TE OGH 2017/10/30 9ObA84/17v

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Veröffentlicht am 30.10.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Thomas Dürrer in der Rechtssache der klagenden Partei E***** S*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 36.222,18 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2017, GZ 10 Ra 67/16w-23, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 12. Jänner 2016, GZ 32 Cga 77/15z-17, Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Unstrittig ist, dass im Zusammenhang mit dem von der Beklagten für den 1. 7. 2012 beschlossenen Übergang ihres Flugbetriebs auf die Tyrolean Airways der Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air (idF: KV Bord) samt Zusatz-Kollektivvertrag 2 (idF: Zusatz KV) ebenso wie der Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Tyrolean Airways Tiroler Luftfahrt GmbH (idF: Tyrolean KV) jeweils zum 30. 6. 2012 gekündigt wurden.

Die Klägerin war von 14. 3. 1977 bis 31. 12. 2013 bei der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Kündigung der Klägerin wegen Pensionsantritts. Anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses erhielt die Klägerin eine Abfertigung in Höhe von 57.288,91 EUR brutto.

Soweit revisionsgegenständlich, begehrte die Klägerin einen (der Höhe nach unstrittigen) Betrag von 36.222,18 EUR brutto sA an Abfertigungsdifferenz. Ihr gebühre nach Punkt 60.3.1. des Kollektivvertrags Bord sowie dem Zusatzkollektivvertrag 2 eine erhöhte Abfertigung in Höhe des 18-fachen des letzten Bruttomonatsentgelts, somit in Höhe von 93.511,09 EUR brutto, wovon sie nur 57.288,91 EUR brutto erhalten habe. Der zuständige Fachverband der Autobus-, Luftfahrt- und Schifffahrtsunternehmungen als Kollektivvertragspartner auf Arbeitgeberseite habe den KV Bord samt aller damit zusammenhängenden Zusatzkollektivverträge und Anhänge bereits am 15. 2. 2012 zum 30. 6. 2012 gekündigt. Ein neuer Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Beklagten sei erst mit 1. 12. 2014 in Kraft getreten. Im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 11. 9. 2014, Rs C-328/13 behaupte die Beklagte zu Unrecht ein nachwirkungsloses Erlöschen des KV Bord mit Ende des 30. 6. 2012.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, der KV Bord sei mit dem Zeitpunkt seiner Kündigung zum 30. 6. 2012 nachwirkungslos erloschen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs lasse die Frage, ob dieser nicht durch den ebenfalls nachwirkenden Tyrolean KV verdrängt werde, offen. Jedenfalls sei aber der KV Bord im Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin nicht mehr (jedenfalls nicht mehr normativ) anwendbar gewesen. Selbst dann sei für Eintritte vor dem 1. 4. 2004 eine erhöhte Abfertigung bei Kündigung durch den Angestellten nur in der Zeit zwischen Vollendung des 33. und Vollendung des 36. Lebensjahres vorgesehen. Der geltend gemachte Anspruch bestehe daher auch unter Annahme einer Nachwirkung des KV Bord nicht zu Recht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte im Wesentlichen aus, sämtliche Punkte und Absätze, die durch den Zusatz KV neu geregelt worden seien, gingen als speziellere Bestimmungen den bisher geltenden Bestimmungen des KV Bord vor. Punkt 31.3 [richtig: 61.3] des Zusatz KV normiere unter der Überschrift “Kündigung durch den Angestellten“, dass dem Angestellten eine erhöhte Abfertigung gebühre, in der die gesetzliche Abfertigung mitenthalten sei, wenn das Dienstverhältnis eines Flugbegleiters in der Zeit zwischen Vollendung des 33. und Vollendung des 36. Lebensjahres durch Kündigung des Angestellten ende. Für die Dienstnehmerkündigung werde mit dem ZusatzKV die Abfertigungsregelung somit erheblich geändert. Die Präambel zum ZusatzKV, wonach diese Vereinbarung zu keiner materiellen Änderung führe und dies insgesamt geschehe, ohne eine einzige Bestimmung inhaltlich zu verschlechtern, beziehe sich offenbar – wie aus dem ersten Satz deutlich hervorgehe – nicht auf die Stammfassung des Zusatz KV, sondern auf eine bereits erfolgte Änderung dieses Zusatz KV. Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass die Stammfassung des Zusatz KV ebenfalls davon ausgehe, dass es gegenüber der bis zum 31. 3. 2004 in Kraft gewesenen Kollektivvertragsbestimmung zu keiner inhaltlichen Verschlechterung komme.

Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Klägerin Folge und sprach ihr den Abfindungsbetrag von 36.222,18 EUR brutto samt 4 % Zinsen seit 1. 1. 2014 unter Abweisung des Zinsenmehrbegehrens zu. Es führte im Wesentlichen aus:

In Punkt 59 KV Bord seien die allgemeinen Regelungen zur Abfertigung und danach spezielle Regelungen für die Abfertigung von Piloten und das Kabinenpersonal enthalten. Daraus folge, dass die allgemeinen Regelungen sowohl für die Abfertigung der Piloten als auch des Kabinenpersonals und zusätzlich für die jeweilige Berufsgruppe die jeweils spezielleren Abfertigungsregelungen gelten. Punkt 61 betreffend die Abfertigung Kabinenpersonal sehe in Punkt 61.3 eine erhöhte Abfertigung bei Kündigung durch den Arbeitgeber vor und unterscheide dabei zwischen Dienstverhältnissen von Flugbegleitern, die vor bzw ab dem 1. 1. 2003 begonnen hätten. Den Flugbegleitern, die ihr Dienstverhältnis vor dem 1. 1. 2003 begonnen haben, gebühre eine höhere erhöhte Abfertigung. Auch wenn in Punkt 61.4 des KV Bord („Kündigung durch den Angestellten“) die Höhe der erhöhten Abfertigung nicht extra angeführt sei, ergebe sich aus dem Zusammenhang mit den übrigen Regelungen, insbesondere des Punktes 61.3, klar, dass auch bei Eigenkündigung durch den Angestellten die erhöhte Abfertigung wie im Fall der Kündigung durch den Arbeitgeber zustehen solle, wobei auch in dem Fall danach unterschieden werde, ob das Dienstverhältnis vor oder ab dem 1. 1. 2003 begonnen habe. Mit Punkt 59.3 des KV Bord hätten die Kollektivvertragsparteien offensichtlich sicherstellen wollen, dass bei Eigenkündigung des Angestellten (bei Männern nach Vollendung des 60. Lebensjahres, bei Frauen nach Vollendung des 55. Lebensjahres) jedenfalls eine erhöhte Abfertigung wie im Fall der Arbeitgeberkündigung zustehe, sofern das Dienstverhältnis mindestens zehn Jahre ununterbrochen gedauert habe. Der Verweis auf die Bestimmung des Punktes 61.4 sollte offensichtlich unabhängig von allfälligen Änderungen der speziellen Abfertigungsregelungen für das Kabinenpersonal sicherstellen, dass es jedenfalls unter den Bedingungen des Punktes 59.3 KV Bord die erhöhte Abfertigung erhalte.

Aus dem Wortlaut des im Zusatz KV geregelten Geltungsbereichs ergebe sich eindeutig, dass die Punkte, die im Zusatz KV geregelt seien, die entsprechenden Punkte des KV Bord ersetzen, die daneben bestehenden Bestimmungen des KV Bord jedoch weiter gelten sollten. Diese Auslegung ergebe sich auch eindeutig aus dem Aufbau des Zusatz KVs. Es könne jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die Kollektivvertragsparteien die Bestimmungen des KV Bord kannten und im Zusatz KV nur jene Bestimmungen ändern oder ergänzen wollten, die sie auch ausdrücklich angeführt hätten. Eine Änderung des Punktes 59.3 des KV Bord sei jedoch nicht erfolgt, sodass davon auszugehen sei, dass diese spezielle Abfertigungsregelung auch weiterhin gelten sollte. Dass im Zusatz KV nunmehr die Nummerierungen geändert worden seien, ändere nichts an dem sich aus den Bestimmungen eindeutig ergebenden Willen der Kollektivvertragsparteien, dass im besonderen Fall des Punktes 59.3 des KV Bord die erhöhte Abfertigung wie im Fall der Arbeitgeberkündigung zustehen solle. Der Verweis im Punkt 59.3 KV Bord auf Punkt 61.3 sei daher nur irrtümlich nicht geändert und von den Kollektivvertragsparteien offensichtlich übersehen worden. Eine andere Auslegung würde auch keinen Sinn ergeben. Würde man den Verweis in Punkt 59.3 auf die Bestimmung des Punktes 61.3 des Zusatz KV beziehen, käme Punkt 59.3 nie zur Anwendung: Voraussetzung für die erhöhte Abfertigung nach Punkt 61.3 des Zusatz KV sei, dass das Dienstverhältnis durch Kündigung des Angestellten zwischen der Vollendung des 33. und der Vollendung des 36. Lebensjahres ende. Dieser Fall könnte für die Angestellten, für die Punkt 59.3 KV Bord gelte, nie eintreten, weil dort als Voraussetzung für Frauen eine Dienstnehmerkündigung nach Vollendung des 55. Lebensjahres normiert sei. Im Zusatz KV sei die Kündigung durch den Arbeitgeber nun in Punkt 61.4 geregelt, sehe aber ebenfalls nach Vollendung des 25. Dienstjahres eine Abfertigung in Höhe des 18-fachen des letzten Bruttomonatsentgelts vor. Die Klägerin habe daher einen Anspruch auf die geltend gemachte erhöhte Abfertigung.

