TE Lvwg Erkenntnis 2017/10/25 LVwG-2017/23/2035-3

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Veröffentlicht am 25.10.2017
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Entscheidungsdatum

25.10.2017

Index

40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze;

Norm

ZustG §2
ZustG §7
ZustG §13
VStG §53

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seinen Vizepräsidenten Dr. Albin Larcher über die Maßnahmenbeschwerde des AA, vertreten durch seinen Sachwalter RA BB, Adresse 1, **** Z wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Vollziehung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Polizeianhaltezentrum der Landespolizeidirektion Tirol vom 22.07.2017, 09.20 Uhr bis 26.07.2017, 09:20 Uhr

zu Recht erkannt:

1.       Gemäß § 28 Abs 6 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und festgestellt, dass die Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe des Beschwerdeführers in der Zeit vom 22.07.2017, 09:20 Uhr bis 26.07.2017, 09:20 Uhr rechtswidrig war.

2.       Gemäß § 35 Abs 2, 4 und 7 VwGVG wird dem Antrag des Beschwerdeführers auf Ersatz seiner Aufwendungen Folge gegeben. Der Bund hat als Rechtsträger der belangten Behörde (Landespolizeidirektion Tirol als Strafbehörde erste Instanz) dem Beschwerdeführer die Aufwendungen in Höhe von Euro 737,60 binnen 2 Wochen nach Zustellung dieses Erkenntnisses zu ersetzen.

3.       Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Gang des Verfahrens und Sachverhalt:

Mit Schriftsatz vom 01.09.2017 erhob der durch seinen Sachwalter vertretene Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde betreffend die Vollziehung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch die Landespolizeidirektion Tirol. In dieser Beschwerde wird die Vollziehung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Polizeianhaltezentrum der Landespolizeidirektion Tirol in der Zeit von 22.07.2017 09.20 Uhr bis 26.07.2017 09.20 Uhr bekämpft. Mit dieser Beschwerde wurde gleichzeitig der Beschluss des Bezirksgerichtes Z vom 04.04.2016 zur Zahl **** betreffend die Bestellung eines Sachwalters, für alle Angelegenheiten (§ 268 Abs 3 Z 3 ABGB) sowie der Beschluss des Bezirksgerichtes Z vom 28.08.2017 zur Zahl **** betreffend die sachwalterschaftsgerichtliche Genehmigung der Einbringung einer Maßnahmenbeschwerde zur Geltendmachung einer Haftentschädigung wegen der viertägigen Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe ab 22.07.2017 beigelegt.

Aufgrund des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes wurde die Landespolizeidirektion Tirol als belangte Behörde aufgefordert alle diesen Sachverhalt betreffenden Akten dem Landesverwaltungsgericht vorzulegen und weiters wurden sie eingeladen eine Gegenschrift einzubringen.

Die Landespolizeidirektion Tirol legte die bezughabenden Aktenteile vor und machte von der Möglichkeit einer Gegenschrift Gebrauch.

II.      Sachverhalt und Beweiswürdigung:

Mit Schreiben vom 30.03.2017 zeigten die Zer Verkehrsbetriebe eine Verwaltungsübertretung gemäß Art 3 Abs 1 Z 2 EGVG durch den nunmehrigen Beschwerdeführer AA an. In dieser Anzeige wird ihm vorgeworfen, am 07.02.2017 um 7:50 mit einem Bus der Linie ** in Fahrtrichtung Y gefahren zu sein, ohne im Besitz eines gültigen Fahrausweises bzw Fahrscheines zu sein.

Aufgrund dieser Anzeige erließ die Landespolizeidirektion Tirol am 25.04.2017 eine Strafverfügung gemäß Art 3 Abs 1 Z 2 EGVG und verhängte über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von Euro 218,00 und gleichzeitig eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von vier Tagen. Diese Strafverfügung wurde dem Beschwerdeführer vermeintlich durch Hinterlegung am 28.04.2017 zugestellt.

Mit Schreiben vom 18.05.2017 mahnte die Landespolizeidirektion Tirol den offenen Strafbetrag zu der nunmehr rechtskräftigen Strafverfügung ein.


Mit Schreiben vom 16.06.2017 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer aufgefordert, seine Ersatzfreiheitsstrafe binnen 2 Wochen ab Erhalt dieses Schreibens anzutreten bzw die Strafe zu bezahlen.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden vom Beschwerdeführer im Strafverfahren in keinster Weise mitgewirkt und wurden vom ihm auch keinerlei Akte gesetzt.

Mit Verfügung vom 11.07.2017 ordnete die Landespolizeidirektion Tirol die Vorführung des Beschwerdeführers zum Strafantritt an. Am 22.07.2017 wurde der Beschwerdeführer sodann vorgeführt und verbüßte ab 09:20 Uhr eine viertägige Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 26.07.2017.

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem von der Landespolizeidirektion vorgelegten Strafakt und ist bezogen auf die Gegenschrift der belangten Behörde auch unstrittig.

Weiters ergibt sich aber auch aufgrund des vorgelegten Gerichtsbeschlusses des Bezirksgerichtes Z, vom 04. April 2016, zur Zahl ****, dass der Beschwerdeführer unter Sachwalterschaft in allen Angelegenheiten steht.

