RS Vfgh 2014/3/6 B1035/2013

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 06.03.2014
beobachten
merken

Index

16/02 Rundfunk

Norm

ORF-G §4f Abs2 Z23
EMRK Art10

Leitsatz

Verletzung des ORF im Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit durch Feststellung der Verletzung des ORF-Gesetzes durch Bereitstellung ständiger Foren im Rahmen bestimmter Online-Angebote; verfassungswidrige Annahme eines Foren-Verbotes für den ORF bei Facebook; Zulässigkeit einer Beteiligung des ORF an sozialen Netzwerken

Rechtssatz

Dem Bundeskommunikationssenat ist im Lichte der Ergebnisse der öffentlichen mündlichen Verhandlung einzuräumen, dass jedenfalls die Facebook-Seiten Nr 1 bis 6 und 8 bis 39 und die in der Chronik dieser Facebook-Seiten allenfalls mögliche Veröffentlichung von "Beiträgen" im Zusammenhang mit der Möglichkeit, diese zu kommentieren bzw bereits vorhandene "Kommentare" zu Beiträgen wiederum zu kommentieren, als (virtueller) Platz zum Austausch von Gedanken angesehen werden können, wodurch es gerechtfertigt sein könnte, das Handeln des ORF im Zusammenhang mit diesen Seiten - betrachtet man die Bestimmung isoliert - unter den Begriff der "Foren, Chats und sonstige Angebote zur Veröffentlichung von Inhalten durch Nutzer" zu subsumieren, weil es wie andere Foren die Möglichkeit ua zum Austausch von Gedanken, Meinungen und Erfahrungen eröffnet. Auch ist dem Bundeskommunikationssenat nicht entgegenzutreten, wenn er die Anwendbarkeit der Ausnahme am Ende des ersten Satzes des §4f Abs2 Z23 ORF-G verneint.

Die Annahme hingegen, dass das Verbot des §4f Abs2 Z23 ORF-G schlechthin auch Foren auf anderen Plattformen als auf eigenen Online-Plattformen des ORF erfasse, weil weder Wortlaut noch Zielsetzung der Bestimmung Anhaltspunkte für eine differenzierende Behandlung böten, verstößt gegen Art10 EMRK. Die vom Bundeskommunikationssenat angestellten Überlegungen verfassungskonformer Auslegung beruhen nämlich implizit auf der Annahme, dass in der Auslegung Zweifel bestünden, die mit diesen beseitigt würden. Diese Annahme trifft nicht zu.

Solche Zweifel bestehen nämlich nicht, wenn bei der Auslegung des §4f Abs2 Z23 ORF-G der systematische Zusammenhang mit §4f Abs2 Z25 ORF-G berücksichtigt wird. Nach der nach Aufhebung der Wortfolge "sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung" in §4f Abs2 Z25 ORF-G mit Erkenntnis des VfGH vom 27.06.2013, G34/2013, bereinigten Rechtslage ist dem ORF die Bereitstellung von sozialen Netzwerken untersagt. Mit dem Wegfall dieser Wortfolge steht §4f Abs2 Z25 ORF-G ausweislich der Begründung des Erkenntnisses weiterhin der Bereitstellung eines eigenen Netzwerkes entgegen, untersagt aber nicht schlechthin Verlinkungen zu sozialen Netzwerken und sonstige Kooperationen mit diesen. Daraus folgt, dass §4f Abs2 Z25 ORF-G - gleichsam als lex specialis zu §4f Abs2 Z23 ORF-G - die Beteiligung des ORF an sozialen Netzwerken, sei es durch die Bereitstellung einer Unternehmensseite (durch den ORF selbst oder durch die Ausübung von Administratorrechten auf von Dritten erstellten Seiten), sei es durch die Präsenz einzelner Beiträge auf privaten Facebookprofilen, sei es auf einer sogenannten generierten Facebook-Seite - zulässt. In diesem Zusammenhang ist der ORF daher schon auf der Grundlage der Auslegung des einfachen Gesetzes nicht gehalten, Foren auf Seiten sozialer Netzwerke fernzubleiben.

Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, derartige Kommunikationsmöglichkeiten in sozialen Netzwerken durch zwei verschiedene Bestimmungen des §4f ORF-G erfassen zu wollen. Auch die Aufhebung einer Wortfolge in §4f Abs2 Z25 ORF-G, durch die der Betrieb von Facebook-Seiten im beschriebenen Sinn zulässig wurde, führt nicht dazu, dass dieser nunmehr durch eine andere Bestimmung erfasst ist.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kommt es nicht darauf an, ob auf den Facebook-Seiten der beschwerdeführenden Partei die Funktion, Beiträge zu verfassen, ferner die Funktion, Kommentare zu Beiträgen abzugeben, und schließlich die Funktion, auf derartige Kommentare zu antworten, deaktiviert werden kann. Wenn man entgegen dem erzielten Auslegungsergebnis davon ausginge, dass §4f Abs2 Z23 ORF-G ein hier einschlägiges Verbot aufstellen würde und der ORF nach Auffassung der Behörde eine Deaktivierung der Beitrags- und Kommentarfunktion vornehmen müsste, läge ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit vor, weil ein gesetzlicher Zwang zur Deaktivierung der Funktionen zwar formal die Möglichkeit der Präsenz des ORF auf Facebook beließe, aber die Nutzung des sozialen Netzwerkes im Ergebnis ihres Zweckes der wechselseitigen Kommunikation zwischen Rundfunkveranstalter und Hörerinnen und Hörern bzw. Seherinnen und Sehern berauben würde; §4f Abs2 Z23 ORF-G wäre bei einem solchen Verständnis verfassungswidrig.

Der Bundeskommunikationssenat hat daher der Bestimmung des §4f Abs2 Z23 ORF-G einen dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit widersprechenden Inhalt unterstellt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rundfunk, Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunkfreiheit, Auslegung eines Gesetzes, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B1035.2013

Zuletzt aktualisiert am

29.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten