TE Vwgh Erkenntnis 2000/10/24 2000/05/0080

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.10.2000
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E2A Assoziierung Ungarn;
E2A E11401030;
E3L E12300000;
E3L E13309900;
L78003 Elektrizität Niederösterreich;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
58/02 Energierecht;
59/04 EU - EWR;

Norm

11992E030 EGV Art30;
11997E028 EG Art28 impl;
21993A1231(13) AssAbk Ungarn Art35;
21993A1231(13) AssAbk Ungarn;
31996L0092 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art19 Abs5 lita;
31996L0092 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL Art19 Abs5;
AVG §1;
B-VG Art49 Abs1;
ElektrizitätswesenG NÖ 1999 §28 Abs1 Z3;
ElektrizitätswesenG NÖ 1999 §28 Abs1;
ElektrizitätswesenG NÖ 1999 §3 Abs1 Z6;
ElWOG 1998 §20 Abs1 Z3;
ElWOG 1998 §20 Abs2;
ElWOG 1998 §3;
ElWOG 1998 §4 Z1;
EURallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde der EVN AG in Maria Enzersdorf, vertreten durch Schönherr Barfuss Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten (seit der am 1. April 2000 in Kraft getretenen BMG-Novelle BGBl. I Nr. 16/2000: Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) vom 13. Dezember 1999, Zl. 551.610/41-VIII/I/99, betreffend Verweigerung des Netzzuganges (mitbeteiligte Partei:

Verbund - Austrian Power Grid Gesellschaft m.b.H. in Wien I, Am Hof 6a), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 13.940,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 15. Oktober 1999 suchte die Beschwerdeführerin bei der Mitbeteiligten um Netzzugang für eine genauer beschriebene Übertragungsleistung (Stromlieferung der Magyar Villamos Müvek Rt (Ungarische Elektrizitätswirtschafts-Aktiengesellschaft in Budapest, Vam utca 5-7) an die Beschwerdeführerin) an.

Die Mitbeteiligte lehnte dies mit Schreiben vom 29. Oktober 1999 mit der Begründung ab, dass es der Verbundgesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten bis heute nicht möglich gewesen sei, Stromlieferungsverträge direkt mit einer der ungarischen Regionalgesellschaften, vergleichbar der Beschwerdeführerin, zu schließen; die ungarischen Regionalgesellschaften seien vielmehr gehalten, ihren Bedarf ausschließlich von der ungarischen MVM Rt, auch über deren Importe, zu beziehen. Eine materielle Reziprozität liege somit nicht vor.

Mit Schreiben vom 5. November 1999, eingelangt bei der belangten Behörde am 8. November 1999, erklärte die Beschwerdeführerin, sie habe mit Wirksamkeit vom 1. November 1999 mit der MVM Rt mit dem Sitz in Budapest einen Stromlieferungsvertrag für die Zeit vom 2. bis 5. und vom 8. bis 12. November 1999 von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr (täglich) für eine Leistung von 20 MW geschlossen. Besondere Unterbrechungsmöglichkeiten seien in diesem Vertrag nicht vereinbart worden. Zur Abwicklung der vertraglichen Stromlieferungen habe die Beschwerdeführerin mit Telefaxnachricht vom 15. Oktober 1999 den Netzzugang im Sinne des abgeschlossenen Stromlieferungsvertrages bei der Mitbeteiligten beantragt. Die Mitbeteiligte habe mit Faxnachricht vom 29. Oktober 1999 erklärt, dass die beantragte Transportdienstleistung unter Anwendung der Reziprozitätsbestimmung des Elektrizitätswirtschafts- und - organisationsgesetzes (im Folgenden: ElWOG) nicht genehmigt werden könne, weil eine materielle Reziprozität nicht vorliege. Diese Begründung sei unrichtig, weshalb gemäß § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 ElWOG der Antrag auf bescheidmäßige Feststellung gestellt werde, dass durch die Verweigerung des Netzzuganges durch die Mitbeteiligte die Beschwerdeführerin in ihrem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Gewährung des Netzzuganges verletzt worden sei.

Nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 20 Abs. 2 und § 21 Abs. 1 ElWOG festgestellt, dass die Beschwerdeführerin durch die Verweigerung des Netzzuganges gemäß § 28 Abs. 1 Z. 3 des NÖ. ElWG 1999 seitens der Mitbeteiligten für die auf dem Stromlieferungsvertrag "Magyar Villamos Müvek Rt./EVN-AG" basierenden Stromtransporte aus der Republik Ungarn nicht in ihrem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Netzzugang verletzt worden sei.

Zusammengefasst wurde ausgeführt, die ungarische Rechtsordnung sehe zur Sicherung der Versorgung von Endverbrauchern folgende Funktionsträger bzw. Einrichtungen vor, denen unterschiedliche Aufgaben zugewiesen seien:

"Erzeuger: der eine Genehmigung zur Betreibung eines Kraftwerkes bzw. zur Herstellung von Elektroenergie erhalten hat;

Lieferant: der eine Genehmigung zur Lieferung/Transport (Übertragung) von Elektroenergie erhalten hat;

Dienstleister: der eine Genehmigung zur Verteilung und Dienstleistung von Elektroenergie erhalten hat;

Grundnetz: jenes Hochspannungsleitungsnetz - inbegriffen auch die Trägerkonstruktion - mit den dazugehörigen Umwandlungs- und Schaltanlagen, die zum Transport von Elektroenergie dienen;

Verteilernetz: jenes Leitungssystem - inbegriffen auch die Trägerkonstruktion - mit den dazugehörigen Umwandlungs- und Schaltanlagen, welches der Verteilung der Elektroenergie im Verbraucherbereich und der Übertragung der Elektroenergie zu den Anschlussanlagen dient."

Der ausschließliche Lieferant sei Magyar Villamosmüvek Reszvenytarsasag ("MVM"). Die Dienstleister seien Edasz Rt, Dedasz Rt, Demasz Rt, Emasz Rt, Titasz Rt und Fovarosi Villamosmüvek Rt. Rechte und Pflichten für Lieferanten und Dienstleister seien in ihrer Betriebsgenehmigung umschrieben. Die Betriebsgenehmigung sichere für den Lieferanten (MVM) das ausschließliche Recht zur Einfuhr und Ausfuhr von Elektroenergie, für den Dienstleister das ausschließliche Recht zur Bereitstellung der Elektroenergie für öffentliche Zwecke (Versorgung der Konsumenten) in einem bestimmten Bereich. Nach den Vorschriften ihrer Betriebsgenehmigung seien die Versorger grundsätzlich verpflichtet, ihren Energiebedarf durch Kauf vom Transporteur (MVM) zu befriedigen. In Ungarn besäßen sowohl der Transporteur als auch Versorger Hochspannungsnetze bis zu 120 kV. Über 120 kV hinaus würden Hochspannungsnetze ausschließlich vom Transporteur betrieben.

§ 28 Abs. 1 Z. 3 NÖ. ElWG bestimme, dass der Netzbetreiber den Netzzugang ganz oder teilweise verweigern kann, wenn der zugelassene Kunde aus einem System beliefert werden soll, in dem er nicht als solcher genannt ist. Ob die Voraussetzungen für die Verweigerung des Netzzuganges vorliegen, habe gemäß § 20 Abs. 2 ElWOG der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten zu entscheiden. Der Bundesminister habe bei seiner Entscheidung lediglich zu prüfen, ob

1. dem Antragsteller durch das jeweilige Ausführungsgesetz eine Rechtsposition eingeräumt worden ist, die ein Recht auf Netzzugang gewährt und

