TE AsylGH Erkenntnis 2013/05/07 S4 434686-1/2013

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Veröffentlicht am 07.05.2013
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Spruch

S4 434.686-1/2013/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.04.2013, Zl. 13 03.096-EAST West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

Der Beschwerdeführer, der gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz am 11.03.2013 stellte, ist Staatsangehöriger von Nigeria und reiste - seinen Angaben vom 11.03.2013 vor der Landespolizeidirektion XXXX zufolge - im August 2010 von Lagos per Flug nach Istanbul und weiter per Lkw nach Budapest, wo er nach einer polizeilichen Kontrolle den ersten Asylantrag stellte. In der Folge habe er sich zwei Jahre im Lager in XXXX aufgehalten, im Jänner 2012 sei er "verhaftet" worden, es sei ihm mitgeteilt worden, dass er nicht zum Aufenthalt in Ungarn berechtigt sei und bestraft werden müsse. Er habe sich bis zum Jänner 2013 in Haft befunden, er sei dann mit einem ungarischen Aufenthaltstitel entlassen und wieder in das Lager von XXXX gebracht worden. Er sei in Ungarn sehr schlecht behandelt und während seiner Haftstrafe geschlagen worden; zu essen habe er nur Brot und Joghurt bekommen. Seine Heimat habe er aus Angst um sein Leben wegen seiner sexuellen Orientierung verlassen, er sei homosexuell. Am 10.03.2013 sei er mit dem Nachtzug von XXXX nach Wien gelangt, wo er am 11.03.2013 eingetroffen sei.

 

Der Beschwerdeführer brachte dabei einen auf seine Person von den ungarischen Behörden ausgestellten Lichtbildausweis, mit der Gültigkeit vom XXXX bis XXXX, in Vorlage.

 

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer in Ungarn am 18.10.2010, 23.01.2012 und 27.08.2012 Asylanträge gestellt hat.

 

Das Bundesasylamt hat Ungarn mit E-Mail via DubliNet vom 15.03.2013 unter Mitteilung des oben dargelegten Sachverhaltes zum Reiseweg sowie der Eurodac-Treffer über die Asylantragstellungen ersucht, den Beschwerdeführer wiederaufzunehmen. Ungarn hat sich mit Fax vom 22.03.2013 bereit erklärt, den Asylwerber auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wiederaufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen. Dabei teilte Ungarn weiters mit, dass der Beschwerdeführer in Ungarn bereits drei Asylanträge gestellt habe, denen allesamt nicht stattgegeben worden sei, dem letzten am 07.09.2012. Der Beschwerdeführer sei in einer Unterkunft in XXXX untergebracht worden, von wo er am XXXX verschwunden sei.

 

Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 03.04.2013 gab der Beschwerdeführer ergänzend an, er glaube, er leide an emotionalen Schmerzen, sei jedoch diesbezüglich nicht in ärztlicher Behandlung. Er sei in Ungarn in einer Einzelzelle angehalten und von der Polizei misshandelt worden. Er habe Blut gespuckt und sei in ein Krankenhaus gebracht worden, dort habe eine Ärztin verweigert, ihn zu behandeln. Nachdem er sieben Monate Misshandlungen erduldet habe, sei er von zwei Polizisten aufgesucht worden, die ihm mitgeteilt hätten, sie seien vom Polizeihauptquartier und würden die Misshandlungen untersuchen und dem Beschwerdeführer helfen. Daraufhin sei er nach 21 Tagen entlassen worden, habe die in Vorlage gebrachte ungarische Karte bekommen und sei ins Lager nach XXXX gebracht worden. Von der Polizei habe er danach nie mehr etwas gehört. Er habe sich in der Folge in dem Lager aufgehalten, die Lebensbedingungen seien jedoch schlecht gewesen.

