TE Vfgh Erkenntnis 2017/9/22 KI4/2017

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Veröffentlicht am 22.09.2017
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Index

L6650 Flurverfassung

Norm

B-VG Art138 Abs1 Z1
Nö FlVfLG 1975 §97
VfGG §46 Abs1 Z1

Leitsatz

Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Obersten Gerichtshof und der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde; Feststellung der Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Entscheidung über die Einverleibung des Eigentums an in ein Zusammenlegungsverfahren einbezogenen Grundstücken

Spruch

I. Zur Entscheidung über den vom Einschreiter gestellten Antrag auf Verpflichtung der beteiligten Partei zur Einwilligung der Einverleibung des Hälfteeigentums der EZ 45, KG Kleinotten, für ihn ist die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde zuständig.

II. Der entgegen stehende Bescheid der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde vom 30. Mai 2017, Z ABB-Z-188/0011, wird aufgehoben.

III. Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Antragsteller zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– sowie der beteiligten Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Antrag und Vorverfahren

1.       Mit seinem auf Art138 Abs1 Z1 B-VG und §46 Abs1 Z1 VfGG gestützten Antrag begehrt der Einschreiter die Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Obersten Gerichtshof und der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde. Diesem Begehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1.    Mit Urteil vom 13. Juni 2016, 6 C 290/16x, gab das Bezirksgericht Gmünd in Niederösterreich der Klage des nunmehrigen Antragstellers gegen seine geschiedene Gattin statt und verpflichtete diese, in die grundbücherliche Einverleibung des Eigentumsrechtes ob ihres Hälfteanteiles an der Liegenschaft EZ 45, KG 24331 Kleinotten, bestehend aus den Grundstücken Nr 1093, 1094, 1361, 1362 und 1363, für ihn einzuwilligen.

1.2.    Aus Anlass der dagegen von der beklagten und im vorliegenden Verfahren beteiligten Partei erhobenen Berufung hob das Landesgericht Krems an der Donau mit Beschluss vom 24. November 2016, 1 R 130/16x, das angefochtene Urteil und das ihm vorangegangene erstinstanzliche Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Begründend führte es aus, der Einschreiter strebe mit seiner Klage, die inhaltlich auf die Zuhaltung der Scheidungsfolgenvereinbarung durch die Beklagte gerichtet sei, eine Änderung der Eigentumsverhältnisse an den Zusammenlegungsgrundstücken an, möge er auch bei einem Erfolg seiner Klage noch nicht bücherlicher Eigentümer werden (für die Frage, ob es um eine "Streitigkeit über Eigentum und Besitz" gehe, sei bedeutungslos, dass die Scheidungsfolgenvereinbarung, auf die der Kläger seinen Anspruch stütze, nur obligatorisch wirke). Damit sei die Voraussetzung einer "Streitigkeit über Eigentum an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken" iSd §97 Niederösterreichisches Flurverfassungs-Landesgesetz 1975, LGBl 6650-10, (in der Folge: NÖ FLG) erfüllt.

1.3.    Schließlich gab der Oberster Gerichtshof dem vom Kläger dagegen erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 24. März 2017, 9 Ob 5/17a, mit der Begründung keine Folge, dass es sich beim Begehren des Einschreiters (Zustimmung der Beklagten zur Einverleibung seines Eigentums am Hälfteanteil der Beklagten an bestimmten Grundstücken) um eine Streitigkeit über das Eigentum iSd §34 Abs4 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951, BGBl 103 idF BGBl I 189/2013, (in der Folge: FlVfGG) und §97 Abs1 NÖ FLG handle, weshalb die Zuständigkeit der Agrarbezirksbehörde gegeben sei, die die Zuständigkeit der Gerichte während des Zusammenlegungsverfahrens ausschließe.

1.4.    Daraufhin stellte der Einschreiter bei der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde den Antrag, die beteiligte Partei zu verpflichten, der Einverleibung des Hälfteeigentums der EZ 45, KG Kleinotten, für ihn zuzustimmen (oder in eventu das Eigentum an ihrem Hälfteeigentum für ihn festzustellen und dessen grundbücherliche Einverleibung zu veranlassen). Mit Bescheid vom 30. Mai 2017, Z ABB-Z-188/0011, wies die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde diesen Antrag wegen Unzuständigkeit zurück und führte begründend aus, dass der Nebensatz ", die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung oder Regelung in das Verfahren einbezogen werden müssen" in §97 Abs1 NÖ FLG die Zuständigkeit der Agrarbehörde ganz wesentlich einschränke. Die Agrarbehörde sei nicht generell für die genannten Angelegenheiten während eines Zusammenlegungsverfahrens zuständig, sondern nur dann, wenn diese Entscheidungen zum Zweck der Durchführung eines Zusammenlegungsverfahrens in das Verfahren einbezogen werden müssten. Ob diese Voraussetzung vorliege, sei allein von der Agrarbehörde zu entscheiden. Sinn mache diese Kompetenzkonzentration vor allem dann, wenn die Agrarbezirksbehörde in ihrem Verfahren behindert wäre und die Entscheidung einer anderen Behörde oder eines Gerichtes abwarten müsste, um ihr Verfahren fortzusetzen. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sei die Zuständigkeit der Agrarbehörde durch die Einschränkung nur dann gegeben, wenn die Einbeziehung der Angelegenheit zum Zwecke der Durchführung des Zusammenlegungsverfahrens unbedingt erforderlich sei. Ohne diese Einschränkung wäre die Zuständigkeit der Agrarbehörde schlechterdings für alle Entscheidungen über tatsächliche und rechtliche Verhältnisse im Zusammenlegungsgebiet gegeben. Dies widerspreche aber eindeutig dem Wortlaut des §97 NÖ FLG (vgl. VfSlg 5747/1968).

