TE Vwgh Erkenntnis 2000/6/29 96/01/0596

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Veröffentlicht am 29.06.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

AVG §67a Abs1 Z2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
SPG 1991 §36;
SPG 1991 §38;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des GG, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. Mai 1996, Zl. UVS-02/12/00072/95, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 15. Mai 1996 wies die belangte Behörde die an sie gerichtete Beschwerde wegen der vom Beschwerdeführer in einer Wegweisung durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien ohne taugliche Rechtsgrundlage erblickten Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß § 67c Abs. 3 AVG als unzulässig zurück. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, Kosten in der Höhe von S 3.365,-- an die Bundespolizeidirektion Wien zu ersetzen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, dass es entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei am 4. Oktober 1995 im Rahmen einer von Sicherheitswacheorganen durchgeführten Durchsuchung eines näher angeführten Gastlokales und der anwesenden Gäste von einem der Sicherheitswacheorgane zum Verlassen des Lokales aufgefordert worden, nicht nachvollziehbar bzw. höchst unwahrscheinlich sei, dass der Beschwerdeführer, obwohl ihm seinem eigenen Vorbringen zufolge vorher von einem Sicherheitswacheorgan auf die Frage, was hier vorgehe, geantwortet worden sei, "Machen Sie was Sie wollen. Das ist alles uninteressant!", in der Folge zum Verlassen des Lokales aufgefordert worden sei. Der Beschwerdeführer sei der Aufforderung zunächst auch nicht nachgekommen und habe erst später freiwillig das Lokal verlassen. Der Beschwerde sei kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer, falls er das Lokal nicht verlassen hätte, unmittelbaren Zwang zu gewärtigen gehabt hätte. Eine Androhung von Zwangsmaßnahmen im Fall der Nichtbefolgung der Aufforderung habe nicht einmal der Beschwerdeführer selbst behauptet. Mangels Vorliegens einer Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sei die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückzuweisen gewesen.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof bringt der Beschwerdeführer vor, seiner Wegweisung sei kein Verwaltungsverfahren vorausgegangen; die Wegweisung sei auch nicht in Vollstreckung eines Bescheides oder einer Gerichtsentscheidung ergangen; die im Befehlston von einem bewaffneten und uniformierten Organ der mit dem Gewaltmonopol ausgestatteten Staatsmacht ausgesprochene Wegweisung stelle daher eine Maßnahme der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, ohne dass die Aufforderung zum Verlassen des Lokales mit einer gesonderten Drohung von Gewaltanwendung hätte verbunden werden müssen. Andernfalls wäre ein von einer solchen Aufforderung Betroffener zwecks Wahrung seines Beschwerderechtes gezwungen, beim Sicherheitswacheorgan nachzufragen, was für den Fall der Nichtbefolgung der Aufforderung zu erwarten sei. Eine derartige provozierende Nachfrage sei dem Beschwerdeführer schon aus standesrechtlichen Gründen verwehrt gewesen. Insbesondere hätte eine derartige Frage zufolge der durch sarkastisches Lächeln und eine wegweisende Handbewegung zum Ausdruck gebrachten Voreingenommenheit des einschreitenden Sicherheitswacheorgans tatsächlich die Anwendung von Zwang besorgen lassen. Entgegen der Annahme der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer nicht behauptet, das Lokal verlassen zu haben. Auch könne der Umstand, dass ein Staatsbürger dem Befehl eines Staatsorganes entspreche, dem Befehl nicht den Befehlscharakter und dem Staatsbürger nicht das Beschwerderecht nehmen.

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat die Bundespolizeidirektion Wien in ihrer an die belangte Behörde gerichteten Gegenschrift unter Hinweis auf einen vom Bezirkskommissariat M erstatteten Tagesbericht ausgeführt, am 4. Oktober 1995 hätten drei namentlich angeführte Sicherheitswacheorgane im näher bezeichneten Gastlokal einige Personen wegen des Verdachtes des Suchtgifthandels überprüft. Während der Amtshandlung habe sich eine Person - offenbar der Beschwerdeführer - bei einem der Beamten über den Grund der Amtshandlung erkundigt und eine Beschwerde in Aussicht gestellt. Der Beamte habe dem Beschwerdeführer den Grund der Anwesenheit der Sicherheitswacheorgane erklärt und ihm eine Visitenkarte übergeben, ihn aber weder aufgefordert, sich zu legitimieren noch sich zu entfernen. In seiner Stellungnahme zu dieser Gegenschrift hat der Beschwerdeführer hinsichtlich der von ihm behaupteten Wegweisung lediglich vorgebracht, das Beweisverfahren werde die Bestreitung der belangten Behörde widerlegen, weshalb er seine Anträge aufrecht erhalte.

