TE Vwgh Erkenntnis 2014/9/9 2013/22/0291

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Veröffentlicht am 09.09.2014
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §125 Abs14 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §55 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §55 Abs2 idF 2011/I/038;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Mario Schiavon, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Julius Raab-Platz 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. Juni 2012, Zl. UVS-FRG/60/1964/2012-9, betreffend Rückkehrentscheidung (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 1999 nach Österreich ein und stellte am 28. Februar 2003 einen Asylantrag, der am 12. November 2003 vom Bundesasylamt abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Asylgerichtshof am 15. März 2010 abgewiesen.

Aufgrund eines Verstoßes gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 30. Jänner 2006 gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Oktober 2010 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass an Stelle einer Ausweisung eine Rückkehrentscheidung ohne Einreiseverbot gemäß § 52 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 38/2011 erlassen werde.

Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei ledig und hätte keine Kinder. Als Familienangehörige befänden sich sein Bruder und seine Schwester in Wien und habe der Beschwerdeführer Deutschkenntnisse erworben. Am 29. Juni 2005 sei der Beschwerdeführer ohne entsprechende Genehmigung nach dem AuslBG bei Verkaufstätigkeiten in Wien angetroffen worden und er weise laut Versicherungsdatenauszug mehrmals den Status "geringfügig beschäftigter Arbeiter" für jeweils mehrere Monate sowie einmal "Arbeiter" auf. Über eine Beschäftigungsbewilligung habe der Beschwerdeführer nicht verfügt.

In rechtlicher Hinsicht führte die Behörde aus, dass gemäß § 125 Abs. 14 FPG vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Ausweisungen gemäß § 53 FPG (alt) als Rückkehrentscheidungen in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 weiter gelten würden, mit der Maßgabe, dass ein Einreiseverbot gemäß § 53 FPG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 damit nicht verbunden sei.

Der Beschwerdeführer verfüge über keinen Aufenthaltstitel und sein Aufenthalt sei somit nicht rechtmäßig.

Bei ihrer Abwägung nach § 61 FPG berücksichtigte die Behörde, dass der Beschwerdeführer so gut wie die gesamte Kindheit und Jugend in seinem Herkunftsland verbracht habe, dabei seine Schulausbildung absolviert habe und auch seine Eltern in seinem Herkunftsland lebten. Die zum Nachteil gegenüber dem Schutz des Privatlebens ausschlaggebenden Verstöße gegen die öffentliche Ordnung (die Schwarzarbeit und der nicht rechtmäßige Aufenthalt über mehrere Jahre) seien zu berücksichtigen. Zwar sei das Asylverfahren insgesamt von langer Dauer gewesen, jedoch spätestens mit der negativen Entscheidung durch das Bundesasylamt hätte der Beschwerdeführer Zweifel an einem rechtmäßigen Aufenthalt auf Basis eines Asylstatus haben müssen. Somit stehe dem relativ geringen Schutzniveau des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers ein dringendes öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung (Verhinderung von Schwarzarbeit, Wahrung eines geordneten Fremdenwesens) entgegen und es könne bei einer Abwägung dem Schutz des Privat- und Familienlebens nicht Vorrang eingeräumt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Beschwerde nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Juni 2012 sind die Bestimmungen des FPG idF des BGBl. I Nr. 112/2011 anzuwenden.

Die Behörde hat zunächst zutreffend mit ihrer Bestätigung der erstinstanzlichen Ausweisung gemäß § 53 FPG (alt) ausgesprochen, dass diese nunmehr als - nicht mit einem Einreiseverbot verbundene - Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG gelte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277). Allerdings wäre gemäß § 55 Abs. 1 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen gewesen, welche nach § 55 Abs. 2 leg. cit.

grundsätzlich vierzehn Tage ab Erlassung des Bescheides beträgt.

     Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der

behördlichen Interessenabwägung nach § 61 FPG und ist damit im Recht.

     Der Beschwerdeführer war bis zum Zeitpunkt der angefochtenen

Entscheidung etwa dreizehn Jahre im Bundesgebiet aufhältig. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet ein großes Gewicht verleihen kann. Bei einer solchen, dermaßen langen Aufenthaltsdauer wird regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auszugehen sein (vgl. das Erkenntnis vom 30. Juli 2014, Zl. 2013/22/0290). Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0605, mwN).

Von einem Fehlen jeglicher Integration kann aber im gegenständlichen Beschwerdefall nicht die Rede sein. So stellte die Behörde die guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers, der sich bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits etwa dreizehn Jahre in Österreich aufhielt, und dessen Beziehung zu seinen in Österreich lebenden Geschwistern fest. Weiters führte die Behörde die "im Zuge des Aufenthaltes geknüpfte(n) soziale(n) Kontakte" des Beschwerdeführers an.

Vor diesem Hintergrund und angesichts des ihm bis zur rechtskräftigen Asylentscheidung zugekommenen faktischen Abschiebeschutzes ist daher das während der Dauer des Aufenthalts in Österreich aufgebaute Privatleben des Beschwerdeführers von maßgebenden Umständen gekennzeichnet, die eine Rückkehrentscheidung trotz der unrechtmäßigen Beschäftigung unverhältnismäßig erscheinen lassen.

Weiters hätte die Behörde im gegenständlichen Verfahren nicht von der in der Berufung beantragten Durchführung einer Verhandlung absehen dürfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2011/21/0298); eine Begründung dafür lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen.

Der bekämpfte Bescheid war somit im Hinblick auf den Vorrang einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor einer verfahrensrechtlichen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 9. September 2014

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013220291.X00

Im RIS seit

13.11.2014

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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