 

Auf Vorhalt der Feststellungen des Bundesasylamts zu "Dublin-II-Rückkehren" nach Ungarn gab der Beschwerdeführer an, er habe in Ungarn drei Asylanträge gestellt, die allesamt abgewiesen worden seien. Nach dem ersten Folgeantrag sei er ins Gefängnis gebracht worden, sein Rechtsberater habe ihm gesagt, dass er nach sechsmonatigem Aufenthalt im Gefängnis eine Beschwerde einbringen könne, dies sei auch geschehen, habe aber nichts gebracht. Der Beschwerdeführer wolle damit darlegen, dass die ihm vorgehaltenen Feststellungen nicht umgesetzt würden. Er wolle nicht zurück nach Ungarn, er sei homosexuell und deswegen in Ungarn fast zu einer Bestie abgestempelt worden.

 

Im Zuge dieser Einvernahme wurden dem Beschwerdeführer Berichte zu Ungarn ausgefolgt und ihm eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

 

Daraufhin wiederholte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 09.04.2013 im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und fügte hinzu, er sei froh, aus Ungarn geflüchtet zu sein, so wie er es damals geschafft habe, aus seiner Heimat zu fliehen. Im Gefängnis in Ungarn habe er einen Anwalt getroffen, der für eine Menschenrechtsorganisation arbeite. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass er nur sechs Monate im Gefängnis angehalten werden dürfe. Der Beschwerdeführer habe dem Anwalt von den Misshandlungen und rassistischen Beschimpfungen berichtet, der in der Folge eine Beschwerde verfasst habe. Danach sei er von zwei Polizisten über die Misshandlungen befragt worden, er sei gefragt worden, weshalb er geschlagen worden sei. Die Polizisten hätten zugesagt, etwas zu unternehmen, der Beschwerdeführer habe diese jedoch nicht mehr gesehen, er sei nach zwei Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden. Der Beschwerdeführer habe mit eigenen Augen gesehen, dass es in Ungarn keine Menschenrechte gebe.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und hiebei im Wesentlichen unter Hinweis auf Berichte von UNHCR vom April 2012 und Pro Asyl aus 2012 sowie einer Information des Ungarischen Helsinki Komitees den Zugang zum Asylverfahren, die Qualität des Asylverfahrens, die Aufnahmebedingungen und die Inhaftierung von Asylsuchenden in Ungarn bemängelt. Zudem brachte der Beschwerdeführer vor, das Bundesasylamt habe sich mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner sexuellen Orientierung in Ungarn diskriminiert worden sei, gar nicht auseinandergesetzt. Er habe in Ungarn viel Schlimmes erlebt und zunächst im Gefängnis und anschließend im Flüchtlingslager unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen.

 

In der Folge wiederholt die Beschwerde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen und wurde weiters angeführt, dem Beschwerdeführer sei eine Karte ausgefolgt worden mit der er Verpflegung im Lager XXXX erhalten habe, diese Karte stelle keine Aufenthaltsberechtigung für Ungarn dar. Aus dem Bericht des Ungarischen Helsinki Komitees vom 08.04.2013 gehe hervor, dass ein ungarisches Gesetz geplant sei, welches ab 1. Juli die Inhaftierung von Asylwerbern vorsehe. Im Übrigen werde auf die Rechtsprechung des EGMR und des VfGH verwiesen. Im Falle der Rückkehr nach Ungarn drohe dem Beschwerdeführer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche und erniedrigende Strafe im Sinne des Art. 3

EMRK.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(3a) Der Asylgerichtshof entscheidet weiters durch Einzelrichter über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß § 41a.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

 

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

 

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Dabei ist zu berücksichtigen:

 

a) die Art. und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

 

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

 

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

 

d) der Grad der Integration;

 

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

 

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

 

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

 

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

 

i) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 10 Abs. 5 AsylG 2005 ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 10 Abs. 6 AsylG 2005 bleiben Ausweisungen nach Abs. 1 binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

 

Gemäß § 10 Abs. 7 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, wenn sie durchsetzbar wird, als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, und hat der Fremde binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig auszureisen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 38 durchführbar wird; in diesen Fällen hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 10 Abs. 8 AsylG 2005 ist mit Erlassung der Ausweisung der Fremde über seine Pflicht zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise und gegebenenfalls über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde (§ 55a FPG) zu informieren, insbesondere auf Rückkehrhilfe, sowie auf mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung (§ 46 FPG) hinzuweisen.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Ungarn hat auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II-VO) akzeptiert, den Beschwerdeführer (wieder) aufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen. Zweifel daran, dass der Antragsteller in Ungarn Zugang zu einem Asylverfahren hatte und hat, liegen daher nicht vor. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bereits drei Mal Zugang zum ungarischen Asylverfahren hatte, was vom Beschwerdeführer gar nicht bestritten sondern vielmehr bestätigt wurde.

