TE AsylGH Erkenntnis 2013/09/18 E2 421587-1/2011

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Veröffentlicht am 18.09.2013
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Spruch

E2 421.587-1/2011/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. HUBER-HUBER als Vorsitzenden und Richterin Dr. FAHRNER als Beisitzerin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.09.2011, FZ. 10 08.920-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.08.2013 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I 38/2011 (AsylG 2005) der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG UND SACHVERHALT.

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine iranische Staatsangehörige, reiste am 24.09.2010 per Flugzeug von Istanbul nach Wien und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie gab bei der fremdenpolizeilichen Befragung an, sie sei vor der Einreise aus

XXXX nach Österreich von XXXX nach XXXX geflogen, wo sie bei einem Schlepper ihren eigenen Reisepass gegen einen anderen Reisepass und ein Ticket nach Wien getauscht habe. In dem neuen Reisepass sei der Vorname XXXX gestanden, mehr wisse darüber sie nicht. Den neuen Reisepass habe sie dann im Flugzeug vernichtet. Sie würde Asyl beantragen, da sie familiäre Probleme habe.

 

2. Am 26.09.2010 wurde die Beschwerdeführerin im Asylverfahren erstbefragt. Die Beschwerdeführerin führte aus, sie habe ihren Heimatort XXXX vor fünf Tagen verlassen und sei mit einem PKW Richtung Türkei gefahren. Anschließend habe sie - Gegensatz zu ihren Angaben vor dem Fremdenpolizei - mit einem Pferd die Grenze zur Türkei passiert und in der Folge sei sie mit einem PKW nach XXXX gebracht worden, von wo aus sie mit dem Flugzeug nach Österreich geflogen sei. Insgesamt sei sie von der Grenze des Irans bis nach

XXXX etwa zwei Tage unterwegs gewesen. Die Flucht sei durch einen Cousin des Vaters und den Onkel ihres Freundes organisiert worden. Der Schlepper habe den gefälschten Reisepass und die Flugunterlagen besorgt. Er habe auch ein Reiseticket nach XXXX besorgt, jedoch sei sie direkt von der Türkei nach Österreich geflogen. Im Iran habe sie mit ihrer Familie Probleme gehabt, da sie einen Freund gehabt hätte, welcher Christ gewesen sei und daher von ihrer Familie nicht akzeptiert worden wäre. Sie habe ihn heiraten wollen, woraufhin ihr Vater und ihr Bruder sie und ihren Freund geschlagen hätten. Ihr Freund und sie seien dann nach XXXX zu dessen Onkel geflüchtet. Da sie gewusst hätte, dass ihr Vater die Polizei verständigen würde, habe der Onkel des Freundes die Flucht bzw. Ausreise organisiert. Ihr Freund habe gesagt, er werde nachkommen. Fluchtziel sei Europa gewesen. Sie habe Angst und werde im Iran sicherlich umgebracht. Ihre Familie sei streng religiös.

 

3. Am 27.09.2010 wurde die Beschwerdeführerin bei der Asylbehörde erster Instanz niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, sie habe im Iran von 1989 bis 1994 die Grundschule in XXXX, anschließend bis 1997 die Hauptschule und schließlich bis 2000 eine Allgemeinbildende höhere Schule besucht. Ihre Muttersprache sei kurdisch, sie spreche jedoch auch sehr gut Farsi.

 

In Österreich habe sie einen Cousin, XXXX. Sie habe gewusst, dass Verwandte im Ausland leben, jedoch erst, nachdem sie ihrer Schwester telefonisch mitgeteilt hatte, dass sie in Österreich ist, habe sie von dieser erfahren, dass hier ein Cousin lebe. Den Cousin habe sie zuletzt in ihrer Kindheit gesehen.

 

Ihrem Freund sei es nicht möglich gewesen, den Iran gemeinsam mit ihr zu verlassen. Dieser sei christlichen Glaubens. Es sei ihm finanziell nicht schlecht gegangen und er habe gesagt, er werde einige Dinge verkaufen und dann nachkommen.

 

Der Schlepper habe gesagt, sie solle zunächst mit ihrem eigenen Reisepass und einem Flugticket nach XXXX durch den ersten Teil des Flughafens gehen. Dann habe ihr der Schlepper gesagt, sie solle den gefälschten Reisepass und eine andere Boardingcard verwenden und mit dieser nach Europa fliegen. Beim Einsteigen in das Flugzeug habe sie lediglich ihre Boardingcard gezeigt.

 

Sie sei Kurdin und ihre Familie sei sehr religiös. Sie kenne ihren Freund seit zwei Jahren und dieser sei christlichen Glaubens. Sie sei von ihrer Familie und ihrem Umfeld unter großen Druck gesetzt worden. Ihre Familie hätte sie mit dem Tod bedroht, wenn sie diese Beziehung fortsetze. Sie habe ihren Freund so sehr geliebt, dass sie bereit gewesen wäre, ihr Leben für ihn aufzugeben und sie habe ihn auch heiraten wollen. Sie sei von ihrem Vater und Bruder geschlagen, beschimpft und bedroht worden. Auch ihren Freund hätten sie geschlagen.

 

Sie hätte ihren Freund nicht sehen dürfen. Wenn sie sich getroffen hätten und es habe jemand herausgefunden, sei ihr Vater informiert worden und sie sei anschließend von diesem geschlagen und beschimpft worden. Man habe ihr gesagt, ihr Freund sei anders, er sei kein Muslim und sie dürfe keine Beziehung zu ihm haben. Kennengelernt habe sie ihn an einem Unterhaltungs- und Freizeitort, der "XXXX" heiße und der Name ihres Freundes sei XXXX oder XXXX. Er sei 29 Jahre alt und Iraner. Sie wisse nicht, woher seine Familie kommt. Er habe ihr manchmal von seinem Glauben erzählt und das habe sie dies sehr interessiert.

 

Sie habe ihren Freund vor zwei Jahren kennengelernt und sie hätten sich so oft getroffen, wie sie habe eben ausgehen können. Ihren Eltern habe sie etwa gesagt, sie gehe zum Friseur oder besuche ihre Schwester bzw. zu ihrer Freundin. Sie hätten sich im Park oder auf der Straße verabredet. Ein unverheiratetes Paar könne sich im Iran nicht frei bewegen. Sie hätten sich mindestens ein- bis zweimal im Monat getroffen. Sie habe nicht jemanden heiraten können, der eine andere Religion hat, deshalb habe sie flüchten müssen. Bei Kurden sei es wichtig, dass der Mann auch Kurde sei und aus der gleichen Schicht kommt. Diejenigen Männer, die um ihre Hand angehalten hätten, habe sie abgelehnt. Wenn ihre Eltern deswegen Druck ausübten, habe sie gesagt, sie würde sich das Leben nehmen. Wenn sie ihren Freund nicht kennengelernt hätte, wäre sie so lange zuhause geblieben, bis sie den richtigen Mann gefunden hätte.

 

Sie habe sich vom christlichen Glauben angezogen gefühlt und sie habe bei XXXX bleiben und auch christlich werden wollen. Sie hätten sich auch über das Christentum unterhalten. Männer und Frauen seien demnach gleichwertig und würden ihren Ehepartner frei aussuchen. Christus sei der Retter. Als Christ habe man keine Angst beim Verzehr von gewissen Speisen und Getränken.

