TE Vfgh Erkenntnis 1998/3/5 B1433/95

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Veröffentlicht am 05.03.1998
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
StGG Art5
Nö BauO §62 Abs2
ABGB §364 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung der Vorstellung der beschwerdeführenden Nachbarn gegen eine Baubewilligung zur Errichtung einer Wohnhausanlage; keine gleichheitswidrige Auslegung des §62 Abs2 Nö BauO infolge Nichtberücksichtigung bestehender, vom landwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführer ausgehender Emissionen

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid weder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. März 1995, Z R/1-V-95040, wurde die Vorstellung der beschwerdeführenden Nachbarn gegen den der Bauwerberin die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage mit 22 Wohneinheiten auf den Grundstücken Nr. 108, 109, 110 und 111, KG Velm, erteilenden Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Himberg vom 25. Jänner 1995 als unbegründet abgewiesen.

In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde erachten sich die Beschwerdeführer in ihren Rechten durch die Anwendung gesetzwidriger Verordnungen, nämlich der Verordnungen der Marktgemeinde Himberg vom 25. Februar 1982, TOP 3, und vom 7. Oktober 1982, TOP 4, (genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Dezember 1982, ZII/2-R-192/11,) kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 29. Dezember 1982 bis 14. Jänner 1983, soweit darin die Grundstücke Nr. 108, 109, 110 und 111, KG Velm, als Bauland-Wohngebiet ausgewiesen sind, und der Verordnung der Marktgemeinde Himberg vom 13. Oktober 1993, TPO 16, (genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22. März 1994, Z R/1-R-243/026,) kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 29. März 1994 bis 13. April 1994, mit welcher im Bereich der Grundstücke Nr. 108, 109, 110 und 111, KG Velm, eine zulässige Wohndichte von 180 Einwohnern/ha festgelegt wurde, als verletzt. Weiters seien sie durch den angefochtenen Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt.

Begründend wird von den Beschwerdeführern, die einen landwirtschaftlichen Betrieb führen, dazu vorgebracht, daß sie Eigentümer der an die oben angeführten Grundstücke unmittelbar angrenzenden Liegenschaft, EZ 19, seien, auf welcher ein Schweinemaststall für etwa 220 Schweine auf Grund einer 1979 erteilten Baubewilligung bestehe. Durch die genannten Verordnungen sei die raumordnungsrechtliche Möglichkeit geschaffen worden, eine Wohnhausanlage knapp an die Ställe und der auf dem Grundstück befindlichen Mistablagerungsstätte zu errichten. Sie stünden daher mit näher angeführten Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000-9, (NÖ ROG 1976) und der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-12, (NÖ BauO 1976) im Widerspruch.

In ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz erachten sich die Beschwerdeführer unter Hinweis auf VfSlg. 12468/1990 dadurch verletzt, daß die belangte Behörde - infolge einer gleichheitswidrigen Gesetzesauslegung - die vom Grundstück der Beschwerdeführer auf die geplante Wohnhausanlage künftig ausgehenden Beeinträchtigungen mit der Begründung nicht geprüft habe, daß im Baubewilligungsverfahren lediglich die vom beantragten Projekt ausgehenden Emissionen berücksichtigt werden könnten.

Weiters hätte die Genehmigung des Bauvorhabens Auflagen, Anrainerbeschwerden und zivilrechtliche Immissionsabwehrklagen zur Folge, die ihren Betrieb wirtschaftlich schwer belasten würden. Darin liege eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung.

2. Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie den Antrag stellt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Begründend wird dazu vorgebracht, daß es sich beim Baubewilligungsverfahren um ein Projektgenehmigungsverfahren handle, in dem ausschließlich die vom zu bewilligenden Projekt ausgehenden Emissionen zu berücksichtigen seien. Dies ergebe sich "sowohl aus dem klaren Wortlaut des §62 Abs2 der NÖ Bauordnung 1976 ... als auch aus dem Wesen des Projektgenehmigungsverfahrens und entspricht im übrigen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes".

