TE Vwgh Erkenntnis 2017/12/14 Ra 2015/07/0168

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Veröffentlicht am 14.12.2017
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
83 Naturschutz Umweltschutz;

Norm

AWG 2002 §74 Abs2;
AWG 2002 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision des Ing. H A in G, vertreten durch Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in 2070 Retz, Znaimer Straße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 6. Oktober 2015, LVwG-AB-14-0075, betreffend Sicherungsmaßnahmen nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Landeshauptmann von Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendung in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich (LH) vom 4. November 2013 wurde der Revisionswerber gemäß § 73 Abs. 4 und § 74 Abs. 1 und 2 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) verpflichtet, näher genannte Sicherungsmaßnahmen für die Deponie auf den Grundstücken Nr. 1138, 1142, 1143, 1146, 1179 und 1669, alle KG B., innerhalb angegebener Fristen durchzuführen.

2 In der dagegen erhobenen, als Beschwerde zu qualifizierenden Berufung führte der Revisionswerber - unter anderem - aus, der Behandlungs- bzw. Sicherungsauftrag sei ihm als Liegenschaftseigentümer erteilt worden. Es sei nicht erkennbar und nicht begründet, warum die Behörde einen Ablagerungszeitraum zwischen 1992 und 1997 annehme. Tatsächlich seien die Ablagerungen bereits vor dem Jahr 1990 durchgeführt worden. Ablagerungen nach oder ab 1990 seien nicht erfolgt, weil ab diesem Zeitpunkt seitens des Betreibers der Recyclinganlage das dadurch gewonnene Material vollständig verwertet worden sei. Das Ermittlungsverfahren sei auch aus diesem Grund grob mangelhaft geblieben, zumal die von Amts wegen durchzuführenden Erhebungen vor allem beim Betreiber der Recyclinganlage den Nachweis dafür ergeben hätten, dass ab 1990 Ablagerungen nicht mehr erfolgt seien.

3 Ferner lägen die Voraussetzungen für die Haftung des nunmehrigen Liegenschaftseigentümers (subsidiäre Haftung) für Behandlungsaufträge im Sinne § 74 AWG 2002 nicht vor. Zur Frage, ob der "derzeitige Liegenschaftseigentümer" der Lagerung oder Ablagerung entweder zugestimmt oder diese geduldet und ihm zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen habe, seien in erster Instanz nur unzureichende Feststellungen getroffen worden. Zu den Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid, der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt der Ablagerungen in der Gesellschaft, die diese Ablagerungen verursacht habe, tätig gewesen, gebe es überhaupt keinen Nachweis. Es fehle aber auch eine korrekte Feststellung des Ablagerungszeitraumes. Ebenso sei der Verweis im Bescheid des LH verfehlt, der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbes in Kenntnis des Umstandes gewesen, dass auf diesen Grundstücken eine Abfallbehandlung stattgefunden habe und eine Deponierung solcher Abfälle durchgeführt worden sei. Es handle sich dabei um reine Mutmaßungen. Der LH hätte durch Einsicht in das Grundbuch erkennen können, dass der Revisionswerber einen Teil der gegenständlichen Grundstücke durch einen Schenkungsvertrag mit seiner Mutter bzw. einen Übergabevertrag mit seinen Eltern, den wesentlichen Teil der Grundstücke jedoch im Erbwege auf Grund eines Einantwortungsbeschlusses des Bezirksgerichtes H vom 26. April 2012 erhalten habe. Er habe lediglich eine bedingte Erbserklärung abgegeben, weshalb ihn keine "unbeschränkte subsidiäre Haftung als nunmehriger Liegenschaftseigentümer" treffe. Im Übrigen seien keine Feststellungen getroffen worden, wer im Zeitpunkt der Durchführung der Ablagerungen Liegenschaftseigentümer gewesen sei und ob dieser die Ablagerungen geduldet, genehmigt oder sonst zugelassen habe. Schließlich werde auch nicht auf den Umstand Bedacht genommen, dass sich ein wesentlicher Teil der Ablagerungen auf dem Grundstück Nr. 1178/1, das nicht im Eigentum des Revisionswerbers, sondern im Eigentum der Stadtgemeinde H. stehe, befinde.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) vom 6. Oktober 2015 wurde die Beschwerde - unter Festsetzung neuer Fristen für die Durchführung der Maßnahmen - abgewiesen.

