordnet, 'daß Unionsbürger nur in einem einzigen Bundesland (Wien) quasi auch auf Landesebene wahlberechtigt und wählbar sind'. Man könnte diesen Einwand ergänzen und sagen, der Verfassungsgesetzgeber der Novelle 1994 (BGBl 1013) habe nur dem Anpassungsbedarf, der sich aus dem Beitritt Österreichs zur EU ergeben hat, entsprechen und keine Regelungen treffen wollen, die über dieses Ziel hinausgehen.

Auch dieser Einwand ändert am Ergebnis nichts; er ist unzutreffend. Wie ... gezeigt, trat gleichzeitig mit den hier erörterten Neuregelungen der B-VG-Nov 1994 auch die - nahezu gleichzeitig geschaffene - Richtlinie des Rates vom 19. Dezember 1994, 94/80/EG in Kraft. Am 1. Jänner 1995 war Österreich demnach verpflichtet, diese Richtlinie zu erfüllen und das Wahlrecht der Unionsbürger vorzusehen. Ein ganz entscheidender Punkt ist dabei, daß diese Pflicht auch für Wien bestand. Denn die zit Richtlinie galt zu diesem Zeitpunkt ohne Zweifel auch für Wien; die Ausnahme für Wien wurde erst knapp einundeinhalb Jahre später - und zudem erst nach der Erlassung der Wiener Gemeindewahlordnung 1996 - durch die Richtlinie des Rates vom 13. Mai 1996, 96/30/EG verfügt und ist am 22. Mai 1996 in Kraft getreten. Daraus folgt, daß zum Zeitpunkt der Erlassung der B-VG-Nov 1994 (BGBl 1013) die gemeinschaftsrechtliche Situation für Wien nicht anders war als für alle anderen Gemeinden. Man kann dem Verfassungsgesetzgeber daher nicht unterstellen, er habe - noch dazu ohne dies auch nur anzudeuten - die Geltung dieser Regelung für Wien 'sicher nicht gewollt'. Selbst wenn man noch einen Schritt weitergehen wollte und - bei aller Zweifelhaftigkeit eines solchen Unterfangens - einen derartigen politischen Willen des Verfassungsgesetzgebers des Dezembers des Jahres 1994 aufspüren möchte, könnte dies nichts ändern. Bei der Beschlußfassung über die B-VG-Nov 1994 (BGBl 1013) hatten die Regierungsparteien nicht die notwendige Mehrheit, diese B-VG-Nov allein zu beschließen. Die beiden kleineren Oppositionsparteien, die diese Nov mittrugen, wären aber wohl kaum bereit gewesen, gerade Wien von der Geltung des Unionsbürgerwahlrechtes auszunehmen. Auch aus dieser Sicht ist es überaus fragwürdig, irgendeine subjektiv-historische Absicht in diese Richtung zu behaupten, zumal - das sei nochmals betont - der Text der geschaffenen Normen das Gegenteil ausdrückt und auch der im AB erkennbare 'Wille' des Verfassungsgesetzgebers für eine derartige Absicht keinen Anhaltspunkt bietet; der AB ist darüber hinaus von offensichtlich irrigen - letztlich aber unbeachtlichen - rechtlichen Überlegungen geleitet.

Ein weiteres Argument gegen das hier vertretene Ergebnis könnte darin bestehen, daß man meint, der Verfassungsgesetzgeber der B-VG-Nov 1994 (BGBl 1013) habe bloß 'versehentlich' vergessen, im Art112 B-VG klarzustellen, daß das im Art117 Abs2 B-VG verankerte Unionsbürgerwahlrecht in Wien nicht oder nur eingeschränkt gelten soll. Auch dieser Einwand wäre untauglich, ein anderes Ergebnis herbeizuführen; dies deshalb, weil (bei) der Schaffung der B-VG-Nov 1994 der Art112 B-VG sehr wohl beachtet und auch an eine geänderte Fassung des Art142 B-VG angepaßt wurde. Von einem Versehen des Verfassungsgesetzgebers, noch dazu in einer wichtigen Frage des Gemeindewahlrechtes, kann damit nicht die Rede sein.

Ein letzter Einwand, der sich als dogmatischer auszugeben scheint, wurde von Schnedl in seiner letzten Publikation zum Thema vorgetragen. Er behauptet nun, ein Wahlrecht für Unionsbürger nur in einem einzigen Bundesland (Wien) 'quasi auch auf Landesebene' sei 'verfassungsrechtlich gar nicht möglich', weil nach der ständigen Judikatur des VfGH 'der Verfassungsgesetzgeber für alle Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern ein in den Grundzügen einheitliches ... Wahlrecht schaffen wollte'; dies nennt Schnedl 'Homogenitätsprinzip'. Dazu ist zu sagen, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber nur an die Grundprinzipien des B-VG (Art44 Abs3 B-VG), nicht aber an Prinzipien, die von der Lehre erfunden werden, gebunden ist. Wer sich der - durchaus geringen - Mühe unterzieht und die Bestimmungen des B-VG über das Wahlrecht zu den allgemeinen Vertretungskörpern liest, wird unschwer feststellen, daß Art95 Abs2 und Art117 Abs2 B-VG bloß einen Mindeststandard normieren, über den hinauszugehen der jeweilige Gesetzgeber - in den übrigen Schranken des B-VG - schon vor der B-VG-Nov 1994 (BGBl 1013) befugt war. Nichts anderes hat auch die bisherige Jud des VfGH gesagt. Es ist aber schlechthin unerfindlich, warum es dem Bundesverfassungsgesetzgeber verfassungsrechtlich (!!) verwehrt sein sollte, ein Wahlrecht der Unionsbürger auch für den Wiener Gemeinderat zu normieren. Daß dies auch weitere Folgen - zB für den Bundesrat - hat, ist zutreffend; es ist aber Sache politischer Entscheidung, hier eine entsprechende Lösung zu treffen. Juristische Interpretationsübungen der dargestellten Art sollten in solch wichtigen Fragen besser unterbleiben."

