TE Vwgh Erkenntnis 2013/11/21 2012/11/0033

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Veröffentlicht am 21.11.2013
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Index

L94403 Krankenanstalt Spital Niederösterreich;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

KAG NÖ 1974 §5;
KAG NÖ 1974 §8 Abs1 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des Dr. H S in N, vertreten durch Dr. Elisabeth Zimmert, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 11, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. Jänner 2008, Zl. GS4-AMB-157/001-2007, betreffend Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 10. Jänner 2008 wies die Niederösterreichische Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung der Bewilligung für die Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums für Magnetresonanztomographie an einer näher bezeichneten Adresse in N ab. Als Rechtsgrundlagen waren § 5 und § 8 Abs. 1 lit. a des NÖ Krankenanstaltengesetzes (NÖ KAG) angegeben. In der Begründung führte die Niederösterreichische Landesregierung, auf das Wesentliche zusammengefasst, aus, der Bedarf nach der Errichtung der beantragten Krankenanstalt sei nicht gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Ausgehend vom Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 10. März 2009, C-169/07, welches aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichtshofs ergangen war, hat der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Beschwerdefall mit Beschluss vom 15. Dezember 2009, Zl. A 2009/0050-1 (2008/11/0042), gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen des NÖ KAG (LGBl. 9440 idF. zuletzt der 24. Novelle LGBl. 9440-26) über die Bedarfsprüfung bei der Errichtung von privaten Krankenanstalten in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums als verfassungswidrig aufzuheben bzw. festzustellen, dass sie verfassungswidrig waren.

Der Verfassungsgerichtshof hat diesen Antrag mit Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, G 290/09-8, G 116/10-8, G 117/10-8, abgewiesen.

1.2. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nach den im Zeitpunkt seiner Erlassung maßgeblichen Bestimmungen des NÖ KAG (idF. der 24. Novelle), LGBl. 9440-26, zu prüfen, welche wie folgt lauten (auszugsweise):

"§ 2

(1) Krankenanstalten im Sinne des § 1 sind:

...

7. selbständige Ambulatorien (Röntgeninstitute, Zahnambulatorien und ähnliche Einrichtungen), das sind organisatorisch selbständige Einrichtungen, die der Untersuchung oder Behandlung von Personen dienen, die einer Aufnahme in Anstaltspflege nicht bedürfen. Der Verwendungszweck eines selbständigen Ambulatoriums erfährt dann keine Änderung, wenn dieses Ambulatorium über eine angemessene Zahl von Betten verfügt, die für eine kurzfristige Unterbringung zur Durchführung ambulanter diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen unentbehrlich sind. Unter kurzfristiger Unterbringung ist ein zusammenhängender Zeitraum von unter 24 Stunden zu verstehen.

...

§ 5

(1) Liegt ein ordnungsgemäßer Antrag im Sinne des § 4 vor, so ist zu erheben, ob ein Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck samt dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot sowie allfällige Schwerpunkte unter Beachtung der Höchstzahl an systematisierten Betten nach dem Landes-Krankenanstaltenplan (§ 21a) gegeben ist und gegen den Bewerber keine Bedenken bestehen.

(2) Ergeben die Erhebungen, dass ein Bedarf im Sinne des folgenden Absatzes nicht gegeben ist oder dass gegen den Bewerber Bedenken bestehen, ist der Antrag abzuweisen.

(3) Der Bedarf ist nach den im Einzugsgebiet (§ 4 Abs. 1 lit. a) und in dessen Umgebung vorhandenen Krankenanstalten, deren Belagsmöglichkeit und Entfernung zu der zu errichtenden Anstalt sowie nach den allenfalls vorhandenen Aufzeichnungen über die Häufigkeit der in Frage kommenden Krankheitsfälle, bei Ambulatorien auch nach den in der Umgebung des Standortes des zu errichtenden Ambulatoriums niedergelassenen Ärzten, zu beurteilen.