Das Berufungsgericht leitete sodann aus den Bestimmungen der §§ 3 und 4 Abs 1 AVRAG sowie § 13 ArbVG unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 11. 9. 2014, Rs C-328/13, ab, dass diese Kollektivvertragsbestimmungen aufgrund des Betriebsübergangs auf die Tyrolean Airways und der erfolgten Kündigungen des KV Board samt Zusatz KV und des Tyrolean KV infolge der Nachwirkung des KV Board anwendbar seien. Nach § 13 ArbVG, wonach die Rechtswirkungen des Kollektivvertrags nach seinem Erlöschen für Arbeitsverhältnisse aufrecht blieben, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst gewesen seien, komme es darauf an, ob der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Erlöschens bereits in einem Arbeitsverhältnis zu dem kollektivvertragsunterworfenen Arbeitgeber gestanden sei. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei gemäß § 3 Abs 1 AVRAG mit dem Betriebsübergang vom 1. 7. 2012 auf die Tyrolean Airways übergegangen. Aufgrund der Kündigung des Tyrolean KV zum 30. 6. 2012 habe dieser am 1. 7. 2012 für die Klägerin aber nicht mehr gegolten; sie sei daher von diesem vor seinem Erlöschen im Sinne der Bestimmung des § 13 ArbVG nicht mehr erfasst gewesen. Eine Nachwirkung des Tyrolean KV komme daher nicht in Betracht. Die Revision sei zur Auslegung der Bestimmungen des KV Bord und Zusatz KV zulässig.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klageabweisung.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

I. Die die Abfertigung betreffenden maßgeblichen Bestimmungen des KV Bord lauten:

59 Abfertigung allgemein

59.1 Den Angestellten bzw. deren Hinterbliebenen gebühren nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen erhöhte bzw. zusätzliche Abfertigungen, die mit der Auflösung des Dienstverhältnisses in voller Höhe sofort fällig werden. Soweit in diesem Kollektivvertrag nichts anderes bestimmt ist, gelten für den Anspruch auf Abfertigung dem Grunde und der Höhe nach die Bestimmungen des Angestelltengesetzes.

59.2 …

59.3 Der Anspruch auf die volle Abfertigung gemäß Punkt 60.3 und 61.3 besteht auch dann, wenn das Dienstverhältnis bei Männern nach Vollendung des 60. Lebensjahres, bei Frauen nach Vollendung des 55. Lebensjahres durch Kündigung seitens des Angestellten endet, wenn das Dienstverhältnis mindestens 10 Jahre ununterbrochen gedauert hat. An Stelle dieser Bestimmung ist jene des Punkts 61.4 anzuwenden, wenn dies für den Angestellten günstiger ist.