1.3. Die Wiener Stadtwahlbehörde als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Dazu wird im einzelnen folgendes ausgeführt:

"Der Beschwerdeführer geht davon aus, daß der vierte Satz des Art117 Abs2 B-VG, welcher durch ArtI Z15 der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994, BGBl. Nr. 1013, eingefügt worden ist und wie folgt lautet: 'Unter den von den Ländern festzulegenden Bedingungen steht das aktive und passive Wahlrecht auch den Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu', eindeutig und klar sei, und zwar in der Weise, als er Unionsbürgern ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Wahlrecht bei Gemeinderatswahlen einräumen würde. Dieses Recht könne von den Ländern nur mehr insoferne ausgestaltet werden, als sie die 'Bedingungen' festlegen könnten, unter welchen dieses Recht besteht. Daran könne auch der zu dieser Verfassungsbestimmung ergangene Ausschußbericht nichts ändern, zumal möglicherweise gegenteilige Auffassungen des Verfassungsausschusses im Normtext keinen Niederschlag finden würden und daher unbeachtlich seien.

Richtig an den Ausführungen des Beschwerdeführers ist, daß immer dann, wenn der Wortlaut einer Bestimmung der Bundesverfassung eindeutig ist, es nicht möglich ist, auf die historische Interpretation zurückzugreifen. Zur historischen Interpretation ist nur dann zu greifen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzes zweifelhaft ist (VfGH Slg. 5019/65). Auch in seinem Erkenntnis vom 10. Dezember 1977, Zl. G17/32/77, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß bei der Auslegung der derzeit geltenden Verfassungsnormen historische Betrachtungen lediglich als Interpretationshilfsmittel ihre Berechtigung haben, und zwar dann, wenn der Wortlaut der Bundesverfassung keinen ausreichenden Aufschluß über ihren Inhalt gibt.

Diese in der Lehre als sogenannte Klarheitsregel bezeichnete Interpretationsmaxime fungiert - worauf Schäffer, Verfassungsinterpretation in Österreich, S. 63, zutreffend hinweist - legitimerweise nur als denk- und arbeitsökonomischer Gesichtspunkt, nie dürfe sie zu einer unzulässigen Abschneidung der Argumentation und zum Ausschluß weiterer erkenntnisfördernder Mittel führen. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf die dem Evidenzbegriff notwendig innewohnende Variabilität in der Weise, daß die Klarheit eines erzielten Interpretationsergebnisses naturgemäß mit der Situationsbezogenheit der Regelungen einerseits und mit dem zeitgebundenen Denkniveau und Argumentationsstil andererseits zusammenhänge. Schäffer, aaO, S. 195, kommt daher auch zu dem Ergebnis, daß eigentlich nur zwei Stufen des Interpretationsvorganges als notwendig anzuerkennen seien: Die sprachliche Interpretation und bei deren Ungenügen, was allerdings meist der Fall ist, ein darüber hinausgehendes Verfahren zur Sinnermittlung.

Auch Korinek, Zur Interpretation von Verfassungsrecht, in:

Staatsrecht in Theorie und Praxis (FS für Robert Walter), S. 378 f, weist auf den Vorrang der Wortinterpretation durch den Verfassungsgerichtshof hin, betont aber ebenfalls, daß immer dann, wenn der Wortlaut Zweifel über den Inhalt der Regelung aufkommen ließe, der Inhalt der Bestimmungen nach anderen Auslegungsregeln zu ermitteln ist.

Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 8. Auflage, Rz 132, führen aus, daß jede mögliche Alternative und jede Unklarheit im Text durch einen Rekurs auf den Willen des historischen Gesetzgebers zu lösen ist (subjektive Interpretation). Denn der zentrale Bestimmungsgrund einer positivistischen Interpretationslehre müsse immer der Wille der zur Gesetzgebung berufenen Autorität sein, der freilich durch das Erfordernis einer bestimmten Form positiv-rechtlich eingeschränkt sein kann.

Betrachtet man sich die in Rede stehende Verfassungsbestimmung, so zeigt sich, daß der ihr vom Beschwerdeführer zugesprochene Sinn keineswegs als aus dem Wortlaut klar hervorleuchtend angesehen werden kann.

Zum ersten ist darauf hinzuweisen, daß sich die Worte 'unter den von den Ländern festzulegenden Bedingungen' ansonst an keiner Stelle des Bundes-Verfassungsgesetzes wiederfinden. Der Begriff 'Bedingung' findet sich, abgesehen von der in Rede stehenden Verfassungsnorm, nur mehr in den Art51b Abs4, 95 Abs2, 117 Abs2 zweiter Satz und Art133 Z4 B-VG, doch wird hier der Begriff 'Bedingung' in einem anderen Zusammenhang verwendet, als dies bei der in Rede stehenden Verfassungsnorm der Fall ist. Es läßt sich daher aus dem Hinweis auf Art117 Abs2 zweiter Halbsatz B-VG ebensowenig etwas für die Auslegung des vierten Satzes dieser Verfassungsbestimmung gewinnen, wie aus dem Hinweis auf die Art6 und 12 StGG. Abgesehen davon, daß es nicht möglich ist, die dem Gesetzgeber des Jahres 1867 eigene Wortwahl zur Auslegung einer Verfassungsnorm heranzuziehen, welche der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1994 geschaffen hat, läßt sich unschwer erkennen, daß sowohl die Wortwahl als auch die Stellung der einzelnen Worte innerhalb der Sätze eine andere ist. Es kommt nicht von ungefähr, daß Art117 Abs2 vierter Satz B-VG die 'Bedingungen' an die Spitze des Satzes gestellt hat. Der Grund hiefür ist darin zu sehen, daß mit dieser Verfassungsbestimmung lediglich zum Ausdruck gebracht werden soll, daß den Ländern die Kompetenz zukommt, jene Bedingungen festzulegen, unter denen auch Unionsbürgern nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft das Wahlrecht zum Gemeinderat zukommen kann. Die Bedingungen sind somit eine conditio sine qua non für das Wahlrecht von Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es ist daher nicht einsichtig, weshalb der Ausschußbericht mit dem Wortlaut des Art117 Abs2 vierter Satz B-VG in Widerspruch stehen sollte, wenn er davon spricht, daß die Landesgesetzgeber zwar ermächtigt, aber nicht verpflichtet wären, bereits vor Inkrafttreten einer künftigen EU-Richtlinie zum Kommunalwahlrecht ausländischen EU-Bürgern das aktive und passive Wahlrecht bei Gemeindewahlen einzuräumen. Diese Aussage ist insofern mit der in Rede stehenden Verfassungsbestimmung konform, als dem Begriff 'festzulegenden' nicht - wie bereits oben dargelegt wurde - die Bedeutung einer Verpflichtung für die Länder zukommt, sondern dieser Begriff lediglich eine Kompetenzfestlegung beinhaltet, insoferne als die Länder jene Bedingungen frei festlegen können, unter denen dann - also nach deren Festlegung - das aktive und passive Wahlrecht zum Gemeinderat auch Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zukommt. Es besteht daher tatsächlich keine von Verfassungs wegen ableitbare Verpflichtung der Länder, Bedingungen festzulegen, und ist eine solche Verpflichtung lediglich aus dem Sekundärrecht der Europäischen Union ableitbar. Abgesehen von dem klaren Wortlaut des Ausschußberichtes und den vom Beschwerdeführer zitierten Ausführungen Schnedls, welcher zu dem Schluß kommt, daß es sich nach der Absicht des Gesetzgebers und dem Zweck der Regelung bei Art117 Abs2 vierter Satz B-VG um keine zwingende Festlegung des Kommunalwahlrechtes für Unionsbürger handle (Schnedl, Das Ausländerwahlrecht - ein europäisches Gebot, S. 40), ist auch darauf hinzuweisen, daß Walter/Mayer, aaO, Rz 871, u.a. die Aussage treffen, daß der Landesgesetzgeber auch nichtösterreichischen Unionsbürgern das aktive und passive Wahlrecht einräumen 'kann'.

