RS Vfgh 2013/9/18 G62/2010

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Veröffentlicht am 18.09.2013
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Index

L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs4
Tir GVG 1996 §2, §4, §5, §6, §7, §7a, §8

Leitsatz

Teils Zurück-, teils Abweisung eines Drittelantrags von Mitgliedern des Tiroler Landtages auf Aufhebung von Bestimmungen des Tiroler Grundverkehrsgesetzes über den "grünen Grundverkehr"; keine Unsachlichkeit; kein Verstoß gegen das Determinierungsgebot, keine verfassungswidrige Inländerdiskriminierung; Unzulässigkeit des Antrags hinsichtlich außer Kraft getretener sowie zwischenzeitig novellierter Bestimmungen

Rechtssatz

Bei einem zur Stellung eines Antrags auf Gesetzesprüfung legitimierten Drittel der Abgeordneten einer gesetzgebenden Körperschaft handelt es sich ab der wirksamen und zulässigen Antragstellung vor dem VfGH um eine einheitliche Verfahrenspartei, die als solche unabhängig davon fortbesteht, ob einzelne ihrer Mitglieder die für die Antragstellung erforderliche Qualifikation als Abgeordnete in weiterer Folge durch Neuwahlen oder auf andere Weise verlieren (oder durch Tod aus dem Parlament ausscheiden).

Eine "Aktualisierung" solcher Drittelanträge dahingehend, dass während eines Gesetzesprüfungsverfahrens angefochtene Bestimmungen statt als in der ursprünglich angefochtenen, zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Fassung, fortan als in der geltenden Fassung angefochten gelten, ist nicht zulässig. Denn Anträge auf Gesetzesprüfung von Abgeordneten gesetzgebender Körperschaften richten sich als Fälle der abstrakten Normenkontrolle stets gegen Gesetzesbestimmungen in der im verfahrenseinleitenden Antrag festgelegten Fassung.

Zurückweisung des Antrags und der Eventualanträge, soweit sie folgende Bestimmungen des Tir GVG 1996 idF LGBl 60/2009 betreffen: §2 Abs6, §4 Abs2 litb, §6 Abs3, §7 Abs1 litb und litd sowie §7a, der Verweis auf §6 Abs3 im ersten Satz des §8 Abs1 und §8 Abs2 dritter und vierter Satz.

Der Antrag, §7a Tir GVG (Interessentenregelung) zur Gänze aufzuheben, wird zurückgewiesen: §2 Abs6 sowie §7a Abs4 und Abs8 Tir GVG idF LGBl 60/2009 sind außer Kraft getreten; soweit der Antrag die gänzliche oder teilweise Aufhebung dieser Vorschriften begehrt, ist er als unzulässig zurückzuweisen. Abs3 leg cit wurde durch das Tir Verwaltungsgerichtsbarkeits-AnpassungsG, LGBl 150/2012, geändert. Dem VfGH ist es verwehrt, nicht mehr in Geltung stehende Bestimmungen des Tir GVG zu prüfen. Dies gilt auch für jene angefochtenen Bestimmungen, die mit diesen eine untrennbare Einheit bilden.

§7 Abs1 litd Tir GVG ist die zentrale Bestimmung für das angefochtene System der Interessentenregelung. Ohne diese Bestimmung bliebe die Anmeldung einer Erwerbsbereitschaft durch Interessenten ohne Einfluss auf die Genehmigung des Geschäfts mit dem in Aussicht genommenen Rechtserwerber. Die Bestimmung steht daher in untrennbarem Zusammenhang mit den mittlerweile außer Kraft getretenen des §2 Abs6 und §7a Abs4 Tir GVG.

Untrennbarer Zusammenhang auch des §6 Abs3 Tir GVG mit dem außer Kraft getretenen §2 Abs6 leg cit.

Nur den dritten und vierten Satz des §8 Abs2 Tir GVG (Verfall einer Kaution im Fall der Nichterfüllung einer Auflage) als verfassungswidrig aufzuheben, ist nicht ausreichend, um die behauptete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen.

Die durch den Antrag angestrebte Rechtslage würde sich von der angefochtenen lediglich darin unterscheiden, dass eine geleistete Kaution nicht formal für verfallen erklärt würde, sondern bloß faktisch bei der Behörde verbliebe. Dem Rechtsunterworfenen würde die geleistete Kaution aber dennoch dauerhaft entzogen; zusätzlich wäre er gemäß §36 Abs1 litb Tir GVG zu bestrafen.