2.       Die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Äußerung ihre bereits im erwähnten Bescheid vertretene Rechtsauffassung bekräftigt.

3.       Der Oberste Gerichtshof hat Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch Abstand genommen.

4.       Die beteiligte Partei hat eine Äußerung erstattet, in der sie den rechtlichen Ausführungen der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde u.a. wie folgt entgegentritt:

4.1.    Da eine Entscheidung von Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken vorliege, die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung oder Regelung in das Verfahren einbezogen werden müssten, sei die genannte Verwaltungsbehörde gemäß §97 Abs1 NÖ FLG für die Entscheidung der strittigen Frage nach dem Eigentum zuständig, wogegen die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte während des Zusammenlegungsverfahrens ausgeschlossen sei.

4.2.    Selbst wenn man der Rechtsauffassung der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde folgen wollte, dass die vorliegende Streitigkeit über das Eigentum an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken keine Relevanz für das Zusammenlegungsverfahren habe, weil diese Streitigkeit nicht zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung oder Regelung in das Verfahren einbezogen werden müsse, so werde diesbezüglich auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 24. März 2017, 9 Ob 5/17a, verwiesen, der dazu ausgeführt habe, dass es sich bei den jeweils auf §34 Abs4 FlVfGG beruhenden landesgesetzlichen Vorschriften (hier: §97 NÖ FLG) um Sonderbestimmungen handle, mit denen der Gesetzgeber beabsichtigt habe, das Zusammenlegungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Genau diese Absicht des Gesetzgebers wäre jedoch gefährdet, wenn in jedem Fall strittiger Eigentums- und Besitzverhältnisse erst zu prüfen wäre, ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung stehe (ebenso OGH 16.7.2002, 4 Ob 158/02t).

4.3.    Hintergrund dieses – die Zuständigkeit der Zivilgerichte einschränkenden – Prinzips der Kompetenzkonzentration sei, dass sich bei der Durchführung von Bodenreformmaßnahmen die Notwendigkeit ergebe, die damit betrauten Behörden mit einer konzentrierten Entscheidungsbefugnis auszustatten, weil Vorschriften sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts zur Anwendung kämen, die sonst in die Zuständigkeit verschiedener Verwaltungsbehörden und Gerichte fielen.

II.      Rechtslage

§97 NÖ FLG lautet:

"§97

Zuständigkeit während eines Verfahrens

(1) Die Zuständigkeit der Agrarbehörde erstreckt sich mit Ausnahme der im Abs3 genannten Angelegenheiten vom Zeitpunkt der Einleitung eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs- oder Regelungsverfahrens bis zum Zeitpunkt des Abschlusses eines solchen Verfahrens auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse einschließlich der Entscheidung von Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken, die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung oder Regelung in das Verfahren einbezogen werden müssen. Während dieses Zeitraumes ist in diesen Angelegenheiten die Zuständigkeit jener Behörden ausgeschlossen, in deren Wirkungsbereich die Angelegenheiten sonst gehören.

(2) Soweit nicht anderes bestimmt ist, sind von der Agrarbehörde die Vorschriften, die sonst für diese Angelegenheiten gelten (wie die des bürgerlichen Rechtes, des Wasser-, Jagd-, Fischerei- und Forstrechtes), anzuwenden.

(3) Von der Zuständigkeit der Agrarbehörde sind jedoch ausgeschlossen:

a) Streitigkeiten, die vor Einleitung des Agrarverfahrens bereits vor dem ordentlichen Richter anhängig waren;

b) Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an Liegenschaften, mit denen ein Anteil an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, ein Nutzungs- oder Verwaltungsrecht oder ein Anspruch auf Gegenleistungen bezüglich solcher Grundstücke verbunden ist;

c) Angelegenheiten der Eisenbahnen, der Landesverteidigung, der öffentlichen Straßen und öffentlichen Wege, der Schifffahrt, der Luftfahrt und des Bergbaues;

d) Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, soweit nicht durch eine Verordnung gemäß §32 Abs4 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl 1000 bzw. §14 Abs4 des NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetzes, LGBl 1026, die Zuständigkeit der Agrarbehörde begründet wird.

