TE AsylGH Erkenntnis 2013/07/09 S15 433321-1/2013

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Veröffentlicht am 09.07.2013
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Spruch

Zl. S15 433.321-1/2013/6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Höller als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXX, geb. XXX, StA:

Afghanistan alias staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.02.2013, Zl. 12 18.053-EAST Ost zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 (AsylG) stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans (alias staatenlos). Er reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.12.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Im Zuge der erkennungsdienstlichen Behandlung wurde im Ergebnis festgestellt, dass der Beschwerdeführer sich vor Antragsstellung in Italien aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt hat.

 

3. Im Zuge der niederschriftlichen Erstbefragung am 18.12.2012 gab der Beschwerdeführer an, dass er vor ca. 3 Monaten mit dem PKW von

XXX nach Kabul gefahren sei. Von Kabul sei er mit einem Autobus nach

XXX gefahren. Danach mit einem PKW bis nach Nimruz. Dort hätte er einen Schlepper getroffen, mit dem er ca. 2-3 Stunden im PKW in den Iran gefahren sei. An der iranischen Grenze sei er ca. 12 Stunden zu Fuß gegangen bis er in einer Wohnung untergebracht worden sei. Dann sei er mit dem PKW bis XXX gefahren. Dort sei er zwei Tage geblieben, ehe er wieder mit dem PKW weitergefahren sei und in Esfahan angekommen sei. Mit einem anderen Schlepper sei er mit dem PKW nach Teheran gefahren. Danach hätte ihn der Schlepper mit dem PKW bis nach Orumieh gebracht. Dann sei er mit einem PKW bis zur türkischen Grenze gefahren. Nach einem 10 stündigen Fußmarsch in der Türkei sei er in einer ihm unbekannten Stadt angekommen. In den nächsten drei Tagen sei er mit dem Schlepper in drei verschiedenen PKWs bis nach XXX gefahren. In Van sei er für eine Woche in einer Unterkunft geblieben. Danach hätte ihn der Schlepper zu einer Busstation gebracht, wo er mit einem öffentlichen Autobus nach Istanbul gefahren sei. In Istanbul sei er ca. 2 Wochen in einer Wohnung geblieben, danach hätte ihn der Schlepper mit einem PKW in einen ihm unbekannten Wald gebracht. Eine Nacht hätten sie im Wald verbracht, ehe sie Tags darauf mit einem Boot über einen Fluss gefahren seien. Nach Überquerung des Flusses sei er für 2 Wochen in ein Asylheim gekommen. Wo er sich befunden hätte, könne er nicht angeben. Nach zwei Wochen hätte er sich mit seinem Schlepper getroffen, welcher ihn mit einem PKW über eine ihm unbekannte Route bis Österreich gebracht hätte. Er hätte ihn zu einem Ort gebracht, wo er mit der Bahn bis ins Lager fahren hätte können, wo er am 10.12.2012 am Abend angekommen wäre.

 

4. Das Bundesasylamt hat auf Grund des zugrunde liegenden Sachverhaltes ein Konsultationsverfahren mit Italien eingeleitet. Dies wurde dem Beschwerdeführer schriftlich am 21.12.2012 mitgeteilt. Mit Erklärung vom 27.12.2012, eingelangt am 27.12.2012, stimmte Italien dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO ausdrücklich zu.

 

5. Am 22.01.2013 erhielt der Beschwerdeführer die Möglichkeit im Zuge eines Rechtsberatungsgesprächs volle Akteneinsicht in gegenständlichen Verwaltungsakt zu nehmen. In der darauf folgenden niederschriftlichen Einvernahme vor einem Organwalter des Bundesasylamtes gab er Folgendes an:

 

A: Ich bin minderjährig und unbegleitet. Ich nehme zur Kenntnis, dass mir deshalb gemäß § 64 (5) AsylG ein Rechtsberater als gesetzlicher Vertreter im Verfahren zur Seite gestellt wird.

 

F: Haben Sie in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder (Blutverwandtschaft oder durch Adoption begründet).

 

A: Nein.

 

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am 25.02.2013 brachte der Beschwerdeführer vor, dass der Cousin seines Vaters in Österreich lebe. Er werde von ihm aber nicht unterstützt.

 

6. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen, und gemäß § 10 Absatz 4 AsylG festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Italien zulässig sei.

 

7. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wird der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten. Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde vor, dass er in Italien kein leichtes Leben gehabt habe. Er sei zuckerkrank. Als er nach Österreich gekommen sei, sei er sofort ärztlich versorgt worden. Er habe niemanden in Italien, der auf ihn aufpassen könne und den er zur Hilfe rufen könne. Alleine zu leben sei für ihn gefährlich. Es könne sein, dass sein Blutzuckerspiegel in der Nacht im Schlaf absinke und er das Bewusstsein verliere, was für ihn sehr gefährlich sei. In Österreich lebe sein Onkel. Er ersuche Österreich seine Zurückschiebung nach Italien zu überprüfen. Die Beschwerde verband der Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

 

8. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 08.03.2013 beim Asylgerichtshof ein.

 

9. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 18.03.2013, Zl. S15 433.321-1/2013/2Z, wurde der Beschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin wie folgt erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer ist minderjährig und unbegleitet, reiste aus Afghanistan kommend über verschiedene Staaten letztlich in Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten ein, wo er am 12.11.2012 erstmals einen Asylantrag stellte. Italien trat inhaltlich in das Verfahren ein, jedoch wartete der Beschwerdeführer das Verfahren dort nicht ab, sondern reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter, wo er am 10.12.2012 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Italien stimmte dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO ausdrücklich zu. Ein ihn betreffendes Asylverfahren ist in Italien anhängig. Der Beschwerdeführer hat keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen und hat nunmehr in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt. Derzeit hält er sich seit seiner letzten Asylantragstellung in Österreich auf.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers, zu seinem Aufenthalt in Italien sowie Österreich, zu seinen Asylantragstellungen sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage. Dass Italien ins Asylverfahren inhaltlich eintrat, ergibt sich aus der ausdrücklichen Zustimmungserklärung Italiens.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz nach diesem Zeitpunkt gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Nach Art. 2 Buchst. c, d und h Dublin II-VO bezeichnet der Ausdruck

 

"c) ¿Asylantrag' den von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag, der als Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaats im Sinne [des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge] angesehen werden kann. ...

 

d) ¿Antragsteller' bzw. ¿Asylbewerber' den Drittstaatsangehörigen, der einen Asylantrag eingereicht hat, über den noch nicht endgültig entschieden worden ist;

 

...

 

h) ¿unbegleiteter Minderjähriger' unverheiratete Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines für sie nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen in einen Mitgliedstaat einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befinden ..."

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

Art. 6 Dublin II-VO lautet:

 

"Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.

 

Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig."

 

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 06.06.2013, C 648/11, folgendes ausgesprochen:

 

"Der Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, denjenigen Mitgliedstaat als ¿zuständigen Mitgliedstaat¿ bestimmt, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach es sich bei dem Beschwerdeführer um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, und der unterdessen in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, er sich durchgehend und aktuell nach seiner letzten Asylantragstellung in Österreich hier aufhält, ist nach Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO vor dem Hintergrund der oben zitierten Judikatur - schon aus diesem Grund - Österreich zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

 

b) Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine nähere Erörterung der Frage, ob Österreich selbst im Falle einer Zuständigkeit Italiens nicht von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch hätte machen müssen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
Bindungswirkung, Minderjährigkeit, Zuständigkeit
Zuletzt aktualisiert am
12.07.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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