60 Abfertigung Piloten …

61 Abfertigung Kabinenpersonal

61.1 Tod in Folge eines Arbeitsunfalls ...

61.2 Invalidität in Folge eines Arbeitsunfalls ...

61.3 Kündigung durch den Arbeitgeber

61.3.1 Die nachstehende Bestimmung gilt für Flugbegleiter, deren Dienstverhältnisse vor dem 1. 1. 2003 begonnen haben:

Falls das Dienstverhältnis eines Flugbegleiters infolge Kündigung seitens des Arbeitgebers endet, so gebührt den Angestellten eine erhöhte Abfertigung, in der die gesetzliche Abfertigung mit enthalten ist.

Die erhöhte Abfertigung wird bemessen bei Beendigung des Dienstverhältnisses nach Vollendung

des 3. Dienstjahres in Höhe des 3-fachen,

des 5. Dienstjahres in Höhe des 4-fachen,

des 10. Dienstjahres in Höhe des 6-fachen,

des 15. Dienstjahres in Höhe des 9-fachen,

des 20. Dienstjahres in Höhe des 13-fachen,

des 25. Dienstjahres in Höhe des 18-fachen

des letzten Bruttomonatsentgeltes (Bruttomonatsgehalt plus Provisionen aus dem Bordverkauf und zeitanteilige Sonderzahlungen).

61.3.2 Die nachstehende Bestimmung gilt für Flugbegleiter, deren Dienstverhältnisse am oder nach dem 01. 01. 2003 begonnen haben: ...

61.4 Kündigung durch die Angestellten

Falls das Dienstverhältnis eines Flugbegleiters infolge Kündigung durch den Angestellten endet, so gebührt dem Angestellten eine erhöhte Abfertigung, in der die gesetzliche Abfertigung mit enthalten ist.

Der Zusatz KV 2 lautet auszugsweise:

ZUSATZKOLLEKTIVVERTRAG 2

Eintritte bei Austrian Airlines AG vor 01. 04. 2004

Der Zusatzkollektivvertrag 2 muss durch die Neufassung des Kollektivvertrages für das Bordpersonal ebenso umstrukturiert werden. Gleichzeitig werden ausgelaufene Bestimmungen (zB Einschleifregelung 1997) entfernt und eine Vereinfachung der Bestimmungen betreffend Verwendungsgruppen und Gehaltstabellen durchgeführt. Diese Vereinbarung führt zu keinen materiellen Änderungen. Insgesamt geschieht dies, ohne eine einzige Bestimmung inhaltlich zu verschlechtern.

Der Zusatzkollektivvertrag 2 lautet daher wie folgt.

1. Geltungsbereich und Geltungsbeginn

1. Für Angestellte, welche zum oder vor dem 31. März 2004 in einem aufrechten Dienstverhältnis zur Austrian Airlines AG standen, gelten die nachstehenden Bestimmungen, Punkte, etc. dieses Zusatzkollektivvertrages 2 einschließlich der betrieblichen Pensionsregelungen der Anhänge VII und VIII an Stelle der entsprechenden Bestimmungen, Punkte, etc. des Kollektivvertrages für die Austrian Airlines und Lauda Air vom 1. 4. 2004 als speziellere Bestimmungen, auch wenn das Dienstverhältnis in weiterer Folge vom Arbeitgeber aus welchem Grunde auch immer beendet und später wieder aufgenommen, fortgesetzt etc. wurde. Ausdrücklich wird festgehalten, dass die Bestimmungen der Pensionsregelung wie bisher für in Pension befindliche ehemalige Angestellte weiter gelten.

2. Für die in Punkt 1. genannten Angestellten gilt der Kollektivvertrag der Austrian Airlines und Lauda Air und deren Anhänge unbeschränkt, sofern nicht für einzelne Paragraphen, Punkte, Unterpunkte, etc. die folgenden (Punkte 2 bis 17) spezielleren Bestimmungen gelten.

3. 

...

9. Abfertigung Kabinenpersonal Punkt 61

Punkt 61 lautet:

61.1 Tod in Folge eines Arbeitsunfalls ...

61.2 Invalidität in Folge eines Arbeitsunfalls …

61.3 Kündigung durch den Angestellten

Falls das Dienstverhältnis eines Flugbegleiters in der Zeit zwischen Vollendung des 33. und Vollendung des 36. Lebensjahres infolge Kündigung seitens des Angestellten endet, so gebührt dem Angestellten eine erhöhte Abfertigung, in der die gesetzliche Abfertigung mit enthalten ist.