 

In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Zustimmung zur Rückübernahme des Beschwerdeführers in Art. 13 und Art 3 Abs. 2 Dublin II-VO begründet. Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates lauten wie folgt:

 

"KAPITEL III

 

RANGFOLGE DER KRITERIEN

 

Artikel 5

 

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

 

(2) Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

 

Artikel 6

 

Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.

 

Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig.

 

Artikel 7

 

Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen - ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat -, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die betroffenen Personen dies wünschen.

 

Artikel 8

 

Hat ein Asylbewerber in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde, so obliegt diesem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags, sofern die betroffenen Personen dies wünschen.

 

Artikel 9

 

(1) Besitzt der Asylbewerber einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

 

(2) Besitzt der Asylbewerber ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig, es sei denn, dass das Visum in Vertretung oder mit schriftlicher Zustimmung eines anderen Mitgliedstaats erteilt wurde. In diesem Fall ist der letztgenannte Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Konsultiert ein Mitgliedstaat insbesondere aus Sicherheitsgründen zuvor die zentralen Behörden eines anderen Mitgliedstaats, so ist dessen Antwort auf die Konsultation nicht gleich bedeutend mit einer schriftlichen Genehmigung im Sinne dieser Bestimmung.

 

(3) Besitzt der Asylbewerber mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Asylantrags in folgender Reihenfolge zuständig:

 

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

 

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichArtige Visa handelt;

 

c) bei nicht gleichArtigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

 

(4) Besitzt der Asylbewerber nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat. Besitzt der Asylbewerber einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag gestellt wird.

 

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

 

Artikel 10

 

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

 

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylbewerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hat der Asylbewerber sich für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

 

Artikel 11

 

(1) Reist ein Drittstaatsangehöriger in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ein, in dem für ihn kein Visumzwang besteht, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

 

(2) Der Grundsatz nach Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Drittstaatsangehörige seinen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat stellt, in dem er ebenfalls kein Einreisevisum vorweisen muss. In diesem Fall ist der letztgenannte Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

 

Artikel 12

 

Stellt ein Drittstaatsangehöriger einen Asylantrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaats, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

 

Artikel 13

 

Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

 

Artikel 2 lit i leg.cit. lautet wie folgt:

 

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

 

i) "Familienangehörige" die folgenden im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten anwesenden Mitglieder der Familie des Antragstellers, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:

 

i) den Ehegatten des Asylbewerbers oder der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, der mit diesem eine dauerhafte Beziehung führt, sofern gemäß den Rechtsvorschriften oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nichtverheiratete Paare nach dessen Ausländerrecht ähnlich behandelt werden wie verheiratete Paare;

 

ii) die minderjährigen Kinder von in Ziffer i) genannten Paaren oder des Antragstellers, sofern diese ledig und unterhaltsberechtigt sind, gleichgültig, ob es sich nach dem einzelstaatlichen Recht um eheliche oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt;

 

iii) bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen den Vater, die Mutter oder den Vormund;

 

Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO ist bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt ("Versteinerungszeitpunkt"). Dies ist in casu laut der EURODAC-Treffer der 18.10.2010, an dem der Beschwerdeführer seinen ersten Asylantrag in Ungarn gestellt hat, sodass - vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Beschwerdeführer nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt (vgl. Art. 6 Dublin II-VO), er in keinem Mitgliedstaat Familienangehörige hat (Art. 2 lit. i iVm Art. 7, 8 Dublin II-VO), er weder im Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels noch eines gültigen Visums (gewesen) ist (Art. 9 Dublin II-VO), seine Einreiseroute nicht bekannt ist, sodass Art. 10 Dublin II-VO ausscheidet und auch die Tatbestände der Art. 11 und 12 Dublin II-VO nicht gegeben sind - gem. Art. 13 Dublin II-VO Ungarn als jenes Land, in dem er (nach der Versteinerungsregel: erstmals) einen Asylantrag gestellt hat, zur Prüfung seines Antrages zuständig ist.