2. ob der der Begründung der Ablehnung zu Grunde liegende Sachverhalt auch tatsächlich vorliege und unter einen im § 26 (richtig wohl § 28) Abs. 1 Z. 2 bis 4 NÖ. ElWG enthaltenen Netzverweigerungstatbestand subsumiert werden kann. Die ungarischen Versorger betrieben neben ihrem Verteilernetz auch Hochspannungsnetze mit einer Spannung bis 120 kV. Auf Grund dieses Sachverhaltes sei davon auszugehen, dass ungarische Versorgungsunternehmen durchaus auch der Beschwerdeführerin vergleichbar seien, stelle doch das NÖ. ElWG bei der Qualifikation eines Verteilerunternehmens als zugelassener Kunde auf den Betrieb eines Übertragungsnetzes ab, das gemäß § 2 Z. 12 leg. cit. als ein Hochspannungsverbundnetz mit einer Spannungsebene von 110 kV und darüber definiert sei. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Beschwerdeführerin auch außerhalb ihres Versorgungsgebietes Anlagen betreibe und über Netzteile verfüge, die dem 220 kV-Netz zuzurechnen seien. Schon aus der Definition "Kunde" im § 2 Z. 7 NÖ. ElWG ergebe sich, dass dieser Begriff entweder eine Stellung als Endverbraucher oder aber den (mit der Versorgungstätigkeit gekoppelten) Betrieb eines Verteilernetzes voraussetze. Hingegen stelle sich der Betrieb eines Übertragungsnetzes immer als eine Dienstleistungsfunktion dar, die bereits begrifflich eine Stellung als Kunde ausschließe. Die Betriebsgenehmigung der MVM Rt sichere diesem Unternehmen das ausschließliche Recht zur Einfuhr und Ausfuhr von Elektroenergie. Eine Möglichkeit, Strom aus dem Ausland zu beziehen, sei nur dann in beschränktem Umfang (auf 35 kV-Ebene und nicht höher als 5 % des Gesamtverkaufes) möglich, wenn die MVM Rt auf ihr Recht verzichte. Ein weitergehender Verzicht bedürfe der Genehmigung des Energieamtes und hätte eine Änderung der Betriebsgenehmigung der MVM Rt zur Voraussetzung. Daraus müsse gefolgert werden, dass einem der Beschwerdeführerin vergleichbaren Unternehmen in der ungarischen Rechtsordnung nicht die Rechtsposition eines zugelassenen Kunden im Sinne der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie eingeräumt werde. Da sohin einem der Beschwerdeführerin vergleichbaren Unternehmen in der ungarischen Rechtsordnung nicht die Stellung eines zugelassenen Kunden im Sinne der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie eingeräumt sei, habe die Mitbeteiligte den Netzzugang unter Hinweis auf die mangelnde Reziprozität zu Recht verweigert.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die Beschwerdeführerin erstattete eine Replik zur Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Außer Streit gestellt und zutreffend ist (siehe § 44 Abs. 2 des ElWOG), dass die Beschwerdeführerin zugelassener Kunde und die mitbeteiligte Partei Betreiberin eines Übertragungsnetzes sind.

Die §§ 3 und 20 des Elektrizitätswirtschafts- und - organisationsgesetzes, BGBl. I 1998/143 (ElWOG), lauten wie folgt:

"§ 3. (Grundsatzbestimmung)

Ziel dieses Bundesgesetzes ist es,

1. der österreichischen Bevölkerung und Wirtschaft kostengünstige Elektrizität in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen;

2. eine Marktorganisation für die Elektrizitätswirtschaft gemäß dem EU-Primärrecht und den Grundsätzen des Elektrizitätsbinnenmarktes gemäß der Richtlinie 96/92/EG vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. L 27 vom 30. Jänner 1997, S. 20;

Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie) zu schaffen;

3. den hohen Anteil erneuerbarer Energien in der österreichischen Elektrizitätswirtschaft weiter zu erhöhen;

4. einen Ausgleich für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Allgemeininteresse zu schaffen, die den Elektrizitätsunternehmen auferlegt wurden und die sich auf die Sicherheit, einschließlich der Versorgungssicherheit, die Regelmäßigkeit, die Qualität und den Preis der Lieferungen sowie auf den Umweltschutz beziehen.

.....

§ 20.