(4) Hinsichtlich des Bedarfes ist eine Stellungnahme der gesetzlichen Interessenvertretung privater Krankenanstalten, des NÖ Gesundheits- und Sozialfonds, ausgenommen bei NÖ Fondskrankenanstalten, der Rechtsträger nächstgelegener öffentlicher Krankenanstalten und betroffener Sozialversicherungsträger, sofern sie für das Einzugsgebiet der beantragten Krankenanstalt (§ 4 Abs. 1 lit. a) nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zuständig sind, insbesondere des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger, bei selbständigen Ambulatorien auch der Ärztekammer für NÖ sowie bei Zahnambulatorien auch der Österreichischen Dentistenkammer einzuholen. Ferner ist eine Stellungnahme des Landessanitätsrates und der Gemeinde, in der die Krankenanstalt errichtet werden soll, einzuholen. Bei NÖ Fondskrankenanstalten ist zur Frage des Bedarfes ein Gutachten des NÖ Gesundheits- und Sozialfonds einzuholen, welches die eingelangten Stellungnahmen zu berücksichtigen hat.

(5) Die gesetzliche Interessenvertretung privater Krankenanstalten, die betroffenen Sozialversicherungsträger, soferne sie für das Einzugsgebiet der beantragten Krankenanstalt (§ 4 Abs. 1 lit. a) nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen zuständig sind, bei selbständigen Ambulatorien die Ärztekammer für NÖ und bei Zahnambulatorien die Österreichische Zahnärztekammer haben hinsichtlich des nach § 8 Abs. 1 lit. a zu prüfenden Bedarfes Parteistellung im Sinne des § 8 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, und das Recht der Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG.

...

(7) Ist der Bewerber um Bewilligung zur Errichtung eines Ambulatoriums ein Krankenversicherungsträger, sind die vorstehenden Absätze mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur der Bedarf zu erheben ist. Dies gilt nicht, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 5 erster Satz zutreffen.

§ 6

(1) Kann ein Bedarf nicht ausgeschlossen werden und liegen gegen den Bewerber keine Bedenken vor, ist eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

...

§ 8

(1) Die Bewilligung zur Errichtung ist zu erteilen, wenn

a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf Kassenvertragszahnärzte und Kassenvertragsdentisten, ein Bedarf gegeben ist;

a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf Kassenvertragszahnärzte und Kassenvertragsdentisten, ein Bedarf gegeben ist;

...

(4) Zur Errichtung einer Krankenanstalt nach § 2 Abs. 1 Z. 1 bis 7 durch einen Sozialversicherungsträger bedarf es keiner Errichtungsbewilligung, soweit es sich nicht um die Errichtung eines Ambulatoriums durch einen Krankenversicherungsträger handelt (§§ 5 Abs. 6 und 6 Abs. 4). Die beabsichtigte Errichtung einer Krankenanstalt nach § 2 Abs. 1 Z. 1 durch einen Sozialversicherungsträger ist der Landesregierung anzuzeigen.

(5) Beantragt ein Krankenversicherungsträger die Bewilligung zur Errichtung eines Ambulatoriums, so ist die Bewilligung zu erteilen, wenn ein Einvernehmen zwischen dem Krankenversicherungsträger und der zuständigen öffentlichrechtlichen Interessenvertretung der Ärzte bzw. Zahnärzte und Dentisten oder zwischen dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger und der Österreichischen Ärztekammer bzw. der Österreichischen Zahnärztekammer vorliegt (§ 339 ASVG). Liegt kein Einvernehmen vor, ist die Bewilligung zur Errichtung zu erteilen, wenn der Bedarf im Sinne des § 5 Abs. 6 festgestellt ist. Die Absätze 1 und 2 sind in einem solchen Fall nicht anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn der Krankenversicherungsträger Dritte mit dem Betrieb eines Ambulatoriums betraut.

..."

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die Nachweise im hg. Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2012/11/0046) ist ein Bedarf nach einem Ambulatorium dann gegeben, wenn dadurch die ärztliche Betreuung der Bevölkerung wesentlich erleichtert, beschleunigt, intensiviert oder in anderer Weise wesentlich gefördert wird. Als wichtigster Indikator für die Beantwortung der Bedarfsfrage betreffend selbständige Ambulatorien ist nach der Rechtsprechung die durchschnittliche Wartezeit anzusehen, die der Patient im Einzugsbereich in Kauf nehmen muss. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu MRT-Einrichtungen eine Wartezeit von zwei Wochen in nicht dringenden Fällen für durchaus zumutbar gehalten und selbst bei einem Überschreiten dieses Richtwertes in einzelnen Fällen um einige Tage noch kein unzumutbares Versorgungsdefizit gesehen. Von einem Bedarf nach einem weiteren Ambulatorium könne nämlich dann nicht die Rede sein, wenn im Großen und Ganzen die Wartezeiten bei den im Einzugsgebiet des Ambulatoriums gelegenen bestehenden Behandlungseinrichtungen zwei Wochen nicht übersteigen, wobei ein Überschreiten um einige Tage in einzelnen Fällen nicht schadet, und wenn Akutpatienten noch am selben Tag behandelt werden.

