TE Vwgh Erkenntnis 2014/3/28 2013/02/0061

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Veröffentlicht am 28.03.2014
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
22/01 Jurisdiktionsnorm;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Melderecht;

Norm

AVG §46;
JN §66;
MeldeG 1991 §1;
MeldeG 1991 §2 Abs1;
MeldeG 1991 §3 Abs1;
VStG §51e Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des F H in H, vertreten durch Dr. Thomas Jappel, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 5. Februar 2013, Zl. Senat-WU-12-0257, betreffend Zurückweisung eines Einspruches i.A. Übertretung des KFG 1967 (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 27. August 2012 wurde der Einspruch des Beschwerdeführers gegen eine Strafverfügung dieser Bezirkshauptmannschaft vom 9. Mai 2012 als verspätet eingebracht zurückgewiesen. Die Strafverfügung sei am 11. Mai 2012 beim Postamt 1120 Wien hinterlegt und ab 12. Mai 2012 zur Abholung für den Beschwerdeführer bereitgehalten worden, die zweiwöchige Einspruchsfrist habe daher am 28. Mai 2012 geendet. Der Einspruch sei erst am 21. Juli 2012 eingebracht worden und daher verspätet.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er unter anderem ausführte, dass er an der Adresse in 1120 Wien, an die die Strafverfügung gesandt worden sei, keine Abgabestelle habe. Dies habe er bereits im Verfahren vor der Bezirkshauptmannschaft vorgebracht und unter Beweis gestellt, die Behörde habe dies aber ignoriert und nicht gehörig gewürdigt. Der Beschwerdeführer beantragte in seiner Berufung ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs 4 AVG ab. Sie führte im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer laut Zentralem Melderegister an der von der Erstbehörde gewählten Zustelladresse seit 5. März 1985 seinen Hauptwohnsitz habe und diese (gemeint wohl: Wohnung) daher "zweifelsfrei als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes anzusehen" sei. Eine öffentliche mündliche Verhandlung wurde von der belangten Behörde nicht durchgeführt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 79 Abs 11 VwGG sind - soweit wie im vorliegenden Fall durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl I Nr 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

2. § 51e VStG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl I Nr 65/2002 lautete auszugsweise:

"Öffentliche mündliche Verhandlung (Verhandlung)

§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(...)

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten läßt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

(...)"

3. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt.

Die belangte Behörde ist diesem Antrag nicht nachgekommen. Sie hat das Unterbleiben der Verhandlung im angefochtenen Bescheid auch nicht begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass im Beschwerdefall die in § 51e Abs 4 VStG normierten Voraussetzungen für das Unterbleiben einer Verhandlung trotz aufrechtem Parteienantrags vorgelegen wären: weder hatte die belangte Behörde einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen, noch war - im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer in der Berufung erstattete Vorbringen, in dem er das Fehlen einer Abgabestelle an der von der Erstbehörde verwendeten Zustelladresse behauptete und die in erster Instanz unterbliebene Würdigung von bereits vorgelegten Beweismitteln rügte - zu erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht hätte erwarten lassen.

Die belangte Behörde hat daher zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

4. Soweit die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid damit begründet, dass der Beschwerdeführer laut Zentralem Melderegister seinen Hauptwohnsitz an der von der Erstbehörde gewählten Zustelladresse habe, ist sie zudem darauf hinzuweisen, dass aus den Eintragungen im Zentralen Melderegister nicht zwingend gefolgert werden kann, dass ein Mensch bereits deshalb (immer noch) an jener Adresse wohnhaft sei, an der er gemeldet ist; vielmehr kann die Unrichtigkeit der im Zentralen Melderegister enthaltenen Daten dargelegt werden (vgl das hg Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl 2010/21/0007). Die belangte Behörde hätte sich daher mit dem vom Beschwerdeführer erstatteten Vorbringen, wonach er an der von der Erstbehörde gewählten Zustelladresse keine Abgabestelle habe, auseinandersetzen und entsprechende Feststellungen dazu treffen müssen.

Da die belangte Behörde dies - ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, bereits die Hauptwohnsitzmeldung begründe jedenfalls eine Abgabestelle - unterlassen hat, hat sie den angefochtene Bescheid auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen vorrangig aufzugreifender Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der gemäß § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013 idF BGBl II Nr 8/2014, weiter anzuwendenden VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Wien, am 28. März 2014

Schlagworte

Beweismittel Indizienbeweise indirekter BeweisVerfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013020061.X00

Im RIS seit

25.04.2014

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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