5 In seinen Entscheidungsgründen führte das LVwG nach Wiedergabe des Bescheides des LH und der Beschwerde aus, mit Schreiben vom 7. Februar 2014 sei dem Revisionswerber eine Aktenkopie des Verwaltungsaktes des LH sowie des LVwG übermittelt worden. Eine in der Beschwerde angeführte (angekündigte) Stellungnahme, welche binnen acht Wochen nach Übermittlung einer Aktenkopie nachgereicht werden sollte, sei nie beim LVwG eingelangt.

6 In weiterer Folge stellte das LVwG fest, die verfahrensgegenständlichen Grundstücke seien in den Jahren von 1981 bis 1990 Teil einer Mineralgewinnungsstätte gewesen (es habe eine Bewilligung für die Sand- und Schottergewinnung gegeben). In den Jahren 1992 bis 1997 sei durch die I m.b.H & Co KG Feinmaterial aus dem Recycling von Baurestmassen auf diesen Grundstücken abgelagert worden. Dies sei dem Revisionswerber und dessen Eltern, "die vormals ebenso" Eigentümer der betroffenen Liegenschaften gewesen seien, bekannt gewesen. Eine mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft H vom 10. April 1995 auf den Grundstücken Nr. 1179, 1669 und 1680 erteilte Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer Wiederaufbereitungsanlage für Bauschutt und Asphalt sei im Jahre 2000 erloschen, weil sie nicht auf den genehmigten Grundstücken errichtet worden sei.

7 Das Grundstück Nr. 1178/1 im Eigentum der Stadtgemeinde H sei nicht Teil des Bescheides des LH vom 4. November 2013.

8 Der Revisionswerber als Liegenschaftseigentümer - so das LVwG weiter - sei in Kenntnis hinsichtlich der Qualität als auch der Quantität der abgelagerten Materialien gewesen. Trotz der Kenntnis über Qualität und Quantität der abgelagerten Materialien seien vom Revisionswerber keine Abwehrmaßnahmen gesetzt und seien diese Ablagerungen auch geduldet worden.

9 Die Verursacherin der Schüttungen, die I Gesellschaft m.b.H & Co KG, sei seit dem Jahr 1999 nicht mehr operativ tätig und 2005 liquidiert worden. Die Deponie sei faktisch stillgelegt und abgeschlossen. Festzustellen sei auch, dass der Revisionswerber die gegenständlichen Liegenschaften nach dem 1. Juli 1990 erworben habe.

10 Beweiswürdigend hielt das LVwG fest, bereits mit Bescheid vom 3. September 2010 sei rechtskräftig festgestellt worden, dass auf den (im Spruch des Bescheides des LH genannten) Grundstücken eine Deponie vorliege und in den Jahren 1992 bis 1997 auf diesen Grundstücken Feinmaterialien aus der Recyclingtätigkeit abgelagert worden seien. Weiters sei die im Bescheid vom 3. September 2010 getroffene Feststellung, dass die Ablagerungen "sämtlichen Grundstückseigentümern, also auch dem (Revisionswerber)", bekannt gewesen seien, diese Ablagerungen geduldet worden und jegliche Abwehrmaßnahmen dagegen unterblieben seien, unwidersprochen geblieben.

11 Im Rahmen der rechtlichen Erwägungen führte das LVwG im Wesentlichen aus, mit dem genannten Bescheid vom 3. September 2010 seien der Revisionswerber, sein Vater und seine Mutter zu ungeteilter Hand verpflichtet worden, auf den gegenständlichen Grundstücken inklusive dem Grundstück Nr. 1178/1 eine Gefährdungsabschätzung durchzuführen. Diese Gefährdungsabschätzung sei vom Revisionswerber auch durchgeführt worden. Aufgrund dieser Gefährdungsabschätzung vom 30. Juni 2012 sei der Revisionswerber als Grundstückseigentümer zu den gegenständlichen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet worden.

12 Im gegenständlichen Fall sei eine ehemalige Schottergewinnungsanlage für die Ablagerung von Feinmaterial aus Recycling von Baurestmassen verwendet worden. Da die Verursacherin der Ablagerungen, die I Ges.m.b.H. und Co. KG, im Jahr 2005 liquidiert worden sei, könne sie zur Durchführung der Sicherungsmaßnahmen nicht mehr verpflichtet werden.