Bei einem derartigen Echo in der wissenschaftlichen Literatur ist es bereits mehr als fraglich, inwieweit der Wortlaut der in Rede stehenden Verfassungsbestimmung wirklich so klar ist, wie er vom Beschwerdeführer gesehen werden möchte, läßt sich doch bei einer Betrachtung der Entstehungsgeschichte des vierten Satzes des Art117 Abs2 B-VG geradezu das Gegenteil des vom Beschwerdeführer angenommenen Sinngehaltes ableiten. Am 10. August 1994 gelangte ein Ministerialentwurf betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert und das EWR-Bundesverfassungsgesetz aufgehoben wird, im Rahmen der externen Begutachtung zur Versendung. Art117 Abs2 vierter Satz B-VG hätte nach diesem Entwurf folgenden Wortlaut erhalten sollen: 'Unter denselben Bedingungen steht das aktive und passive Wahlrecht auch den Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu.'

Mit anderen Worten, der Entwurf ging nicht nur von einer Konkordanz der Bedingungen für das kommunale Wahlrecht von österreichischen und nichtösterreichischen Unionsbürgern aus, er legte die hiefür notwendigen Bedingungen bereits fest und sprach somit dieses Wahlrecht uneingeschränkt und ohne jeden Vorbehalt auch Unionsbürgern mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft zu. Die Länder haben zu dieser in Aussicht genommenen Verfassungsbestimmung eine ablehnende Haltung eingenommen. Vor allem wurde nahezu übereinstimmend in den Stellungnahmen der Ämter der Landesregierungen darauf hingewiesen, daß mit der in Aussicht genommenen Bestimmung das aktive und passive Wahlrecht von Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu den Wahlen in den Gemeinderat ermöglicht werde, obwohl die näheren Einzelheiten dieses Wahlrechtes, die gemäß Art8b Abs1 EG-Vertrag vom Rat vor dem 31. Dezember 1994 einstimmig auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Europäischen Parlamentes festzulegen waren, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Es wurde daher als fragwürdig angesehen, ob bereits zum 'gegenwärtigen' Zeitpunkt (August 1994) ein derart unbeschränktes Wahlrecht eingeführt werden soll. Auf Grund der verfassungsrechtlichen Sonderstellung Wiens hat das Amt der Wiener Landesregierung wiederholt darauf hingewiesen, daß dem Wiener Gemeinderat auch die Funktion des Landtages zukommt, weshalb im Anhang der 'derzeit' (August 1994) in Beratung stehenden Richtlinie über das Kommunalwahlrecht für ausländische Unionsbürger unbedingt zu verankern wäre, daß dieses Wahlrecht in Wien nur für die Bezirksvertretungen bestehe, da sonst Unionsbürger ohne österreichische Staatsbürgerschaft auch für ein gesetzgebendes Organ, nämlich den Wiener Landtag, wahlberechtigt wären. Dies entspräche aber weder den Intentionen der Richtlinie noch wäre dann eine Gleichbehandlung der österreichischen Landtage gegeben. Weiters wurde von Wien darauf hingewiesen, daß diese Position durch den von den Ländern bestellten gemeinsamen Ländervertreter bereits in der zuständigen Ratsgruppe eingebracht worden ist, und daß diese Position ihre Grundlage in einer einheitlichen, den Bund bindenden Länderstellungnahme finde. Eine B-VG-Novelle, die nicht mit den Beratungsergebnissen aus Brüssel koordiniert sei, sei jedenfalls mit Nachdruck abzulehnen. Die Länderstellungnahmen wurden auch dem Präsidium des Nationalrates zur Kenntnis gebracht.

Auf Grund der ablehnenden Stellungnahmen der österreichischen Bundesländer sah die Regierungsvorlage betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert und das EWR-Bundesverfassungsgesetz aufgehoben wird, keine Novellierung des Art117 B-VG vor. Dem Bericht des Verfassungsausschusses (58 der Beilagen zu den stenografischen Protokollen des Nationalrates XIX. GP) ist zu entnehmen, daß die nunmehr in Rede stehende Verfassungsbestimmung auf einen Abänderungsantrag dieses Ausschusses zurückgeht. Gestellt wurde der Abänderungsantrag von den Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, Dr. Andreas Kohl, Johannes Voggenhuber und Mag. Dr. Heide Schmidt und mit Mehrheit angenommen.