 

Ihren Freund habe sie der Familie nie vorgestellt. Die Familie sei irgendwann von selbst draufgekommen. Sie habe heimlich mit ihrem Freund telefoniert.

 

Bei den Kurden würde ein Mädchen getötet werden, wenn es mit einem Mann flüchtet - selbst dann, wenn dieser Mann auch ein Kurde ist. Deshalb hätten sie sich gemeinsam zur Flucht entschlossen. Sie seien zu ihm nachhause gegangen und er habe seine Sachen gepackt. Er wohne in XXXX, XXXX Straße. Die Hausnummer wisse sie nicht. Neben dem Haus sei ein XXXXgeschäft, welches der Familie von XXXX gehöre und es handle sich dabei um ein einstöckiges Haus. Er wohne dort mit seiner Mutter.

 

Sie seien geflohen, weil sie wegen des unterschiedlichen Glaubens nicht hätten heiraten dürfen. Bekannte und Verwandte hätten gesehen, dass sie sich mit XXXX treffe und dies ihrer Familie erzählt. Seit dem gebe es Schläge und Beschimpfungen. Dies sei etwa seit ein bis zwei Monaten so. Zunächst sei sie nur beschimpft worden. Als sie jedoch erfahren hätten, dass XXXX Christ sei, hätten sie ihr auch verboten, ihn zu sehen.

 

XXXX habe ihr nie gesagt, welche Konfession er hat. Er habe ihr von vielen schönen Dingen des Christentums erzählt, etwa dass Christus keines natürlichen Todes gestorben sei, er sei für die Sünden getötet worden und sei wieder auferstanden. XXXX habe ihr erzählt, dass Christus nicht nur ein Prophet sondern der Sohn Gottes sei. Im Islam sei alles mit Geboten und Verboten verbunden. XXXX habe ihr zwar nicht viel erzählt, aber aus dem, was er erzählt habe, hätte sie geschlossen, dass das Christentum besser als der Islam sein muss. Sie wäre bereit gewesen, alles für XXXX zu tun.

 

Immer wenn ihre Familie herausgefunden hätte, dass sie mit ihm zusammen gewesen war, sei sie furchtbar geschlagen worden, auch XXXX. Ein paar Mal sei es vorgekommen, dass man sie gemeinsam antraf. Ein Verwandter habe daraufhin ihren Vater verständigt und auf einmal seien ihr Bruder und ihr Vater aufgetaucht. Einmal seien sie in XXXX erwischt worden Sie wisse nicht mehr genau, was passiert war. Sie sei geohrfeigt worden, ihr Bruder sei auf XXXX losgegangen. Sie sei ins Auto gezerrt und nachhause gebracht worden. XXXX sei gesagt worden, er dürfe sie nicht mehr sehen. Dies sei der erste Vorfall gewesen.

 

Zwei bis drei Wochen später seien sie (die Beschwerdeführerin mit ihrem Freund) im Park gewesen und es hätte erneut jemand ihren Vater verständigt. Sie wisse jedoch nicht, wer. Bevor sie sich habe hinsetzen hätten können, sei wiederum ihr Vater dagestanden und habe sie geschlagen und gesagt, er würde sie umbringen. XXXX sei geohrfeigt worden und ihr Vater habe gesagt, er dürfe sie nicht mehr sehen. Danach sei es nicht mehr möglich gewesen, ihn zu treffen. Sie habe lediglich mit ihm telefoniert. Nur ihre Schwester habe gewusst, dass sie ein Handy hat.

 

Ihr Freund habe sie zur Grenze begleitet. Aus XXXX habe sie aus einer Telefonzelle mit ihm telefoniert. Die sei das letzte Mal gewesen, dass sie mit ihm gesprochen habe. Er habe gesagt, er habe eine alleinstehende Mutter und müsse das Haus und andere Sachen verkaufen, er wisse nicht, ob seine Mutter mit ihm ins Ausland komme. Er habe jedoch gesagt, er werde nachkommen.

 

Sie wolle XXXX heiraten, doch dies würde weder ihre Familie noch die Gesellschaft und der Staat zulassen. Im Iran gelte dies als Straftat und sie sei deswegen mit dem Tod bedroht worden.

 

4. Die Beschwerdeführerin wurde am 26.11.2010 neuerlich niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, seit sie in Österreich sei, habe sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester telefoniert. Diese hätten erzählt, wie verärgert der Vater sei. Sie habe ihrer Mutter gesagt, sie dürfe XXXX keine Probleme machen, sie sei nicht vor ihm, sondern vor ihrer Familie geflüchtet. Sie habe auch Angst, mit ihrem Vater zu sprechen, daher habe sie nur mit ihrer Mutter gesprochen. Die Mutter hätte nichts gegen die Beschwerdeführerin und lediglich gefragt, warum sie davongelaufen sei.

 

Ihr Cousin unterstütze sie in Österreich und auch XXXX schicke ihr unregelmäßig Geld. Sie wohne in Österreich privat, aus Angst, dass sie entführt werden könnte. Sie wohne nicht bei ihrem Cousin, sondern bei XXXX. Dieser sei ein Freund des Cousins und sie habe ihn zuvor nicht gekannt. Für Österreich finde sie es normal, mit einem Mann zusammen zu wohnen, den sie nicht kennt. Bei ihrem Cousin könne sie nicht leben, da dessen Wohnung zu klein sei. Ihr Cousin besuche sie jedoch regelmäßig.

 

Sie sei geflüchtet, weil sie Angst gehabt hätte, Selbstmord zu begehen. Ihr Vater hätte es noch so weit getrieben, dass er sie oder sie sich selbst getötet hätte. Sie habe nicht zur Schule gehen und das Haus nur unter dem Vorwand, sie gehe zu ihrer Schwester, verlassen dürfen. Es sei ihr wichtig, selbst entscheiden zu können, wie sie ihr Leben gestaltet. Wenn sie geblieben wäre, wäre sie bestialisch ermordet worden. Sie habe selbst gesehen, dass 13-Jährige zwangsverheiratet worden wären und sich selbst in Brand gesteckt hätten.

 

Ihr Vater habe XXXX zuhause aufgesucht und ihm mit einer Anzeige wegen Entführung gedroht, aber es sei noch zu keiner Anzeige gekommen. Als ihr Vater sie erwischt hätte, habe er ihm gesagt, wenn er nochmals in ihre Nähe komme, bringe er ihn um.

 

Ihre Eltern hätten sie dazu gezwungen, den Iran zu verlassen. Wenn sie sie in Ruhe gelassen hätten, hätte sie das Land nicht verlassen müssen. Ihre Schwester habe XXXX ihre Telefonnummer gegeben und er rufe sie regelmäßig an. Er könne jetzt nicht nach Österreich kommen, da ihr Vater ihn beschuldige, sie entführt zu haben. Er habe vor, sein Geschäft und seine Liegenschaften zu verkaufen, um das Geld hier zu investieren. Er werde auch seine Mutter herbringen, da er sonst niemanden mehr habe.

 

Sie hätte große Angst vor ihrem Vater gehabt und habe nicht frei leben und heiraten können. Sie sei von ihrem Bruder und Vater geschlagen worden, das habe sie nicht mehr ausgehalten.

 

4. Mit Fax-Eingabe vom 30.11.2010 (AS 165) teilte die Beschwerdeführerin mit, der Nachname von XXXX sei XXXX, sein Vater heiße XXXX, die Mutter heiße XXXX. Die Wohnadresse sei XXXX. Die Telefonnummer von XXXX laute XXXX.