13 Nach Ausführungen zur subsidiären Liegenschaftseigentümerhaftung nach der Bestimmung des § 74 AWG 2002 hielt das LVwG fest, vom LH sei zutreffend festgestellt worden, dass die Verursacherin der Ablagerungen, die I Ges.m.b.H. & Co. KG, seit dem Jahr 1999 nicht mehr operativ tätig und im Jahr 2005 liquidiert worden sei. Ebenso sei vom LH festgestellt worden, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Ablagerungen in der Gesellschaft, die diese Ablagerungen verursacht habe, "Geschäftsführer" gewesen sei. Dem Revisionswerber seien die Ablagerungen also bekannt gewesen. Auch "zum Zeitpunkt des Erwerbs der Grundstücke (im Erbwege aufgrund eines Einantwortungsbeschlusses des Bezirksgerichtes H vom 26.04.2012) (...)" sei ihm bekannt gewesen, dass auf diesen Grundstücken eine Behandlung von Abfällen stattgefunden habe und auch Abfälle deponiert (endgelagert) worden seien. Nachdem mit den Ablagerungen von Feinmaterialien begonnen worden sei, "wurden von den Liegenschaftseigentümern, also auch vom (Revisionswerber), keinerlei Abwehrmaßnahmen dagegen unternommen."

14 Da die Ablagerungen im Zeitraum von 1992 bis 1997 erfolgt seien, komme die Anwendung des vom Revisionswerber angesprochenen, Lagerungen oder Ablagerungen vor dem 1. Juli 1990 zum Inhalt habenden § 74 Abs. 3 AWG 2002 nicht in Betracht.

15 Der Revisionswerber habe vorgebracht, es seien ab dem Jahr 1990 keine Ablagerungen mehr erfolgt. Er habe aber bezüglich der Feststellungen, Ablagerungen seien erst ab 1992 getätigt worden, keine gegenteiligen Nachweise erbringen können. Aus den Feststellungen des Bescheides vom 3. September 2010 - so das LVwG -

gehe hervor, dass vom Vater des Revisionswerbers, "dem ehemaligen Liegenschaftseigentümer", vorgebracht worden sei, die Ablagerungen seien ab dem Jahr 1992 entstanden.

16 Aus dem Firmenbuchauszug sei ersichtlich, dass der Revisionswerber Kommanditist der I Ges.m.b.H. & Co. KG gewesen sei. Mit der Übernahme dieser Position habe er der Lagerung oder Ablagerung entweder zugestimmt oder diese zumindest geduldet und er habe ihm zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen. "Mit der Übernahme seiner Position als Kommanditist der Gesellschaft hat er den bereits vorgenommenen oder den durchzuführenden Ablagerungen zugestimmt".

17 Abschließend hielt das LVwG fest, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 VwGVG Abstand genommen werden können, weil es im vorliegenden Fall nicht um Fragen der Beweiswürdigung oder strittige Tatsachenfeststellungen gehe, sondern Verfahrensgegenstand nur die Lösung von Rechtsfragen sei, weshalb Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC dem Unterbleiben der mündlichen Verhandlung nicht entgegenstehe.

18 Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision wurde mit dem allgemeinen Hinweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründet.

19 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften "und wegen sonstiger Rechtswidrigkeit".

20 Der LH beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision kostenpflichtig nicht Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

21 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das LVwG habe es in Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterlassen, die wesentlichen Umstände bezüglich des Zeitraumes und der Zeit der Ablagerungen zu prüfen und zu erheben, wer tatsächlich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses des LVwG Eigentümer der von den Sicherungsmaßnahmen betroffenen Grundstücke gewesen sei. Ferner finde sich im Spruch des vom LVwG herangezogenen Bescheides des LH vom 3. September 2010 keine Feststellung dazu, in welchem Zeitraum die Ablagerungen durchgeführt worden seien. Das Beschwerdevorbringen des Revisionswerbers, wonach die Ablagerungen bereits vor dem Jahr 1990 durchgeführt worden seien, sei im angefochtenen Erkenntnis nicht weiter beachtet worden. Soweit das LVwG ausführe, der Revisionswerber sei Kommanditist der I GesmbH & Co KG gewesen, beziehe es sich offensichtlich auf einen historischen Firmenbuchauszug. Aus diesem - so der Revisionswerber - sei ersichtlich, dass er erst ab 18. Mai 1995 die Stellung eines Kommanditisten erlangt habe. Ein Kommanditist sei nicht zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Die Annahme im angefochtenen Erkenntnis, wonach der Revisionswerber mit Übernahme dieser Position als Kommanditist der Gesellschaft den bereits vorgenommenen und den durchzuführenden Ablagerungen zugestimmt habe, erscheine als willkürlich und verfehlt.

