TE Lvwg Erkenntnis 2017/12/18 VGW-151/032/15442/2017

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Veröffentlicht am 18.12.2017
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Entscheidungsdatum

18.12.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
19/05 Menschenrechte

Norm

NAG §2 Abs1 Z9
NAG §46 Abs1 Z2 litb
EMRK Art. 8

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des A. S., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. September 2017, Zl. MA35-9/3168024-01, mit welchem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus Familiengemeinschaft gemäß § 46/1/2" gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 iVm § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG, abgewiesen wurde,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. b iVm § 2 Abs. 1 Z 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, wird die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die im Spruch des angefochtenen Bescheids zitierte Rechtsgrundlage "§ 46 Abs. 1 Z 2 lit. b iVm § 2 Abs. 1 Z 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017 " zu lauten hat.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Mit bei der belangten Behörde eingebrachten Antrag vom 24. April 2017 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Rot-Weiß-Rot – Karte plus (Familiengemeinschaft)".

2.       Die belangte Behörde wies diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. September 2017 ab, weil der Beschwerdeführer mittlerweile volljährig geworden sei und daher nicht mehr als Familienangehöriger gelte.

3.       Gegen diesen Bescheid richtete sich die – rechtzeitig erhobene – Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die Erteilung des Aufenthaltstitels, in eventu die Behebung des Bescheids und Zurückverweisung zur ergänzenden Beweiserhebung, begehrte. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2017 ergänzte der Beschwerdeführer sein Beschwerdevorbringen. Weitere Eingaben langten bei der belangten Behörde am 24. Oktober 2017 und am 30. Oktober 2017 ein.

4.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der am … 1999 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Kosovo und vollendete am … 2017 das 18. Lebensjahr.

Der Beschwerdeführer lebt derzeit im Kosovo. Mit seinem am 24. April 2017 gestellten verfahrensgegenständlichen Antrag begehrte er die Familienzusammenführung mit seinem seit mittlerweile elf Jahren in Österreich niedergelassenen Vater. Dieser besitzt derzeit einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot – Karte plus", ausgestellt am 3. August 2015.

Der Beschwerdeführer kann Deutschkenntnisse auf A1-Niveau vorweisen.

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Veraltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens und der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist aus der Aktenlage und dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers unzweifelhaft feststellbar und nicht weiter strittig.

Das Geburtsdatum und die Volljährigkeit wurden vom Beschwerdeführer außer Streit gestellt und sind durch die im Akt einliegende Reisepasskopie sowie durch die Geburtsurkunde belegt.

Die Feststellungen zur Dauer und der Art des Aufenthalts des Vaters des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer Abfrage im Zentralen Melderegister, einer Abfrage von Daten des Sozialversicherungsträgers sowie der Aufenthaltskarte des Vaters des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zum Nachweis der Deutschkenntnisse gründen sich auf das bei Antragstellung vorgelegte ÖSD-Zertifikat A1 des Prüfungszentrums Österreichisches Sprachinstitut Pristina in Pristina, Kosovo vom 7. März 2017.

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 145/2017, lauten auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1. bis 8. […]

         9. Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;

[…]

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

1. der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß § 41, einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus' gemäß § 41a Abs. 1, 4 oder 7a, eine Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 1, eine 'Niederlassungsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit', sofern dieser Niederlassungsbewilligung eine Tätigkeit gemäß § 1 Abs. 2 lit. i AuslBG zu Grunde liegt, oder eine 'Niederlassungsbewilligung – Forscher' gemäß § 43c innehat,

         1a. der Zusammenführende als nunmehriger Inhaber eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt – EU' ursprünglich einen Aufenthaltstitel nach Z 1 innehatte,

         2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

         a) einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' innehat,

         b) einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte plus', ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1, 4 oder 7a innehat,

         c) Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt, oder

         d. als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger über eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 oder eine Daueraufenthaltskarte gemäß § 54a verfügt.

(2) Soll im Fall einer Familienzusammenführung gemäß Abs. 1 Z 2 oder Abs. 4 ein Aufenthaltstitel quotenfrei erteilt werden, hat die Behörde auch über einen gesonderten Antrag als Vorfrage zur Prüfung der Gründe nach § 11 Abs. 3 zu entscheiden und gesondert über diesen abzusprechen, wenn dem Antrag nicht Rechnung getragen wird. Ein solcher Antrag ist nur zulässig, wenn gleichzeitig ein Antrag in der Hauptfrage auf Familienzusammenführung eingebracht wird oder ein solcher bereits anhängig ist."