 

Zudem hat Ungarn ausdrücklich seine eigene Verantwortlichkeit zur Prüfung des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bekundet und hat in der Folge bereits mehrere diesbezügliche Verfahren durchgeführt. Dies bedeutete jedenfalls einen Selbsteintritt Ungarns gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO und wurde Ungarn nach dem Wortlaut dieser Bestimmung jedenfalls "dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen."

 

Auch aus Art. 15 Dublin II-VO (humanitäre Klausel) ergibt sich keine österreichische Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages des Beschwerdeführers, da dieser im Bundesgebiet keine Verwandten hat.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Sprung, Dublin II VO, K13. zu Art. 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risiken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Sprung, Dublin II VO³, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

Sohin ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz und seiner Ausweisung nach Ungarn gemäß §§ 5 und 10 AsylG - unter Bezugnahme auf seine persönliche Situation - in seinen Rechten gemäß Art. 3 und 8 EMRK verletzt werden würden, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

 

Das Bundesasylamt hat im angefochtenen Bescheid neben Ausführungen zur Versorgungslage, darunter auch zur kostenlosen Gesundheitsversorgung, von Asylwerbern in Ungarn auch Feststellungen zur ungarischen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer gem. der Dublin II-VO) samt dem dortigen jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelwege getroffen. So wurde etwa konkret ausgeführt, dass die ungarische Gesetzgebung jedem Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit der Stellung eines neuen Asylgesuches garantiert, unabhängig davon, ob bereits vorher ein Asylverfahren betrieben wurde oder nicht, in beiden Fällen wird das Vorverfahren entsprechend der Verfahrensweise eines Erstverfahrens eingeleitet. Weiters ergibt sich, dass gegen asylrechtliche Entscheidungen Beschwerde an ein Gericht eingebracht werden kann. Weiters wird konkret dargelegt, dass eine Abschiebung von Asylwerbern von Ungarn jedenfalls erst nach einer inhaltlichen Refoulemententscheidung erfolgt.

 

Vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen kann nun aber nicht erkannt werden, dass im Hinblick auf Asylwerber, die von Österreich im Rahmen der Dublin II-VO nach Ungarn rücküberstellt werden, aufgrund der ungarischen Rechtslage und/oder Vollzugspraxis in Ungarn systematische Verletzungen von Rechten gem. der EMRK erfolgen würden, oder dass diesbezüglich eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines "real risk" für den Einzelnen bestehen würde. Eine wie in der Entscheidung des EGMR vom 21.01.2011 im Fall MSS in Bezug auf Griechenland beschriebene Situation systematischer Mängel im Asylverfahren in Verbindung mit schweren Mängeln bei der Aufnahme von Asylwerbern kann somit nicht erkannt werden und vermögen einzelne Grundrechtsverletzungen, respektive Verstöße gegen Asylrichtlinien die Anwendung der Dublin II VO demgegenüber unionsrechtlich nicht zu hindern, respektive bedingen keinen zwingenden, von der Beschwerdeinstanz wahrzunehmenden, Selbsteintritt (EuGH 21.12.2012, Rs. 411/10, C 493/10).

 

Das Bundesasylamt hat sich bei seinen Feststellungen auch mit der vormaligen amtsbekannten Kritik (zu Unterbringung und Versorgung von Asylwerbern in Ungarn, sowie zu Rücküberstellungen nach Serbien, und im Hinblick auf Missstände bei der Inhaftierung vom Asylwerbern) des UNHCR auseinandergesetzt, und dargelegt, dass einzelne diesbezügliche Missstände zwar gegeben waren, doch keine systematischen Vollzugsdefizite gegeben sind. Weiters wurde der Kritik, dass über Serbien nach Ungarn eingereiste Asylwerber nahezu generell von Ungarn nach Serbien abgeschoben werden würden, entgegengetreten und ausdrücklich ausgeführt, dass gemäß des UNHCR-Berichtes "Note on Dublin transfers to hungary of people who have transited through Serbia- update Dezember 2012" Ungarn Asylwerber, die aus Serbien oder der Ukraine eingereist sind, nicht nach Serbien oder die Ukraine zurückgeschickt werden und Ungarn diesen Personen ein inhaltliches Verfahren nicht verwehrt.