22 Die Revision erweist sich auf Grund des genannten Vorbringens, insbesondere der geltend gemachten Feststellungsmängel als zulässig. Sie ist aus nachstehenden Gründen auch berechtigt.

23 Die hier maßgeblichen Bestimmungen des AWG 2002, BGBl. I Nr. 102/2002 in der Fassung BGBl. I Nr. 193/2013, lauten:

Behandlungsauftrag

§ 73. (...)

(4) Sind nach rechtlicher oder faktischer Stilllegung oder Schließung bei einer Deponie gemäß § 2 Abs. 7 Z 4 Maßnahmen, wie Untersuchungen, regelmäßige Beprobungen, die Vorlage eines Sicherungs- oder Sanierungskonzeptes, Sicherungs- oder Sanierungsmaßnahmen, im öffentlichen Interesse (§ 1 Abs. 3) erforderlich, so hat die Behörde die erforderlichen Maßnahmen demjenigen, der die Deponie betrieben hat, innerhalb einer angemessenen Frist mit Bescheid aufzutragen.

(...)

Subsidiäre Haftung für Behandlungsaufträge § 74. (1) Ist der gemäß § 73 Verpflichtete

nicht feststellbar, ist er zur Erfüllung des Auftrags rechtlich nicht imstande oder kann er aus sonstigen Gründen nicht beauftragt werden, so ist der Auftrag nach Maßgabe der folgenden Absätze dem Eigentümer der Liegenschaft, auf der sich die Abfälle befinden, zu erteilen. Ersatzansprüche des Liegenschaftseigentümers an den gemäß § 73 Verpflichteten bleiben unberührt.

(2) Eine Haftung des Liegenschaftseigentümers besteht, wenn er der Lagerung oder Ablagerung entweder zugestimmt oder diese geduldet und ihm zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen hat. Die Rechtsnachfolger des Liegenschaftseigentümers haften, wenn sie von der Lagerung oder Ablagerung Kenntnis hatten oder bei gehöriger Aufmerksamkeit Kenntnis haben mussten. Die Haftung des Liegenschaftseigentümers und der Rechtsnachfolger besteht nicht bei gesetzlichen Duldungspflichten.

(3) Erfolgte die Lagerung oder Ablagerung von Abfällen vor dem 1. Juli 1990, so ist Abs. 2 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Liegenschaftseigentümer nur dann zur umweltgerechten Behandlung herangezogen werden darf, wenn er die Ablagerungen auf eigenem Boden ausdrücklich gestattet und daraus in Form einer Vergütung für die Inanspruchnahme seines Eigentums einen Vorteil gezogen hat. Seine Leistungspflicht ist jedoch auf jenen Wert des Vorteiles begrenzt, der die übliche Vergütung für die Inanspruchnahme seines Eigentums überstieg. Lässt sich die übliche Vergütung nicht vergleichsweise feststellen, ist sie nach dem Wert des verursachten Nutzungsentgangs und der verursachten sonstigen Nachteile - ausgenommen die Leistungspflicht nach Abs. 1 - zu bemessen."

