TE UVS Tirol 2013/01/08 2012/30/3433-22

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Veröffentlicht am 08.01.2013
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Rudolf Rieser über die Berufung der chinesischen Staatsangehörigen W. F., geb am XY, wohnhaft in N., XY 17/Top 1, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Tirol vom 06. November 2012, betreffend Abweisung eines Antrags auf Aufhebung eines bestehenden Aufenthaltsverbotes, wie folgt:

 

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, AVG wird der Berufung Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und das mit Bescheid vom 22.07.2009, Zl XY, von der Bundespolizeidirektion Innsbruck verhängte und bis zum 21.07.2014 befristete Aufenthaltsverbot gemäß § 69 Abs 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (kurz: FPG) aufgehoben.

Text

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag vom 25.05.2012 auf Aufhebung des gegen die Berufungswerberin mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck am 22.07.2009 erlassene und bis 21.07.2014 befristete Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich abgewiesen. Die Abweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die seinerzeitige Mittellosigkeit aufgrund des Bezuges der Grundversorgung, also einer öffentlichen Unterstützung, und der seinerzeitige unrechtmäßige Aufenthalt weiterhin vorliegen würden, trotz des inländischen Aufenthaltes sei die Aufrechterhaltung der Maßnahme zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele jedoch als dringend geboten zu erachten. Die Mittellosigkeit stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar und könne daher von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zuständigen Ermessens Abstand genommen werden. Dies umso weniger als sich die Berufungswerberin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würde und der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zukommen würde.

 

In der rechtzeitig eingebrachten Berufung wurde Folgendes ausgeführt:

 

?Hiermit erhebe ich gegen den Bescheid der LPD Tirol, Aktenzahl: XY, über die Abweisung des Antrags auf Aufhebung des bis 21.07.2014 befristeten Aufenthaltsverbotes vom 06.11.2012, zugestellt am 12.11.2012 fristgerecht

BERUFUNG

Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung

 

Der Bescheid wird seinem Umfange nach wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten.

 

Die LPD Tirol ist heute noch der Meinung, dass das vor mehr als 3 Jahren erlassene Aufenthaltsverbotes immer noch erforderlich ist, um eine von mir ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. Meine beiden Kinder wurden in Österreich geboren. Aufgrund meiner neunjährigen Aufenthaltsdauer in Österreich und des hier bestehenden Privat- und Familienlebens von mir und meinen Kindern haben wir einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung bei der Bezirkshauptmannschaft Bludenz gestellt. Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz hat uns gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass sie in unserem Fall Art 8 der EMRK berücksichtigen werden und die Bezirkshauptmannschaft Bludenz hat uns in Aussicht gestellt, dass die Niederlassungsbewilligung erteilt werden kann, wenn das Aufenthaltsverbot durch die BPD Innsbruck aufgehoben wird.

 

Laut Auskunft der Bezirkshauptmannschaft Bludenz ist das einzige Hindernis, welches der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung im Moment noch im Wege steht das bestehende Aufenthaltsverbot.

 

Aufgrund dieses maßgeblich geänderten Sachverhaltes und der positiven Auskunft der Bezirkshauptmannschaft Bludenz stellt aus heutiger Sicht das nach wie vor bestehende Aufenthaltsverbot einen massiven Eingriff in mein Privat- und Familienleben gemäß Art 8 EMRK dar, sodass es mittlerweile auf jeden Fall überschüssig und unverhältnismäßig ist. Bei Berücksichtigung aller Umstände und einer umfassenden Interessenabwägung hätte die LPD Tirol zu solch einem Schluss kommen müssen. Die in meinem Antrag vom 25.05.2012 vorgebrachten Gründe, die für eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes sprechen würden, fanden zu wenig Berücksichtigung. Die Abwägung von öffentlichen Interessen, die für ein Aufenthaltsverbot sprechen, und das Recht auf Achtung meines Privat- und Familienleben ist meiner Meinung nach nicht umfassend erfolgt.