Diese Entstehungsgeschichte des vierten Satzes des Art117 Abs2 B-VG untermauert geradezu die Auffassung der belangten Behörde, daß diese Verfassungsbestimmung nur als Kompetenznorm zu verstehen ist, die den Ländern die Zuständigkeit zur Festlegung der Bedingungen als Voraussetzung für ein von den Ländern zu gewährendes Wahlrecht von Unionsbürgern nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft auf kommunaler Ebene einräumt.

Keinesfalls läßt sich aus Art117 Abs2 B-VG eine Verpflichtung der Landesgesetzgeber ersehen, solche Bedingungen als Voraussetzung für ein derartiges Wahlrecht zu schaffen. Diese Verpflichtung ergibt sich nur auf Grund der Bestimmung des Art23d Abs5 B-VG, wonach die Länder verpflichtet sind, Maßnahmen zu treffen, die in ihrem selbständigen Wirkungsbereich zur Durchführung von Rechtsakten im Rahmen der europäischen Integration erforderlich werden. Im Lichte dieser letztgenannten Verfassungsbestimmung sind auch die Worte im Bericht des Verfassungsausschusses erklärbar, daß die Landesgesetzgeber nicht verpflichtet sind, bereits vor dem Inkrafttreten einer künftigen EU-Richtlinie zum Kommunalwahlrecht ausländischen EU-Bürgern das aktive und passive Wahlrecht bei Gemeindewahlen einzuräumen.

Da somit von Verfassungs wegen die Länder - abgesehen von der europarechtlichen Verpflichtung zur Ausgestaltung eines Kommunalwahlrechtes und der in diesem Zusammenhang relevanten Norm des Art23d Abs5 B-VG - keine Verpflichtung trifft, das Wahlrecht Unionsbürgern nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft auf kommunaler Ebene einzuräumen, läßt sich für den Beschwerdeführer auch aus seinen sonstigen Ausführungen, insbesondere aus seinem Hinweis auf Art112 B-VG nichts gewinnen. Denn wenn die Länder auf Grund des Art117 Abs2 vierter Satz B-VG keine Verpflichtung zur Einräumung eines Kommunalwahlrechtes für Unionsbürger mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft trifft und diese Verpflichtung sich nur über Art23d Abs5 B-VG im Zusammenhang mit den jeweils durchzuführenden Rechtsakten im Rahmen der europäischen Integration ergibt, ist es demgemäß auch nicht erforderlich, Art117 Abs2 vierter Satz B-VG durch seine Anführung in Art112 B-VG hinsichtlich seiner Anwendbarkeit für die Bundeshauptstadt Wien auszunehmen. Daß die Wiener Gemeindewahlordnung 1996 dem Gemeinschaftsrecht, im konkreten der Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechtes bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ABl. Nr. L 368 vom 31. Dezember 1994, geändert durch die Richtlinie 96/30/EG des Rates vom 13. Mai 1996, ABl. Nr. L 122 vom 22. Mai 1996, entspricht, räumt auch der Beschwerdeführer ein. Damit ist Wien seiner europarechtlichen Verpflichtung und seinen Verpflichtungen nach Art23d Abs5 B-VG nachgekommen; weitergehende Verpflichtungen ergeben sich auch aus Art117 Abs2 B-VG nicht.

Unverständlich bleiben allerdings jene Ausführungen in der Beschwerdeschrift, in denen es heißt, daß bei der Beschlußfassung über die B-VG-Novelle 1994 die Regierungsparteien nicht die notwendige Mehrheit gehabt hätten, diese B-VG-Novelle allein zu beschließen, und die beiden kleineren Oppositionsparteien, die diese Novelle mittrugen, wohl kaum bereit gewesen wären, gerade Wien von der Geltung des Unionsbürgerwahlrechtes auszunehmen. Deshalb sei es auch aus dieser Sicht überaus fragwürdig, irgendeine subjektiv-historische Absicht in diese Richtung zu behaupten. Diese Aussage ist insoferne unverständlich, als sie übersieht, daß nicht nur der Wortlaut des Art117 Abs2 vierter Satz B-VG, sondern auch die Begründung zu dieser Verfassungsnorm von gerade jenen kleinen Oppositionsparteien, die der Beschwerdeführer anspricht, mitgetragen worden ist."

1.4. Der Beschwerdeführer hat auf diese Gegenschrift wie folgt repliziert:

"Die belangte Behörde versucht in ihrer Äußerung mit einer verfehlten Interpretation der verfahrensrelevanten Textstelle zu einem für sie günstigen Ergebnis zu kommen.

Diese Verfassungsbestimmung kann nur so verstanden werden, daß den StaatsbürgerInnen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union das aktive und passive Wahlrecht zusteht, wobei es den Ländern obliegt, die näheren Bedingungen festzulegen. Das Recht, die näheren Bedingungen festzulegen, kann jedoch nicht zum Ergebnis führen, daß den EU-BürgerInnen überhaupt kein kommunales Wahlrecht zusteht. In diesem Zusammenhang wird auf Art117 Abs2 verwiesen, wo es unter anderem heißt: '... die Landesgesetze können jedoch vorsehen, daß auch Staatsbürger, die in der Gemeinde einen Wohnsitz, nicht aber den Hauptwohnsitz haben, wahlberechtigt sind.' Nach dieser Textierung ist es evident, daß die Länder die Wahlmöglichkeit haben und es alleine ihnen obliegt, ob sie auch Staatsbürgern, die nicht ihren Hauptwohnsitz in der jeweiligen Gemeinde haben, ein Wahlrecht zugestehen. Hätte der Verfassungsgesetzgeber für die EU_BürgerInnen ähnliches gewollt, dann hätte er sich an diese eindeutige Formulierung gehalten.