24 In den Revisionsgründen wird vorgebracht, in dem vom LVwG zitierten Bescheid vom 3. September 2010 sei nicht rechtskräftig festgestellt worden, in welchem Zeitraum die Ablagerungen erfolgt seien. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei ergänzungsbedürftig, weil überhaupt keine Erhebungen zur Frage durchgeführt worden seien, ob der Revisionswerber von den Ablagerungen Kenntnis gehabt habe, Kenntnis hätte haben müssen oder zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen habe. Der Revisionswerber habe entsprechend der damaligen Rechtslage gegen den Bescheid des LH vom 4. November 2013 eine Berufung erhoben. Ein Antrag auf Durchführung einer Berufungsverhandlung habe nicht gestellt werden können. Es könne dem Revisionswerber nicht angelastet werden, dass er keine Verhandlung beim LVwG beantragt habe. Das LVwG hätte vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses den Revisionswerber darauf hinweisen müssen, dass es diverse Behauptungen des Revisionswerbers in der Berufung (Beschwerde) als nicht nachgewiesen erachte, und es hätte von Amts wegen eine Beschwerdeverhandlung durchführen müssen. Der Revisionswerber sei von den Ansichten des LVwG in sachlicher und rechtlicher Hinsicht überrascht worden. Dies betreffe die Ausführungen im Erkenntnis betreffend den Zeitraum der Ablagerungen als auch die Annahme, der Revisionswerber hätte seinerzeit als Kommanditist eine solche Stellung in der I GesmbH & Co KG innegehabt, die ihn dazu befähigt hätte, von Geschäftsführungsmaßnahmen Kenntnis zu haben und solche auch zu kontrollieren. Überdies sei auf den Einwand des Revisionswerbers, wonach die Deponie auch auf dem im Eigentum der Stadtgemeinde H stehenden Grundstück Nr. 1178/1 geführt worden sei, nicht Bedacht genommen worden.

25 Weiters wäre das LVwG infolge der umfassenden Anfechtung des Bescheides des LH zur Feststellung verpflichtet gewesen, ob der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses überhaupt Eigentümer der im Bescheid vom 4. November 2013 angeführten Grundstücke sei. Aus dem offenen Grundbuch ergebe sich jedoch, dass nicht der Revisionswerber, sondern die A GmbH auf Grund eines Kaufvertrages vom 17. Juli 2014 zivilrechtlicher Eigentümer der Grundstücke sei. Diese rechtlich relevante Tatsache sei jedenfalls zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am 6. Oktober 2015 vorgelegen, sodass der Revisionswerber nicht mehr Liegenschaftseigentümer sei und ihn damit eine subsidiäre Haftung für Behandlungsaufträge nicht treffen könne.

26 Zunächst ist festzuhalten, dass sich der mit dem angefochtenen Erkenntnis des LVwG in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides erteilte Auftrag zur Durchführung von Sicherungsmaßnahmen nicht auch auf das Grundstück Nr. 1178/1 im Eigentum der Stadtgemeinde H bezieht. Dass die Sicherungsmaßnahmen auf den spruchgegenständlichen Grundstücken nicht durchgeführt werden könnten, ohne das Grundstück Nr. 1178/1 in Anspruch zu nehmen, wird in der Revision nicht behauptet. Das dieses Grundstück betreffende Vorbringen geht daher ins Leere.

27 Hingegen erweist sich der Vorwurf nicht ausreichender Feststellungen als zutreffend. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der gegenständliche Auftrag dem Revisionswerber als Liegenschaftseigentümer der in Rede stehenden Grundstücke erteilt. Nach den oben wiedergegebenen begründenden Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis scheint das LVwG auf eine Haftung des Revisionswerbers als dem aktuellen Liegenschaftseigentümer im Sinn des § 74 Abs. 2 erster Satz AWG 2002, gleichzeitig aber auch auf eine Haftung als Rechtsnachfolger des Liegenschaftseigentümers im Sinn des § 74 Abs. 2 zweiter Satz AWG 2002 abzustellen. Die der Beurteilung zugrunde liegenden Feststellungen erweisen sich jedoch als widersprüchlich.

28 So führte das LVwG einerseits aus, dass der Revisionswerber die Grundstücke im Erbweg auf Grund eines Einantwortungsbeschlusses des Bezirksgerichtes H vom 26. April 2012 erworben habe und ihm zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, dass auf diesen Grundstücken eine Behandlung von Abfällen stattgefunden habe und Abfälle deponiert worden seien. Andererseits wurde argumentiert, der Revisionswerber habe, nachdem mit den Ablagerungen von Feinmaterialien begonnen worden sei (nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis somit ab dem Jahr 1992) als Liegenschaftseigentümer (offenbar neben anderen Eigentümern) keinerlei Abwehrmaßnahmen dagegen unternommen. Letztgenannter Vorwurf wäre aber im Sinne des § 74 Abs. 2 erster Satz AWG 2002 nur relevant, wenn der Revisionswerber bereits im Zeitraum der Ablagerungen (das LVwG ging von einem Ablagerungszeitraum von 1992 bis 1997 aus) Eigentümer der in Rede stehenden Grundstücke gewesen wäre. Demgegenüber heißt es wiederum an einer anderen Stelle des angefochtenen Erkenntnisses, dass der Vater des Revisionswerbers der ehemalige Liegenschaftseigentümer gewesen sei.

