RS Vfgh 2015/2/27 G139/2014

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Veröffentlicht am 27.02.2015
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Index

L3400 Abgabenordnung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art97 Abs2
B-VG Art131 Abs5
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
WAOR (Wr G über die Organisation der Abgabenverwaltung und besondere abgabenrechtliche Bestimmungen in Wien) §1, §2, §5
F-VG 1948 §7 Abs5, §8 Abs1, Abs5, §11 Abs3
FAG 2008 §15 Abs3 Z5
Wr ParkometerG 2006 §1, §4, §7
ParkometerabgabeV des Wr Gemeinderates, ABl 51/2005 idF ABl 29/2013

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit einer Wiener landesgesetzlichen Regelung über die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes zur Entscheidung über Beschwerden in Angelegenheiten abgabenrechtlicher Verwaltungsübertretungen zu der auf Grund einer finanzverfassungsgesetzlichen Ermächtigung erhobenen, eine ausschließliche Angelegenheit des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder darstellenden Parkometerabgabe; Abweisung des Antrags des Bundesfinanzgerichtes, teils Zurückweisung des Antrags als zu weit gefasst

Rechtssatz

Abweisung des Antrags des Bundesfinanzgerichtes, soweit er sich gegen die Wortfolge "und der abgabenrechtlichen Verwaltungsübertretungen zu diesen Abgaben" in §5 des Gesetzes über die Organisation der Abgabenverwaltung und besondere abgabenrechtliche Bestimmungen in Wien (WAOR), LGBl 21/1962 idF LGBl 45/2013, richtet.

Im Übrigen Zurückweisung des Antrags.

§5 WAOR begründet die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes in Angelegenheiten "der in den §§1 und 2 genannten Landes- und Gemeindeabgaben und der abgabenrechtlichen Verwaltungsübertretungen zu diesen Abgaben". Dem Verfahren vor dem antragstellenden Bundesfinanzgericht liegt eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis betreffend die Vorschreibung einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Verkürzung der Wiener Parkometerabgabe zugrunde. Das Bundesfinanzgericht hat daher im Zuge der Prüfung seiner Zuständigkeit zur Entscheidung über die Beschwerde im anhängigen Verfahren zu prüfen, ob eine Verwaltungsübertretung zu einer in den §§1 und 2 WAOR genannten Landes- und Gemeindeabgaben vorliegt.

Der Auffassung der Wiener Landesregierung, das Bundesfinanzgericht wende sich mit seinem Antrag im Ergebnis gegen §4 Abs1 Wr ParkometerG 2006, vermag der VfGH nicht zu folgen.

Die Wahrnehmung der Zuständigkeit gemäß §5 WAOR ist vom Bundesfinanzgericht vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage zu entscheiden, die Ausführungen zu §4 Abs1 Wr ParkometerG 2006 dienen nur zur Begründung der verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich gegen §5 WAOR richten.

Die Vorschrift des §5 WAOR ist im Verfahren vor dem antragstellenden Bundesfinanzgericht allerdings nur insoweit präjudiziell, als sich die Regelung auf die Wahrnehmung der Zuständigkeit zur Entscheidung in einem Beschwerdeverfahren betreffend ein Straferkenntnis im Hinblick auf die fahrlässige Verkürzung der Parkometerabgabe bezieht. Vor dem Hintergrund der Bedenken des Bundesfinanzgerichtes ist somit nur die Wortfolge "und der abgabenrechtlichen Verwaltungsübertretungen zu diesen Abgaben" präjudiziell. Diese Wortfolge steht auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit jenem Teil der Bestimmung, der anordnet, dass über Beschwerden in Angelegenheiten der in den §§1 und 2 genannten Landes- und Gemeindeabgaben das Bundesfinanzgericht entscheidet. Da das Bundesfinanzgericht den Antrag stellt, den gesamten §5 WAOR als verfassungswidrig aufzuheben, und diese Vorschrift in ihrem ersten Teil die Wahrnehmung der - offenkundig im anhängigen Beschwerdeverfahren nicht zu beurteilenden - Zuständigkeit in Angelegenheiten der in den §§1 und 2 genannten Landes- und Gemeindeabgaben regelt, ist der Antrag insoweit zu weit gefasst.

Art131 Abs5 B-VG sieht - unter sinngemäßer Anwendung des Art97 Abs2 B-VG - vor, dass durch Landesgesetz in Rechtssachen in den Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte des Bundes - und damit auch des Bundesfinanzgerichtes - vorgesehen werden kann.

Zu den Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder iSd Art131 Abs5 B-VG gehören zunächst die des Art15 Abs1 B-VG und somit jene Angelegenheiten, in denen Gesetzgebung und Vollziehung Landessache ist.

Hinsichtlich der Wiener Parkometerabgabe nach der Parkometerabgabeverordnung des Wiener Gemeinderates beruht die Ausschreibung kompetenzrechtlich auf §7 Abs5 F-VG 1948 (Ermächtigung zur Ausschreibung bestimmter Abgaben auf Grund eines Beschlusses der Gemeindevertretung).

Die Zuständigkeitsvorschrift des §7 Abs5 F-VG 1948 steht in systematischem Zusammenhang mit §8 Abs1 F-VG 1948.

