TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/14 97/21/0391

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Veröffentlicht am 14.09.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des A in Wien, geboren am 2. Februar 1968, vertreten durch Dr. Christian Schmelz, dieser vertreten durch Dr. Helmut Preyer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 28. Jänner 1997, Zl. Fr-691/96, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland (der belangten Behörde) vom 28. Jänner 1997 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, gemäß § 17 Abs. 1 iVm § 19 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am 20. November 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle von Ungarn kommend nach Österreich eingereist und unmittelbar danach betreten worden sei. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei somit unrechtmäßig. Er habe im Inland keine Verwandten und sei vor seiner illegalen Einreise hier nicht aufhältig oder wohnhaft gewesen. Aus diesem Grund liege kein Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers vor, weshalb "die Einschränkung des § 19 FrG" nicht in Betracht komme. Entgegen der in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vertretenen Auffassung liege eine direkte Einreise aus dem Verfolgerstaat nicht vor. In wiederholten Erkenntnissen habe der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass die "in Rede stehende Konventions-Bestimmung" nicht auf ein ohne Umwege und/oder Aufenthalte gestaltetes Durchreisen, sondern allein darauf abstelle, aus welchem Gebiet der Fremde "direkt" (unmittelbar) in einen Vertragsstaat einreise.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid, der nicht der Übergangsbestimmung des § 114 Abs. 5 Fremdengesetz 1997 unterfällt, noch an der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Rechtslage zu messen ist. Demnach sind Fremde gemäß § 17 Abs. 1 FrG mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen. Fremde halten sich nach § 15 Abs. 1 FrG rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Teiles und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind (Z. 1) oder wenn ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde (Z. 2) oder solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992, zukommt (Z. 3).

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil sein am 21. November 1996 gestellter Asylantrag noch nicht rechtskräftig erledigt worden sei, sodass ihm im Grunde der §§ 6 und 7 Asylgesetz 1991 eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung zukomme. Dazu bringt er u.a. vor, dass er in Ungarn - aus diesem Staat sei er gemäß den Feststellungen der belangten Behörde nach Österreich eingereist - nicht vor Rückschiebung in seine Heimat sicher gewesen sei; Ungarn habe die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) mit dem geografischen Vorbehalt unterzeichnet, dass nur Flüchtlinge geschützt würden, die aus europäischen Ländern kommen; dieser Vorbehalt habe zur Folge, dass Flüchtlinge aus nichteuropäischen Staaten keinen Schutz aus der GFK in Anspruch nehmen könnten; im Übrigen habe Ungarn bisher noch kein förmliches Verfahren zur Prüfung der Einhaltung des Refoulement-Verbotes und anderer völkerrechtlicher Abschiebungshindernisse eingeführt; es könne somit nicht als Land mit dauerndem und wirksamem Schutz vor Verfolgung angesehen werden.

Den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass der am 21. November 1996 (und damit innerhalb einer Woche ab Einreise in das Bundesgebiet) gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. November 1996 abgewiesen worden ist und dass über die dagegen erhobene Berufung im Zeitpunkt der Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides noch nicht entschieden war. Die belangte Behörde hat keine Feststellungen über ein den Beschwerdeführer betreffendes Asylverfahren getroffen. Seinem schon in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Einwand, er sei in keinem Durchreisestaat vor Verfolgung sicher gewesen und daher gemäß § 6 Asylgesetz 1991 eingereist, sodass ihm gemäß § 7 leg. cit. eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung zukomme, hat sie freilich entgegengehalten, es liege bezüglich des Beschwerdeführers keine direkte Einreise aus dem Verfolgerstaat vor. Mit dieser Argumentation wurde sie indes dem Umstand nicht gerecht, dass für die Frage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach § 7 Asylgesetz 1991 - und damit für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Bundesgebiet im Sinn des § 15 Abs. 1 Z. 3 FrG - auch maßgeblich ist, ob der Betroffene in den Durchreisestaaten verfolgt oder von einer Rückschiebung bedroht war und daher wegen des Vorliegens der in § 37 Abs. 1 oder 2 FrG genannten Gründe bei seiner Einreise nicht zurückgewiesen hätte werden dürfen und ihm daher gemäß § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Einreise zu gestatten gewesen wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 1997, Zl. 97/21/0229, und vom 5. November 1997, Zl. 95/21/0984, mwN). Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren in diese Richtung zwar nur ein allgemein gehaltenes Vorbringen erstattet. In der Beschwerde führt er jedoch näher aus, auf welchen Grundlagen seine Befürchtungen beruhen (siehe oben). Dieses - nach dem Gesagten inhaltlich maßgebliche - Vorbringen unterliegt nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot. Mit Recht wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde in diesem Zusammenhang nämlich vor, dass sie ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei: Hat ein Fremder einen Asylantrag gestellt und zudem das Vorliegen einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung behauptet, so muss die Fremdenpolizeibehörde im Verfahren nach § 17 Abs. 1 FrG insbesondere dieses Kriterium einer Überprüfung unterziehen und dazu Ermittlungen anstellen. Die vom Beschwerdeführer aufgezeigten Bedenken bezüglich Ungarn sind allgemeiner Natur und nicht in seinen spezifischen Verhältnissen begründet. Es handelt sich daher um Umstände, die von der belangten Behörde ohne Weiteres hätten erhoben werden können und die gegebenenfalls Ermittlungen über die tatsächlich geübte Praxis erfordert hätten; die Frage, welche Vorgangsweise in bestimmten Drittstaaten in Bezug auf den Schutz von Flüchtlingen vor einer Abschiebung in ihren Heimatstaat beobachtet wird, zählt nicht zu denen, bei deren Klärung der Mitwirkungspflicht des Asylwerbers Bedeutung zukäme (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179).

Indem sich die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht näher damit auseinander gesetzt hat, ob einer Zurückweisung des Beschwerdeführers an der Grenze angesichts einer in Ungarn drohenden Gefahr einer Abschiebung in jenen Staat, in dem er verfolgt zu werden behauptet, § 37 Abs. 1 oder 2 FrG entgegenstand, hat sie den gegenständlichen Bescheid mit einem sekundären Verfahrensmangel belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. September 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997210391.X00

Im RIS seit

03.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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