 

5. Das Bundesasylamt ersuchte im Wege einer Anfrage an die Staatendokumentation die österreichische Vertretungsbehörde in Teheran, die von der Beschwerdeführerin im bisherigen Verfahren getätigten Annahmen zu überprüfen. Aus der Anfragebeantwortung vom 14.03.2011 (AS 173-185) ergibt sich, dass der Freund der Beschwerdeführerin nicht ausfindig gemacht werden habe können. Auch seine Adresse und sein angebliches XXXXgeschäft hätte nicht lokalisiert werden können. Unter der angegebenen Telefonnummer XXXX sei niemand zu erreichen, das Handy sei ausgeschaltet. Bei einem Gespräch mit dem Vater der Beschwerdeführerin habe dieser jedoch die Angaben seiner Tochter bestätigt.

 

6. Die Beschwerdeführerin gab bei einer neuerlichen niederschriftlichen Einvernahme am 04.04.2011 an, sie sei in Therapie, es gehe ihr weder physisch noch psychisch gut. Die Medikamente könne sie nicht kaufen, da sie kein Geld habe. Sie sei nicht versichert, da sie privat wohne. Sie hätte es in der Pension nicht ausgehalten und wohne bei einer kurdischen Familie. Sie habe ständig Angst, die Flucht und die Einsamkeit hätten sie sehr mitgenommen. Seit ihrer Ausreise habe sie alles verloren, die Liebe und die Zuneigung, die sie im Iran hatte. Sie habe ihr Leben retten müssen, vor ihrem Vater und dem Staat. Ihre Familie sei imstande, ein Mädchen umzubringen, bei den Kurden gebe es keine freiwilligen Ehen, wenn man sich nicht füge, werde das Mädchen umgebracht.

 

Befragt zu den Ermittlungsergebnissen gab die Beschwerdeführerin an, sie kenne die Adresse und das Geschäft ihres Freundes nicht, sie sei nie dort gewesen. Sie habe das angegeben, was er ihr erzählt habe. Sie sei in telefonischem Kontakt mit ihrem Freund, er rufe sie von der Nummer an, die sie angegeben habe.

 

Nichts habe mehr Bedeutung für sie, nicht XXXX und nicht ihr Vater. Sie wisse nicht, wie es weitergeht. Sie habe alles so angegeben, wie sie es erlebt habe. Sie habe flüchten müssen, um ihr Leben zu retten. Weder das Gesetz des Landes, noch die Tradition ihrer Familie und die Religion würden erlauben, was sie (und ihr Freund) vorgehabt hätten.

 

Sie habe ihren Freund über ein Jahr lang gekannt. Sie sei nie in seiner Wohnung gewesen, aber er habe einmal etwas geholt, von daher habe sie die Adresse ungefähr gewusst. Auch das XXXXgeschäft habe sie nie gesehen. Er habe ihr erzählt, dass er ein Geschäft habe und habe sie ihm zur Gänze geglaubt. Sie habe weder Familienangehörige, noch Freunde von XXXX gekannt.

 

Bei kurdischen Familien sei die Selbstmordrate von Mädchen sehr hoch, weil die Familien sehr streng seien und die Zwangsehe häufig vorkomme. Es habe immer wieder Heiratsanträge für sie gegeben, jedoch habe sie sich gewehrt, indem sie gedroht habe, sie werde sich umbringen. Sie hätte selbst bestimmen wollen, wen sie heiratet, ihre Schwester sei zwangsverheiratet worden.

 

Sie habe einmal mit ihren Schwestern gesprochen, sie dürfe nicht mehr anrufen, da diese Angst habe. Sie sei geflüchtet, um ihr Leben zu retten. Wenn sie zurückkehrt, würde sie getötet und zerstückelt werden. Sie habe im Iran als alleinstehende Frau keinen Schutz. Man würde es nicht gerne sehen, wenn eine muslimische Frau mit einem Christen lebt. Wenn sie in den Iran zurückkehrt, werde sie ihre Familie, ihr Stamm, früher oder später finden und sie töten, da es eine Schande und ein Todesurteil sei, wenn ein kurdisches Mädchen aus dem Haus flüchtet. Ihr Problem sei die Flucht und dass sie einen Freund gehabt hätte. Sie sei wegen der Beziehung schwer geschlagen worden. Ihr Cousin sei sehr fürsorglich und kümmere sich um sie. Über dessen Fluchtgründe könne sie nichts angeben.

 

7. Am 11.04.2011 wurde erneut eine Anfrage an die Staatendokumentation betreffend die Situation von alleinstehenden Frauen im Iran gestellt. Die Antwort (AS 247-291) langte am 10.05.2011 ein.

 

8. Die Beschwerdeführerin gab in der vierten niederschriftlichen Einvernahme am 23.08.2011 an, es gehe ihr körperlich und seelisch täglich schlechter. Zur Beruhigung und zum Einschlafen nehme sie Medikamente. Sie sei auch regelmäßig in Psychotherapie. Sie wohne derzeit im Haus von Herrn XXXX. Dieser sei ein Freund ihres Cousins

XXXX und sei ebenfalls ein Kurde aus XXXX.

 

Bei ihrer Flucht habe sie ihren iranischen Reisepass mitgehabt und sie sei auf dem Landweg illegal in die Türkei gereist. Sie sei nicht mit ihrem eigenen Reisepass von XXXX nach XXXX geflogen und habe auch keine Weiterbuchung nach XXXX gehabt. Sie habe die Wahrheit gesagt.

 

Sie wisse nicht, warum es ihr so schlecht geht. Auf den Vorhalt, sie habe sich bezüglich der Adresse ihres Freundes widersprochen, gab die Beschwerdeführerin an, sie rede nichts mehr mit ihm, er habe gelogen. Sie wolle auch wie andere Frauen ein normales Leben haben und auf eigenen Beinen stehen.

 

Sie habe überhaupt nichts machen dürfen, bei den Kurden würden Frauen sehr streng und mit Gewalt behandelt. Sie habe keinen Kontakt mehr mit ihren Familienangehörigen, auch nicht zu ihrer Schwester, sie hasse sie alle und den Iran, sie wolle alleine sein und ihre Ruhe haben. In Österreich wolle sie einen Kurs besuchen, eine Wohnung mieten, arbeiten gehen und ohne Angst leben, sie würde alles machen. Ihr Freund habe sie zuletzt vor ein paar Tagen angerufen, sie habe jedoch nicht mit ihm gesprochen.

 

Bei Anrufen von ihrem Freund am XXXX08. und vom XXXX08.2011 habe die Beschwerdeführerin mit XXXX geschimpft und ihm gesagt, er solle nicht mehr anrufen. Er habe nur gefragt, wie es ihr geht und sie habe ihm gesagt, er solle verschwinden.

 

Auf die Frage, warum sie im Iran nicht leben könne, gab sie an, wenn eine junge Frau im Iran alleine wohne, gebe es viele schlechte Gerüchte. Ihr Vater würde sie töten. Ihr Vater und Bruder hätten sie täglich geschlagen. Sie verfluche ihren Vater.

 

9. Die Beschwerdeführerin übermittelte dem Bundesasylamt ein handschriftlich, in der Sprache Farsi verfasstes Schreiben (AS 347a). Das Bundesasylamt ließ dieses Schreiben in die deutsche Sprache übersetzen.

