RS Vfgh 2015/3/10 E1139/2014 ua

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Veröffentlicht am 10.03.2015
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Index

34/01 Monopole

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art130 Abs4
GlücksspielG §52 Abs1 Z1, Abs3
StGB §168
VStG §1 Abs2
EMRK Art7
EMRK 7. ZP Art4 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Veranstaltung verbotener Ausspielungen mit Glücksspielautomaten; Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörden, unabhängig vom möglichen Höchsteinsatz, im Hinblick auf die nach einem Günstigkeitsvergleich anzuwendende neue Rechtslage mit Subsidiarität der gerichtlichen Strafnorm zu Recht angenommen; keine willkürliche Bestrafung durch Zugrundelegung des niedrigeren Strafrahmens

Rechtssatz

Der VfGH geht von jenem Inhalt des Art7 EMRK aus, den der EGMR diesem zuletzt beigelegt hat. Im Lichte dessen gebietet es Art7 EMRK, bei Änderung der Rechtslage nach der Begehung der Straftat die für den Beschuldigten mildere Strafe zu verhängen.

§1 Abs2 VStG ermöglicht den Anforderungen des Art7 EMRK entsprechend einen umfassenden Günstigkeitsvergleich mehrerer in Betracht kommender Rechtslagen. Ein solcher Günstigkeitsvergleich hat sich nicht ausschließlich auf die materiellen Strafbestimmungen, sondern auf die Rechtslage als solche zu beziehen und daher - wie in den vorliegenden Fällen - auch Subsidiaritätsbestimmungen zu berücksichtigen.

Zum Zeitpunkt der Begehung der dem Beschwerdeführer angelasteten Taten war der bewilligungslose Betrieb eines Glücksspielautomaten - sei es nach §168 StGB (gerichtlich) oder nach §52 Abs1 Z1 GSpG (verwaltungsbehördlich) - jedenfalls strafbar. Nach der zum Zeitpunkt der Begehung der Taten (bzw der Erlassung der Strafbescheide erster Instanz) geltenden Rechtslage bestand hinsichtlich Glücksspielautomaten mit einem möglichen Höchsteinsatz über € 10,- auf Grund des §52 Abs2 GSpG idF vor der Novelle BGBl I 13/2014 eine ausschließliche Zuständigkeit der Strafgerichte für die Strafverfolgung. Nach der zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichts Steiermark geltenden Rechtslage bestand für solche Ausspielungen gemäß §52 Abs3 GSpG idF der Novelle BGBl I 13/2014 hingegen eine Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörden für die Verfolgung (vgl VfGH 10.03.2015, G203/2014 ua). Der gerichtliche Straftatbestand des §168 StGB sieht für unerlaubtes Glücksspiel eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätze vor. §52 Abs1 Z1 GSpG idF BGBl I 13/2014 sieht für jemand, der "zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des §2 Abs4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des §2 Abs2 daran beteiligt" eine Geldstrafe von bis zu € 60.000,- vor.

Für den VfGH besteht vor diesem Hintergrund kein Zweifel, dass die Anwendung der Verwaltungsstrafbestimmung des §52 Abs1 Z1 GSpG, welche im Gegensatz zur gerichtlichen Strafnorm des §168 StGB keine Primärfreiheitsstrafe vorsieht, für den Beschwerdeführer in seiner Gesamtauswirkung günstiger ist. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat daher zu Recht angenommen, dass im Fall möglicher Höchsteinsätze von über € 10,- auf den - den Bestrafungen zugrunde liegenden - Glücksspielautomaten gleichermaßen eine Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörden für die Verfolgung der dem Beschwerdeführer angelasteten Taten anzunehmen wäre. Der VfGH kann demgemäß weder einen Verstoß gegen das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG noch gegen das Doppelbestrafungsverbot gemäß Art4 des 7. ZPEMRK oder eine Verletzung von Art6 EMRK erkennen.

Gemäß Art130 Abs4 B-VG hat das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen immer in der Sache selbst zu entscheiden; seine Entscheidung tritt damit anstelle jene der belangten Behörde.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat in seinen Entscheidungen dahingestellt gelassen, ob auf den - den Bestrafungen zugrunde liegenden - Glücksspielautomaten Höchsteinsätze von über oder unter € 10,- möglich waren. Für die Frage, ob das Landesverwaltungsgericht in den vorliegenden Fällen überhaupt in der Sache zuständig war, ist die Einsatzhöhe der Glücksspielautomaten nicht entscheidungsrelevant. Relevanz hätte eine solche Feststellung ausschließlich für die Frage, ob in den Beschwerdefällen §52 Abs1 Z1 GSpG idF vor der Novelle BGBl I 13/2014 oder §52 Abs1 Z1 GSpG idF der Novelle BGBl I 13/2014 anzuwenden war. Die beiden Bestimmungen unterscheiden sich - soweit hier interessierend - in ihrem Strafrahmen. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat seinen Bestrafungen den niedrigeren Strafrahmen des §52 Abs1 Z1 GSpG idF vor der Novelle BGBl I 13/2014 zugrunde gelegt. Darin kann der VfGH kein willkürliches Verhalten des Landesverwaltungsgerichts Steiermark erkennen.

Entscheidungstexte

  • E1139/2014 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 10.03.2015 E1139/2014 ua

Schlagworte

Glücksspiel, Verwaltungsstrafrecht, Strafrecht, Zuständigkeit, Behördenzuständigkeit, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Subsidiaritätsprinzip, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Geltungsbereich Anwendbarkeit, Günstigkeitsprinzip, Doppelbestrafungsverbot, ne bis in idem, Strafen, Strafbemessung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:E1139.2014

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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