 

Die belangte Behörde hätte in einer Prognoseentscheidung beurteilen müssen, ob das Verbleiben im Bundesgebiet eine der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Interessen, insbesondere die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, erheblich gefährden werde. Die belangte Behörde geht davon aus, dass dies im Hinblick auf meine Mittellosigkeit der Fall wäre, da aus der Mittellosigkeit eine Gefahr der illegalen Mittelbeschaffung resultiert. Zudem habe die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert. Die LPD Tirol wirft mir vor, dass ich keinen Nachweis erbracht hätte, in welchem Zeitraum und in welchem Umfang ich mit Einkünften rechnen könnte und inwieweit diese gesichert sind. Die LPD Tirol übersieht dabei die Lage in der ich mich befinde. Aktuell hat mir die Bezirkshauptmannschaft Bludenz in Aussicht gestellt, dass ich eine Niederlassungsbewilligung bekommen kann. Ohne Niederlassungsbewilligung habe ich allerdings keine Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen, da die Voraussetzung für eine Arbeitsbewilligung eine Niederlassungsbewilligung ist. Es ist mir deshalb im Moment aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich regelmäßige Einkünfte nachzuweisen, da ich nicht arbeiten darf. Ich habe aber bereits eine Arbeitsstelle in Aussicht gestellt bekommen, für den Fall, dass ich einen Aufenthaltstitel vorweisen kann.

 

Es wurde das Privat- und Familienleben von mir und meinen Kindern nicht ausreichend berücksichtigt und keine entsprechende Prognoseentscheidung getroffen. Die LPD Tirol lässt eine intensive Auseinandersetzung mit meiner Lebenssituation und eine umfassende Interessenabwägung eindeutig vermissen.

 

Zudem wird festgehalten, dass die Behörde auch beurteilen muss, ob das Aufenthaltsverbot auch noch zum Zeitpunkt der Beurteilung des Aufhebungsantrags erlassen hätte werden dürfen. Wenn dem nicht so ist, muss das Aufenthaltsverbot aufgehoben werden. Es ist nicht erkennbar, dass die LPD Tirol dies geprüft hat.

 

Wie sich aus § 63 FPG ergibt, darf wegen Mittellosigkeit sowie einer Übertretung nach dem FPG bzw NAG kein Aufenthaltsverbot erlassen werden.

 

Selbst wenn ein Aufenthaltsverbot zu verhängen gewesen wäre, wäre ein Aufenthaltsverbot im Ausmaß von fünf Jahren überhöht weil ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot für mich, der bereits seit 2003 in Österreich seinen Lebensmittelpunkt hatte, unverhältnismäßig hoch ist und somit stellt dies einen enormen Eingriff in die Rechte des Art 8 EMRK da.

 

Ich stelle daher die Anträge

das Aufenthaltsverbot aufzuheben,

in eventu die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die Erstbehörde zurückzuverweisen, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbot herabzusetzen, jedenfalls jedoch dieser Berufung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.?

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat wie folgt erwogen:

Zur Sachverhaltsfeststellung wurde in den erstinstanzlichen Fremdenakt der Landespolizeidirektion Tirol Einsicht genommen. Weiters wurde der Fremdenakt der Bezirkshauptmannschaft Bludenz als nach dem Wohnsitz der Berufungswerberin zuständigen Fremden- und Aufenthaltsbehörde angefordert. Aus den vorgelegten Akten ergibt sich folgender verfahrensrelevanter Sachverhalt:

 