 

Demgegenüber werden in der Beschwerde diesbezüglich lediglich allgemeine Kritikpunkte ins Treffen geführt, die aus einem UNHCR-Bericht vom April 2012 bzw. einem Bericht von Pro Asyl vom Februar 2012 stammen und somit nicht mehr aktuell sind.

 

Den Angaben des Beschwerdeführers, dass dieser in Ungarn vom Sicherheitspersonal misshandelt worden wäre, ist entgegenzuhalten, dass einzelne diesbezügliche Missstände zwar gegeben waren, doch sich keinesfalls feststellen lässt, dass gleichsam eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit für Misshandlungen von Asylwerbern besteht. Vor diesem Hintergrund kann sohin ein "real risk", dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Überstellung nach Ungarn Gefahr laufen sollte, erneut Opfer derartiger Übergriffe durch einzelne Polizeibeamte oder Angehörige des Sicherheitspersonals zu werden, nicht erkannt werden. Dem Beschwerdeführer bleibt es weiterhin unbenommen, sich an geeigneter Stelle, etwa dem Innenministerium, über erlittene Misshandlungen zu beschweren; es kann den ungarischen Behörden nicht unterstellt werden, dass diese allfälligen rechtswidrigen Übergriffen ihrer Organe oder sonstiger in ihren Diensten stehender Personen gleichgültig gegenüber stehen und nicht ernsthaft bestrebt sind, gegebenenfalls Abhilfe zu schaffen. Dasselbe gilt bei einer Verweigerung allenfalls notwendiger medizinischer Hilfe, wie sie dem Beschwerdeführer widerfahren sein soll, auch in diesem Fall ist vom Vorliegen effektiver Beschwerdemöglichkeiten auszugehen. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich auch, dass sich dieser offensichtlich erfolgreich gegen rechtswidrige Handlungen einzelner Polizeibeamter oder Angehöriger des Sicherheitspersonals zur Wehr setzen konnte. Ebenso gibt es Rechtsmittel bei unbegründeter oder unbegründet langer Anhaltung in Haft. Dass Fremde nach rechtskräftiger, gänzlicher Ablehnung ihrer Asylgesuche zum Verlassen des Landes aufgefordert werden und zur Sicherung ihrer Ausweisung unter Umständen in Schubhaft genommen werden, kann nicht als mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar angesehen werden, wie schon im angefochtenen Bescheid ausgeführt wurde.

 

Soweit der Beschwerdeführer behauptet, in Ungarn aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert worden zu sein, legt er in keiner Weise konkret dar, worin er eine Diskriminierung seiner Person erblickt hat und von wem er nach seiner Meinung diskriminiert wurde; jedenfalls ist diesbezüglich auf die zuvor genannten Beschwerdemöglichkeiten zu verweisen. Nach seinen eigenen und den Angaben der ungarischen Behörden wurden bezüglich aller drei von ihm gestellten Asylanträge in Ungarn Verfahren durchgeführt. Selbst nach Abschluss seines letzten Asylverfahrens in Ungarn hat er staatliche Versorgung genossen. Es sind keine Gründe ersichtlich aus denen Ungarn nunmehr dem Beschwerdeführer staatliche Versorgung, einschließlich allenfalls medizinisch notwendiger Versorgung, etwa bezüglich der im Verfahren vorgebrachten "emotionalen Schmerzen" des Beschwerdeführers, vorenthalten würde. Beim Beschwerdeführer vorliegende wesentliche Gesundheitsbeeinträchtigungen sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden in der Beschwerde auch nicht behauptet, sodass nicht davon ausgegangen kann, dass eine Überstellung nach Ungarn zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers führen oder gar die Herbeiführung eines lebensbedrohlichen Zustandes bewirken könnte.