Da die gesetzliche Abfertigung mit enthalten ist, bedeutet das in diesen Fällen bei Angestellten, deren Dienstverhältnisse ab dem 01. 01. 2003 begonnen haben und die somit den Abfertigungsbestimmungen des BMVG („Abfertigung neu“) unterliegen, dass die vom Arbeitgeber für den Angestellten bis zum Austrittstag bereits in die Mitarbeitervorsorgekasse einbezahlten Beträge von der erhöhten Abfertigung in Abzug gebracht werden.

Die erhöhte Abfertigung wird bemessen bei Beendigung des Dienstverhältnisses nach Vollendung

- des 10. Dienstjahres in Höhe des 12fachen,

- des 13. Dienstjahres in Höhe des 13fachen,

- des 14. Dienstjahres in Höhe des 14fachen, und

- des 15. Dienstjahres in Höhe des 15fachen

des letzten Bruttomonatsentgeltes (Bruttomonatsgehalt plus Provisionen aus dem Bordverkauf und zeitanteilige Sonderzahlungen).

61.4 Kündigung durch den Arbeitgeber

Falls das Dienstverhältnis eines Angestellten infolge Kündigung durch den Arbeitgeber nach Vollendung des 10. Dienstjahres endet und kein Fall des 61.3 vorliegt, so gebührt dem Angestellten eine erhöhte Abfertigung, in der die gesetzliche Abfertigung mit enthalten ist. Da die gesetzliche Abfertigung mit enthalten ist, bedeutet das in diesen Fällen bei Angestellten, deren Dienstverhältnisse ab dem 01. 01. 2003 begonnen haben und die somit den Abfertigungsbestimmungen des BMVG („Abfertigung neu“) unterliegen, dass die vom Arbeitgeber für den Angestellten bis zum Austrittstag bereits in die Mitarbeitervorsorgekasse einbezahlten Beträge von der erhöhten Abfertigung in Abzug gebracht werden.

Die erhöhte Abfertigung wird bemessen bei Beendigung des Dienstverhältnisses

- nach Vollendung des 10. Dienstjahres in Höhe des 8fachen,

- nach Vollendung des 15. Dienstjahres in Höhe des 12fachen,

- nach Vollendung des 20. Dienstjahres in Höhe des 15fachen,

- nach Vollendung des 25. Dienstjahres in Höhe des 18fachen

des letzten Bruttomonatsentgeltes (Bruttomonatsgehalt plus Provisionen aus dem Bordverkauf und zeitanteilige Sonderzahlungen).

II. Bereits das Berufungsgericht hat die für die Auslegung von Kollektivverträgen maßgeblichen Grundsätze umfassend und zutreffend dargelegt. Hervorzuheben ist davon, dass die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen sind (RIS-Justiz RS0008782; RS0008807 ua). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0010088). Denn die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Normen besessen haben, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (RIS-Justiz RS0010088 [T18] ua).

