TE Lvwg Erkenntnis 2017/11/7 VGW-051/055/3417/2017

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Veröffentlicht am 07.11.2017
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Entscheidungsdatum

07.11.2017

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht
19/05 Menschenrechte

Norm

VStG §45 Abs1 Z2
FPG §31 Abs1
FPG §31 Abs1a
FPG §120 Abs1a
MRKZP 07te Art. 4 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag.a Peters über die Beschwerde des Herrn M. I. gegen das Straferkenntnis der LPD Wien, Abteilung Fremdenpolizei u. Anhaltevollzug, AFA Referat 2 - Fremdenpolizei vom 13.02.2017, GZ VStV/917300030262/2017 betreffend eine Verwaltungsübertretung nach § 10 Abs. 7 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF. BGBl. I Nr. 38/2011 iVm § 52 FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF. BGBl. I Nr. 38/2011, iVm § 120 Abs. 1a FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF. BGBl. I Nr. 38/2011,

zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z  2 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Das gegenständliche Straferkenntnis richtet sich gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten und enthält folgenden Spruch:

„Sie sind als Fremder (§ 2 Abs. 4 Z 1 FPG) nach der Erlassung einer asylrechtlichen Ausweisung durch das Bundesasylamt nach Eintritt der Durchsetzbarkeit am 27.09.2011 nicht rechtzeitig aus dem Bundesgebiet ausgereist und haben sich am 05.01.2016 um 19:30 Uhr in Wien, N.-gasse noch unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten, obwohl die Frist zur freiwilligen Ausreise bereits verstrichen ist.

Der Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

§ 10 Abs. 7 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF. BGBl. I Nr. 38/2011 iVm § 52 FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF. BGBl. I Nr. 38/2011, iVm § 120 Abs. 1a FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF. BGBl. I Nr. 38/2011

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

Freiheitsstrafe von

Gemäß

€ 500,00

4 Tage(n) 4 Stunde(n) 0 Minute(n)

 

§ 120 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz BGBl. I Nr. 144/2013 idgF.

Ferner hat der Beschuldigte gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG zu zahlen:

€ 50,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, jedoch mindestens 10 Euro für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€ 550,00.“

Das gegenständliche verwaltungsbehördliche Verfahren beruht auf einer Anzeige vom 06.01.2017. Wegen der gegenständlichen Verwaltungsübertretung erging an den Beschwerdeführer eine Strafverfügung vom 06.02.2017, wobei betreffend die gegenständliche Verwaltungsübertretung eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 500,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage und 4 Stunden) verhängt wurde. Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht einen Einspruch ohne Begründung.

In der Folge erging das gegenständliche Straferkenntnis.

Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung im Wesentlichen einwendet, dass er bereits seit 12 Jahren durchgehend in Österreich sei. Weiters sei die verhängte Strafe viel zu hoch, da er von Zuwendungen seiner Freunde lebe.

Eine Einsicht in die den Beschwerdeführer betreffenden Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat ergeben, dass der Beschwerdeführer von der Landespolizeidirektion Niederösterreich mit Strafverfügung vom 08.03.2017, Zl VStV/917300353095/2017 wegen Übertretung des § 120 Abs. 1a FPG durch unrechtmäßigen Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet am 02.03.2017 bestraft wurde. Diese Strafverfügung ist mit 27.03.2017 in Rechtskraft erwachsen.

Da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass das angefochtene Straferkenntnis zu beheben ist war ungeachtet des diesbezüglichen Antrages des Beschwerdeführers eine mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG nicht durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht Wien stellt aufgrund des Akteninhaltes folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt als erwiesen fest:

Herr M. I. ist Staatsangehöriger von Uganda bzw. Nigeria (wechselnde Identitätsangaben des Bf).

Er ist am 20.10.2006 erstmals illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am gleichen Tag erstmals einen Asylantrag eingebracht.

Dieser wurde mit 14.02.2007 rechtskräftig abgewiesen.

Insgesamt stellte der Bf weitere 4 Asylanträge, welche alle rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Zuletzt wurde der (fünfte) Asylantrag vom 02.09.2011 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Bf nach Nigeria ausgewiesen. Dieser Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.09.2011 ist in Rechtskraft erwachsen.

Weiters war gegen den Beschwerdeführer mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Land Wien vom 25.10.2010 ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, da er am 14.07.2010 eine Kugel Kokain verkauft und 4 Kugeln Heroin im Mund zum bevorstehenden Verkauf bereitgehalten hatte.