Im Übrigen Abweisung des Antrags.

Keine unsachliche Schlechterstellung der von den Ausnahmebestimmungen des §5 lite, litf und litg Tir GVG erfassten Rechtsträger (Landeskulturfonds bzw Tiroler Bodenfonds, Gemeinden, Bund oder Land) verglichen mit den Angehörigen anderer Staaten der Europäischen Union. Inländer wie EU-Ausländer können sich auf die angefochtenen Ausnahmebestimmungen nicht berufen.

Unterschiedliche Voraussetzungen der Ausnahmen der Rechtserwerbe durch die verschiedenen öffentlichen Rechtsträger sachlich gerechtfertigt.

Den in §5 lite bis litg Tir GVG genannten Rechtsträgern obliegen unterschiedliche Aufgaben; dem Gesetzgeber kommt ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum bei der Abgrenzung zu, welche Rechtserwerbe der genannten öffentlichen Rechtsträger keiner Genehmigung gemäß §4 leg cit bedürfen. Dieser rechtspolitische Gestaltungsspielraum wird nicht überschritten, wenn, wie hier, je nach der Art des betreffenden Rechtsträgers ein unmittelbarer oder mittelbarer Bezug des Rechtserwerbs zu den jeweiligen Aufgaben des Rechtsträgers ausreicht, um den Erwerb von der Genehmigungspflicht auszunehmen.

Die Bedenken gegen §6 Abs1 lita Z2 und die Wendung "und 2" in §6 Abs2 sowie gegen das Tatbestandsmerkmal "flächendeckenden" in §6 Abs1 lita Z3 Tir GVG treffen nicht zu.

Verfolgt der Gesetzgeber mit dem Regime des landwirtschaftlichen Grundverkehrs die "Schaffung, Erhaltung oder Stärkung eines wirtschaftlich gesunden land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes" so ist ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten.

Dass ein Rechtserwerb den Grundsätzen des §6 Abs1 lita Tir GVG insgesamt nicht widersprechen darf, um genehmigungsfähig zu sein, schließt nicht aus, dass eine Genehmigung auch für einen Pächter (§4 Abs1 lite und litf Tir GVG) erteilt werden darf.

Das Genehmigungserfordernis, dass ein Rechtserwerb dem öffentlichen Interesse an der "Schaffung, Erhaltung oder Stärkung eines wirtschaftlich gesunden land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes" nicht widersprechen darf, führt zu keiner dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Schlechterstellung von Erwerben durch Inländer gegenüber solchen Erwerbsvorgängen, auf welche die unionsrechtliche Freiheit des Kapitalverkehrs anwendbar ist.

Die Ospelt-Rechtsprechung des EuGH (EuGH 23.09.2003, Rs C-452/01) führt schon wegen der mangelnden Übertragbarkeit der in dem genannten Urteil getroffenen Ausführungen auf diese Genehmigungsvoraussetzung zu keiner verfassungswidrigen Inländerdiskriminierung.

Ist es das Ziel des Grundverkehrsrechts, die Bewirtschaftung agrarischer Flächen für die Zukunft sicherzustellen, so kann dieses Regelungsanliegen Prognoseentscheidungen erfordern. Dagegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Es begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, den Erwerb von Grundstücken zu unterbinden, wenn zu erwarten ist, dass das Grundstück der land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung entzogen wird, auch wenn Eigentümer nicht dazu verpflichtet sind, die ihnen gehörenden land- und forstwirtschaftlichen Flächen tatsächlich zu bewirtschaften.

Weiters keine Bedenken gegen das Erfordernis gemäß §6 Abs2 Tir GVG, dass die nachhaltige ordnungsgemäße Bewirtschaftung der erworbenen Grundstücke für die Genehmigung des Rechtserwerbs gewährleistet sein muss. Dasselbe gilt für §7 Abs1 lita Tir GVG.

Dem Gesetzgeber ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn er als Genehmigungserfordernis festlegt, dass die künftige Bewirtschaftung eines Grundstücks grundsätzlich "gewährleistet" sein muss, obwohl es für die Genehmigung eines Erwerbs durch Landwirte ausreicht, dass diese die künftige Bewirtschaftung des Grundstückes durch ein Betriebskonzept "glaubhaft machen".

Gesetzlich vorgesehene Prognoseentscheidungen sind nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil ein Erwerber - aus welchen Gründen auch immer - entgegen seiner ursprünglichen Absicht gezwungen sein könnte, das erworbene Grundstück doch nicht zu bewirtschaften.