 

Soweit in der Beschwerde auf zwei Entscheidungen des EGMR (Lokpo et Toure¿ v. Hungary und Ali Said and Aras Ali Said v. Hungary) hingewiesen wurde, ist auszuführen, dass diese beiden Entscheidungen schon in den Feststellungen des angefochtenen Bescheides Erwähnung finden und diesbezüglich ausgeführt wurde, dass aus beiden Urteilen keinerlei Bewertung des ungarischen Asylsystems durch den EGMR herausgelesen werden kann und in diesem Zusammenhang auch keine generellen systematischen Mängel des Asylsystems erwähnt wurden; den Entscheidungen lagen überdies ältere Sachverhalte zugrunde.

 

Es liegen weiters keine Indizien dahingehend vor, dass die Asylverfahren nigerianischer Staatsbürger in Ungarn unzumutbar lange dauern würden oder den unionsrechtlichen Anforderungen in einer qualifizierten Form nicht genügten (etwa im Sinne einer Verweigerung eines Asylverfahrens nach der GFK), dies auch in Bezug auf die Aufnahmerichtlinie. Zudem ist es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden, hypothetische Überlegungen über einen möglichen Ausgang eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen. Auch aus dem Umstand, dass Anerkennungsquoten relativ gering sein sollten, kann nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass kein ordnungsgemäßes Verfahren geführt wird. Auf das diesbezügliche Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095) wurde schon im angefochtenen Bescheid hingewiesen.

 

Umstände, die darauf schließen ließen, dass der Antragsteller in Ungarn selbst einer unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK pro futuro mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre, sind somit letztlich ebenso wenig vorhanden, wie dass ihm Ungarn entsprechenden Schutz versagt hätte bzw. versagen würde, sofern ihm im Heimatstaat unmenschliche Behandlung drohen würde.

 

Das Bundesasylamt hat daher zu Recht keinen Gebrauch vom Selbsteintrittsrecht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO gemacht. Der Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

Hinsichtlich der normierten Ausweisung ist festzuhalten, dass gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden ist, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ist, wie sich aus dem vorangehenden Entscheidungsteil ergibt, gem. § 5 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen worden. Es liegt kein Aufenthaltstitel, wonach ein rechtmäßiger Aufenthalt nach dem Asylgesetz gegeben ist, vor. Es liegt auch kein sonstiger Aufenthaltstitel vor und ergibt sich somit der rechtswidrige Aufenthalt des Fremden. Zur Beendigung dieses rechtswidrigen Aufenthaltes ist daher grundsätzlich deren Ausweisung geboten.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (IGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

Der Beschwerdeführer führt mit keiner Person im Bundesgebiet ein Familienleben. Seine Ausweisung nach Ungarn stellt somit keinen Eingriff in sein Familienleben dar.

 

Der durch die normierte Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet erfolgende Eingriff in sein Privatleben ist durch ein Überwiegen des öffentlichen Interesses im Vergleich zu seinem Privatinteresse am Verbleib im Bundesgebiet gedeckt:

 

Sein Aufenthalt im Bundesgebiet war nur ein vorläufiger und ist zudem sein erst etwa achtwöchiger Aufenthalt in Österreich gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes [- aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist erkennbar, dass etwa ab einem 10-jährigen Aufenthalt im Bundesgebiet im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen überwiegen können (VwGH vom 9.5.2003, Zl. 2002/18/0293). Gleiches gilt etwa für einen 7-jährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (VwGH vom 5.7.2005, Zl. 2004/21/0124).] als erst sehr kurzer Zeitraum zu qualifizieren. Der Beschwerdeführer musste sich weiters seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Integrationsaspekte, die zu seinen Gunsten wiegen, sind nicht erkennbar, sodass bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung der mit der Ausweisung des Beschwerdeführers verbundene Eingriff in sein Privatleben insbesondere im Hinblick auf die zeitliche Komponente, die sehr schwer zu seinen Lasten ausschlägt, zulässig und geboten ist.

 

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer bekämpften Ausweisungen ist daher festzuhalten, dass das Bundesasylamt eine korrekte Interessensabwägung im Sinne der Rechtsprechung vorgenommen hat. Den Ausführungen zu Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides ist seitens des Asylgerichtshofes für den konkreten Fall somit ebenfalls zuzustimmen.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz, unverzügliche Ausreiseverpflichtung, vorläufige Aufenthaltsberechtigung
Zuletzt aktualisiert am
13.05.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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