Verweigerung des Netzzuganges

(1) (Grundsatzbestimmung) Die Ausführungsgesetzes haben vorzusehen, daß Netzzugangsberechtigten der Netzzugang aus nachstehenden Gründen verweigert werden kann:

1.

außergewöhnliche Netzzustände (Störfälle);

2.

mangelnde Netzkapazitäten;

3.

wenn der Netzzugang für Stromlieferungen für einen Kunden abgelehnt wird, der in dem System, aus dem die Belieferung erfolgt oder erfolgen soll, nicht als zugelassener Kunde gilt;

              4.       wenn ansonsten Elektrizität aus fernwärmeorientierten, umwelt- und resourcenschonenden sowie technisch-wirtschaftlich sinnvollen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen oder aus Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien trotz Eingehens auf die aktuellen Marktpreise verdrängt würde, wobei Möglichkeiten zum Verkauf dieser elektrischen Energie an Dritte zu nutzen sind.

Die Verweigerung ist gegenüber dem Netzzugangsberechtigten zu begründen.

(2) (Verfassungsbestimmung) Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat über Antrag desjenigen, der behauptet, durch die Verweigerung des Netzzuganges in seinem gesetzlich eingeräumten Recht auf Gewährung des Netzzuganges verletzt worden zu sein, innerhalb eines Monats festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Verweigerung eines Netzzuganges gemäß Abs. 1 vorliegen. Der Netzbetreiber hat das Vorliegen der Verweigerungstatbestände (Abs. 1) nachzuweisen. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung zwischen Netzzugangsberechtigtem und Netzbetreiber hinzuwirken."

Gemäß § 28 Abs. 1 NÖ. des Elektrizitätswesengesetzes 1999, LGBl. 7800-0 (NÖ. ElWG 1999), kann ein Netzbetreiber den Netzzugang aus nachstehenden Gründen ganz oder teilweise verweigern:

1.

bei außergewöhnlichen Netzzuständen (Störfälle),

2.

bei mangelnden Netzkapazitäten,

3.

wenn der zugelassene Kunde aus einem System beliefert werden soll, in dem er nicht als solcher genannt ist, oder

              4.       wenn ansonsten Elektrizität aus fernwärmeorientierten,

umwelt- und resourcenschonenden ... Anlagen trotz Eingehens auf

die aktuellen Marktpreise verdrängt würde.

Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung hat der Netzbetreiber die Verweigerung dem Netzzugangsberechtigten unter Berücksichtigung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen schriftlich zu begründen.

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung entscheidet über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzugangs gemäß § 21 Abs. 1 ElWOG, BGBl. I Nr. 143/1998, der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten. In allen übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern entscheiden gemäß § 21 Abs. 2 ElWOG, BGBl. I Nr. 143/1998, die örtlich zuständigen Handelsgerichte.

Gemäß § 3 Abs. 1 Z. 6 NÖ ElWG werden den Elektrizitätsunternehmen - soweit dies mit einem wettbewerbsorientierten Markt vereinbar ist - entsprechend ihrer Tätigkeit nachstehende gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Allgemeininteresse auferlegt:

....

              6.       unbeschadet der sich aus dem Abkommen zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten ergebenden Verpflichtungen Österreichs, die Verringerung von Elektrizitätsimporten aus Drittstaaten.

Gemäß § 21 Abs. 1 ElWOG entscheidet in Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Netzzuganges ausschließlich der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung entscheiden in allen übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen, insbesondere die anzuwendenden Bedingungen und Systemnutzungstarife, die örtlich zuständigen Handelsgerichte (§ 51 JN).

Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag ausdrücklich auf "§ 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 ElWOG" gestützt. Aus § 21 Abs. 1 leg. cit. leitet die Beschwerdeführerin ab, dass die belangte Behörde, da sie über die Rechtmäßigung der Verweigerung des Netzzuganges zu entscheiden habe, dabei auch darüber zu entscheiden habe, ob die Verweigerung des Netzzuganges infolge Diskriminierung rechtswidrig sei, weil die Frage der Diskriminierung eine Rechtsfrage sei.