III.    Rechtliche Grundlagen:

Die hier relevanten Bestimmungen des Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG), BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 40/2017 lauten wie folgt:

㤠2.

Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:

1.       „Empfänger“: die von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5) namentlich als solcher bezeichnete Person;

§ 7.

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

§ 13

(1) Das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist aber auf Grund einer Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes an eine andere Person als den Empfänger zuzustellen, so tritt diese an die Stelle des Empfängers.

IV.      Rechtliche Beurteilung:

Der Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe stellt sich als Akt der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehlsgewalt und Zwangsgewalt dar (vgl dazu auch VfGH 25.06.2003, KI-1/03, VwGH 15.12.1992, 92/14/0171, 23.09.2003, 2003/02/0167 ua) und ist als solcher vor dem Landesverwaltungsgericht gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG bekämpfbar. Die gegenständliche Beschwerde ist daher zulässig und wurde innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist fristgerecht erhoben.

Das Fehlen der Prozessfähigkeit nach § 9 AVG ist als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens und von Amts wegen wahrzunehmen (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162), wobei der Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters konstitutive Wirkung hat und ab seiner Erlassung - innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters - zur eingeschränkten Geschäfts- und Handlungsfähigkeit des Betroffenen führt (vgl. B 29. November 2005, 2005/06/0256; B 27. November 2007, 2007/06/0221; B 12. November 2008, 2008/12/0168). Der Betroffene darf innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters nur im Rahmen der ihm zukommenden Möglichkeiten nach den § 280 ABGB und § 865 ABGB selbst Rechtshandlungen setzen. (VwGH 30.3.2017, Ra 2016/07/0084 und 22.06.2016, Ra 2016/03/0064).

Im hier vorliegenden Sachverhalt ergibt sich aus dem Beschluss des BG Z vom 04.04.2016, 3 P 95/15y-18 dass der im Umfang des § 268 Abs 3 Z 3 ABGB bestellte Sachwalter alle Angelegenheiten des Beschwerdeführers zu besorgen hat.

Zumal als Empfänger eines einem Besachwalterten zuzustellenden Schriftstückes sein gesetzlicher Vertreter, somit der Sachwalter, zu bezeichnen ist (VwGH 29.10.2008, 2008/08/0097 unter Hinweis auf OGH 21.09.2006, Zl. 8 Ob 96/06k, mwN), ergibt es sich in der hier vorliegenden Rechtssache, dass dem Beschwerdeführer im gesamten bisherigen verwaltungsbehördlichem Verfahren noch nie rechtswirksam zugestellt worden ist. Dies gilt insbesondere auch für die Strafverfügung vom 25.04.2017, Zl VStV/917300551993/2017, welche von der Landespolizeidirektion Tirol als vermeintliche rechtliche Grundlage für die Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe herangezogen wurde.

Zusammengefasst ergibt sich daher aus der Tatsache der mangelhaften Zustellung der verfahrensrelevanten Strafverfügung, dass der unter Sachwalterschaft stehende Beschwerdeführer ohne Vorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung eine viertägige Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt hat.

Der Beschwerdeführer wurde daher in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt. Gemäß Art 1 Abs 2 PersFrG ist das Recht auf persönliche Freiheit dann verletzt, wenn die Festnahme oder Anhaltung ohne Vorliegen der im PersFrG genannten Gründen oder ohne andere gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgt. Eine gesetzlich vorgeschriebene Weise liegt auf den hier vorliegenden Sachverhalt umgelegt dann vor, wenn aufgrund einer mit Strafe bedrohten Handlung auf Freiheitsentzug erkannt worden ist. Allerdings kann eine Freiheitsstrafe nur dann angetreten werden, wenn die entsprechende Strafverfügung in formelle Rechtskraft erwachsen und somit unanfechtbar ist (VwGH vom 13. 5. 1986, 83/05/0204). Der Eintritt der formellen Rechtskraft setzt jedoch die Erlassung dh mündliche Verkündung oder Zustellung der Strafverfügung an die betroffene Partei voraus (VwGH vom 19. 9. 1985, 82/06/0166).

Im gegenständlichen Fall fehlt es wie oben ausgeführt bereits an der rechtswirksamen Zustellung der Strafverfügungen gegenüber dem Beschwerdeführer. Somit verbüßte der Beschwerdeführer in der Zeit vom 22.02.2016 14:00 Uhr bis 24.02.2016 11:30 Uhr eine Ersatzfreiheitsstrafe für die jedoch keine entsprechende rechtliche Grundlage vorlag.

Die Feststellung dieses Sachverhaltes und dessen rechtliche Beurteilung ergeben sich auch losgelöst von der Feststellung subjektiv vorwerfbarer Fehler durch Organe der Landespolizeidirektion bereits bei rein objektiver Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes.

V.       Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Albin Larcher

(Vizepräsident)

Schlagworte

Ersatzfreiheitsstrafe; Zustellung Sachwalter; besachwalterte Person;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2017:LVwG.2017.23.2035.3

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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