TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/21 98/18/0050

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Veröffentlicht am 21.09.2000
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Index

E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/02 Familienrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
59/04 EU - EWR;

Norm

61983CJ0267 Aissatou Diatta VORAB;
EheG §27;
EWR-Abk;
FrG 1993 §18 Abs2 Z6;
FrG 1993 §29 Abs2;
FrG 1993 §29 Abs3 Z1;
FrG 1993 §31 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §49 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der D H, (geb. 13.10.1965), vertreten durch Dr. Herbert Eisserer, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Jörgerstraße 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Jänner 1998, Zl. SD 437/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. Jänner 1998 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Die Beschwerdeführerin habe sich laut Aktenlage erstmals 1992 in Österreich aufgehalten. Sie habe sowohl am 29. Juli 1992 als auch am 4. Jänner 1993 einen Sichtvermerksantrag im Inland eingebracht, beide Anträge jedoch wieder zurückgezogen. Am 2. März 1993 sei sie dann von der Fremdenpolizeibehörde wegen unrechtmäßigen Aufenthalts rechtskräftig bestraft worden. Ein weiterer Sichtvermerksantrag vom 8. Februar 1993 sei von der Beschwerdeführerin abermals zurückgezogen worden. Die Beschwerdeführerin sei aber dennoch illegal in Österreich geblieben. Seit März 1994 sei sie in Wien polizeilich gemeldet und sei laut Auskunft der Wiener Gebietskrankenkasse vom 27. Dezember 1993 bis 13. April 1995 in einem Sanatorium beschäftigt gewesen. Am 27. Oktober 1995 (bis 14. März 1996) sei die Beschwerdeführerin arbeitslos gemeldet gewesen. Ein neuerlicher Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 28. November 1995 sei in beiden Instanzen abgewiesen worden, weil die Beschwerdeführerin den Antrag im Inland gestellt gehabt habe und - wie sie selbst angegeben gehabt habe - mit einem vom 17. August 1994 bis 1. September 1994 gültigen Touristensichtvermerk eingereist und anschließend illegal in Österreich geblieben sei.

Mit Recht habe die Erstbehörde aus dem aufgezeigten Sachverhalt den Schluss gezogen, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Beantragung des Touristensichtvermerks für einen kurzen touristischen bzw. Besuchsaufenthalt die Absicht gehabt habe, zu einem anderen Zweck und für länger als die beantragte Gültigkeitsdauer eines Touristensichtvermerks einzureisen, zumal sie zu diesem Zeitpunkt einerseits bereits über einen Hauptwohnsitz in Österreich verfügt habe, andererseits sogar einer Beschäftigung im Bundesgebiet nachgegangen sei. Die Beschwerdeführerin sei von der Fremdenpolizeibehörde auch wegen ihres illegalen Aufenthalts rechtskräftig bestraft worden. Die Erstbehörde sei jedenfalls zu Recht davon ausgegangen, dass im Fall der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 6 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, vorlägen. Obwohl der Beschwerdeführerin im Wege ihres Rechtsfreundes von der Erstbehörde Gelegenheit gegeben worden sei, zu den Vorwürfen und zu ihren persönlichen Verhältnissen "(Ehegatte etc.)" Stellung zu nehmen, habe sie sich dazu nicht geäußert. Da sich die Beschwerdeführerin auch in einer Berufung "dazu" (gemeint: zu den Vorwürfen) nicht geäußert habe, und sie auch von der ihr gegebenen Gelegenheit, eine Kopie des gegenständlichen Touristensichtvermerks zu übermitteln bzw. anzugeben, von welcher österreichischen Botschaft dieser ausgestellt worden sei, keinen Gebrauch gemacht habe, sei der von der Erstbehörde festgestellte Sachverhalt als erwiesen anzunehmen und es liege demnach der danach mit dem Inkrafttreten des FrG gegenüber § 18 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, unveränderte Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG vor. Das oben dargestellte Gesamtfehlverhalten der Beschwerdeführerin beeinträchtige die öffentliche Ordnung in hohem Maß, sodass im vorliegenden Fall die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen sie auch im Grunde des § 36 Abs. 1 FrG - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 leg. cit. - gerechtfertigt sei.