Die Zuständigkeit des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten (nunmehr: für Wirtschaft und Arbeit) zur Entscheidung in Fällen der Netzzugangsverweigerung wird ausschließlich durch die Verfassungsbestimmung des § 20 Abs. 2 ElWOG begründet. In dieser Bestimmung ist der Umfang umschrieben, in welchem der Bundesminister zu entscheiden hat, nämlich darüber, ob die Voraussetzungen für die Verweigerung eines Netzzuganges gemäß Abs. 1 vorliegen. Demgegenüber beinhaltet § 21 Abs. 1 leg. cit. nur insofern eine Ausweitung der sachlichen Zuständigkeit des Bundesministers, als der Landesgesetzgeber weitere Netzzugangsverweigerungstatbestände als in § 20 Abs. 1 ElWOG bestimmt vorsehen könnte, über deren Rechtmäßigkeit einzig und allein der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit entscheiden soll. Der Bundesminister hat daher keine Zuständigkeit hinsichtlich der Entscheidung über die behauptete Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes (§ 4 Z. 1 ElWOG), also den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Dass der Bundesminister nicht auch zu einer Entscheidung über die Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes zuständig ist, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass mit der Bestimmung des Art. 3 ElWOG das Kartellgesetz 1988 in seinem gesamten Geltungsbereich auch auf Angelegenheiten des Elektrizitätswesens ausgedehnt wurde und somit, da auch in Angelegenheiten des Elektrizitätswesens § 35 des Kartellgesetzes 1988 gilt, das Kartellgericht den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung festzustellen und abzustellen hat.

Zu Recht beschränkte sich daher der angefochtene Bescheid auf die Feststellung, ob die Voraussetzungen für die Verweigerung eines Netzzuganges im Sinne des § 20 Abs. 1 ElWOG bzw. des § 28 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes (NÖ. ElWG 1999) vorlagen.

Die Beschwerde behauptet, § 20 Abs. 1 Z. 3 ElWOG sei eine "bloße" Umsetzungsbestimmung zu Art. 19 Abs. 5 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, und schließt aus dem Umstand, dass eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union nur gegenüber Mitgliedstaaten verbindlich ist, dass die Regelung des § 20 Abs. 2 Z. 3 ElWOG nur innerhalb des Europäischen Binnenmarktes gelten und wirksam sein könne.

Es trifft zu, dass § 20 Abs. 1 Z. 3 ElWOG die Anordnung des Art. 19 Abs. 5 lit. a der Richtlinie 96/92/EG in nationales Recht umsetzt, jedoch ist Sinn und Zweck des ElWOG nicht ausschließlich die Umsetzung der Richtlinie, sondern auch die Schaffung neuer Grundsätze der Organisation der österreichischen Elektrizitätswirtschaft; die Ziele dieses Bundesgesetzes sind im § 3 leg. cit. angeführt, diese Bestimmung enthält vier Ziele, wovon nur eines die Umsetzung der Richtlinie 96/92/EG betrifft.

In seinem § 13 normiert das ElWOG ausdrücklich Stromlieferungsverträge bei Strombezug aus Drittstaaten und macht damit deutlich, dass nur für Drittstaaten geltende Sonderregelungen eindeutig als solche bezeichnet werden.

Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, nach Art. 49 B-VG erstrecke sich die verbindende Kraft eines Bundesgesetzes, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, auf das gesamte Bundesgebiet, da es sich jedoch bei der Regelung des § 20 Abs. 1 ElWOG (als Grundsatzbestimmung) um eine klare Umsetzungsbestimmung zu Art. 19 Abs. 5 EBRL handle, erstrecke sich der örtliche Geltungsbereich des österreichischen Gesetzes auch ohne ausdrückliche Anordnung im Gesetz selbst auf sämtliche im Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelegene Systeme, so ist diese Argumentation nicht nachvollziehbar, weil die Reziprozitätsbestimmungen zu ihrer Wirksamkeit keines erweiterten örtlichen Geltungsbereiches bedürfen. Entgegen den Beschwerdeausführungen wurde durch den angefochtenen Bescheid auch keine Ausdehnung des Geltungsbereiches des ElWOG bzw. des NÖ. ElWG vorgenommen, vielmehr ist eine gesetzlich angeordnete Gegenseitigkeit immer nur im Rahmen des örtlichen Geltungsbereiches zu beachten. Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass dann, wenn ein Drittstaat (hier: Ungarn) in seinem Gebiet ansässigen zugelassenen Kunden Geschäfte mit österreichischen Elektrizitätsunternehmungen ohne rechtliche und tatsächliche Einschränkungen ermöglicht, auch den ungarischen Elektrizitätsunternehmungen Stromlieferungen an einen in Österreich ansässigen zugelassenen Kunden möglich sein sollen. Ist Ersteres ausgeschlossen, ermöglicht die Reziprozitätsklausel des § 20 Abs. 1 Z. 3 ElWOG auch die Verhinderung der zweitgenannten Belieferung, und zwar dadurch, dass in Österreich für ein derartiges Geschäft der Netzzugang nicht gewährt werden muss. Ob diese tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten vorliegen, hat gemäß § 20 Abs. 2 ElWOG eine österreichische Behörde festzustellen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen wird die Gegenseitigkeit voll wirksam, ohne dass es einer Ausdehnung des Geltungsbereiches der österreichischen Rechtsnorm über das Staatsgebiet hinaus bedürfte.