29 Es fehlen daher im angefochtenen Erkenntnis konkrete, näher begründete und nachvollziehbare Feststellungen, ob der Revisionswerber im Zeitpunkt der Ablagerungen Eigentümer oder Miteigentümer der in Rede stehenden Grundstücke war bzw. wann der Revisionswerber welche der betroffenen Grundstücke als Eigentümer erworben hat. Hat er sämtliche spruchgegenständliche Grundstücke erst auf Grund des Einantwortungsbeschlusses vom 26. April 2012 erworben, wovon das LVwG - wie erwähnt - an einer Stelle des angefochtenen Erkenntnisses auszugehen scheint, so käme eine Haftung des Revisionswerbers als Liegenschaftseigentümer im Zeitpunkt der Ablagerungen (nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis von 1992 bis 1997) im Sinn des § 74 Abs. 2 erster Satz AWG 2002 nicht in Betracht. In diesem Fall ginge aber auch der Vorwurf, er habe ihm zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen, ins Leere. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass der Revisionswerber nach seinen Beschwerdeausführungen nur den "wesentlichen Teil" der Grundstücke im Erbweg erworben habe. Darauf ging das LVwG jedoch nicht konkret ein.

30 Ferner lässt das angefochtene Erkenntnis offen, aus welchen Erwägungen aus der seinerzeitigen Funktion des Revisionswerbers als Kommanditist der I GesmbH & Co KG seine allfällige Haftung als Liegenschaftseigentümer im Sinn des § 74 Abs. 2 erster Satz AWG 2002 abzuleiten sein sollte. Abgesehen davon fehlen auch in diesem Zusammenhang konkrete Feststellungen zum Inhalt der (allenfalls im Gesellschaftsvertrag eingeräumten) Befugnisse als Kommanditist der Gesellschaft und zum Zeitraum der Ausübung dieser Funktion durch den Revisionswerber.

31 Auch die an anderer Stelle des Erkenntnisses erfolgte, jedoch ebenso wenig näher begründete Feststellung, der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt der Ablagerungen in der genannten Gesellschaft "Geschäftsführer" gewesen, machte ihn nicht zum Liegenschaftseigentümer im Zeitpunkt der Ablagerungen.

32 Eine Haftung des Rechtsnachfolgers des Liegenschaftseigentümers kommt nach § 74 Abs. 2 zweiter Satz AWG 2002 dann in Betracht, wenn er von der Lagerung oder Ablagerung Kenntnis hatte oder bei gehöriger Aufmerksamkeit Kenntnis haben musste.

33 Hinsichtlich des Zeitpunktes des Erwerbs jedes einzelnen der in Rede stehenden Grundstücke besteht der bereits beschriebene Feststellungsmangel. Davon abgesehen durfte das LVwG jedoch bei der Beurteilung, ob der Revisionswerber im Zeitpunkt (in den Zeitpunkten) des Erwerbs des Eigentums an den Grundstücken von der Lagerung oder Ablagerung der Abfälle Kenntnis hatte oder bei gehöriger Aufmerksamkeit Kenntnis haben musste, grundsätzlich sowohl seine - jedoch näher auszuführenden - früheren Tätigkeiten in der I m.b.H. & Co KG als auch den Umstand berücksichtigen, dass der Revisionswerber - in der Revision nicht bestritten - gemäß dem Bescheid vom 3. September 2010 im Jahr 2012 eine Gefährdungsabschätzung unter anderem auf den bescheidgegenständlichen Grundstücken durchgeführt habe.