Insofern von den Beschwerdeführern auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 10703/1985 und 12468/1990 verwiesen werde, so sei dem entgegenzuhalten, daß diese Erkenntnisse zu gewerblichen Betriebsanlagen, welche gegebenenfalls mit weiteren Auflagen der Gewerbebehörde gemäß §79 Abs2 GewO rechnen müßten, ergangen und bei landwirtschaftlichen Betrieben nicht anwendbar seien.

II.Aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 3. März 1997 beschlossen, die Verordnungen der Marktgemeinde Himberg vom 25. Februar 1982, TOP 3, und vom 7. Oktober 1982, TOP 4, womit das örtliche Raumordnungsprogramm erlassen wird, (genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Dezember 1982, ZII/2-R-192/11,) kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 29. Dezember 1982 bis 14. Jänner 1983, sowie die Verordnung der Marktgemeinde Himberg vom 13. Oktober 1993, TOP 16, (genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22. März 1994, Z R/1-R-243/026,) kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel (- abweichend von dem im Prüfungsbeschluß unrichtig wiedergegebenen Kundmachungszeitraum -) in der Zeit vom 29. März 1994 bis 13. April 1994, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

Mit Erkenntnis vom 28. Februar 1998, V 55, 57, 58/97, hat der Verfassungsgerichtshof die Verordnung der Marktgemeinde Himberg vom 25. Februar 1982 und vom 7. Oktober 1982, womit das örtliche Raumordnungsprogramm erlassen wird, (genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Dezember 1982, ZII/2-R-192/11,) kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 29. Dezember 1982 bis 14. Jänner 1983, im Umfang und nach Maßgabe der von der Marktgemeinde Himberg am 13. Oktober 1993 erlassenen Verordnung über die Änderung des Flächenwidmungsplanes, (genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22. März 1994, Z R/1-R-243/026,) kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 29. März 1994 bis 13. April 1994, nicht als gesetzwidrig aufgehoben und im übrigen das Verordnungsprüfungsverfahren eingestellt.

III.1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Im Verordnungsprüfungsverfahren hat sich der Verfassungsgerichtshof mit den von den Beschwerdeführern geäußerten Bedenken hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungen, soweit sie überhaupt präjudiziell sind, auseinandergesetzt. Das Verfahren hat ergeben, daß die Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungen im präjudiziellen Umfang nicht zutreffen. Auch sonst bestehen unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine rechtlichen Bedenken.

Die Beschwerdeführer sind also nicht wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt worden.

1.2. Die Beschwerdeführer rügen weiters unter Hinweis auf VfSlg. 12468/1990, daß die belangte Behörde die Bestimmungen der NÖ BauO 1976 dadurch gleichheitswidrig ausgelegt habe, daß sie bereits bestehende, vom landwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführer ausgehende Emissionen, die durch die Errichtung der Wohnhausanlage der Bauwerberin erst ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten, nicht berücksichtigt habe.

Der im vorliegenden Fall noch anzuwendende §62 Abs2 NÖ BauO 1976, dem die belangte Behörde den Inhalt beigemessen hat, daß ausschließlich vom beantragten Projekt ausgehende Emissionen berücksichtigt werden können, hat folgenden Wortlaut:

"Für Bauwerke, die nach Größe, Lage und Verwendungszweck erhöhten Anforderungen nach Festigkeit, Brandschutz, Sicherheit und Gesundheit entsprechen müssen oder die Belästigungen der Nachbarn erwarten lassen, welche das örtlich zumutbare Maße übersteigen, sind die zur Abwehr dieser Gefahren oder Belästigungen nötigen Vorkehrungen zu treffen; diese Auflagen haben sich insbesondere auf Größe und Ausstattung der Stiegen, Gänge, Ausfahrten, Ausgänge, Türen und Fenster, besondere Konstruktionen der Wände und Decken, die Errichtung von Brandwänden sowie das Anbringen von Feuerlösch- und Feuermeldeanlagen zu beziehen. Zur Vermeidung von Umweltbelastungen kann die Baubehörde auch die Pflanzung und Erhaltung von Grünanlagen vorschreiben."