III. Ausgehend davon teilt der erkennende Senat die Beurteilung der eingangs wiedergegebenen Bestimmungen des Kollektivvertrags Board und des Zusatz Kollektivvertrags durch das Berufungsgericht sowohl in ihrer methodischen Ableitung als auch in ihrem Ergebnis, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Zu betonen ist davon, dass der Bestimmung des Punktes 59.3. des Kollektivvertrags Board offensichtlich der Wille der Kollektivvertragsparteien zugrunde liegt, die (pensionsantrittsbedingte) Kündigung eines Dienstverhältnisses durch eine Dienstnehmerin bei Vollendung des 55. Lebensjahres in abfertigungsrechtlicher Hinsicht einer Dienstgeberkündigung gleichzustellen, wenn das Dienstverhältnis mindestens zehn Jahre ununterbrochen gedauert hat. Punkt 1. des Zusatz KV kann nun schon nach seinem Wortlaut nur so verstanden werden, dass seine nachstehenden Bestimmungen an Stelle der entsprechenden Bestimmungen, Punkte etc des Kollektivvertrags Bord als spezielle Bestimmungen gelten sollen. Punkt 59.3. des Kollektivvertrags Board wurde jedoch durch keine „entsprechende Bestimmung“ im Zusatz KV ersetzt, weil in diesem hinsichtlich der Abfertigung lediglich die besonderen Abfertigungsregeln der Punkte 60 (Abfertigung Piloten) und 61 (Abfertigung Kabinenpersonal), nicht aber die allgemeine Abfertigungsregel des Punktes 59.3. geändert wurde. Punkt 61.3. idF des Zusatz KV sieht für das Kabinenpersonal eine erhöhte Abfertigung bei Eigenkündigung des Angestellten vor, wenn das Dienstverhältnis eines Flugbegleiters in der Zeit zwischen Vollendung des 33. und des 36. Lebensjahres endet. Daraus lässt sich aber noch nicht ableiten, dass die Kollektivvertragsparteien die in Punkt 59.3. des KV Bord enthaltene und formell aufrecht erhaltene abfertigungsrechtliche Gleichstellung einer (pensionsantrittsbedingten) Beendigung eines Dienstverhältnisses durch eine Dienstnehmerin bei Vollendung des 55. Lebensjahres mit einer Dienstgeberkündigung aufgeben wollten. Die Argumentation der Beklagten, dass die Regelungen des Punktes 59.3 des KV Board und des Punktes 9. des Zusatz-KV nicht nebeneinander bestehen könnten, weil für idente Anspruchsvoraussetzungen dann zwei verschiedene Regelungen gelten würden, trifft danach im vorliegenden Fall schon mangels identer Tatbestände nicht zu. Daneben kann dahingestellt bleiben, ob mit der Präambel des ZusatzKV, wonach es zu keinen materiellen Änderungen kommen sollte und dies insgesamt geschieht, „ohne eine einzige Bestimmung inhaltlich zu verschlechtern“, trotz ihres weiten Wortlauts lediglich die im KV Bord 1997 normierten Arbeitsbedingungen für das Stammpersonal erhalten werden sollten. Schließlich schadet es nicht, dass der Verweis in Punkt 59.3. auf Punkt 61.3. (Arbeitgeberkündigung) nicht an die im ZusatzKV erfolgte Umnummerierung (61.3. für Arbeitnehmerkündigung; 61.4. für Arbeitgeberkündigung) angepasst wurde, weil darin, wie vom Berufungsgericht ausgeführt, lediglich ein redaktioneller Irrtum zu sehen ist.

Auch aus dem Verweis der Beklagten auf die in einer Kollektivvertragsdatenbank enthaltenen redaktionellen Anmerkungen zu Punkt 61.3. des Kollektivvertrags Bord ist für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen. Ungeachtet dessen, dass solche Anmerkungen für den Rechtssuchenden lediglich „Servicecharakter“ haben, ist auch daraus nicht abzuleiten, dass Punkt 59.3. des Kollektivvertrags Bord durch den ZusatzKV zur Gänze verdrängt werden sollte. Das Berufungsgericht ist daher zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass Punkt 59.3. des Kollektivvertrags Bord durch Punkt 9. des ZusatzKV nicht ersetzt wurde.

IV. Auch soweit die Beklagte die Nachwirkung des KV Bord auf die Klägerin bezweifelt, kann auf die ausführliche und zutreffende Beurteilung des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Beklagte meint aber erneut, der EuGH habe in der Entscheidung vom 11. 9. 2014, Rs C-328/13, offengelassen, ob diese Nachwirkung nicht von jener des Kollektivvertrags für das Bordpersonal der Tyrolean KV verdrängt worden sei.

Nach § 13 ArbVG bleiben die Rechtswirkungen des Kollektivvertrags nach seinem Erlöschen für Arbeitsverhältnisse aufrecht, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren. In Auslegung dieser Bestimmung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin bis zum Betriebsübergang zum 1. 7. 2012 nicht dem Tyrolean KV unterlag und daher auch nicht iSd § 13 ArbVG von seinem Erlöschen zum 30. 6. 2012 erfasst war. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

V. Da nach all dem die Bestimmung des Punktes 59.3. des KV Bord durch den Zusatz KV nicht obsolet wurde und für die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Kündigung nachwirkte, besteht der geltend gemachte Abfertigungsanspruch zu Recht. Der Revision der Beklagten war danach keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen

Textnummer

E120035

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00084.17V.1030.000

Im RIS seit

12.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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