TE Dok 2016/9/30 W05-DK/07/14

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Veröffentlicht am 30.09.2016
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Norm

BDG 1979 §118 Abs1 Z1
BDG 1979 §43 Abs1
BDG 1979 §43 Abs2

Schlagworte

Freispruch wegen mangelnder Schuldfähigkeit; Nichtzustellen von Sendungen

Text

-ORGAN-

BM für Finanzen

-DOKTYP-

TE

-DATUM-

30.09.2015

-GZ-

W05-DK/07/14

-NORM-

BDG §118 Abs1 Z1

BDG §43 Abs1

BDG §43 Abs2

-SW-

Freispruch wegen mangelnder Schuldfähigkeit; Nichtzustellen von Sendungen

Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen hat durch MR Dr. Gottfried Nowak als Senatsvorsitzenden sowie ADir Ingrid Steiner und I Gerhard Rinner in der am 30. September 2015 in Anwesenheit der Disziplinaranwältin MR Dr. Gerda Minarik und des Beschuldigten NN durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

NN

Briefzusteller in der Zustellbasis XX, derzeit suspendiert

wird von den Vorwürfen, er habe

1.       nachfolgend angeführte 12 Rückscheinbriefe, eine Einschreibsendung, ein Kleinpaket aus dem Kalenderjahr 2013 sowie weitere 141 verschiedene Briefsendungen nicht ordnungsgemäß zugestellt, sondern unter der Bodenplatte seines Zustellkarrens versteckt, wo sie gemeinsam mit zwei Benachrichtigungen und drei Hinterlegungsanzeigen anlässlich einer Kontrolle am 17. Dezember 2013 durch den Distributionsleiter aufgefunden wurden

………

2.       es unterlassen, sowohl die im Zustellkarren mit dem Vermerk „nicht behoben, zurück“ aufgefundene Einschreibsendung von 22. Jänner 2013 sowie die 3 Hybrid RSb Briefe in der BAA zu erfassen,

3.       für das am 17. Dezember 2013 im Zustellkarren aufgefundene Kleinpaket am 22. Jänner 2013 den Status „zugestellt“ in die BAA eingegeben,

4.       in einem Depotkasten 4 Großbriefsendungen aus dem Zeitraum Dezember 2012 bis November 2013 gelagert, sodass sie anlässlich einer ebenfalls am 17. Dezember 2013 durchgeführten Kontrolle aufgefunden werden konnten

 

und dadurch gegen Dienstpflichten eines Beamten nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, nämlich

seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft, engagiert und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen (§ 43 Abs. 1 BDG 1979)

und

in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen hat, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt (§ 43 Abs. 2 BDG 1979)

schuldhaft verletzt und dadurch Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen,

gemäß § 126 Abs. 2 in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz BDG 1979

f r e i g e s p r o c h e n.

Verfahrenskosten sind keine angefallen.

B e g r ü n d u n g

NN steht seit 1986 im Postdienst. Mit 1. April 1993 wurde er zum Beamten ernannt. Der Beamte ist ledig. Er hat keine Sorgepflichten und keine zusätzlichen finanziellen Belastungen.

Zum Sachverhalt:

NN war bis zu seiner Suspendierung Briefzusteller in einem Gleitzeitdurchrechnungsmodell bei der Zustellbasis XX.

In der Zeit vom 10. Dezember 2013 bis 20. Dezember 2013 befand er sich auf Erholungsurlaub.

Anlässlich einer Kontrolle des Zustellkarrens von NN am 17. Dezember 2013 wurden 141 Briefsendungen, 12 Rückscheinbriefe, eine Einschreibsendung, ein Kleinpaket, zwei Benachrichtigungen und drei Hinterlegungen unter der Bodenplatte der Taschen des Zustellwagens vorgefunden. In der Folge wurde eine Kontrolle des Depotkastens durchgeführt, wobei 4 Großbriefsendungen aufgefunden wurden.

Überdies bestand der Verdacht, dass die Einschreibsendung, das Kleinpaket und drei Hybrid RSb-Briefe von NN nicht in der BAA eingegeben wurden.

Im Zustellzeitpunkt sämtlicher aufgefundener Sendungen war NN im Dienst, außerdem waren die Sendungen dem Zustellbezirk, für den NN Stammzusteller war, zuzuordnen. Somit fiel die Zustellung der aufgefundenen Sendungen in den eindeutigen Verantwortungsbereich des Beschuldigten.

NN stand demnach im dringenden Verdacht, eine nicht unerhebliche Menge an Postsendungen, unter anderem Einschreibsendungen, dem Postlauf entzogen zu haben sowie über einen langen Zeitraum hindurch anvertraute Sendungen nicht, wie vom Dienstgeber gefordert, zuverlässig und pünktlich an die jeweiligen Empfänger zugestellt, sondern in seinem Zustellwagen sowie im Depotkasten versteckt zu haben.

Da NN bei der Zustellung der RSb-Briefe auch als Organ der Hoheitsverwaltung tätig war, hat das Personalamt Wien am 17. Februar 2014 eine Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Wien erstattet. Überdies wurde der Beamte mit Bescheid der Disziplinarkommission vom 17. Jänner 2014, GZ W 1/4-DK-VII/14, vom Dienst suspendiert.

Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien vom 26. August 2014 wurde, nach einem diversionellen Vorgehen und der Einzahlung eines Betrages von EUR 50,-- durch den Beschuldigten als Pauschalkostenbeitrag, das Strafverfahren für eine Probezeit in der Dauer von zwei Jahren gemäß 198 Abs. 3 in Verbindung mit § 199 und § 203 StPO vorläufig eingestellt.

Festgehalten wird, dass über NN bereits im Jahr 2008 aufgrund einer vergleichbaren Dienstpflichtverletzung rechtskräftig die Disziplinarstrafe einer Geldstrafe verhängt wurde, da er Postsendungen in großem Umfang nicht zugestellt, sondern in einen Bach geworfen hatte. Außerdem wurde über ihn wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst von der Disziplinarkommission am 17. März 2011 eine weitere Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von 5 Monatsbezügen rechtskräftig verhängt.

Zur objektiven Tatseite der dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen ist festzuhalten, dass aufgrund der Unterlagen und der Beschuldigtenverantwortung davon auszugehen ist, dass er die ihm vorgeworfenen Handlungen begangen hat.

Diese vorliegenden Handlungen wurden vom Beschuldigten grundsätzlich nicht bestritten. Er fühle sich „teilweise“ schuldig. Die Ursache dieser Handlungen würde jedoch in erster Linie im Gesundheitszustand, in der schlechten psychischen Situation des Beschuldigten und im schwieriger werdenden dienstlichen Umfeld liegen.

Durch Einholung eines fachärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. E., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 27. April 2015 sollte festgestellt werden, ob und inwieweit die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt eingeschränkt war sowie ob oder inwieweit das inkriminierte Verhalten auf eine psychische Erkrankung oder auf sonstige krankhafte Faktoren zurückzuführen war.

Demnach besteht beim Beschuldigten anamnestisch seit mehreren Jahren eine endoreaktive Depressio, mit anamnestisch bekannten vertieften Episoden, insbesondere 2007 und 2010, sowie folglich festzustellende Einschränkungen der Antriebsleistung, der Konzentration sowie der kognitiven Breite. Das Zustandsbild werde begleitet von Überforderungsgefühl, Entscheidungsschwäche, Schlafstörungen sowie affektiver Instabilität. Trotz zeitweise glaubhafter psychischer Anstrengung – Anspannung und auch unter zeitweise laufender fachspezifischer Therapie, fiel der Beschuldigte wiederholt in pathologische Verhaltensmuster zurück. Aus fachspezifischer Sicht konnte der Beschuldigte hinsichtlich der Ereignisse im Tatzeitraum 2013 zwar die Diskretionsfähigkeit, die Fähigkeit das Unrecht seiner Tat einzusehen erhalten, jedoch die Dispositionsfähigkeit, nämlich die Fähigkeit nach dieser Einsicht auch zu handeln, aufgrund psychopathologischer Strukturen nicht Folge leisten.

Aus diesen Gründen liegt im gegenständlichen Fall ein Schuldausschließungsgrund vor.

Des Weiteren wird festgehalten, dass dem Beschuldigten hinsichtlich seiner Handlungen keine Schädigungsabsicht nachzuweisen war.

Der Sachverhalt ergibt sich aufgrund der Ergebnisse der mündlichen Verhandlungen vom 26. März 2015 und 30. September 2015, der Disziplinaranzeige des Personalamtes Wien vom 17. Februar 2014, der Sachverhaltsdarstellung der Zustellbasis XX vom 17. Dezember 2013, des fachärztlichen Sachverständigengutachtens vom 27. April 2015 sowie der SAP-Ausdrucke.

Voraussetzung für die disziplinäre Verantwortlichkeit ist die Zurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) des Täters zur Zeit der Tat. Der Beamte muss demnach wegen einer schweren psychischen Störung bzw. Erkrankung unfähig sein, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen oder, wie im vorliegenden Fall, nach dieser Einsicht zu handeln (Diskretionsfähigkeit ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen; Dispositionsfähigkeit ist die Fähigkeit, dieser Einsicht entsprechend zu handeln).

In der gegenständlichen Disziplinarangelegenheit wurde insbesondere die Dispositionsfähigkeit des Beschuldigten zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Handlungen im vorliegenden fachärztlichen Gutachten nicht als gegeben gewesen beurteilt. Es kann daher ohne Zweifel davon ausgegangen werden, dass beim Beschuldigten im Tatzeitraum aufgrund der psychischen Erkrankung eine Unzurechnungsfähigkeit bewirkt wurde, sodass die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen nicht – als gemäß § 91 BDG 1979 verschuldet – subjektiv zurechenbar sind.

Aus diesem Grund war daher bezüglich aller Spruchpunkte ein Freispruch nach § 118 Abs. 1 Z 1 zweiter Halbsatz BDG 1979 auszusprechen.

Zuletzt aktualisiert am

26.09.2016
Quelle: Disziplinarkommissionen, Disziplinaroberkommission, Berufungskommission Dok, https://www.ris.bka.gv.at/Dok
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