§118 Abs9 NÖ BauO 1976 regelt, inwieweit die Vorschriften der NÖ BauO 1976 subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer begründen, und lautet:

"Subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer werden durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere die Bestimmungen über

1.

den Brandschutz;

2.

den Schutz vor anderen Gefahren, die sich auf die Anrainergrundstücke ausdehnen können;

3.

die sanitären Rücksichten wegen ihres Einflußes auf die Umgebung;

4.

die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Wenn ein Bauvorhaben außer der baubehördlichen auch einer gewerbebehördlichen Bewilligung bedarf, werden subjektiv öffentliche Rechte nur durch die Bestimmung gemäß Ziffer 4 begründet."

Der Verfassungsgerichtshof kann es im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt sein lassen, ob §62 Abs2 der NÖ BauO 1976 einen mit der Rechtslage in Wien (vgl. VfSlg. 12468/1990 zu §6 Abs8 Wiener BauO) oder mit der (früheren) Oberösterreichischen Rechtslage (vgl. VfSlg. 13210/1992 zu §23 Abs2 der ehemaligen OÖ BauO) vergleichbaren Inhalt besitzt. Die aus dem Gleichheitssatz abgeleitete Auslegung nachbarschützender Vorschriften des Baurechts in VfSlg. 12468/1990 und VfSlg. 13210/1992 hat nämlich zur Voraussetzung, daß ein bereits bestehender Betrieb gewerblicher Art aufgrund des gewerberechtlichen Immissionsschutzes im Falle heranrückender Wohnbebauung mit zusätzlichen Auflagen gemäß §79 Abs2 GewO zu rechnen hat. Dieses Risiko entfällt für einen landwirtschafltichen Betrieb. Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß - gestützt auf §364 Abs2 ABGB - im konkreten Fall vergleichbare negative Auswirkungen zu erwarten wären, zumal das von der Marktgemeinde Himberg in Auftrag gegebene olfaktometrische Gutachten zum Ergebnis gelangte, daß die vom landwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführer ausgehende derzeitige "Geruchsbelästigung sicher die im ländlichen Raum zu erwartende nicht überschreitet und sich, ob ihrer Geringfügigkeit, einer meßtechnischen Erfassung entzieht".

Die belangte Behörde hat sohin §62 Abs2 NÖ BauO 1976 nicht gleichheitswidrig ausgelegt, indem sie das auf Verweigerung der Baubewilligung für die mitbeteiligte Partei gerichtete Begehren der nunmehrigen Beschwerdeführer verworfen hat (vgl. auch VfGH 3.3.1997, B620/96).

Soweit die Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums rügen, genügt der Hinweis, daß die Rechte der Nachbarn aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der bekämpften Baubewilligung nicht den Schutz des das Eigentumsrecht garantierenden Art5 StGG genießen, da diesem lediglich vermögenswerte Privatrechte unterliegen (vgl. VfSlg. 9195/1981). Im übrigen wird in der Beschwerde nicht substantiiert, inwieweit die Beschwerdeführer - wie behauptet - aufgrund der Baubewilligung mit "Auflagen" rechnen müssen.

Eine Verletzung des Grundrechtes auf Freiheit der Erwerbsbetätigung setzt voraus, daß einem Staatsbürger durch verwaltungsbehördlichen Bescheid der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird (zB. VfSlg. 10501/1985). Ein derartiger Eingriff ist durch den angefochtenen Bescheid jedoch nicht erfolgt.

Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurden.

2. Die Beschwerde war daher abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung, Nachbarrechte, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B1433.1995

Dokumentnummer

JFT_10019695_95B01433_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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