 

10. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.09.2011, Zl. 10 08.920.-BAT, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Beschwerdeführerin wurde gem. § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und wurde ihr gem. § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 13.09.2012 erteilt.

 

Die Abweisung begründete das Bundesasylamt damit, dass die angegebenen Fluchtgründe nicht glaubhaft seien.

 

Aufgrund der Reaktion und der psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin sei nicht auszuschließen, dass sie Probleme mit ihrer Familie habe, auch wenn der Grund dafür nicht feststellbar sei.

 

Die Gewährung von subsidiärem Schutz wurde damit begründet, dass die Beschwerdeführerin im Iran nicht mehr bei ihrer Familie leben könne und aufgrund ihres psychischen Zustandes nicht in der Lage wäre, im Iran ihren Lebensunterhalt aus eigenem zu bestreiten.

 

11. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 29.09.2011 innerhalb offener Frist Beschwerde. Vorgebracht wurde, dass die Beschwerdeführerin ausführlich dargelegt habe, sie sei von Ehrenmord bedroht und, dass der iranische Staat nicht Willens und in der Lage sei, sie davor zu schützen. Sie stamme aus einem großen kurdischen Clan, der im Iran dafür bekannt sei, dass die einzelnen Mitglieder nur untereinander heiraten würden. Die Drohungen des Vaters seien durchaus ernst zu nehmen, da Ehrenmord Tradition in der Familie habe. So wäre auch die Schwester des Vaters ermordet worden, weil sie angeblich in einen Mann verliebt gewesen sei. Es gehe ihr schlechter, zumal ihr klar geworden wäre, dass XXXX nicht kommen würde und er sie im Grunde sitzen gelassen hätte.

 

Da keine Asylausschließungsgründe vorliegen würden, wäre ihr daher als eine vom Ehrenmord bedrohte Frau die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen.

 

12. Die Beschwerdesache wurde am 04.10.2011 der Geschäftsabteilung E2 zugeteilt.

 

13. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Eingabe vom 15.11.2011 (OZ 4), ihren Fall an einen Senat abzutreten, in dem ausschließlich Frauen entscheiden, da es ihr sehr unangenehm wäre, vor einem Mann ihre Geschichte neuerlich zu erzählen.

 

14. Der Asylgerichtshof hat für den 27.08.2013 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumt und dazu die Beschwerdeführerin, einen Vertreter des Bundesasylamtes und eine Dolmetscherin für die Sprache Farsi geladen. Die Beschwerdeverhandlung wurde in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und der Dolmetscherin durchgeführt. Das Bundesasylamt verzichtete auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung und beantragte schriftlich die Abweisung der Beschwerde.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN.

 

1. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt unter besonderer Berücksichtigung der Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, der Bescheidausführungen sowie der Ausführungen in der Beschwerde und schließlich durch persönliche Anhörung der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung. Zur Feststellung der aktuellen Lage im Herkunftsland Iran wurden folgende Länderinformationsquellen eingesehen:

 

AI - Amnesty International (23.5.2013): Jahresbericht 2013 - Iran, http://www.amnesty.de/jahresbericht/2013/iran; Zugriff 19.6.2013

 

AA - Auswärtiges Amt (8.10.2012): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

 

FCO - UK Foreign and Commonwealth Office: Human Rights and

Democracy: The 2012 Foreign & Commonwealth Office Report (4.2013):

Human Rights in Countries of Concern - Iran, http://www.ecoi.net/local_link/244438/367858_de.html; Zugriff 19.6.2013

 

HRW - Human Rights Watch (13.12.2012): Why They Left; Stories of Iranian Activists in Exile,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1355477422_iran1212webwcover-0.pdf; Zugriff 18.6.2013

 

FH - Freedom House (Jänner 2013): Freedom in the World - Iran 2013, http://www.ecoi.net/local_link/243877/367278_de.html; Zugriff 17.6.2013

 

OB Teheran (2.2013): Asylländerbericht Iran

 

US DOS - US Department of State (19.4.2013): Country Reports on Human Rights Practices 2012 Iran, http://www.ecoi.net/local_link/245054/368502_de.html; Zugriff 18.6.2013

 

FH - Freedom House (3.3.2010): Women's Rights in the Middle East and North Africa: Progress Amid Resistance, 2010, http://www.freedomhouse.org/sites/default/files/inline_images/Iran.pdf; Zugriff 18.6.2013

 

2. Festgestellter Sachverhalt:

 

2.1. Die Beschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem angegebenen Datum geboren. Sie ist iranische Staatsangehörige, kurdischer Herkunft, ledig und Mutter eines am XXXX2012 in Österreich geborenen Kindes, dem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX, auf Antrag des Vaters, als gesetzlicher Vertreter, gemäß §§ 3, 34 AsylG 2005 im Familienverfahren der Status eines Asylberechtigten zuerkannt und dessen Flüchtlingseigenschaft festgestellt wurde.

 

Am 24.09.2010 reiste die Beschwerdeführerin über den Flughafen Wien-Schwechat illegal in die Republik Österreich ein und stellte den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Die Beschwerdeführerin lebt derzeit mit dem Vater ihres Kindes, einem iranischen Staatsangehörigen, in Lebensgemeinschaft. Diesem wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX2011, XXXX, gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und dessen Flüchtlingseigenschaft festgestellt.

 

2.2. Die Beschwerdeführerin ist illegal aus dem Iran ausgereist. Bei Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten an den Lebensgefährten der Beschwerdeführerin (und Vater ihres Kindes) ging der Asylgerichtshof von einer asylrelevanten Gefährdung des Lebensgefährten aus, die ihre Ursache in dessen politischen Aktivitäten im Iran und exilpolitischen Aktivitäten in Österreich hatte. Nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ist somit davon auszugehen, dass auch der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland Iran die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung droht.

 

2.3. Zur Beurteilung der Lage im Herkunftsland Iran werden folgende Inhalte von o. a. Länderinformationsquellen herangezogen:

 

Frauen

 

Iranische Frauen erhielten 1975 das Wahlrecht. Seither waren immer Frauen im iranischen Parlament vertreten.

 

(SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (Susanne Bachmann): Iran Update, 2.8.2006)

 

Frauen sind in öffentlichen Ämtern und vielen Berufen unterrepräsentiert. Von einigen staatlichen Ämtern (Richter, Chef der Judikative, Oberster Religionsführer, Staatspräsident) sind Frauen ausgeschlossen. Den Richterberuf dürfen sie nur als Beisitzerinnen am Familiengericht ausüben. Im Wächter- oder Expertenrat gab es niemals weibliche Mitglieder. In medizinischen Berufen beträgt der Frauenanteil rund 30 %. An den Universitäten sind ca. 48 % der Studierenden und 36% der Lehrenden weiblich, in einigen Studienfächern liegt der Anteil bei über 60 %, so dass 2009 erstmals eine Männerquote (50 %) an einigen Fakultäten eingeführt wurde. Der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt nach amtlichen Angaben 16 %. Im Parlament sind zwölf von insgesamt 290 Abgeordneten Frauen, darunter elf aus dem konservativen Lager. Ein Novum war die Nominierung mehrerer Frauen für Ministerämter durch Präsident Ahmadinedschad im Sommer 2009. Lediglich die sehr konservative Kandidatin Vahid Dastgerdi konnte sich gegen die starken Widerstände v.a. aus dem religiösen Establishment durchsetzen.