Die belangte Behörde verweist zu Recht darauf, daß der Begriff 'Bedingung' unter anderem im Art95 Abs2 verwendet wird, und erklärt apodiktisch, daß dort der Begriff 'Bedingung' in einem anderen Zusammenhang verwendet werde. Dabei wird jegliche Begründung für diese Behauptung unterlassen, wohl deshalb, weil es deshalb auch keine Begründung geben kann, da der Bedeutungsinhalt des Begriffes 'Bedingung' in den beiden oben angeführten Normen offensichtlich völlig ident ist.

...

Es ist völlig verfehlt, wenn die belangte Behörde vermeint, daß die Grünen dafür zu haben gewesen wären, daß das kommunale Wahlrecht der EU-BürgerInnen in Wien auf die Bezirksvertretungswahlen beschränkt wird. Es ist der erklärte Wille der Grünen (sowohl auf parlamentarischer, aber auch auf kommunaler Ebene), daß den EU-BürgerInnen in Wien auch auf Gemeinderatsebene ein Wahlrecht eingeräumt wird. Dies kann jedenfalls vom Vertreter der BF mit Sicherheit gesagt werden, und es ist wohl auch davon auszugehen, daß für das Liberale Forum gleiches gilt."

2.1. Der Beschwerdeführer in dem zu B3760/96 protokollierten Verfahren ist französischer Staatsangehöriger und hat - seinen eigenen Angaben zufolge - seit 31. Dezember 1985 seinen (Haupt-)Wohnsitz in Wien. Mit an die Bezirkswahlbehörde für den

7. Wiener Gemeindebezirk gerichtetem Schreiben vom 4. September 1996 hat er gemäß §30 GWO gegen seine Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis für die Gemeinderatswahl am 13. Oktober 1996 Einspruch erhoben. Diesem Einspruch wurde mit Bescheid der genannten Bezirkswahlbehörde vom 12. September 1996 keine Folge gegeben. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Stadtwahlbehörde vom 20. September 1996 abgewiesen. Begründend wurde dazu ausgeführt, daß der nunmehrige Beschwerdeführer als nichtösterreichischer Unionsbürger gemäß §16 GWO nur an der Bezirksvertretungs- und nicht auch an der Gemeinderatswahl teilnahmeberechtigt sei und daher im Wählerverzeichnis (nur) für die Bezirksvertretungswahl als wahlberechtigt eingetragen bleibe.

2.2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde. Darin wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt. Begründend wird dazu im wesentlichen folgendes ausgeführt:

"Art117 Abs2 B-VG sieht ... vor, daß für den Gemeinderat auch Unionsbürger wahlberechtigt sind. Demgegenüber ist in §16 Abs2 der Wiener Gemeindewahlordnung 1996-GWO 1996 geregelt, daß Unionsbürger nur zu den Bezirksvertretungs- und nicht zu den Gemeinderatswahlen wahlberechtigt sind. Dies widerspricht der bundesverfassungsgesetzlichen Regelung des Art117 Abs2 B-VG. Art16 Abs2 GWO 1996 ist somit verfassungswidrig. Obwohl im Art (108) B-VG ausdrücklich geregelt ist, daß der Gemeinderat für die Bundeshauptstadt Wien als Land auch die Funktion des Landtages, der Stadtsenat auch die Funktion der Landesregierung hat, ist eine Ausnahmebestimmung in Art117 Abs2 für Wien nicht vorgesehen. Trotz dieser Sonderbestimmungen für Wien ist im Art117 B-VG keine gesonderte Regelung für Wien getroffen worden. Die Regelung des §16 Abs2 GWO 1996, daß Unionsbürger nur zu den Bezirksvertretungs- und nicht zu den Gemeinderatswahlen wahlberechtigt sind, ist mit Art117 Abs2 B-VG nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr ist in Art117 B-VG lediglich von Wahlen in den Gemeinderat die Rede, und ist irgendeine Ausnahmebestimmung betreffend der Bundeshauptstadt Wien nicht getroffen worden. Dies hat demnach zur Folge, daß unter den von den Ländern festzulegenden Bedingungen das aktive und passive Wahlrecht in den Gemeinderat auch den Staatsbürgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusteht. Dies bedeutet unzweifelhaft, daß auch Unionsbürger für Wahlen für den Gemeinderat in Wien - und nicht nur für die Bezirksvertretungswahl - wahlberechtigt sind. Aus all diesen Gründen ergeht die Anregung, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten und die in Rede stehende Bestimmung des §16 der Wiener Gemeindewahlordnung 1996-GWO als verfassungswidrig aufzuheben.

...

Entsprechend der Kommunalwahlrichtlinie der EU, ABl. Nr. 368/38ff vom 31.12.1994, Richtlinie 1994/80/EG des Rates vom 19.12.1994, sind Unionsbürger in den Mitgliedstaaten der EU, wenn sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, bei Kommunalwahlen wahlberechtigt.

...

Es ist unbestritten, daß der Beschwerdeführer sämtliche ... Voraussetzungen (iS des Art3 der Kommunalwahlrichtlinie) erfüllt hat. Entsprechend dem Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer zu den Bezirksvertretungswahlen zugelassen, jedoch kein Wahlrecht für den Gemeinderat gewährt. Gemäß Art2 der Kommunalwahlrichtlinie der EU sind 'Kommunalwahlen' die allgemeinen, unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaates den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen. Es ist somit unbestritten, daß es sich bei den Wahlen zum Gemeinderat in Wien um 'Kommunalwahlen' im Sinne der Kommunalwahlrichtlinie der EU handelt. Entsprechend der den Unionsbürgern zukommenden Freizügigkeit auch in anderen EU-Mitgliedstaaten erscheint ein Ausschluß von Unionsbürgern zum Kommunalwahlrecht - entsprechend dem Bescheid der belangten Behörde - auch gegen die im EU-Vertrag geregelte Freizügigkeit von Unionsbürgern zu verstoßen. Dies insbesondere deshalb, da die Verweigerung des Wahlrechtes zum Gemeinderat eine Verweigerung von politischen Mitwirkungsrechten darstellt. Der Bescheid der belangten Behörde verstößt deshalb auch jedenfalls gegen Gemeinschaftsrecht. Ebenfalls ist es auch nicht nachvollziehbar und widerspricht jedenfalls dem Gleichbehandlungsprinzip, daß Unionsbürger z.B. in München - einer zu Wien von der Größe der Einwohnerzahl vergleichbaren Stadt - wahlberechtigt sind, während Unionsbürgern in Wien dieses Wahlrecht zum Gemeinderat verwehrt wird. Gerade unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung scheint deshalb auch die von der belangten Behörde angeführte Richtlinie 1996/30/EG des Rates vom 13.5.1996, daß Unionsbürgern in Österreich in Gemeinden und Bezirken der Stadt Wien das Kommunalwahlrecht zukommt, nicht mit dem Prinzip der Gleichbehandlung aller Unionsbürger in Einklang zu bringen (zu sein). Es ist nicht nachvollziehbar und kann auch in keiner Weise sachlich begründet werden, weshalb in anderen, von der Größe mit Wien vergleichbaren Städten der Europäischen Union Unionsbürgern ein Wahlrecht zukommt, während genau dasselbe Kommunalwahlrecht Unionsbürgern in Wien verwehrt wird. Dies ist sachlich nicht zu rechtfertigen, sodaß durch die Versagung des Kommunalwahlrechtes für den Gemeinderat in Wien jedenfalls eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern vorliegt. Dies ist unzulässig. ...

