TE OGH 2008/12/16 11Ns69/08y

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Veröffentlicht am 16.12.2008
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gebert als Schriftführerin, in der Jugendstrafsache gegen Petro B*****, wegen des Verbrechens des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 143 Hv 111/08d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über Vorlage durch das Oberlandesgericht Wien, AZ 21 Bs 354/08z, gemäß § 215 Abs 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 21. Oktober 2008, GZ 11 Ns 69/08y-6, wird aufgehoben.

Die Jugendstrafsache wird dem Landesgericht Wels zur weiteren zuständigen Strafamtshandlung übermittelt.

Text

Gründe:

Der im Spruch genannte Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 21. Oktober 2008 erging aufgrund einer falschen Tatsachengrundlage, die Entscheidung war daher im Wege der Reassummierung zu beseitigen sowie neuerlich in der Sache zu erkennen (RIS-Justiz RS0101052).

Mit Anklageschrift vom 14. Juli 2008, AZ 5 St 208/08h, ON 6 der Hv-Akten, legt die Staatsanwaltschaft Steyr dem am 22.1.1992 geborenen Petro B***** das Verbrechen des „schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 zweiter Satz zweiter Fall StGB, das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB“ und das Vergehen des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 „Abs 2“ StGB zur Last und beantragt die Anordnung einer Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht.

Ihm wird vorgeworfen, er habe

A. fremde bewegliche Sachen in einem noch festzustellenden, insgesamt 3.000 Euro übersteigenden Wert, nachgenannten Personen durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er die Einbruchsdiebstähle in der Absicht beging, sich durch deren wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und zwar

1. am 6. Februar 2008 in Vorchdorf mit den abgesondert verfolgten Boris T***** und Serghei L***** als Beteiligte (§ 12 StGB) Verfügungsberechtigten des Unternehmens Josef W***** ca 40 Liter Diesel im Wert von 44 Euro, ein Navigationsgerät im Wert von 199 Euro, eine Jacke im Wert von 100 Euro sowie eine Decke in unbekanntem Wert durch Aufzwängen eines Schlosses (Faktum 15),

2. am 5. März 2008 in Wien mit einem bislang unbekannten Täter als Beteiligtem (§ 12 StGB) Verfügungsberechtigten der Hauptschule Roda-Rodagasse einen Tresor und eine Handkasse mit Bargeld in Höhe von 5.674 Euro, vier Digitalkameras in unbekanntem Wert, eine Digitalkamera im Wert von 325 Euro und einen Beamer im Wert von 800 Euro, durch Aufbrechen einer Türe;

B. am 5. März 2008 in Wien mit einem bislang unbekannten Täter als Beteiligtem (§ 12 StGB) Urkunden, nämlich zwei Sparbücher Verfügungsberchtigter der Hauptschule Roda-Rodagasse in Wien, über die sie nicht oder nicht alleine verfügen durften, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden;

C. am 4./5. März 2008 in Wien mit einem bislang unbekannten Täter als Beteiligtem (§ 12 StGB) den PKW Marke VW Golf mit dem pol. Kennzeichen *****, der zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, dadurch ohne Einwilligung des Berechtigten Michael G***** in Gebrauch genommen, dass sie sich die Gewalt über das Fahrzeug durch eine in § 129 StGB geschilderte Handlung, nämlich durch Aufbrechen des Fahrzeugs, verschaffen

Laut VJ-Register war das Ermittlungsverfahren gegen Petro B***** zu AZ 5 St 208/08h zumindest seit 13. Juni 2008 bei der Staatsanwaltschaft Steyr anhängig. Am 8. Juli 2008 wurde das Verfahren AZ 402 St 254/08m (Anzeige zu Punkt A./2. der Anklageschrift) von der Staatsanwaltschaft Wien ohne weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Steyr zur AZ 5 St 208/08h zwecks gemeinsamer Führung abgetreten (ON 1 in ON 4) und von dieser am 14. Juli 2008 gemäß § 26 StPO in das laufende Verfahren einbezogen (S 1 in ON 1).

Dem Angeklagten wurde mangels bekannten Aufenthaltes die Anklageschrift noch nicht zugestellt.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien teilte dem Oberlandesgericht Wien gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO Bedenken gegen seine Zuständigkeit mit und legte die Akten mit der (zusammengefassten) Begründung vor, der Jugendliche Petro B***** sei lediglich in der Zeit zwischen 27. November 2007 und 27. Jänner 2008 in Wien obdachlos gemeldet gewesen (ON 3) und gäbe es keine Anhaltspunkte, dass er sich danach weiter in Wien aufgehalten habe. Eine Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien gemäß § 29 JGG sei daher nicht gegeben.

Das Oberlandesgericht Wien legte die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

Die dabei angestellten Überlegungen sind im Ergebnis zutreffend.

Bei Ausländern, die in Österreich nicht integriert sind, ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes zwar extensiv zu interpretieren und eine Zuständigkeit gemäß § 29 JGG schon dann anzunehmen, wenn ein Jugendlicher, der sonst keinen Bezugspunkt im Inland hat, sich wenigstens eine gewisse Zeit hindurch an einem bestimmten Ort aufgehalten hat (vgl Schroll in WK² JGG § 29 Rz 6). Selbst dies zugrundegelegt ergeben sich aus dem Akteninhalt indes keinerlei Anhaltspunkte für einen in Wien liegenden gewöhnlichen Aufenthalt des Petro B***** zur für die Zuständigkeitsfrage relevanten Zeit der Einleitung des Strafverfahrens (was im Gegenstand frühestens nach dem ersten Tatzeitpunkt 6. Februar 2008 möglich war), sodass gemäß § 31 JGG die allgemeinen Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit zum Tragen kommen.

Nach § 210 Abs 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft die Anklage bei dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht einzubringen. Gemäß § 36 Abs 3 StPO ist für das Hauptverfahren das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Im Falle mehrerer Straftaten kommt - in Ermangelung eines der Fälle nach § 37 Abs 2 erster Satz StPO - nach § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO das Verfahren dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt. Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses zuständig (§ 37 Abs 2 letzter Satz StPO).

Die in diesem Sinn frühere Straftat wurde in Vorchdorf, somit im Sprengel des Landesgerichts Wels, begangen.

Der letzte Satz des § 37 Abs 2 StPO soll (als Ausnahme zum unmittelbar vorhergehenden Satz - arg „jedoch“) verfahrensökonomisch wirken (vgl RV StrafprozessreformG 1165 BlgNR XXI. GP, 101, und folgend Pilmacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren (2005) Rz 144 sowie Fabrizy, StPO10 § 37 Rz 8 und Bertel/Venier Strafprozessrecht2 (2008) Rz 94 f): er ist daher - mit den genannten Autoren - so auszulegen, dass lediglich die aktuelle Führung eines Ermittlungsverfahrens durch eine Staatsanwaltschaft Bedeutung für die gerichtliche Zuständigkeit entfaltet. Dies ist hinsichtlich der Staatsanwaltschaft Wien aus den gegenständlichen Akten nicht zu erkennen. Es gibt daher der zweite Satz des § 37 Abs 2 StPO den Ausschlag.

Zufolge Zuständigkeit des Landesgerichts Wels waren die Akten diesem zuzumitteln, weil eine Entscheidung eines Oberlandesgerichts mangels eines Einspruchs gegen die Anklageschrift nicht in Betracht kommt (§ 215 Abs 4 StPO).

Textnummer

E95877

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0110NS00069.08Y.1216.000

Im RIS seit

12.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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