 

Für Frauen gilt eine strenge Kleiderordnung. Nach herrschender orthodoxer islamischer Doktrin müssen Frauen die Konturen ihres Körpers und ihre Haare verhüllen. Der Verstoß gegen die islamische Kleiderordnung kann gemäß der Anmerkung zu Art. 638 iStGB mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe geahndet werden. Dennoch werden häufig auch bis zu 74 Peitschenhiebe wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral verhängt. Bei erstmaligen Verstößen besteht die Möglichkeit, dass die Peitschenstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt wird. Hierüber entscheidet der zuständige Richter. Jeden Sommer wiederholen sich offizielle Androhungen, man werde Verstöße gegen die Kleiderordnung strenger ahnden. Im Sommer 2011 fielen diese Warnungen schärfer aus als früher, u.a. wurde auch das hochgesteckte Tragen von Sonnenbrillen und sonnengebräunte Haut als westlich und damit unislamisch unter Strafe gestellt. Nach Meldungen der Nachrichtenagentur IRNA von Juni 2011 sollen sich allein in Teheran 70.000 Polizisten mit der Ahndung derartiger Verstöße befassen.

 

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. So wird z.B. die Belästigung oder Beleidigung von Frauen in der Öffentlichkeit laut Art. 619 iStGB mit Haftstrafe von zwei bis sechs Monaten und bis zu 74 Peitschenhieben bestraft, gemäß Art. 82 d iStGB wird bei Vergewaltigung einer unverheirateten Frau der Täter mit dem Tod bestraft. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nach Einschätzung des Auswärtigen Amts nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Für großes Aufsehen in der iranischen Öffentlichkeit sorgten zahlreiche Berichte zu Gruppenvergewaltigungen mehrerer Frauen in mehreren iranischen Städten im Juni 2011. So wurde in einer Ortschaft nahe Isfahan eine Privatparty, an der Frauen angeblich unverschleiert teilnahmen, von maskierten Männern gestürmt, die anwesenden Männer eingesperrt und alle Frauen vergewaltigt. Der Vorfall, der auch in staatlichen Medien breit aufgegriffen wurde, kann als bewusste Einschüchterung und Warnung an liberale Gesellschaftskreise interpretiert werden.

 

In rechtlicher Hinsicht gibt es für Frauen zahlreiche diskriminierende Beschränkungen.

 

Der Ehemann einer iranischen Frau hat das Recht, der Ehefrau die Ausübung eines Berufs zu versagen, wenn dies den Interessen der Familie widerspricht und seiner Würde zuwiderläuft.

 

Das Sozialversicherungswesen ist darauf ausgelegt, dass der Mann die Familie unterhält. Der Fall, dass eine Frau für das Familieneinkommen sorgt, obwohl auch der Mann dazu in der Lage wäre, ist nicht vorgesehen. Eine Frau erhält in der Regel lediglich dann Leistungen aus der Sozialversicherung, wenn sie die einzige Ernährerin der Familie ist.

 

(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand:

Juli 2011)

 

Aufenthaltsrecht

 

Der Ehemann hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich und seine Frau (Art. 1104 des iranischen Zivilgesetzbuchs, ZGB). Eine verheiratete Frau kann daher ohne anders lautende Regelung im Ehevertrag nicht ohne Zustimmung des Mannes Wohnsitz nehmen oder reisen. Sie benötigt die schriftliche Einwilligung ihres Ehemannes, um einen Reisepass und eine Ausreisegenehmigung erhalten zu können (Art. 18 III Passgesetz). Alleinreisende Frauen benötigen eine behördliche Erlaubnis, um in öffentlichen Hotels und Gästehäusern übernachten zu können.

 

(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand:

Juli 2011)

 

Volljährigkeit

 

Männliche iranischer Staatsangehöriger erreichen mit 15 Jahren das Alter der Ehefähigkeit, weibliche nach religiösen Vorschriften bereits mit 13 Jahren, nach staatlichem Recht ebenfalls mit 15 Jahren. Dies betrifft auch die Registrierung einer Ehe. Eheschließungen zwischen Minderjährigen bedürfen neben der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter der gerichtlichen Genehmigung, die in der Regel erteilt wird. Im Übrigen werden beide mit vollendetem 18. Lebensjahr voll geschäftsfähig.

 

(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand:

Juli 2011)

 

Eherecht

 

Die Ehe eines nicht-muslimischen Mannes mit einer Muslimin ist verboten (Art. 1059 ZGB); für die Ehe einer iranischen Frau mit einem Ausländer ist eine behördliche Sondergenehmigung erforderlich (Art. 1060 ZGB). Bei der Ehe eines muslimischen Mannes mit einer nicht-muslimischen Frau ist zu unterscheiden zwischen der formlosen religiösen Eheschließung und der (obligatorischen) Registrierung der Ehe bei dem zuständigen Heiratsnotariat. Die religiöse Ehe kann geschlossen werden, vor der Registrierung der Ehe muss die Frau aber zum Islam konvertiert sein. Ohne die Registrierung entfaltet die Ehe keinerlei Rechtswirkungen. Eine ledige Frau benötigt unabhängig von ihrem Alter zur ersten Eheschließung die Zustimmung des gesetzlichen Vormunds, in der Regel des Vaters (Art. 1043 ZGB). Laut Art. 1108 ZGB hat eine Ehefrau, die ihre Ehepflichten (Gehorsam und Ehebeziehungen) nicht erfüllt, keinen Anspruch auf Unterhalt. Der Ehemann hat das Recht zur Vielehe. Er kann bei Zustimmung der ersten Frau mit bis zu vier Ehefrauen gleichzeitig verheiratet sein.

 

(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand:

Juli 2011)

 

Außerdem ist es einem Mann erlaubt eine unbegrenzte Anzahl an sigheh (Zeitehen) einzugehen. Auf Grund einer schiitischen Tradition, in der eine Frau nach einer einfachen religiösen Zeremonie und der Unterzeichnung eines zivilrechtlichen Vertrages, in dem die Bedingungen der Ehe definiert werden, kann eine Frau die Ehefrau eines muslimischen Mannes werden. Sigheh-Ehefrauen und Kindern aus solchen Verbindungen werden nicht die Rechte einer traditionellen Ehe zugestanden.

 

(USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2011 Iran, 24.05.2012)

 

Die Gültigkeit der ersten Ehe einer Frau ist von der Zustimmung ihres Vaters oder dessen Vaters abhängig, unabhängig von ihrem Alter. Falls sie weder Vater noch Großvater hat, oder sie gibt an, dass diese ihre Wahl ohne Begründung ablehnen, kann sie bei einem Gericht berufen und mit der Zustimmung des Gerichts ihre Ehe registrieren lassen. Solche Einschränkungen gibt es für Männer nicht. Es ist ungewöhnlich und großteils unerwünscht für junge Mädchen ohne elterliche Zustimmung (besonders der des Vaters) zu heiraten, da sie so von ihren Verwandten und aus ihrem sozialen Umfeld verbannt würden.

 

In der Praxis ist Polygamie nicht sehr verbreitet und die meisten Menschen lehnen sigheh ab. Aber, da sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe unter Artikel 63 des Strafgesetzes verboten sind, wird sigheh manchmal von der säkularen und nonkonformistischen Jugend genutzt um einer Bestrafung für die ansonsten verbotenen sexuellen Aktivitäten zu vermeiden.