Gemäß Art177 EG-Vertrag entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung dieses Vertrages. Abs3 dieser Bestimmung sieht eine Vorlageverpflichtung der Gerichte vor, wenn ihre Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Der Verfassungsgerichtshof ist daher verpflichtet, im gegenständlichen Fall das Verfahren auszusetzen und den EuGH mit Vorlagefragen zu befassen, da berechtigte Zweifel über die Auslegung der Kommunalwahlrichtlinie bestehen und diese Frage auch noch nicht in einem Urteil geklärt ist. Die vom EuGH vorzunehmende Auslegung dient der Ermittlung des Inhaltes und der Tragweite der Bestimmung des Gemeinschaftsrechtes, wobei im Wege der Auslegung auch über die unmittelbare Wirkung des Gemeinschaftsrechtes geurteilt wird. Insbesonders wird die Frage zu klären sein, ob die Verweigerung des Wahlrechtes für Unionsbürger zu den Gemeinderatswahlen in Wien dem Gemeinschaftsrecht entspricht.

Unter dem Vertrag (Art177 Abs1 lita) sind laut der

ständigen Rechtsprechung des EuGH neben dessen Bestimmungen einschließlich aller Anhänge, Zusatzprotokolle und Änderungen sowie die Beitrittsverträge und beigefügte Beitrittsanhänge auch die ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechtes, die der EuGH im Wege der Auslegung zum Zwecke der Lückenfüllung erarbeitet hat, zu verstehen.

Unter Hinweis auf die oben dargelegten Ausführungen insbesondere im Zusammenhang mit der Judikatur des EuGH stellt der Beschwerdeführer den Antrag, das gegenständliche Verfahren auszusetzen und den EuGH mit Vorlagefragen zu befassen."

2.3. Die Wiener Stadtwahlbehörde als belangte Behörde hat auch in diesem Verfahren die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Begründend wird dazu im wesentlichen auf die im Verfahren zu B3113/96 erstattete Gegenschrift verwiesen und ergänzend angemerkt,

"daß sich aus der Tatsache, daß Art117 Abs2 vierter Satz B-VG in Art112 B-VG nicht genannt ist, allein schon deshalb nichts gewinnen läßt, als die dort enthaltene Aufzählung von Bestimmungen des Abschnittes C des IV. Hauptstückes des B-VG nicht als erschöpfend angesehen werden kann. So ist aus Sicht der Wiener Stadtwahlbehörde auch der sechste Satz des Art117 Abs2 B-VG ('Die Wahlordnung kann bestimmen, daß die Wähler ihr Wahlrecht in Wahlkreisen ausüben, von denen jeder ein geschlossenes Gebiet umfassen muß') - obwohl in Art112 B-VG nicht genannt - auf Grund der Art95 Abs3 erster Satz und 108 B-VG für Wien nicht anwendbar und dem Wiener Landegesetzgeber somit kein Wahlrecht dahingehend eingeräumt, eine Wahlkreiseinteilung vorzunehmen oder nicht. Die Bestimmungen des Abschnittes C des IV. Hauptstückes des B-VG gelten eben nur nach Maßgabe der Art108 bis 111 B-VG, sodaß sehr wohl auf die Sonderstellung Wiens als Land und Gemeinde und damit auch auf die Tatsache, daß die Wiener Gemeinderatswahlen gleichzeitig auch Landtagswahlen, also Wahlen zu einer gesetzgebenden Körperschaft sind, Bedacht zu nehmen ist, wenn es um die Frage der Anwendung von Bestimmungen der Art115 bis 119 B-VG auf die Bundeshauptstadt Wien geht.

...

(I)m Hinblick auf ein diesbezügliches Vorbringen des Beschwerdeführers (wird) bemerkt, daß der Vergleich, daß in München, also 'einer zu Wien von der Größe der Einwohnerzahl vergleichbaren Stadt', die Unionsbürger wahlberechtigt seien, in Wien aber nicht, und dies dem Gleichbehandlungsprinzip widerspreche, insoferne unzulässig ist, als das entscheidende Kriterium niemals die Einwohnerzahl oder die flächenmäßige Ausdehnung einer Gebietskörperschaft sein kann. Der wesentliche Unterschied zwischen München und Wien liegt vielmehr darin, daß der Wiener Gemeinderat auch Landtag ist. Ein Wahlrecht von Unionsbürgern zum bayerischen Landtag besteht aber ebenfalls nicht. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsprinzip kann daher nicht vorliegen, und es besteht auch auf Grund der Bestimmungen der Kommunalwahlrichtlinie aus ha. Sicht kein Erfordernis, ein Vorabentscheidungsverfahren in die Wege leiten zu müssen."

