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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
AsylG 2005 §3, §6 Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines staatenlosen Palästinensers wegen objektiver Willkür infolge Verkennung der durch die Rechtsprechung des EuGH geklärten Rechtslage; Registrierung bei der UNRWA als ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfe durch eine von der Genfer Flüchtlingskonvention erfasste Organisation; "ipso facto"-Schutz der Statusrichtlinie infolge Wegfalls des Beistands "aus irgendeinem Grund" nicht ausschließlich bei Vorliegen individueller VerfolgungRechtssatz
Österreich ist seiner Verpflichtung, die Status-RL und damit auch den Art12 der Status-RL in innerstaatliches Recht umzusetzen, insoweit nachgekommen, als nach dem in §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 normierten Asylausschlussgrund einem Fremden kein Asyl gewährt werden kann, "so lange er Schutz gemäß Art1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genießt". Eine ausdrückliche Regelung, die die - in Satz 2 des Art12 Abs1 lita der Status-RL vorgesehene - "ipso facto"-Zuerkennung von Asyl an Personen, denen gegenüber der Beistand der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, einer Organisation der Vereinten Nationen iSd Art1 Abschnitt D der GFK) "aus irgendeinem Grund" weggefallen ist, anordnen würde, enthält das AsylG 2005 jedoch nicht. Der "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung von Personen, die unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, als diese - im Unterschied zu nicht unter Art12 Abs1 lita der Status-RL fallenden Personen - für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft machen müssen, sondern nur darzutun haben, dass sie unter dem Schutz der UNRWA gestanden sind, dass dieser Beistand aus irgendeinem Grund weggefallen ist und dass keiner der in Art12 Abs1 litb oder Abs2 und Abs3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt (vgl EuGH 19.12.2012, Rs C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott ua, Rz 76). Somit dürfte es sich bei Satz 2 des Art12 lita der Status-RL um eine den Einzelnen begünstigende unionsrechtliche Regelung handeln, die mangels Umsetzung in der am 10.10.2006 abgelaufenen Umsetzungsfrist (vgl Art38 Status-RL) unmittelbar anzuwenden sein dürfte.
Nach der Begründung des Urteils des EuGH in der Rechtssache Bolbol liegt mit der "Registrierung bei der UNRWA ein ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme ihrer Hilfe" vor (EuGH 17.06.2010, Rs C-31/09, Nawras Bolbol, Rz 52). Demgegenüber geht der AsylGH, der den Asylantrag des Beschwerdeführers am Maßstab des §3 AsylG 2005 prüft, offenbar davon aus, dass der Asylausschlussgrund des §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 nicht erfüllt ist, wenn eine Person zwar bei der UNRWA registriert ist, jedoch - wie der Beschwerdeführer - vor seiner Ausreise keine Lebensmittel der UNRWA mehr bezogen hat. Damit hat der AsylGH - ohne dem EuGH diese Frage vorzulegen - seiner Entscheidung eine Interpretation des den (ersten Teil) des Art12 Abs1 der Status-RL in innerstaatliches Recht umsetzenden §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 zugrunde gelegt, die der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zur genannten Bestimmung der Status-RL zu widersprechen scheint.
In seiner im Dezember 2012 - und somit nach der vorliegenden Entscheidung des AsylGH ergangenen - Entscheidung in der Rechtssache El Kott ist der EuGH nicht davon ausgegangen, dass der "ipso facto"-Schutz infolge des Wegfalls des Beistandes "aus irgendeinem Grund" ausschließlich im Fall individueller Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A der GFK eintritt; er hat vielmehr ausgeführt, dass die nationalen Behörden für "die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung [...] tatsächlich nicht länger gewährt wird, [...] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen".
Indem der AsylGH somit zum einen davon ausgegangen ist, dass die Registrierung bei der UNRWA nicht zum Nachweis für die tatsächliche Inanspruchnahme des Schutzes der UNRWA ausreiche, und indem er zum anderen angenommen hat, dass ausschließlich bei Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A der GFK davon auszugehen sei, dass der Schutz der UNRWA "aus irgendeinem Grund" iSd Art1 Abschnitt D GFK und iSd Art12 Abs1 lita Satz 2 Status-RL weggefallen ist, hat er die durch die Rechtsprechung des EuGH geklärte Rechtslage in maßgeblicher Weise verkannt und damit objektiv Willkür geübt.
Schlagworte
Asylrecht, EU-Recht Richtlinie, Auslegung gemeinschaftsrechtskonforme, BescheidbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:U706.2012Zuletzt aktualisiert am
08.08.2014