Ein Antrag vom 11.07.2013 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot Karte plus“ wurde mit Bescheid des Landeshauptmanns für Wien vom 10.12.2013 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich laut Aktenlage keine Angehörigen und geht keiner legalen selbständigen oder unselbständigen Beschäftigung nach. Deutschkenntnisse wurden weder behauptet noch sind solche aktenkundig.

Am 27.03.2017 ist eine gegen den Bf erlassene Strafverfügung vom 08.03.2017, Zl. VStV/917300353095/2017 der Landespolizeidirektion Niederösterreich in Rechtskraft erwachsen. Mit dieser wurde über den Bf wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet am 02.03.2017 eine Geldstrafe in Höhe von € 600,- verhängt.

Am 09.02.2017 wurde dem Beschwerdeführer im hier verfahrensgegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren eine mit 06.02.2017 datierte Strafverfügung mit einer dem angefochtenen Straferkenntnis gleichlautenden Tatanlastung zugestellt.

Rechtsgrundlagen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, lauten:

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2.

wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3.

wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;

4.

solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 zukommt;

 

(Anm.: Z 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 122/2009)

6.

wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7.

soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

(1a) Liegt kein Fall des Abs. 1 vor, halten sich Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf; dies insbesondere, wenn sie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten,

2.

auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 45b Abs. 1) oder auf Grund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 47 ARHG oder § 35 des Bundesgesetzes über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), BGBl. I Nr. 36/2004, eingereist sind,

3.

geduldet sind (§ 46a) oder

4.

eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 erhalten haben.

…….

§ 120 …

(1a) Wer als Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 500 Euro bis zu 2 500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 2 500 Euro bis zu 7 500 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist. Die Verwaltungsübertretung gemäß erster Satz kann durch Organstrafverfügung gemäß § 50 VStG in der Höhe von 500 Euro geahndet werden.“

§ 45.Abs. (1) Z. 2 VStG lautet:

„ Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.

der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;“…

Rechtlich ist der festgestellte Sachverhalt wie folgt zu bewerten:

Durch die Erlassung eines Straferkenntnisses einer Behörde erster Instanz gilt das darin umschriebene Dauerdelikt als bis zu diesem Zeitpunkt abgegolten; einer neuerlichen Verfolgung wegen desselben Dauerdelikts für die Zeit bis zur Erlassung des Straferkenntnisses durch die Behörde erster Instanz kann - vorausgesetzt, dass es sich hinsichtlich aller Sachverhaltselemente um dasselbe strafbare Verhalten vor oder nach dem dem Bf bescheidmäßig vorgeworfenen Tatzeitraum handelt - mit Erfolg dieser bereits vorgenommene verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung entgegengehalten werden. Gegen den Täter darf wegen desselben Delikts für den Zeitraum bis zur Zustellung des Bescheides der Behörde erster Instanz nämlich nicht neuerlich eine Strafe verhängt werden. (Hier hat die belangte Behörde den Fremden mit dem angefochtenen Bescheid wegen Übertretung der § 15 Abs. 1 iVm § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG 1993 auch in einem Zeitraum vor dem Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses bestraft, mit dem der Fremde wegen genau desselben Vorwurfes bereits bestraft worden war.) (VwGH 09.10.2001, 97/21/0866).

Gleiches muss im Fall der Erlassung einer Strafverfügung, welche in Rechtskraft erwächst für dasselbe strafbare Verhalten (Übertretung des § 120 Abs. 1a FPG - somit wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet) vor oder nach dem dem Bf bescheidmäßig vorgeworfenen Tatzeitraum gelten.

Da dem gegenständlich angefochtenen – und somit bis dahin nicht in Rechtskraft erwachsenen - Straferkenntnis unzweifelhaft derselbe Lebenssachverhalt wie der rechtskräftigen Strafverfügung vom 06.02.2017 zugrunde liegt, kann der Beschwerdeführer für den vor dem 09.02.2017 (Erlassung der Strafverfügung durch Zustellung) liegenden Zeitraum gemäß Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK nicht unter verschiedenen Gesichtspunkten neuerlich bestraft werden, ohne den Grundsatz „ne bis in idem“ zu verletzen.

Da der im hier angefochtenen Straferkenntnis angelastete Tatzeitraum gänzlich vor der Erlassung der genannten Strafverfügung gelegen ist und eine zwischenzeitliche Ausreise des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Revisionsentscheidung:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Dauerdelikt, Doppelbestrafung, ne bis in idem

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.051.055.3417.2017

Zuletzt aktualisiert am

28.11.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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