3. Der Verfassungsgerichtshof hat auch das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst, das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten-Völkerrechtsbüro und das Bundesministerium für Inneres ersucht, zu den in den beiden Beschwerden aufgeworfenen Fragen - gegebenenfalls auf Grundlage der im Zuge der Vorbereitung der einschlägigen landesgesetzlichen Bestimmungen von diesen Stellen erstatteten Gutachten und Äußerungen - Stellung zu nehmen.

3.1. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat sich u.a. wie folgt geäußert:

"Gemäß Art115 Abs2 B-VG hat die Landesgesetzgebung, soweit nicht ausdrücklich eine Zuständigkeit des Bundes festgesetzt ist, das Gemeinderecht 'nach den Grundsätzen der folgenden Artikel (des Abschnittes C des vierten Hauptstückes)' zu regeln. Letzteres ist insoweit selbstverständlich, als diese 'Grundsätze' bundesverfassungsgesetzlich festgelegt und daher, wie alle anderen Bundesverfassungsnormen auch, von der Landesgesetzgebung zu respektieren sind (Ringhofer, Bundesverfassung (1977), 345).

Art117 Abs2 B-VG legt jene Grundsätze fest, die der Landesgesetzgeber bei der Regelung des Gemeinderatswahlrechtes zu beachten hat. Gemäß Art117 Abs2 erster Satz B-VG finden die Wahlen zum Gemeinderat - vorbehaltlich des zweiten Halbsatzes dieser Bestimmung - 'auf Grund es gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller Staatsbürger statt, die in der Gemeinde den Hauptwohnsitz haben'. Nach Art117 Abs2 zweiter Satz B-VG dürfen die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes in der Wahlordnung nicht enger gezogen werden als in der Wahlordnung zum Landtag.

Die 'Bundesbürgerschaft'(heute: 'Staatsbürgerschaft') wird bereits bei Kelsen/Froehlich/Merkl (Die Bundesverfassung vom 1.10.1920 (1922), 94) als 'Bedingung' des aktiven Wahlrechtes gemäß Art26 B-VG bezeichnet; dies ergebe sich indirekt daraus, daß bestimmt werde, daß die Wahl des Nationalrates durch das Bundesvolk, das sei 'die Gesamtheit der Bundesbürger', zu wählen sei. Zu Art95 Abs2 B-VG 1920 führen Kelsen/Froehlich/Merkl (aaO, 195 f) aus, daß die Wahlordnung den Kreis der Wahlberechtigten nur weiter ziehen dürfe,

'soweit dies mit den Bestimmungen des (Art95) Abs1 im Einklang steht. So darf sie wohl die Altersgrenze unter das 20. Lebensjahr herabsetzen, sie darf aber z.B. nicht Ausländern das Wahlrecht zum Landtage geben, da nach Absatz 1 nur die im Lande wohnhaften Bundesbürger zum Landtag wahlberechtigt sein dürfen.'

Für die Wahlen zum Gemeinderat galt nach Art119 Abs2 und 3 B-VG 1920 - den Vorgängerbestimmungen des heutigen Art117 Abs2 B-VG - Entsprechendes. Demgemäß beschränken sich Kelsen/Froehlich/Merkl (aaO, 231) in ihren Erläuterungen zu diesen Bestimmungen auf die Bemerkung, daß durch sie widersprechenden Normen in den Gemeindewahlordnungen derogiert worden sei, und verweisen im übrigen auf die Erläuterungen zu Art95 B-VG 1920.

Der Begriff der 'Bedingungen' des Wahlrechtes wird von Kelsen/Froehlich/Merkl nicht zum ersten Mal verwendet, sondern stammt aus der vorrepublikanischen Rechtsordnung. So bestimmte bereits der - durch Art119 Abs2 B-VG 1920 derogierte - Art4 Abs2 StGG 1867, daß allen in einer Gemeinde wohnhaften und steuerpflichtigen Staatsbürgern das aktive und passive Wahlrecht zur Gemeindevertretung 'unter denselben Bedingungen' wie den Gemeindeangehörigen gebühren sollte. Auch in der österreichischen und deutschen Lehre des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wird der Begriff der 'Bedingung' des Wahlrechtes - zum Teil synonym mit den Begriffen 'Erfordernis' oder 'Voraussetzung' - verwendet (vgl. ausführlich Schick, Probleme der Wahlrechtsreform 1992, ÖJZ 1994, 289 (302)).

Ein (aktives oder passives) Wahlrecht von Ausländern zu einem allgemeinen Vertretungskörper hätte dem Wahlrechtsgrundsatz widersprochen, daß die allgemeinen Vertretungskörper nach dem B-VG 1920 von 'Bundesbürgern' ('Staatsbürgern') zu wählen sind. Ein Wahlrecht von Nichtstaatsbürgern (also auch: Unionsbürgern) zum Gemeinderat bedurfte daher unter dem B-VG 1920 einer entsprechenden bundesverfassungsgesetzlichen Ermächtigung.

Art117 Abs2 vierter Satz B-VG ist nun, verfassungsrechtlich betrachtet, keineswegs die erste Bestimmung, die ein Wahlrecht von Nichtstaatsbürgern zu einem allgemeinen Vertretungskörper vorsieht (zum folgenden vgl. ausführlich Schick, Ist der Ausschluß der Auslandsösterreicher vom Wahlrecht verfassungswidrig?, ÖGZ 3/1989, 2):

Durch §1 des Gesetzes vom 9. Jänner 1919, StGBl. Nr. 15, wurde §11 der Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung, StGBl. Nr. 115/1918, um eine Bestimmung ergänzt, nach der unter der Bedingung der Gegenseitigkeit auch jene reichsdeutschen Staatsangehörigen wahlberechtigt waren, die am Tage der Verlautbarung der Wahlausschreibung ihren ordentlichen Wohnsitz in einer Gemeinde Deutschösterreichs hatten. Diese Gegenseitigkeitsklausel gegenüber dem Deutschen Reich wurde jedoch im Gefolge des Staatsvertrages von St. Germain durch eine Novelle zur Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung (Gesetz über die Wahlordnung zur Nationalversammlung vom 20. Juli 1920, StGBl. Nr. 316) wieder beseitigt. Zur Wahl in die Nationalversammlung 1920, die nach der - mit Vollzugsanweisung der Staatsregierung vom 21. Juli 1920, StGBl. Nr. 351, neu verlautbarten - Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung durchgeführt wurde, waren reichsdeutsche Staatsangehörige daher nicht wahlberechtigt.