(4) Ist für die Durchführung eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs- oder Regelungsverfahrens die Entscheidung in einer der im Abs3 lit.c und d erwähnten Angelegenheiten erforderlich, so hat die Agrarbehörde hierüber das Einschreiten der zuständigen Behörden zu veranlassen. Deren Entscheidung ist dem weiteren Verfahren der Agrarbehörde zugrunde zu legen."

III.    Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit des Verfahrens

1.1.    Gemäß Art138 Abs1 Z1 B-VG iVm §46 Abs1 Z1 VfGG besteht ein vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidender verneinender Kompetenzkonflikt dann, wenn ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit in derselben Sache verneint haben, obwohl eine der beiden Behörden zuständig gewesen wäre.

1.2.    Es ist offenkundig, dass im vorliegenden Fall in derselben Sache ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit abgelehnt haben (der Eventualantrag im verwaltungsbehördlichen Verfahren schadet diesbezüglich nicht), diese Ablehnung aber in einem Fall zu Unrecht erfolgt ist.

1.3.    Für die Zulässigkeit eines solchen Antrages ist es nicht erforderlich, dass die Prozessparteien in den zugrunde liegenden Verfahren den Instanzenzug ausgeschöpft haben (vgl. VfSlg 18.505/2008 mwN).

1.4.    Der vorliegende Antrag ist daher zulässig.

2.       In der Sache

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 20.050/2016 unter Hinweis auf seine eigene ständige Rechtsprechung, aber auch auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofes und jener des Verwaltungsgerichtshofes den Standpunkt eingenommen, dass die in §72 Abs5 lita TFLG 1996 normierte Zuständigkeit der Agrarbehörde für Streitigkeiten über Eigentum und Besitz in Bezug auf in das Zusammenlegungsverfahren einbezogene Grundstücke umfassend ist und durch die sich aus §72 Abs4 leg.cit. scheinbar ergebenden Ausnahmen (zB ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung steht) nicht eingeschränkt wird. Es handelt sich um eine Sondervorschrift, die über die Bestimmungen des vorangegangenen Absatzes nach der Absicht des Gesetzgebers hinausgeht. Wären die Beschränkungen des vorangegangenen Absatzes auch für Streitigkeiten über Eigentum und Besitz maßgebend, so würde – entgegen dem Motivenbericht – der neue Absatz im Wesentlichen keine Erweiterung der Zuständigkeit, sondern nur eine demonstrative Anführung von Beispielen bedeuten. Die Absicht des Gesetzgebers auf Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens müsste zunichte gemacht werden, wenn in jedem Fall einer §34 Abs4 FlVfGG entsprechenden landesgesetzlichen Vorschrift erst zu prüfen wäre, ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der (zB) Zusammenlegung steht, weil die Zuständigkeit je nach dem Ergebnis der keineswegs immer leichten Unterscheidung verschieden wäre. Der Vorteil einer Konzentration der Zuständigkeit ginge aber verloren, wenn infolge Teilung der Zuständigkeit neue Möglichkeiten eines bisher nicht bestandenen Zuständigkeitsstreites geschaffen würden. Dazu kommt noch, dass dann die Gerichte kaum in der Lage wären, verlässlich zu beurteilen, ob die Lösung eines bestimmten einzelnen Rechtsstreites eine Voraussetzung für die Durchführung der Zusammenlegung bildet und demnach der Agrarbehörde überlassen werden muss oder nicht. Der Umstand, dass der Inhalt des §72 Abs5 lita TFLG 1996 gesetzestechnisch in den im Übrigen §72 Abs4 leg.cit. entsprechenden §97 Abs1 NÖ FLG einbezogen ist, ändert an dieser Auffassung nichts.

2.2.    Da es sich im vorliegenden Fall um eine Streitigkeit über Eigentum an in ein Zusammenlegungsverfahren einbezogenen Grundstücken handelt, ist gemäß §97 Abs1 NÖ FLG die Agrarbezirksbehörde Niederösterreich für die Entscheidung über den vom Einschreiter gestellten Antrag zuständig.

IV.      Ergebnis

1.       Zur Entscheidung über den vom Einschreiter gestellten Antrag auf Verpflichtung der beteiligten Partei zur Einwilligung der Einverleibung des Hälfteeigentums der EZ 45, KG Kleinotten, für ihn ist die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde zuständig. Der entgegen stehende Bescheid der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde vom 30. Mai 2017, Z ABB-Z-188/0011, ist sohin aufzuheben.

2.       Die Kostenentscheidung beruht auf §52 erster Satz VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist jeweils Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie im Falle des Antragstellers eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Bodenreform, Flurverfassung, Agrarbehörden, Zuständigkeit, Behördenzuständigkeit, Zusammenlegungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:KI4.2017

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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