Der Aufenthaltsverbotserlassung im Jahre 2009 geht eine unrechtmäßige Einreise der Berufungswerberin am 13.05.2009 über den Brenner mit einem internationalen Reisezug in Richtung Innsbruck voraus. Im Rahmen des erfolgten Aufgriffes durch österreichische Sicherheitsorange erfolgte eine von der Bundespolizeidirektion Innsbruck angeordnete und noch am selben Tag durchgeführte Zurückschiebung nach Italien. Im Rahmen der Amtsbehandlung am 13.09.2009 wurde der Berufungswerberin schriftlich von der Bundespolizeidirektion Innsbruck mitgeteilt, dass aufgrund der festgestellten Mittellosigkeit die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes für das Bundesgebiet der Republik Österreich beabsichtigt werde. Zur Stellungnahme wurde eine Frist von zwei Wochen eingeräumt. Die Aufgegriffene und nach Italien rücküberstellte chinesische Staatsangehörige wurde auch aufgefordert, gemäß § 10 Zustellgesetz einen Zustellbevollmächtigen binnen 14 Tagen namhaft zu machen, widrigenfalls Schriftstücke ohne Zustellversuch durch Hinterlegung bei der Behörde zugestellt werden würden.

 

Das diesbezügliche Schriftstück wurde der Berufungswerberin am 13.05.2009 um 17.00 Uhr ausgehändigt. In weiterer Folge erfolgte keine Kontaktaufnahme mehr zwischen der Berufungswerberin und der Erstbehörde. Die Bundespolizeidirektion Innsbruck erließ daraufhin am 22. Juli 2009 einen Bescheid, mit dem gegen die Berufungswerberin ein bis 31.07.2014 gültiges Aufenthaltsverbot verhängt wurde. Bescheidbegründend wurde ausgeführt, dass die Berufungswerberin nicht im Besitz eines entsprechenden Visums oder Aufenthaltstitels für die Einreise von Italien nach Österreich und mittelos gewesen sei. Ein inländischer Wohnsitz sei ebenfalls nicht gegeben gewesen und sei die Berufungswerberin nach Italien zurückgeschoben worden. Da keine Stellungnahme erfolgt sei, würden die angedrohten Rechtsfolgen, nämlich die Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Aufenthaltsverbots, nunmehr mit dem gegenständlichen Bescheid eintreten.

 

Die Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides erfolgte durch Hinterlegung bei der Erstbehörde und erwuchs dieser mit Ablauf der 14-tägigen Rechtsmittelfrist am 07.08.2009 in Rechtskraft.

 

Aus dem durchgeführten Verfahren insbesondere den Meldedaten im Zentralen Melderegister ergibt sich, dass die Berufungswerberin vom 13.11.2003 bis 14.11.2007 mit mehreren Hauptwohnsitzen in Vorarlberg gemeldet war. Nach einer Wohnsitzunterbrechung ist die Berufungswerberin wiederum seit 20.05.2009 bis laufend mit Hauptwohnsitz in N. im Bundesland Vorarlberg polizeilich gemeldet. Bei der Bezirkshauptmannschaft Bludenz als zuständige Fremden- und Aufenthaltsbehörde liegt ein umfassender Fremdenakt, der bis in das Jahr 2003 zurückreicht, vor. Ein mit Antrag vom 13.11.2003 eingeleitetes Asylverfahren wurde rechtskräftig mit 16.06.2008 negativ samt einer Ausweisungsentscheidung abgeschlossen. Eine freiwillige oder zwangsweise Ausreise bzw Abschiebung in das Herkunftsland China scheiterte bisher trotz intensiver Versuche an den chinesischen Behörden, sodass bisher die Erlangung eines Heimreisezertifikates oder Reisepasses nicht möglich war. Zwischenzeitlich hat die Berufungswerberin am 24.09.2009 um 10.11.2011 zwei Kinder in Österreich geboren, die bei der der Mutter in Vorarlberg leben. Der Vater der beiden Kinder wurde zwischenzeitlich nach Deutschland überstellt. Die Kinder halten sich ebenfalls ohne nachgewiesenen Aufenthaltstitel bei der Mutter im Bundesgebiet auf. Aus dem vorgelegten Fremdenakt der Bezirkshauptmannschaft Bludenz geht hervor, dass die Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbewilligung konkret in Betracht gezogen wird. Der Lebensunterhalt wird zurzeit durch die Grundversorgung des Landes Vorarlbergs ermöglicht.