34 In der Revision wird jedoch vorgebracht, dass die in Rede stehenden Grundstücke im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses gar nicht im Eigentum des Revisionswerbers, sondern im Eigentum der A GmbH gestanden seien. Trifft dieses Vorbringen zu, liegen die Voraussetzungen für die Haftung nach § 74 Abs. 2 AWG 2002 nicht vor, weil ein historischer, nicht mehr aktueller Liegenschaftseigentümer auf der Grundlage des § 74 AWG 2002 nicht als Verpflichteter herangezogen werden darf (vgl. VwGH 20.2.2014, 2013/07/0164; 29.1.2015, Ro 2014/07/0105; 30.5.2017, Ra 2017/16/0071).

35 Dem genannten, an Hand des angefochtenen Erkenntnisses nicht überprüfbaren (Anmerkung: im Übrigen an Hand eines aktuellen Grundbuchsauszuges allerdings verifizierbaren) Vorbringen kann auch nicht ein Verstoß gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu beachtende Neuerungsverbot entgegengehalten werden. Dies selbst dann nicht, wenn man davon ausginge, dass mit dem Schreiben des LVwG vom 7. Februar 2014, mit dem Aktenteile übermittelt worden waren, dem Revisionswerber (wenngleich im genannten Schreiben nicht ausdrücklich erwähnt) im Ergebnis auch die in seiner Beschwerde geforderte Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden war, wovon er keinen Gebrauch gemacht hatte. Dem LVwG ist nämlich anzulasten, dass das angefochtene Erkenntnis erst am 8. Oktober 2015, somit mehr als eineinhalb Jahre nach dem genannten Schreiben und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassen wurde und dass dabei der zwischenzeitig, nach dem Revisionsvorbringen erst auf Grund des Kaufvertrages vom 17. Juli 2014 erfolgte Wechsel des Eigentums an den verfahrensgegenständlichen Grundstücken keine Berücksichtigung fand.

36 Der Revisionswerber hatte zwar weder in seiner Berufung (Beschwerde) noch zu einem späteren Zeitpunkt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem LVwG beantragt. Nach der zu § 24 VwGVG ergangenen hg. Judikatur (vgl. etwa VwGH 26.4.2017, Ra 2017/05/0015, mwN) hat das Verwaltungsgericht (selbst bei anwaltlich Vertretenen) jedoch auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteienantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes steht. Dies ist nach der Rechtsprechung etwa dann anzunehmen, wenn die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde beim Verwaltungsgericht substantiiert bekämpft oder ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird.

37 Die Begründung des LVwG für das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung, es sei im vorliegenden Fall nicht um Fragen der Beweiswürdigung oder um strittige Tatsachenfeststellungen gegangen, trifft nicht zu. So hatte der Revisionswerber in seiner Beschwerde nicht nur die im erstinstanzlichen Bescheid getroffene und auch vom LVwG übernommene Feststellung hinsichtlich des Ablagerungszeitraumes zwischen 1992 und 1997 als unrichtig bekämpft, sondern auch mangelnde Feststellungen über die Identität des Liegenschaftseigentümers im Zeitpunkt der Durchführung der Ablagerungen geltend gemacht sowie seine mangelnde Kenntnis über die erfolgte Deponierung von Abfällen im Zeitpunkt des Grundstückserwerbes behauptet. Schon deshalb hätte das LVwG eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Im Zuge dieser mündlichen Verhandlung wäre auch die Frage zu erörtern gewesen, wer aktuell Eigentümer der verfahrensgegenständlichen Grundstücke ist.

38 Ergänzend ist festzuhalten, dass der Umstand, dass in der Begründung des Bescheides des LH vom 4. November 2013 der Zeitraum der Ablagerung der in Rede stehenden Feinmaterialien mit 1992 bis 1997 festgestellt wurde, zwar im gegenständlichen Verfahren im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden durfte. Dies hatte jedoch nicht zur Folge, dass es dem Revisionswerber verwehrt gewesen wäre, mit einem konkreten Vorbringen diese Feststellung grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Sollten mit dem Beschwerdevorbringen, es wären diesbezüglich von Amts wegen Erhebungen "beim Betreiber der Recyclinganlage" durchzuführen gewesen, jedoch Erhebungen bei der I Gesellschaft m.b.H. & Co KG begehrt worden sein, so ginge dieser Beweisantrag freilich wegen der in der Zwischenzeit erfolgten Liquidation dieser Gesellschaft ins Leere.

39 Das angefochtene Erkenntnis war aus den genannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

40 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 14. Dezember 2017

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2015070168.L00

Im RIS seit

26.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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