Mit der B-VG-Novelle 1929 wurde das Ziel, Reichsdeutschen unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit ein Wahlrecht zum Nationalrat zu ermöglichen, wieder aufgegriffen. Der zweite Satz des durch ArtI Z12 der B-VG-Novelle 1929 zur Gänze neu gefaßten Art26 Abs1 B-VG war in der Regierungsvorlage (RV 382 BlgNR III. GP) noch nicht enthalten und geht auf einen Abänderungsantrag des (großdeutschen) Abgeordneten Dr. Schönbauer zurück (vgl. das Protokoll der 1. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 29. November 1929, bei Berchtold, Die Verfassungsreform 1929. Dokumente und Materialien zur Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle von 1929 II (1979), 219 (223), insb. den in FN 261 wiedergegebenen Initiativantrag (238/A III. GP) betreffend die Verleihung des Wahlrechtes an in Österreich ansässige Männer und Frauen reichsdeutscher Staatsangehörigkeit). Die Ermächtigung des Art26 Abs1 zweiter Satz B-VG hat keine praktische Bedeutung erlangt und wurde durch die B-VG-Novelle 1968, BGBl. Nr. 412, - ohne Angabe von Gründen - aufgehoben (vgl. AB 1002 BlgNR XI. GP).

Wie die folgende Textgegenüberstellung zeigt, sind gewisse Ähnlichkeiten zwischen Art26 Abs1 B-VG (idF der B-VG-Novelle 1929) und Art117 Abs2 vierter Satz B-VG im Jahr 1994 feststellbar.

'Artikel 26. (1) Der Nationalrat

wird vom Bundesvolk auf Grund

des gleichen, unmittelbaren,

geheimen und persönlichen

Wahlrechtes der Männer und Frauen, die das einundzwanzigste

Lebensjahr vollendet haben, nach

den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Ob und

unter welchen Voraussetzungen

auf Grund staatsvertraglich

gewährleisteter Gegenseitigkeit

auch Personen, die nicht die Bundesbürgerschaft besitzen, das Wahlrecht zusteht, wird in dem Bundesgesetz über die Wahlordnung geregelt. Für die Wahl besteht Wahlpflicht in den Bundesländern, in denen dies

durch Landesgesetz angeordnet

wird ...'

'Artikel 117. (1) Die Wahlen in

den Gemeinderat finden auf Grund

des gleichen, unmittelbaren,

geheimen und persönlichen

Verhältniswahlrechts aller

Staatsbürger statt, die in der Gemeinde den Hauptwohnsitz haben

... Unter den von den Ländern

festzulegenden Bedingungen steht

das aktive und passive Wahlrecht

auch den Staatsbürgern anderer

Mitgliedstaaten der Europäischen

Union zu. Die Bestimmungen über

die Wahlpflicht bei den Wahlen

zum Landtag (Art95 Abs1 letzter Satz) finden für die Wahlen in den Gemeinderat

sinngemäß Anwendung ...'

Beide Bestimmungen regeln denselben Gegenstand (Einräumung des Wahlrechtes an Nichtstaatsbürger) und weisen darüber hinaus eine auffallende sprachliche Ähnlichkeit in der Wortwahl auf. Die ungewöhnliche Formulierung, bestimmten Personen 'stehe' das Wahlrecht 'zu', wird in den anderen Wahlrechtsbestimmungen (der geltenden Fassung) des B-VG nicht verwendet. Auch die systematische Einordnung der Bestimmung unmittelbar vor dem die Wahlpflicht regelnden fünften Satz des Art117 Abs2 B-VG könnte als Indiz dafür angesehen werden, daß Art26 Abs1 B-VG (idF der B-VG-Novelle 1929) bei ihrer Formulierung als Vorbild gedient hat.

Während jedoch Art26 Abs1 B-VG in der Fassung der B-VG-Novelle 1929 zwischen der Entscheidung, ob Nichtstaatsbürgern ein Wahlrecht eingeräumt werden soll, und dessen Voraussetzungen differenziert, spricht Art117 B-VG lediglich von festzulegenden 'Bedingungen'. Im Gegensatz zu Art26 Abs1 B-VG in der Fassung der B-VG-Novelle 1929 enthält Art117 Abs2 B-VG also keine explizite Aussage darüber, wer von Verfassungs wegen ermächtigt sein soll, zu entscheiden, ob Nichtstaatsbürgern ein Wahlrecht zustehen soll. Warum dies so ist, kann allerdings nicht mit Sicherheit gesagt werden.

...

Bei Auslegung des Art117 Abs2 vierter Satz B-VG kommen im wesentlichen zwei Auslegungsvarianten in Betracht:

-

Unter der in Art117 Abs2 vierter Satz B-VG erwähnten Festlegung von 'Bedingungen' ist nur die Regelung der Voraussetzungen des Wahlrechtes der Unionsbürger zum Gemeinderat und nicht auch die Entscheidung, ob Unionsbürgern ein solches Wahlrecht überhaupt eingeräumt werden soll, zu verstehen. Für diese Aulegungsvariante sprechen der Wortlaut des Art117 Abs2 vierter Satz B-VG ('(das Wahlrecht) steht (...) zu'), der systematische Zusammenhang des Art117 Abs2 B-VG mit den das Wahlrecht regelnden Art26 und 95 B-VG (im Charakter als verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, die gemäß Art133 Z1 in die ausschließliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fallen) und die oben ... dargelegten Gesichtspunkte der (historisch-)systemtischen Interpretation (Bedeutung des Begriffes 'Bedingungen des Wahlrechtes'; die Vorbildbestimmung des Art26 Abs1 B-VG in der Fassung der B-VG-Novelle 1929).

-

Unter der in Art117 Abs2 vierter Satz B-VG erwähnten Festlegung von 'Bedingungen' ist die Entscheidung, ob Unionsbürgern ein Wah

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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