2.       Familienangehörige im Sinne des § 46 Abs. 1 NAG sind gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG minderjährige ledige Kinder, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkinder. Minderjährige sind Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 21 Abs. 2 erster Halbsatz ABGB). Für die Frage der Minderjährigkeit ist – entgegen dem Beschwerdevorbringen – nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen. Geht die Eigenschaft als Familienangehöriger durch das Erreichen der Volljährigkeit zwar nach der Antragstellung aber vor der Entscheidung verloren, so ist die Erteilungsvoraussetzung der Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG nicht (mehr) gegeben (vgl. VwGH 13.11.2012, 2011/22/0074; 29.02.2012, 2010/21/0508).

Angesichts der vom Verwaltungsgericht Wien seiner Entscheidung zu Grunde zu legenden Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt (vgl. dazu VwGH 19.05.2015, Ra 2015/05/0017; 23.06.2015, Ra 2014/22/0199) ist der Beschwerdeführer auf Grund seiner Volljährigkeit kein Familienangehöriger seines Vaters im Sinne des § 46 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 NAG (mehr). Rechtlich nicht maßgeblich ist dabei, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung am 24. April 2017 noch siebzehn Jahre alt war. Die vom Beschwerdeführer dargelegten Rechtsausführungen zur Mangelberufsliste sind nicht geeignet, ein Abgehen von der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in dieser Frage abzugehen.

Die besondere Erteilungsvoraussetzung der Familienangehörigeneigenschaft des § 46 Abs. 1 Z 2 NAG lag daher bereits bei Erlassung des angefochtenen Bescheids durch die belangte Behörde nicht vor und ist auch im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts nicht gegeben.

3.       Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Fall eine Konstellation vorliegen würde, in der ausnahmsweise ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch des – nicht im Bundesgebiet aufhältigen – Beschwerdeführers auf Familiennachzug bestünde, sodass es sich um einen jener Fälle handeln könnte, in denen der Begriff "Familienangehöriger" in § 46 Abs. 1 NAG von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG abzukoppeln ist, können dem Beschwerdevorbringen oder der Aktenlage nicht entnommen werden (vgl. allgemein zum Erfordernis der Berücksichtigung eines Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK durch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels das Erkenntnis des VwGH vom 13.11.2012, 2011/22/0074; sowie eine solche besondere Konstellation bejahend im Fall einer geistig stark behinderten, auf die Fähigkeiten eines siebenjährigen Kindes beschränkten erwachsenen Beschwerdeführerin das Erkenntnis des VwGH 17.11.2011, 2010/21/0494; verneinend bei hohem Alter und psychischer Belastung das Erkenntnis des VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0125).

Grundsätzlich reicht die biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein nicht aus, um unter den Schutz des Art. 8 EMRK zu fallen. In der Regel ist das Zusammenleben eine Voraussetzung für eine Beziehung, die einem Familienleben gleich kommt. Ausnahmsweise können auch andere Faktoren als Nachweis dafür dienen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um faktische "familiäre Bindungen" zu schaffen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0125). Die Beziehung zwischen dem auch vor seiner Volljährigkeit nicht im gemeinsamen Haushalt in Wien lebenden Beschwerdeführer mit seinem Vater stellt jedenfalls keinen solchen Fall dar, der eine Abkoppelung von den gesetzlichen Begriffsbestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes im Sinne der oben genannten Rechtsprechung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels erforderlich macht.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung kommt den geringen Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers kein solches Gewicht zu, welches die Interessenabwägung maßgeblich zu seinen Gunsten verschieben und die Erteilung eines Aufenthaltstitels gebieten würde (VwGH 10.4.2014, 2013/22/0211).

4.        Die Abweisung des Antrags durch die belangte Behörde erweist sich damit als rechtmäßig, die dagegen gerichtete Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.

Die von der belangten Behörde – offenbar versehentlich – im Spruch des angefochtenen Bescheids zitierte Rechtsgrundlage des im Beschwerdefall nicht zur Anwendung kommenden § 47 Abs. 2 NAG ist dabei entsprechend zu korrigieren.

5.        Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ohne Durchführung einer – vom Beschwerdeführer im Übrigen nicht beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil einzig nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen zu klären waren und der entscheidungserhebliche Sachverhalt unstrittig anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens festgestellt werden konnte. In einem solchen Fall ist von vornherein absehbar, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0026). Im Übrigen berührt die Versagung eines Aufenthaltstitels kein civil right iSd Art. 6 EMRK (VwGH 15.06.2010, 2009/22/0347).

6.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei seiner Entscheidung insbesondere betreffend das Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 46 Abs. 1 NAG sowie der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK an der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs orientiert. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Familienangehörigeneigenschaft, Minderjährigkeit, Erteilungsvoraussetzung, Legaldefinition

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.032.15442.2017

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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