Es ist per se nicht unsachlich, Erwerber von Grundstücken anders zu behandeln als Personen, die Grundstücke bereits seit langem in ihrem Eigentum halten. Grundsätzlich ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er im Interesse der Aufrechterhaltung der Bewirtschaftung agrarischer Flächen an Erwerbsvorgänge anknüpft und nicht Bestimmungen erlässt, die Personen, welche bereits Eigentümer sind, dazu verpflichten, ihre land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke zu bewirtschaften.

§2 Abs1 fünfter Satz Tir GVG idF LGBl 60/2009 (Einbeziehung land- und forstwirtschaftliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude in den Anwendungsbereich des Tir GVG), jetzt §2 Abs1 vierter Satz, ist hinreichend determiniert.

Dem Gesetzgeber ist nicht entgegenzutreten, wenn er sich auslegungsbedürftiger Gesetzesbegriffe wie hier in einem Ausmaß bedient, dass das Handeln der Vollziehung im Ergebnis hinreichend vorherbestimmt ist (Hinweis auf die Judikatur zum "differenzierten Legalitätsprinzip").

Hinreichende Determinierung auch der korrespondierende Bestimmung des §4 Abs1 litd Tir GVG (Genehmigungspflicht des Erwerbs von Bestandrechten an landwirtschaftlichen Wohngebäuden bei einer Bestanddauer von mehr als fünf Jahren).

Der VfGH teilt auch die Bedenken gegen §2 Abs4 erster Satz Tir GVG nicht. Dieser Bestimmung zufolge gelten Grundstücke, die mit anderen als land- oder forstwirtschaftlichen Wohn- oder Wirtschaftsgebäuden bebaut sind, weiterhin als land- oder forstwirtschaftliche Grundstücke iSd Tir GVG. Dies gilt jedoch nur für den Fall, dass das gesamte Grundstück Gegenstand des Rechtserwerbes ist. Soll lediglich das Gebäude erworben werden, so gilt dieses gemäß §2 Abs4 letzter Satz Tir GVG als Baugrundstück. Als solches unterliegt das Grundstück nicht den Beschränkungen des "grünen" Grundverkehrs, sondern denen des "grauen" Grundverkehrs.

Unbedenklichkeit des §5 litd Tir GVG (Genehmigungsfreiheit des Rechtserwerbs an bestimmten Grundstücken).

Die Bagatellschwelle von 300 m2 des §5 litd Tir GVG resultiert aus einer Durchschnittsbetrachtung. Dass das Privileg der Genehmigungsfreiheit des Rechtserwerbs im engen örtlichen Zusammenhang lediglich einmal in Anspruch genommen werden darf, macht die Ausnahmebestimmung nicht verfassungsrechtlich bedenklich. Der Gesetzgeber überschreitet den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht, wenn er wie hier eine leicht handhabbare Regelung erlässt, die auf einer Durchschnittsbetrachtung basiert, um Umgehungen des Grundverkehrsrechts zu vermeiden.

Abweisung auch des Antrags auf Aufhebung des §4 Abs2 lita und §7 Abs2 Tir GVG.

Wenn der Gesetzgeber auch die Teilung von Grundstücken von der Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde abhängig macht, weil er dabei das öffentliche Interesse an der Vorbeugung der Umgehung des Grundverkehrsrechts verfolgen und eine Beeinträchtigung der grundverkehrsrechtlichen Regelungsziele, wie sie in §6 Abs1 Tir GVG zum Ausdruck kommen, verhindern will, kann ihm nicht entgegengetreten werden.

Die Teilung eines Grundstückes gemäß §4 Abs2 lita Tir GVG schließt einen späteren gemäß §5 litd leg cit genehmigungsfreien Erwerb der abgeteilten Grundfläche nicht aus.

Hinreichende Determinierung; Versagung der Genehmigung von Grundstücksteilungen gem §7 Abs2 Tir GVG insbesondere, wenn ihnen "erhebliche landeskulturelle Bedenken" entgegenstehen, insbesondere dann, "wenn unwirtschaftlich kleine Grundstücke entstehen würden".

Entscheidungstexte

Schlagworte

Grundverkehrsrecht, Grundstück land- oder forstwirtschaftliches, Novellierung, Rechtsbegriffe unbestimmte, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, VfGH / Legitimation, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G62.2010

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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