TE Vfgh Erkenntnis 2014/6/5 B1156/2013

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Veröffentlicht am 05.06.2014
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Index

27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
RAO §9 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Verletzung der anwaltlichen Treuepflicht durch unzulässige Aufrechterhaltung des Einwands der mangelnden Passivlegitimation

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II.              Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Er war als Rechtsanwalt in Regiegemeinschaft mit dem Rechtsanwalt Dr. G. tätig und akquirierte die F. GmbH als Mandantin, gegen die zum damaligen Zeitpunkt ein Mietzinsverfahren anhängig war. Mit einer Eingabe, auf der die Regiegemeinschaft "Dr. G., Dr. N., Rechtsanwälte" aufschien und die das Diktatzeichen und die Unterschrift des Beschwerdeführers trug, wurde der Vollmachtswechsel bei Gericht bekannt gegeben. Der Beschwerdeführer verrichtete auch die Streitverhandlung in diesem Mietzinsverfahren. Schließlich verlor die F. GmbH das Verfahren.

Während dieses Mietzinsverfahrens brachte der Beschwerdeführer sein Rechtsanwaltseinzelunternehmen in die G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH ein, die in der Folge das offene Honorar für die Vertretung der F. GmbH im Mietzinsverfahren einklagte. Die Honorarklage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Leistungen des Beschwerdeführers für die F. GmbH wertlos gewesen seien.

In weiterer Folge begehrte die F. GmbH Schadenersatz von der G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH wegen "mangelnder Vertretung" im damaligen Mietzinsverfahren. Dieser Schadenersatzklage wurde in erster Instanz stattgegeben. In der dagegen gerichteten Berufung erhob der Beschwerdeführer den Einwand der mangelnden Passivlegitimation, wonach die Verfahrensfehler in einen Zeitraum gefallen seien, in dem die F. GmbH noch durch den Beschwerdeführer im Rahmen seines Einzelunternehmens vertreten worden sei. Mit Berufungsurteil wurde die gegen die G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH gerichtete Klage schließlich abgewiesen.

Daraufhin machte die F. GmbH den behaupteten Schaden gegenüber dem Beschwerdeführer gerichtlich geltend. Neben anderen Einwänden brachte der Beschwerdeführer in diesem Verfahren wiederum die mangelnde Passivlegitimation vor, weil er lediglich als Substitut des Rechtsanwaltes Dr. G. tätig geworden sei; Dr. G. sei der Haftpflichtige, während der Beschwerdeführer lediglich Gehilfe des Dr. G. gewesen sei. Mit Berufungsurteil wurde dem Klagebegehren schließlich stattgegeben, und der Schadensbetrag wurde durch die Haftpflichtversicherung des Beschwerdeführers an die F. GmbH ausbezahlt.

2. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 29. Mai 2009 wurde der Beschwerdeführer der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er in dem gegen ihn geführten Schadenersatzprozess den Einwand der mangelnden Passivlegitimation erhoben hat, obwohl er sich in dem gegen die F. GmbH geführten Mietzinsverfahren selbst als Vertreter ausgewiesen und sich hiebei auf die erteilte Vollmacht und nicht auf eine Substitutionsvollmacht des Dr. G. berufen hat und damit bewirkt hat, dass bis zum heutigen Tag keine Schadensregulierung gegenüber der ehemaligen Mandantin F. GmbH erfolgt ist. Von einem weiteren Vorwurf des Einleitungsbeschlusses wurde der Beschwerdeführer freigesprochen.

Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 20. September 2010 wurde der verurteilende Teil des Erkenntnisses aufgehoben, weil der Beschwerdeführer keine Möglichkeit gehabt hatte, seine Verantwortung auf den gegenüber dem Einleitungsbeschluss im Erkenntnis wesentlich modifizierten Schuldvorwurf einzustellen.

3. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 22. Juni 2012 wurde der Beschwerdeführer im zweiten Rechtsgang der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er sich seit spätestens 7. November 2006 geweigert hat, den Schaden gut zu machen, der seiner ehemaligen Mandantin F. GmbH aus der Unterlassung eines Vorbringens im gegen die F. GmbH geführten Mietzinsverfahren entstanden ist, und zwar auch nach Einbringung der Schadenersatzklage gegen den Beschwerdeführer, insbesondere durch Erhebung des Einwandes der mangelnden Passivlegitimation, obwohl gleichzeitig die G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH, deren allein vertretungsbefugter Geschäftsführer der Beschwerdeführer ist, im gegen sie eingeleiteten Schadenersatzprozess genau gegenteilig argumentiert hat und ihre Passivlegitimation ebenfalls bestritten hat. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000,– verhängt.

Der dagegen gerichteten Berufung wurde mit als Bescheid zu wertendem Erkenntnis der OBDK vom 8. Juli 2013 teilweise Folge gegeben: Im Umfang des Schuldspruches, der Beschwerdeführer habe sich seit spätestens 7. November 2006 bis längstens 9. März 2011 mit über den Einwand der mangelnden passiven Klagslegitimation hinausgehenden Einwänden geweigert, den Schaden gut zu machen, der seiner ehemaligen Mandantin F. GmbH aus der Unterlassung eines Vorbringens im gegen die F. GmbH geführten Mietzinsverfahren entstanden ist, sowie im Strafausspruch und im Ausspruch über die Verfahrenskosten wurde das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 22. Juni 2012 aufgehoben und der Beschwerdeführer freigesprochen. Im Übrigen, und zwar in folgendem Schuldspruch, wurde das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 22. Juni 2012 bestätigt:

"Der Disziplinarbeschuldigte hat in Wien seit Frühjahr 2008 bis Sommer 2010 den Einwand der mangelnden passiven Klagslegitimation im Verfahren […] erhoben und aufrecht erhalten, obwohl die G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH, deren einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer er war, im Verfahren […] genau gegenteilig argumentiert hat und ihre passive Klagslegitimation bestritten hat. Er hat hiedurch gegen die anwaltliche Treuepflicht gegenüber Klienten im Sinn des §9 RAO verstoßen und damit seine Berufspflicht verletzt und Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt (§1 Abs1 1. und 2. Fall DSt)."

Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldstrafe in der Höhe von € 400,– verhängt.

Begründend führte die OBDK zum verurteilenden Teil ihres Erkenntnisses aus, dass der Beschwerdeführer den Berufungsschriftsatz gegen das erstinstanzliche Urteil im gegen die G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH geführten Schadenersatzprozess unterfertigt habe, in dem die Rechtsmeinung des Erstgerichtes über die Passivlegitimation der G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH letztlich mit Erfolg bekämpft worden sei. Im damals schon begonnenen Prozess gegen ihn persönlich habe der Beschwerdeführer ebenfalls seine Passivlegitimation bestritten, und zwar unter anderem mit der nach dem Beweisergebnis unhaltbaren Behauptung, er sei bloß Substitut des Dr. G. gewesen. Unabhängig davon, ob zwischen Dr. G. und dem Beschwerdeführer tatsächlich intern vereinbart gewesen sei, dass der Beschwerdeführer bloß Substitut sein solle, sei zumindest aus der Sicht des Klienten eindeutig gewesen, dass der Beschwerdeführer das Mietzinsverfahren als sein Vertreter in Eigenverantwortung führe und nicht als Gehilfe des Dr. G. Diese Vorgangsweise des Beschwerdeführers widerspreche der aus §9 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) erfließenden Treuepflicht des Rechtsanwaltes gegenüber seinen Klienten. Der Beschwerdeführer habe seine Berufspflicht verletzt und Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung iVm Art151 Abs51 Z9 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Verletzung in Rechten wegen des als verfassungswidrig erachteten §9 RAO vorgebracht wird. Der Beschwerdeführer führt im Wesentlichen aus, dass die Begründung des mündlich verkündeten Bescheides unrichtig und aktenwidrig sei: So habe es in der mündlich verkündeten Begründung geheißen, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung im gegen ihn persönlich gerichteten Schadenersatzverfahren nach wie vor den Einwand der mangelnden Passivlegitimation aufrecht erhalten habe, obwohl zwischenzeitig die Berufungsentscheidung in dem gegen die G. N. B. ZRechtsanwälte GmbH geführten Schadenersatzprozess bekannt gewesen sei. Die Begründung der mündlich verkündeten Entscheidung stimme mit jener der schriftlichen Ausfertigung nicht überein. Seine Bedenken gegen §9 RAO stützt der Beschwerdeführer darauf, dass diese Bestimmung nicht so zu verstehen sei, dass ein Rechtsanwalt benachteiligt werden dürfe, wenn er einerseits sich selbst und anderseits seine Mandantin inklusive dahinterstehender Versicherung schütze, bis die Zuordnung des Sachverhaltes gerichtlich eindeutig feststehe.

5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Rechtslage

§9 Rechtsanwaltsordnung, RGBl. 96/1868 idF BGBl I 38/2010, lautet auszugsweise:

"§9. (1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.

(1a) – (5) […]"

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer behauptet die Verfassungswidrigkeit des §9 RAO: Diese Bestimmung dürfe nicht so verstanden werden, dass ein Rechtsanwalt benachteiligt werde, wenn er einerseits sich selbst und anderseits seine Mandantin inklusive dahinterstehender Versicherung schütze, bis die Zuordnung des Sachverhaltes gerichtlich eindeutig feststehe.

Der Verfassungsgerichtshof verweist auf seine Vorjudikatur, in der von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des §9 RAO ausgegangen wird (vgl. VfSlg 15.903/2000 mwN). Auch vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens hegt der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen diese Bestimmung.

Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

2. Die Beschwerde macht eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleiste-ten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend, weil die schriftliche Ausfertigung des Bescheides vom mündlich verkündeten – aktenwidrigen – Bescheid abweiche.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Ein derartiger Fehler ist der belangten Behörde jedoch nicht unterlaufen:

Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers weicht die schriftliche Ausfertigung des Bescheides nicht von dem mündlich verkündeteten Bescheid ab.

Auch sonst sind keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler erkennbar. Die belangte Behörde ist in nicht denkunmöglicher Weise davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer die in §9 Abs1 RAO verankerte Treuepflicht des Rechtsanwaltes gegenüber seinem Klienten verletzt hat, indem er auch im gegen ihn persönlich geführten Schadenersatzprozess die Passivlegitimation bestritten hat und sich dabei auf die nach dem Beweisergebnis unhaltbare Behauptung gestützt hat, dass er bloß als Gehilfe des Dr. G. tätig geworden sei.

Die behauptete Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

3. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde – wie im vorliegenden Fall – gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung iVm Art151 Abs51 Z9 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

5. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist daher abzuweisen. Ein Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof ist einfachgesetzlich nicht vorgesehen, weshalb eine Abtretung gemäß Art144 Abs3 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung iVm Art151 Abs51 Z9 B-VG nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg 16.557/2002).

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B1156.2013

Zuletzt aktualisiert am

01.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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