 

Frauen und Männer sind von staatlich sanktionierter Folter sowie von grausamen, inhumanen und degradierenden Bestrafungen für politische Aktivitäten oder für sexuelle Verstöße betroffen. Zum Beispiel können Personen, die des Ehebruchs schuldig befunden werden, nach Artikel 83 des Strafgesetzbuchs mit dem Tod durch Steinigung bestraft werden, auch wenn diese Urteile auf Grund der strengen Beweisanforderungen selten sind. In der Praxis werden signifikant mehr Frauen als Männer mit Steinigung bestraft.

 

(FH - Freedom House: Women's Rights in the Middle East and North Africa: Progress Amid Resistance, 2010, http://freedomhouse.org/uploads/special_report/section/254.pdf, Zugriff 26.06.2012)

 

Das schiitische Scheidungsrecht und -praxis

 

Der Ehemann hat das Recht zur Scheidung, ohne dass er den Scheidungsantrag begründen muss. Ebenso kann er nach einer widerrufenen Scheidung die Ehe innerhalb von drei Monaten wieder aufnehmen. Eine Frau kann bei Geisteskrankheit und Impotenz des Ehemanns (Art. 1122, 1125 ZGB), wegen einer unerträglichen Härte im Falle der Fortführung der Ehe z.B. bei stark unislamischer Lebensführung des Ehemanns oder bei Verletzung der Unterhaltspflicht (Art. 1130 ZGB) die Scheidung beantragen. Zusätzlich zu diesen gesetzlich geregelten Fällen werden in standardisierten, notariell beurkundeten Eheverträgen oft weitere Scheidungsgründe vereinbart (z.B. für die Frau gefährliche Erkrankung des Ehemanns, weitere nicht-konsentierte Heirat des Ehemanns). Im Streitfall jedoch kann der Ehemann einen derartigen Ehevertrag relativ leicht vor Gericht angreifen und die Ehefrau so in einen Rechtsstreit ziehen, der in der Regel ca. zwei Jahre dauert, und so die Scheidung maßgeblich erschweren.

 

(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand:

Juli 2011)

 

Auch wenn das Recht auf Scheidung prinzipiell beim Ehemann liegt, kann er sich nicht von seiner Frau scheiden lassen, ohne das Procedere vor dem Familiengericht zu durchlaufen. Das Gericht ernennt Schlichter, normalerweise aus der Verwandtschaft des Paares, im Bestreben eine Versöhnung zu erreichen. Falls der Ehemann auf der Scheidung besteht, gibt das Gericht seine Zustimmung. Das Verfahren ist weniger mühsam, wenn das Ehepaar die Scheidung einvernehmlich verlangt, aber viel komplizierter, wenn die Frau die Scheidung einreicht. Nach Artikel 1130 des Zivilrechts hat sie die Verpflichtung zu beweisen, dass sie durch die Fortsetzung der Ehe schwierigen und bedrohenden Umständen ausgesetzt wäre. Das kann Drogenabhängigkeit, Impotenz, Ehebruch des Mannes, sowie Fälle, in denen eine Frau von ihrem Mann verlassen oder physisch missbraucht wurde, umfassen. Polygamie kann nicht als Scheidungsgrund gelten, außer sie verletzt die Bedingungen des Ehevertrages des Paares. Eine andere Option für Frauen ist eine Scheidungsvariante namens khula. Laut Artikel 1146 des Zivilrechts kann eine Frau einen Scheidungsantrag stellen, auf Grund ihres Ekels gegenüber ihrem Mann, wenn sie auf ihre mehriyeh (Brautgeld) verzichtet, oder ihm eine entsprechende Menge Geld zahlt. Khula ist nur möglich wenn der Ehemann der Scheidung zustimmt.

 

Falls die Scheidung vom Ehemann initiiert wird, ist es sein Vorrecht innerhalb einer Wartephase, bekannt als eddeh (drei Monate oder drei Menstruationszyklen), zu seiner Frau zurückzukehren und die Ehe weiterzuführen.

 

Eine Frau hat ein Anrecht auf mehriyeh, eine Geldmenge oder eine wertvolles Objekt, das im Ehevertrag festgehalten wird. Der Ehemann ist verpflichtet diese an seine Frau zu bezahlen. Generell wird das Brautgeld bei der Scheidung bezahlt und soll Männer davon abhalten sich scheiden zu lassen. Falls dies scheitert, dient es als finanzielle Unterstützung für geschiedene Frauen. Artikel 336 des Zivilrechts wurde 2006 geändert und erlaubt Frauen nun finanzielle Kompensation vom Ehemann für Hausarbeiten, die während der Ehe erbracht wurden, besonders dann, wenn der Mann die Scheidung ohne Begründung beantragt.

 

Schließlich hat eine geschiedene Frau Anspruch auf ihr jahiziyeh, die Dinge, die sie in den Haushalt eingebracht hat.

 

Trotz dieser Bestimmungen die finanzielle Sicherheit für Frauen zu schützen, ist es in der Praxis schwierig, die mehriyeh oder die Entschädigung für die Hausarbeit zu erhalten.

 

(FH - Freedom House: Women's Rights in the Middle East and North Africa: Progress Amid Resistance, 2010, http://freedomhouse.org/uploads/special_report/section/254.pdf, Zugriff 13.12.2011)

 

Gewalt gegen Frauen

 

Kein spezielles Gesetz kriminalisiert häusliche Gewalt und Iran verfügt über keine öffentlichen oder privaten Schutzhäuser für misshandelte Frauen. Auf Grund von rechtlichen Defiziten, gesellschaftlichen Einstellungen und der Natur solcher Misshandlungen bleibt häusliche Gewalt ein privates Problem. Opfer, die sich an die Polizei wenden, werden nicht anders behandelt als die, die von einem Fremden attackiert werden.

 

(FH - Freedom House: Women's Rights in the Middle East and North Africa: Progress Amid Resistance, 2010, http://freedomhouse.org/uploads/special_report/section/254.pdf, Zugriff 26.06.2012)

 

"Ehrenmorde" passieren im Iran, wobei die Verbreitung unter den Minderheiten der Araber, Kurden und Azeri größer ist als unter den Persern (Farsi). Es liegen keine Berichte vor, die auf das Vorhandensein von staatlichem Schutz für von "Ehrenmorden" bedrohte Frauen hinweisen würden. Laut einem in einem Zeitungsbericht zitierten Polizeibeamten während des Jahres [2010], wurden 50 Ehrenmorde in einer siebenmonatigen Periode berichtet.

 

(UK Home Office: Iran, Country of Origin Information Report, 28.6.2011)

 

Im Berichtszeitraum 2011 gab es keine Berichte über Ehrenmorde, jedoch gaben Menschenrechtsaktivisten an, dass Ehrenmorde oft außerhalb der Öffentlichkeit passieren. Es gab (2011) auch keine Berichte über gesteinigte Frauen aufgrund von Ehebruch, obwohl Frauen wegen Ehebruch im Gefängnis saßen.

 

(USDOS - US Department of State: Country report on Human Rights Practices 2011 Iran, 24.05.2012)

 

Alleinstehende oder geschiedene Frauen

 

Es gab einen breiten Konsens unter den konsultierten Quellen, dass in den meisten Fällen eine alleinstehende oder geschiedene Frau in Teheran ohne Probleme leben kann. Die meisten Quellen betonten aber, dass dies in kleineren und/oder traditionelleren, religiöseren Städten anders sein kann.

 

(Danish Immigration Service: Human Rights Situation for Minorities, Women and Converts, and Entry and Exit Procedures, ID Cards, Summons and Reporting, etc. Fact Finding Mission to Iran 24th August - 2nd September 2008, April 2009)

 

Geschiedene Frauen haben bei der Anmietung von Wohnungen in Großstädten relativ geringe Probleme. Auf dem Land ist dies schwieriger, geschiedene Frauen ziehen dort regelmäßig zurück zu ihren Familien.

 

(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Stand:

Juli 2011)

 

Die Todesstrafe

 

Die Todesstrafe wird regelmäßig verhängt und auch vollzogen - zT öffentlich, zT auch an Minderjährigen -, der Iran ist hier (im internationalen Vergleich) seit vielen Jahren stets unter den Staaten mit den meisten Todesurteilen - dzt. No.2 nach China, pro Kopf jedoch an weltweit erster Stelle.

 

(BMeiA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten: Iran - Asylländerbericht, Stand: Oktober 2011)

 

Die Todesstrafe kann nach iranischem Recht für eine große Zahl von Delikten verhängt werden: Mord, Rauschgiftschmuggel, terroristische Aktivitäten, Kampf gegen Gott ("Mohareb") Staatsschutzdelikte, darunter auch bewaffneter Raub, Straßenraub, Teilnahme an einem Umsturzversuch, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und andere Sexualstraftaten, u.a. weibliche und männliche Homosexualität, Ehebruch, Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin. Nach in Iran mittelbar anwendbarem Scharia-Recht kann auch der Abfall vom Islam ('Apostasie') mit der Todesstrafe geahndet werden.

 

Obwohl die Todesstrafe nach iranischem Recht für viele Delikte - wie z. B. Mord - zwingend vorgeschrieben ist, kann davon abgesehen werden, wenn die Angehörigen des Opfers den Täter begnadigen.

 

Es ist davon auszugehen, dass in Todesstrafen vorangegangene Gerichtsverfahren oft weder internationale noch iranische Rechts- und Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand. Gegen die Verhängung der Todesstrafe gibt es die Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen (außer bei Entscheidungen der Revolutionsgerichte). Die Entscheidung über die Art der Vollziehung der Todesstrafe obliegt dem erkennenden Richter. Die Todesstrafe in Iran wird überwiegend durch Erhängen vollstreckt. Der Vollzug der Todesstrafe durch Steinigung ist laut Angaben der Justizbehörde durch ein Moratorium des vormaligen Justizchefs Ayatollah Sharoudi ausgesetzt. Laut Informationen von Amnesty International verkündete im Januar 2009 Justiz Sprecher Jamshidi, das Moratorium entfalte keine rechtliche Bindung und könne ignoriert werden. Ein offizielles Moratorium liegt auch nach Angaben des Außenministeriums nicht vor. In den Jahren 2008 und 2009 fanden Steinigungen statt, wie Jamshidi bestätigte, ohne hierzu jedoch Namen zu nennen. Der bislang letzte bekannt gewordene Fall einer vollstreckten Steinigung ereignete sich am 05.03.2009.

 

Im Jahr 2010 gab es wie schon im Jahr 2009 mindestens 14 öffentliche Hinrichtungen. Besonders beunruhigend ist die enorm angestiegene Zahl öffentlicher Hinrichtungen seit Anfang 2011: Mindestens 34 öffentliche Hinrichtungen wurden offiziell bestätigt.

 

Die Todesstrafe wird von dem iranischen Regime in Zeiten politischer Unruhe gezielt als Mittel genutzt, die Opposition und Andersdenkende einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Iran steht bei der Zahl der Hinrichtungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl weltweit an der Spitze. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer an Hinrichtungen hoch ist und die bekannten Zahlen um ein Vielfaches übersteigt.

 

Nicht immer wird eine verhängte Todesstrafe auch vollstreckt. An religiösen Feiertagen oder zum iranischen Neujahrsfest werden auch zu langen Freiheitsstrafen Verurteilte bisweilen begnadigt. Zuletzt wurden nach Aussage nichtstaatlicher Agenturen am 25. November 2010 ("Eid-Al-Ghadir") 19 politische Häftlinge aus dem Evin Gefängnis begnadigt, darunter auch zwei zum Tode verurteilte Personen. Eine Bestätigung durch staatliche Stellen erfolgte bislang nicht. Darüber hinaus haben die Angehörigen der Opfer ein Begnadigungsrecht.

 

Strafen und Strafverfolgung

 

Das iranische Strafrecht ist islamisch geprägt. Es ist kodifiziert im "Gesetz über die islamischen Strafen" vom 30. Juli 1991. Zudem existieren einige strafrechtliche Nebengesetze, darunter das Betäubungsmittelgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz. Die statuierten Straftatbestände und Rechtsfolgen enthalten zum Teil unbestimmte Formulierungen.

 

Den Kern des "Scharia-Strafrechts", also des islamischen Strafrechts mit seinen z.T. erniedrigenden Strafen wie Auspeitschung, Verstümmelung, Steinigung, sowie der Todesstrafe bilden die Abschnitte zu den Qisas- und Hudud-Delikten:

 

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"Hudud" (Art. 63 - 203) enthält Straftatbestände, die im Koran und in der Sunna genauer beschrieben sind, wie z.B. Diebstahl, Raub, Alkoholgenuss, Sexualstraftaten inkl. Homosexualität und Unzucht, sowie Verbrechen gegen Gott. Zu all diesen Tatbeständen enthält das Gesetz detaillierte Beweisregelungen, nach denen der Täter jeweils nur bei Geständnis oder ihn belastenden Aussagen mehrerer Zeugen verurteilt werden soll.

 

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"Qisas" (Art. 204 - 293) ist gekennzeichnet durch das Prinzip der körperlichen Vergeltung für die Tatbestände Mord und Körperverletzung mit Folge des Verlustes von Gliedmaßen. Hierbei können Geschädigte oder deren Familie selbst bestimmen, ob sie auf Vergeltung bestehen oder sich mit einer Schadensersatzzahlung zufrieden geben ("Diyeh" oder "Dyat", sog. Blutgeld; Minimalsatz rund 24.000 ¿). Gemäß Art. 297 iStGB ist für die in Art. 13 der Verfassung genannten religiösen Minderheiten Blutgeld in gleicher Höhe zu zahlen wie für die Tötung von Muslimen.

 

Die "Taazirat"-Vorschriften, Strafnormen, die nicht auf religiösen Quellen beruhen, bezwecken in erster Linie den Schutz des Staates und seiner Institutionen. Während für Hudud und Qisas Straftaten das Strafmaß vorgeschrieben ist, hat der Richter bei Taazirat-Vorschriften einen gewissen Ermessensspielraum.

 

Die Strafverfolgungspraxis ist insbesondere in Bezug auf politische Überzeugungen diskriminierend. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden beim Verdacht eines Verbrechens ohne Anklage unbefristet festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, teils weil ihnen das Recht verwehrt wird, teils weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten, z. B. Spionage für das Ausland oder Drogendelikten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat oft unverhältnismäßig hoch.

 

Auch Familienangehörige von Oppositionellen werden häufig Opfer von staatlichen Maßnahmen wie Schikanierungen und Drohungen, kurzzeitige Festnahmen, Misshandlungen und Haftstrafen. Damit scheint die Regierung zu bezwecken, einerseits die Familienangehörigen so einzuschüchtern, dass sie das Schicksal ihrer Verwandten nicht öffentlich machen, andererseits aber auch die politischen Aktivisten dazu zu bewegen, sich den Behörden zu stellen bzw. zu kooperieren. Insgesamt haben Übergriffe auf Familienangehörige von Oppositionellen seit der Präsidentschaftswahl 2009 deutlich zugenommen (AA 8.10.2012).