§ 38 Sicherheitspolizeigesetz 1991 (SPG) samt Überschrift

lautet:

"Wegweisung

§ 38 (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Unbeteiligte wegzuweisen, die durch ihre Anwesenheit am Vorfallsort oder in dessen unmittelbarer Umgebung die Erfüllung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht oder die nach einem gefährlichen Angriff gebotene Klärung der maßgeblichen Umstände behindern. Dies gilt auch für Unbeteiligte, die durch ihre Anwesenheit die Privatsphäre jener Menschen unzumutbar beeinträchtigen, die von dem Vorfall betroffen sind.

(2) Besteht an einem bestimmten Ort eine allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder für Eigentum oder Umwelt in großem Ausmaß, so sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, jedermann aus dem Gefahrenbereich zu weisen, solange die Sicherheitsbehörde nicht selbst gemäß § 36 Abs. 2 einschreiten kann.

(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind außerdem ermächtigt, jedermann aus einem Gefahrenbereich zu weisen, dessen Leben und Gesundheit dadurch gefährdet sind, dass einem gefährlichen Angriff ein Ende gesetzt wird."

Wohl stellt die Wegweisung - wie sich aus der Parallelität zu § 36 SPG ergibt - gemäß § 38 SPG einen Akt der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar (vgl. Wiederin, Sicherheitspolizeirecht, Wien 1998, Rdz. 474). Allein daraus, dass ein Sicherheitswacheorgan eine Aufforderung zum Verlassen einer Örtlichkeit ausspricht, kann aber noch nicht auf das Vorliegen der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und damit einer Wegweisung iSd § 38 SPG geschlossen werden. Vielmehr liegt nach herrschender Lehre und Rechtsprechung eine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt nur dann vor, wenn einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen und hiebei physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1993, Zl. 93/05/0191, mit Hinweis auf Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 7. Aufl., Rz. 610, und die dort zitierte Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts).

Der Beschwerdeführer hat zwar behauptet, von einem Sicherheitswacheorgan zum Verlassen des Lokales aufgefordert worden zu sein. Er hat es aber unterlassen, in konkreter Weise näher zu beschreiben, in welcher Form und mit welchen Worten diese Aufforderung erfolgt sein soll bzw. auf Grund welcher besonderen Umstände er im Fall der Nichtbeachtung dieser Aufforderung mit der Ausübung gegen ihn gerichteten physischen Zwanges habe rechnen müssen. So hat er in der Beschwerde an die belangte Behörde in dieser Hinsicht lediglich ausgeführt: "Mit sarkastischem Lächeln, das auch den umstehenden Personen erkennbar war, forderte er (gemeint: Der Sicherheitswachebeamte) den Beschwerdeführer auf, das Lokal zu verlassen, obwohl dieser sich ordnungsgemäß als Parteienvertreter ausgewiesen hatte. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung nicht nach. Der Beschwerdeführer hat sich daraufhin vom Sicherheitswachebeamten (4313) entfernt, um den Präsenzoffizier zu verständigen, worauf die drei Sicherheitswachebeamten den Ort verließen ...". Zu einer näheren Konkretisierung der seiner Ansicht nach vorliegenden faktischen Amtshandlung wäre der Beschwerdeführer - zumindest nach Kenntnis der Wiedergabe des Vorfalles durch die Bundespolizeidirektion - umso mehr verpflichtet gewesen, als in diesem Bericht der Ausspruch einer Wegweisung des Beschwerdeführers bestritten wurde. Der Beschwerdeführer hat in seiner Stellungnahme zur Gegenschrift der Bundespolizeidirektion Wien hingegen lediglich vorgebracht, das Beweisverfahren werde die Bestreitung dieser Behörde widerlegen.

Nach der eigenen Darstellung des Beschwerdeführers ist im Zuge der Amtshandlung vom 4. Oktober 1995 in der Folge keinerlei weitere auf die Befolgung der an ihn ergangenen Aufforderung gerichtete Anweisung erfolgt. Seinen Ausführungen ist auch nicht entnehmbar, dass ihm gegenüber die Anwendung physischen Zwanges angedroht oder mit solchem vorgegangen worden wäre. Allein der Umstand, dass unter den dargestellten Umständen an den Beschwerdeführer eine Aufforderung zum Verlassen der Gaststätte durch ein Organ der öffentlichen Aufsicht erfolgte, berechtigt ihn noch nicht zu dem Schluss, diese Aufforderung werde im Fall ihrer Nichtbefolgung, ohne dass weitere Veranlassungen (etwa Wiederholung der Aufforderung, Hinweis auf die Ernsthaftigkeit der Aufforderung) gesetzt würden, unmittelbar unter Ausübung physischen Zwanges durchgesetzt werden. Der belangten Behörde kann somit nicht entgegengetreten werden, wenn sie insbesondere auch im Hinblick auf den das Vorliegen einer Wegweisung bestreitenden Bericht der Bundespolizeidirektion Wien davon ausging, dass seitens der eingeschrittenen Sicherheitswacheorgane eine Maßnahme der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht gesetzt wurde.

Daraus ergibt sich zusammenfassend, dass die belangte Behörde zu Recht die an sie gerichtete Beschwerde zurückgewiesen hat. Die sich sohin insgesamt als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. Juni 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996010596.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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