Erstmals in der Berufung werde geltend gemacht, dass die Beschwerdeführerin seit 6. Oktober 1993 "(!)" mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet wäre und die Behörde dies nicht berücksichtigt hätte. Die Ermittlungen und die Aussagen des Ehegatten wiesen allerdings auf das Vorliegen einer "Scheinehe gegen ÖS 20.000,--" hin, doch bestreite die Beschwerdeführerin dies mit Beweisanträgen und behaupte, dass ihr Ehemann, als sie mehrere Monate in Jugoslawien gewesen wäre, eine andere Frau kennen gelernt hätte und deshalb die Scheidung wollte. Ein Nichtigkeitsverfahren sei anhängig. Von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben könne daher, bedenke man, dass die bisherige Niederlassung der Beschwerdeführerin rechtswidrig gewesen sei, wohl nicht ernsthaft die Rede sein. Angesichts des gegebenen Sachverhalts sei aber die Erlassung des Aufenthaltsverbotes jedenfalls zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher zulässig. Unter Berücksichtigung des bereits oben aufgezeigten Verhaltens und im Hinblick darauf, dass sich die Beschwerdeführerin seit 2. September 1994 trotz ablehnender Bescheide illegal in Österreich aufhalte, könnten daher die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung, zumal die Beschwerdeführerin einerseits diese Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen habe, zu dem sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, zum anderen bei der Staatsanwaltschaft Wien ein Verfahren "betreffend Ehenichtigkeit" anhängig sei. Auch die Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und eine daraus allenfalls resultierende Integration schlügen nicht zu ihren Gunsten zu Buche, weil ihr Aufenthalt in Österreich zum überwiegenden Teil unrechtmäßig gewesen sei. Sohin habe der Berufung gegen den Erstbescheid keine Folge gegeben werden können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

1. Die belangte Behörde legte der Begründung des angefochtenen Bescheides (vgl. oben I.1.) das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den Erstbescheid zu Grunde, dass sie seit dem 6. Oktober 1993 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei. Nach § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern im Sinn des § 47 Abs. 3 FrG, die Staatsangehörige eines Drittstaats sind, Niederlassungsfreiheit; für sie gelten grundsätzlich die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes dieses Gesetzes. Zu den im § 47 Abs. 3 FrG genannten Angehörigen zählt unter anderem der Ehegatte (Z. 1), ohne dass der Gesetzgeber hier auf ein gemeinsames Familienleben abstellt. Da sich gemäß § 27 des Ehegesetzes niemand auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen kann, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist, kommt es für die Stellung eines begünstigten Angehörigen eines Österreichers auch nicht darauf an, ob Gründe für die Nichtigerklärung einer (formal bestehenden) Ehe vorliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. März 2000, Zl. 99/18/0269). Im Beschwerdefall findet somit die Bestimmung des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG Anwendung, derzufolge die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig ist, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

2. Der bloße Umstand, dass die belangte Behörde im Spruch ihres Bescheides das Aufenthaltsverbot allein auf § 36 FrG und nicht auf § 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat, bewirkt allerdings keine Verletzung subjektiver Rechte der Beschwerdeführerin, weil § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 leg. cit. bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung ist, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der im § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden darf. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 2000/18/0026, mwH.)

3. Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass ihr als Ehefrau eines österreichischen Staatsbürgers Niederlassungsfreiheit in Österreich zustehe. Auf dem Boden der oben dargestellten Rechtslage führt dieses Vorbringen die Beschwerde zum Erfolg.

Im Hinblick auf die Kundmachung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 58/1994, wonach das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum schon vor der Einreise der Beschwerdeführerin mit dem vom 17. August 1994 bis 1. September 1994 gültigen Touristensichtvermerk in Kraft getreten ist, durfte die Beschwerdeführerin schon zu diesem Zeitpunkt nicht schlechter gestellt werden als eine begünstigte Drittstaatsangehörige gemäß § 29 Abs. 3 Z. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992 (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 96/21/0012), die gemäß § 29 Abs. 2 leg. cit. einen Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Sichtvermerks hatte, wenn durch ihren Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wurde. Im Hinblick auf diesen - auch nach dem FrG gegebenen - Rechtsanspruch kann daher aus dem Umstand, dass sie bei Beantragung des Touristensichtvermerkes unrichtige Angaben über Zweck und Dauer ihres beabsichtigten Aufenthaltes machte, sowie aus dem rechtswidrigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin nach ihrer Einreise und ihrer darauf beruhenden rechtskräftigen Bestrafung keine Gefährdung im Sinn des § 48 Abs. 1 FrG abgeleitet werden (vgl. in diesem Sinn das zu § 31 Abs. 1 des Fremdengesetzes ex 1992 ergangene, aber auch vorliegend einschlägige hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 97/18/0220). Auf ihre Bestrafung wegen unerlaubten Aufenthaltes aus dem Jahr 1993 vor ihrer Eheschließung (vgl. Aktenblatt 10 der vorgelegten Verwaltungsakten) kann aber das vorliegende Aufenthaltsverbot schon deswegen nicht gestützt werden, weil eine solche einmalige Bestrafung nach dem FrG in Ansehung des - als Orientierungsmaßstab fungierenden - § 36 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. eine Gefährdung im Sinn des § 48 Abs. 1 FrG nicht begründen kann (vgl. die Ausführungen oben II.2.).

Vor diesem Hintergrund hat die belangte Behörde, wenn sie im Beschwerdefall die Annahme für gerechtfertigt erachtete, dass auf Grund des Gesamtfehlverhaltens der Beschwerdeführerin die öffentliche Ordnung beeinträchtigt sei, die Rechtslage verkannt.

5. Schon deshalb leidet der angefochtene Bescheid an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. September 2000

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998180050.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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