 

Kurden

 

Für staatliche Repressionen gegenüber den vorwiegend an der Grenze zum Irak und zur Türkei lebenden Kurden allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit gibt es keine Anzeichen. Kurden werden in größerer Zahl in hohe Ämter der Provinzverwaltungen berufen. Gleichzeitig bleiben aber Regierungsversprechen, etwa Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen und Universitäten einzurichten, unerfüllt. Es gibt jedoch zunehmend glaubwürdige Berichte über Diskriminierung von in Iran lebenden Kurden hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. In vielen Fällen werden kurdischen Aktivisten von der Zentralregierung separatistische Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet. Der Vorwurf separatistischer Tendenzen wird dabei in den letzten Jahren zunehmend umfassender ausgelegt. In diesem Zusammenhang wurden kurdischsprachige Publikationen verboten (u. a. Payam-e Kurdistan, Karaftoo, Rougehelat, Havar) und politisch aktive Studenten in Kurdistan aufgrund ihrer Tätigkeit exmatrikuliert. Nach einer zuverlässigen, wenn auch nicht abschließenden Zählung durch die niederländische Botschaft von Anfang Juni 2010 betrafen unter 49 in Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl 2009 ausgesprochenen Todesurteilen 24 Kurden. Ihnen wird zumeist "Mohareb", Kampf gegen Gott, oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (PJAK, "Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê" - Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans, einem direkten iranischen Ableger der türkischen PKK) vorgeworfen. Am 9.5.2010 wurden in Teheran fünf Kurden, darunter der Gewerkschafter und Kurdischlehrer Farzad Kamangar, wegen Mitgliedschaft in der PJAK hingerichtet. Den Hinrichtungen folgten heftige Proteste in den von Kurden bewohnten Landesteilen (AA 8.10.2012).

 

Die Regierung schränkte kulturelle und politische Aktivitäten der kurdischen Minderheit ein, einschließlich Organisationen, die sich auf soziale Themen konzentrieren (HRW 31.1.2013).

 

Kurdische Aktivisten wurden weiterhin von der iranischen Regierung verfolgt und mit vagen Anklagen, wie z.B. "Angriff gegen die nationale Sicherheit" oder "Kampf gegen Gott" verurteilt. In den Provinzen Iranisch Kurdistan, Kermanschah und Ilam kommt es häufig zu Konfiskationen von Eigentum. Kurden leben aufgrund von Zwangsumsiedlungen und Enteignungen in ärmlichen Verhältnissen (MRG 27.6.2012).

 

Frauen/Kinder

 

Frauen waren nach wie vor sowohl durch die Gesetzgebung als auch im täglichen Leben Diskriminierungen ausgesetzt - im Hinblick auf Eheschließung und Scheidung, erbrechtliche Fragen, Sorgerechte für Kinder, Staatsbürgerschaft und Auslandsreisen. Frauen, die gegen staatlich verordnete Bekleidungsvorschriften verstießen, drohte der Verweis von der Universität. Der Entwurf für das sogenannte Gesetz zum Schutz der Familie, das die Diskriminierung von Frauen noch verschärfen würde, wurde im Parlament weiterhin diskutiert. Ein Entwurf des Strafgesetzes lässt die vorhandene Diskriminierung der Frauen außer Acht und hält beispielsweise daran fest, dass die Aussage einer Frau vor Gericht nur halb so viel Gewicht hat wie die eines Mannes (AI 23.5.2013, vgl. auch FCO 4.2013).

 

Frauen sind in öffentlichen Ämtern und vielen Berufen unterrepräsentiert. Von einigen staatlichen Ämtern (Richter, Chef der Judikative, Oberster Religionsführer, Staatspräsident) sind Frauen ausgeschlossen (AA 8.10.2012, vgl. auch FH 1.2013, USDOS 19.4.2013). Im Wächter- oder Expertenrat gab es bislang niemals weibliche Mitglieder. Im Parlament sind neun von insgesamt 290 Abgeordneten Frauen. Zum ersten Mal wurde 2009, trotz starken Widerstandes v.a. aus dem religiösen Establishment, eine Frau als Gesundheitsministerin ins Kabinett gewählt (AA 8.10.2012, vgl. auch FH 1.2013).

 

Obwohl Frauen Zugang zu Grundschul- und weiterführender Ausbildung haben und ca. 65 Prozent der Universitätsstudenten Frauen sind, ist trotzdem eine von fünf Frauen Analphabetin. Eine Quotenregelung und andere Restriktionen schränkten die Zulassung von Frauen zu Universitäten in bestimmten Fächern ein, z.B. Medizin, technische Fächer, sowie Magisterabschluss und Doktoratsstudium. Acht Universitäten schlossen Frauen von gebührenlosen Tageskursen aus und zwangen sie, gebührenpflichtige Abendkurse zu besuchen (US DOS 19.4.2013, vgl. auch AA 8.10.2012, AI 23.5.2013).

 

Für Frauen gilt eine strenge Kleiderordnung. Nach herrschender orthodoxer islamischer Lehre müssen Frauen die Konturen ihres Körpers und ihre Haare verhüllen. In Großstädten werden die Kleidungsregelungen lockerer gehandhabt als in ländlichen Gebieten, in den Sommermonaten werden die Kontrollen landesweit ausgeweitet. Der Verstoß gegen die islamische Kleiderordnung kann gemäß der Anmerkung zu Art. 638 iStGB mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) oder Geldstrafe geahndet werden. Schwere Verstöße gegen die Kleiderordnung können im Einzelfall auch als Verstoß gegen die öffentliche Moral gewertet werden (Art. 637 iStGB Geldstrafe oder bis zu 74 Peitschenhiebe). Jeden Sommer wiederholen sich offizielle Androhungen, man werde Verstöße gegen die Kleiderordnung strenger ahnden (AA 8.10.2012, vgl. auch FH 1.2013).

 

Zu Verhaftungen kommt es immer wieder auch, wenn (junge) Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sie sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten (Asylländerbericht 2.2013).

 

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. So wird z.B. die Belästigung oder Beleidigung von Frauen in der Öffentlichkeit laut Art. 619 iStGB mit Haftstrafe von zwei bis sechs Monaten und bis zu 74 Peitschenhieben bestraft, gemäß Art. 82 d iStGB wird bei Vergewaltigung einer unverheirateten Frau der Täter mit dem Tod bestraft. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können schätzungsweise nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird (AA 8.10.2012, vgl. auch US DOS 19.4.2013). Für großes Aufsehen in der iranischen Öffentlichkeit sorgten zahlreiche Berichte zu Gruppenvergewaltigungen mehrerer Frauen in mehreren iranischen Städten im Juni 2011. So wurde in einer Ortschaft nahe Isfahan eine Privatparty, an der Frauen angeblich unverschleiert teilnahmen, von maskierten Männern gestürmt, die anwesenden Männer eingesperrt und alle Frauen vergewaltigt. Der Vorfall, der auch in staatlichen Medien breit aufgegriffen wurde, kann als bewusste Einschüchterung und Warnung an liberale Gesellschaftskreise interpretiert werden (AA 8.

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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