 

Rechtlich ist auszuführen, dass die Verhängung des 5-jährigen Aufenthaltsverbotes durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck im Juli 2009 als örtlich unzuständige Fremdenpolizeibehörde erfolgte. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung hatte die Berufungswerberin nachweislich bereits mehrere Monate und davor bereits mehrere Jahre einen Hauptwohnsitz im Bundesland Vorarlberg. Ein Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizeidirektion Innsbruck lag zu keiner Zeit vor.

 

Gemäß § 6 Abs 1 FPG richtet sich die örtliche Zuständigkeit im Inland nach dem Hauptwohnsitz im Sinn des Meldegesetzes. Da ein solcher Hauptwohnsitz nachweislich in N. vorlag, wäre für die Durchführung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens die Bezirkshauptmannschaft Bludenz sachlich und örtlich zuständig gewesen.

 

Es kann jedoch bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbots, wie im gegenständlichen Fall, die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot seinerzeit erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden.

 

Gemäß der Übergangsbestimmung in § 125 Abs 16 FPG bleiben vor in Krafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 38/2011 erlassene Aufenthaltsverbote gemäß § 60 oder Rückkehrverbote gemäß § 62 (FPG) bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig.

 

Aufgrund der nunmehr geltenden und für die Beurteilung heranzuziehenden Rechtslage können Aufenthaltsverbote und Ausweisungsbescheide nur mehr gegen Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel erlassen werden, wobei bei einem Aufenthaltsverbot für Drittstaatsangehörige (mit Aufenthaltstitel) der unrechtmäßige Aufenthalt und das mangelnde Einkommen keine bestimmten Tatsachen im Sinne des § 63 Abs 1 FPG mehr darstellen. § 63 Abs.2 FPG verweist diesbezüglich ausdrücklich nicht auf § 53 Abs 2 Z 3 und 6 FPG.

 

Der unrechtmäßige Aufenthalt und die Mittellosigkeit waren jedoch die wesentlichen Voraussetzungen, die zum gegenständlichen Aufenthaltsverbot geführt haben. Die von der Erstbehörde durchgeführte Zurückschiebung am 13.5.2009 war jedenfalls geboten und notwendig. Die in weiterer Folge mehr als 2 Monate nach der Zurückschiebung erfolgte Erlassung eines auf 5 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes war nicht mehr geboten und ist dieses (Aufenthaltsverbot) nach der heutigen Rechtslage basierend auf den vorliegenden Sachverhalt auch rechtlich nicht mehr zulässig. Für den gegenständlichen Fall wäre heutzutage eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG samt einem Einreiseverbot nach § 53 FPG zu verhängen, wobei lediglich wegen der Einreise und des kurzzeitigen mittellosen Aufenthalts im Bundesgebiet und der anschließend erfolgten Zurückschiebung eine 5-jährige Befristung jedenfalls als überschießend anzusehen ist. Bereits die Verhängung eines mehr als 3-jährigen Einreiseverbotes wär aufgrund des vorliegenden verfahrenswesentlichen Sachverhaltes jedenfalls also zu streng anzusehen.

 

Da im gegenständlichen Fall nach heutiger Rechtslage ein Aufenthaltsverbot jedenfalls nicht mehr verhängt werden könnte und auch die Erlassung eines mehr als drei Jahre befristeten Einreiseverbots als unverhältnismäßig und zu streng anzusehen wäre, war der Berufung Folge zu geben, der angefochtene Bescheid und das vor mehr als 3 Jahre von der damals unzuständigen Erstbehörde verhängte Aufenthaltsverbot gemäß § 69 Abs 2 FPG aufzuheben.

 

Über den weiteren Verbleib der Berufungswerberin im Bundesgebiet, insbesondere die Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbewilligung oder die Einleitung eines Verfahrens nach § 52 und § 53 FPG (Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot) hat bei Beibehaltung des bisherigen Hautwohnsitzes in der Gemeinde N. die örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft Bludenz zu entscheiden haben.

Schlagworte
Aufenthaltsverbot; örtliche Unzuständigkeit
Zuletzt aktualisiert am
18.02.2013
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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