Die Größe des Einzugsgebietes hängt nach der zitierten Judikatur auch wesentlich vom jeweiligen medizinischen Fachgebiet in der Weise ab, dass bei häufig in Anspruch genommenen Leistungen (z.B. allgemein- oder zahnmedizinischen Leistungen) das Einzugsgebiet kleiner ist als bei nicht so häufig in Anspruch genommenen Facharztleistungen. Untersuchungen mit einem Magnetresonanztomographen gehören nicht zu jenen ärztlichen Leistungen, die von einem Patienten häufig oder gar regelmäßig in Anspruch genommen werden müssen. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ist einem Patienten eine längere Anreise zuzumuten als bei Inanspruchnahme von allgemein medizinischen Leistungen (vgl. zB. die hg. Erkenntnisse vom 25. November 2003, Zl. 2002/11/0101, und vom 20. Februar 2013, Zl. 2012/11/0045).

Vor diesem Hintergrund erfordert die Prüfung der Bedarfslage mängelfreie Feststellungen hinsichtlich des in Frage kommenden Einzugsgebietes des Ambulatoriums sowie darüber, in welchem Umfang ein Bedarf der in Frage kommenden Bevölkerung nach den angebotenen Untersuchungen besteht und inwieweit er durch das vorhandene Angebot befriedigt werden kann. Dazu sind insbesondere Feststellungen hinsichtlich der Anzahl, der Verkehrslage (Erreichbarkeit) und Betriebsgröße der in angemessener Entfernung gelegenen bestehenden Behandlungseinrichtungen sowie deren Ausstattung und Auslastung (Ausmaß der Wartezeiten) erforderlich (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 2007, Zl. 2004/11/0079, und vom 16. Oktober 2012, Zl. 2012/11/0047).

2.1.2. Bereits eine solche Feststellung über das Einzugsgebiet lässt der angefochtene Bescheid vermissen. Auch aus den vorgelegten Verwaltungsakten ist nicht ersichtlich, dass die belangte Behörde eine Bedarfserhebung im beschriebenen Sinn durchgeführt hätte. Die belangte Behörde stützt sich zwar auf eine im Verwaltungsverfahren erstattete Stellungnahme des Landessanitätsrates Niederösterreich, derzufolge im Österreichischen Strukturplan Gesundheit für die Errichtung eines MRT-Gerätes ein Einzugsgebiet von 70.000 bis 90.000 Einwohner und eine Erreichbarkeit innerhalb von 60 Minuten empfohlen werde, das ersetzt aber keine Feststellung über die geografischen Grenzen des ermittelten Einzugsgebietes der beantragten Krankenanstalt.

Im Übrigen enthält der angefochtene Bescheid auch keine auf einem Ermittlungsverfahren beruhende Feststellungen über die Wartezeiten, welche Patienten, die Leistungen aus dem Angebot der beantragten Krankenanstalt in Anspruch nehmen wollen, im Einzugsgebiet in Kauf zu nehmen haben.

2.2. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.

Es sei in diesem Zusammenhang noch hervorgehoben, dass entgegen der Rechtsauffassung der belangten Behörde und des Beschwerdeführers das Versorgungsangebot der Ambulanzen der in § 8 Abs. 1 lit. a NÖ KAG eingangs erwähnten (bettenführenden) Krankenanstalten, wie die oben unter Pkt. 1.2. wiedergegebene im Beschwerdefall maßgebende Fassung des § 8 Abs. 1 lit. a NÖ KAG zeigt, sehr wohl in die Bedarfsprüfung einzubeziehen gewesen wäre.

2.3. Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG entfallen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 21. November 2013

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2012110033.X00

Im RIS seit

16.12.2013

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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