Der Landesgesetzgeber ist nicht gehindert, in Ausübung der ihm durch §8 Abs1 F-VG 1948 übertragenen Kompetenz zur Regelung der ausschließlichen Gemeindeabgaben auch Regelungen für Abgaben zu treffen, die nach §7 Abs5 F-VG 1948 den Gemeinden in das freie Beschlussrecht übertragen wurden. Solche landesgesetzlichen Regelungen dürfen aber die durch die Bundesgesetzgebung eingeräumte Ermächtigung nur konkretisieren oder allenfalls - gestützt auf §8 Abs5 F-VG 1948 - erweitern, keinesfalls aber beschneiden oder einschränken (VfSlg 11273/1987).

Damit kommt dem Landesgesetzgeber eine umfassende Kompetenz zur materiell-rechtlichen Regelung der betreffenden Abgaben zu, solange er das aus dem systematischen Zusammenspiel der Vorschriften der §§7 Abs5 und 8 Abs1 F-VG 1948 resultierende "Einschränkungsverbot" beachtet. Dieses verbietet dem Landesgesetzgeber bei Wahrnehmung seiner umfassenden Kompetenz lediglich, Regelungen zu treffen, die die der Gemeinde durch die bundesgesetzliche Ermächtigung eingeräumte Möglichkeit zur Erschließung von Abgabenerträgen in einer Weise beschneiden, die dem Zweck der Ermächtigung, den Gemeinden ein Mindestmaß an Steuerhoheit ohne Tätigwerden des Landesgesetzgebers zu garantieren, zuwiderläuft.

Die Annahme des Bundesfinanzgerichtes, dass selbst im Fall einer fast vollständigen Konkretisierung im Landesgesetz die betreffende Abgabe stets der Bundesgesetzgebungskompetenz zuzurechnen wäre, trifft nicht zu. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei Bestehen einer konkretisierenden landesgesetzlichen Regelung eine später erlassene, "neue" Gemeindeverordnung dem bereits bestehenden Landesgesetz nicht derogieren kann und umgekehrt ein später erlassenes "neues" Landesgesetz eine im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits bestehende Gemeindeverordnung derart überlagern kann, dass diese unanwendbar wird (VfSlg 15583/1999).

Das für den Landesgesetzgeber bestehende finanzverfassungsrechtliche Gebot, bei Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenz nach §8 Abs1 F-VG 1948 die Grenzen der bundesgesetzlichen Ermächtigung nach §7 Abs5 F-VG 1948 zu beachten, führt somit nicht dazu, dass Angelegenheiten, die mit diesen Abgaben verbunden sind, dem selbständigen Wirkungsbereich der Länder iSd Art131 Abs5 B-VG entzogen wären.

Mit Blick auf §11 Abs3 F-VG 1948 schließen auch die Regelungen zur Vollziehung solcher Abgaben nicht aus, dass die Angelegenheiten, die mit diesen Abgaben verbunden sind, zum selbständigen Wirkungsbereich der Länder iSd Art131 Abs5 B-VG zu rechnen sind.

Die Kompetenz zur materiell-rechtlichen Regelung in Angelegenheiten der ausschließlichen Gemeindeabgaben, die gemäß §7 Abs5 F-VG 1948 auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung ausgeschrieben werden, und die Kompetenz zur Vollziehung (§11 Abs3 F-VG 1948) sind somit dem Landesgesetzgeber zuzuordnen, womit die betreffenden Angelegenheiten zum selbständigen Wirkungsbereich der Länder iSd Art131 Abs5 B-VG zählen.

Vor diesem Hintergrund fallen Angelegenheiten der abgabenrechtlichen Verwaltungsübertretungen zu den ausschließlichen Gemeindeabgaben, die auf Grund der bundesgesetzlichen Ermächtigung gemäß §7 Abs5 F-VG 1948 ausgeschrieben werden, ebenfalls in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder iSd Art131 Abs5 B-VG, da die Kompetenz in Angelegenheiten des Verwaltungsstrafrechts der Kompetenz in der jeweiligen materiellen Angelegenheit folgt (zur akzessorischen Natur der verwaltungsstrafrechtlichen Kompetenz s. VfSlg 12187/1989).

Dem Wiener Landesgesetzgeber kann daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er die Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden in Angelegenheiten abgabenrechtlicher Verwaltungsübertretungen zu der auf Grund einer bundesgesetzlichen Ermächtigung gemäß §7 Abs5 F-VG 1948 erhobenen, eine ausschließliche Angelegenheit des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder darstellenden Parkometerabgabe - unter Berücksichtigung des in Art97 Abs2 B-VG vorgesehenen Zustimmungsrechts der Bundesregierung für den Fall der Mitwirkung von Bundesorganen bei der Vollziehung der Länder - auf das Bundesfinanzgericht überträgt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Parkometerabgabe, Verwaltungsgericht Zuständigkeit, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Abgaben Gemeinde-, Finanzausgleich, Kompetenz Bund - Länder, Verwaltungsstrafrecht, Verwaltungsstrafverfahren, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Bedenken

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:G139.2014

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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