Wie das Ermittlungsverfahren ergeben hat, war die Belieferung eines in Ungarn ansässigen "zugelassenen Kunden", d.h. eines mit der Beschwerdeführerin vergleichbaren Kunden, nur dann möglich, wenn die MVM Rt. auf die Belieferung jenes Kunden verzichtete, die Belieferung nur auf einer Spannungsebene von maximal 35 kV erfolgte und die bezogene Strommenge nicht höher als 5 % des Gesamtverkaufes des Dienstleisters vom vorigen Jahr war.

Mit der Republik Ungarn hat u.a. die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits, ABl. Nr. L 347/93, abgeschlossen, das mit 1. Februar 1994 in Wirksamkeit getreten ist. Schon in ihrem Antrag vom 5. November 1999 wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass unter Titel III dieses Abkommens insbesondere die stufenweise Einführung einer Freihandelszone vereinbart wurde, wobei Art. 9 Abs. 4 losgelöst von stufenweisen Schritten und unbedingt von Seiten der Europäischen Gemeinschaften zugesichert wurde, dass "die mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen der Gemeinschaft und die

Maßnahmen gleicher Wirkung ... vom Zeitpunkt des Inkrafttretens

dieses Abkommens an für Ursprungswaren Ungarns aufgehoben (werden)."

Unabhängig von der Frage, ob es sich beim "Europa-Abkommen" um ein Abkommen mit mittelbarer oder unmittelbarer Anwendbarkeit handelt, lässt sich aus den von der Beschwerdeführerin zitierten Bestimmungen nicht ableiten, dass sich die Europäische Union bzw. deren Mitgliedstaaten zu einer einseitigen Liberalisierung gegenüber Ungarn verpflichtet hätten.

Art. 30 EGV normiert Schutzbestimmungen (aus den dort genannten Gründen kann eine nationale Reziprozitätsregelung gerechtfertigt sein) der Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten.

Art. 35 des Freihandelsabkommens mit Ungarn entspricht dem Art. 30 EGV, in dem geregelt ist, dass Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbote oder -beschränkungen zulässig sind, die u.a. aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Aus Art. 19 Abs. 5 EBRl ergibt sich, dass die dort vorübergehend vorgesehene Reziprozitätsregelung im Rahmen des Gemeinschaftsrechtes (insbesondere Art. 30 EGV) zulässig ist. Im Lichte dieses Umstandes muss die verfahrensgegenständliche österreichische Reziprozitätsregelung auch im Hinblick auf Art. 35 des Freihandelsabkommens mit Ungarn als zulässig beurteilt werden.

Die von der Beschwerdeführerin gewünschte Nichtannahme der Reziprozität widerspräche auch dem Grundsatz des § 3 ElWOG bzw. § 3 Abs. 1 Z. 6 NÖ. ElWG 1999, wonach der Stromimport zu verringern ist.

Da die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen ist, dass für die verfahrensgegenständlichen Stromliefergeschäfte eine Reziprozität nicht vorliegt, ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in keinen Rechten verletzt worden. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Oktober 2000

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4sachliche ZuständigkeitGemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000050080.X00

Im RIS seit

13.11.2001

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten