TE Vfgh Erkenntnis 2013/3/13 U2375/12

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Veröffentlicht am 13.03.2013
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

AsylG 2005 §3, §8, §10
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine willkürliche Entscheidung des Asylgerichtshofes; Fehlen von Feststellungen zur Situation ehemaliger Mitarbeiter ausländischer Sicherheitsunternehmen in Kabul

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander verletzt worden.              

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan. Er reiste am 6. August 2011 schlepperunterstützt nach Österreich ein und stellte am selben Tag bei der Polizeiinspektion Traiskirchen einen Antrag auf internationalen Schutz. Bereits bei der sogleich von Beamten der Polizeiinspektion durchgeführten Erstbefragung (§19 Abs1 AsylG 2005) gab er an, für ein (namentlich genanntes) amerikanisches Sicherheitsunternehmen gearbeitet zu haben. Aufgrund dessen hätten ihm die Taliban in Briefen gedroht, ihn zu töten, falls er seine Arbeit fortsetze. Die Drohungen habe er zunächst nicht ernst genommen. Er sei aber dann selbst von den Bewohnern seines Dorfes für einen Spion gehalten worden und habe seine Arbeit aufgeben müssen. Die Lage sei lebensgefährlich geworden und er habe flüchten müssen.

2. Diesen Fluchtgrund hielt der Beschwerdeführer auch im Verfahren vor dem Bundesasylamt (in der Folge: BAA) aufrecht. Dieses wies den Antrag des Beschwerdeführers jedoch mit Bescheid vom 15. März 2012 ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies ihn nach Afghanistan aus. In der Begründung des Bescheides führte das BAA aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer Drohbriefe von den Taliban erhalten habe oder durch diese einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Andere Asylgründe habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht und seien auch sonst nicht feststellbar. Im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul bestehe kein reales Risiko einer Verletzung der Art2 und 3 EMRK oder des 6. und. 13. ZPEMRK. Der Beschwerdeführer verfüge über Familie in Kabul und habe dort auch schon gearbeitet. Es bestünden auch kein privat- oder Familienleben in Österreich, das einer Ausweisung entgegenstehe.

3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof. Dieser führte am 12. Juli 2012 eine mündliche Verhandlung durch. Mit der angefochtenen Entscheidung wies der Asylgerichtshof die an ihn gerichtete Beschwerde gemäß den §§3, 8 und 10 AsylG 2005 ab. Er ging auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers und der von diesem vorgelegten Unterlagen davon aus, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe und seine Angaben, zwischen Mai 2005 und Juli 2007 (nicht durchgehend) für zwei amerikanische Unternehmen im Sicherheitsbereich gearbeitet zu haben, zutreffen würden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, auf Grund dieser beruflichen Tätigkeiten von den Taliban bedroht worden zu sein, schenkte der Asylgerichtshof jedoch keinen Glauben. Dies schloss er aus verschiedenen widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens. Darüber hinaus widerspreche es dem "Amtswissen", dass die Taliban in Kabul andere als politisch exponierte Personen gezielt angreifen. Zu dieser Gruppe gehöre der Beschwerdeführer als einfacher Angestellter einer amerikanischen Firma mit Sicherheit nicht. Schließlich erachtete der Asylgerichtshof auch einen vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Einbruch in das Kleidergeschäft seiner Brüder als glaubhaft, nicht jedoch den vom Beschwerdeführer behaupteten Zusammenhang mit seiner Verfolgung auf Grund der Tätigkeit für amerikanische Unternehmen und auch nicht eine Verfolgung durch verärgerte Kunden des Geschäftes.

Somit sei vom Beschwerdeführer eine Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden. Auch sonst bestehe kein reales Risiko einer Verfolgung. Dies ergebe sich aus den "vom Asylgerichtshof in das Verfahren eingeführten" (näher bezeichneten) Länderberichten. Hinsichtlich der Ausführungen zum subsidiären Schutz und zur Ausweisung schloss sich der Asylgerichtshof im Wesentlichen den Ausführungen des BAA an.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend macht.

5. Der Asylgerichtshof legte die Akten des Asylverfahrens (sowohl seine eigenen als auch jene des BAA) vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt. Darin wird nochmals auf das "Amtswissen" hingewiesen, wonach lediglich "politisch exponierte Personen" von den Taliban gezielt angegriffen würden. Der Beschwerdeführer gehöre nicht zu dieser Gruppe. Dieses Amtswissen gründe sich einerseits auf die Durchsicht von aktuellen Medienberichten zu Afghanistan und andererseits auf Gespräche mit Dolmetschern und Sachverständigen. Auch aus den Länderberichten ergebe sich kein Hinweis darauf, dass in Kabul gegen einfache Mitarbeiter westlicher Unternehmen seitens der Taliban vorgegangen werde.

II. Erwägungen

1. Ein willkürliches Verhalten des Asylgerichtshofes, das eine Verletzung des durch ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt liegt hier vor: Der Asylgerichtshof hat das Vorbringen des Beschwerdeführers, für zwei amerikanische Unternehmen im Sicherheitsbereich (jedenfalls bei einem als Leibwächter) als zutreffend erkannt. Das darüber hinaus gehende Vorbringen, auf Grund dieser Tätigkeiten von den Taliban verfolgt worden zu sein (und weitere Verfolgungsbehauptungen im Zusammenhang mit dem Kleidergeschäft seiner Brüder) erachtete er als unglaubwürdig und erkannte dem Beschwerdeführer deshalb weder den Status eines Asylberechtigten (§3 AsylG 2005) noch den eines subsidiär Schutzberechtigten (§8 leg.cit.) zu.

Mit dieser Schlussfolgerung (die dazu führende Beweiswürdigung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden) übersieht der Asylgerichtshof aber, dass bereits der von ihm als erwiesen angenommene Sachverhalt in Verbindung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm drohe schon allein auf Grund seiner früheren beruflichen Tätigkeit Verfolgung, weitere Ermittlungen und darauf gegründete Feststellungen erfordert hätte. Im Bescheid des BAA finden sich nur allgemeine Aussagen zur Sicherheitslage in Kabul, die dort zitierten Länderberichte befassen sich jedoch nicht speziell mit der Situation von Personen, die – wie der Beschwerdeführer – für ausländische Unternehmen im Sicherheitsbereich gearbeitet haben. Eine Berufung auf gegen eine besondere Bedrohungslage sprechendes "Amtswissen", das der Asylgerichtshof in der von ihm – im Übrigen erst in der Gegenschrift und nicht in der angefochtenen Entscheidung – dargelegten Art und Weise informell (durch "Gespräche" und nicht näher bezeichnete Medienberichte) erworben haben will, vermag in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren gewonnene Sachverhaltsfeststellungen nicht zu ersetzen. Auf Länderberichte stützt der Asylgerichtshof seine Entscheidung nur hinsichtlich einer ebenfalls verneinten "allfälligen sonstigen Verfolgung" (womit er die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie die Stellung eines Asylantrages in Österreich meint; Pkt.II.3. der Begründung). Er behauptet zwar, er habe (näher bezeichnete, vom Bescheid des BAA unterschiedliche) Länderberichte "in das Verfahren eingeführt", solche sind aber in der angefochtenen Entscheidung nicht inhaltlich wiedergegeben. Sie finden sich auch nicht in dem vom Asylgerichtshof vorgelegten Akt, der darüber hinaus keinen Anhaltspunkt dafür enthält, dass dem Beschwerdeführer zu diesen Berichten Parteiengehör gewährt worden wäre.

Das gänzliche Fehlen von in nachvollziehbarer Weise getroffenen Feststellungen zur Situation ehemaliger Mitarbeiter ausländischer Sicherheitsunternehmen in Kabul in der angefochtenen Entscheidung stellt einen Verfahrensmangel dar, der als Willkür im obigen Sinn zu qualifizieren ist. Der Asylgerichtshof wird insbesondere – konkret zu bezeichnende – aktuelle (Medien-)Berichte zur Situation solcher Personen in Afghanistan zu prüfen und zu würdigen haben.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U2375.2012

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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