TE OGH 2008/12/16 1Ob200/07d

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Veröffentlicht am 16.12.2008
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Gabriele S*****, und 2. Dr. Christoph M*****, vertreten durch Wukovits & Eppelein Rechtsanwälte GmbH in Wien, und des Nebenintervenienten auf Klagsseite Dr. Siegfried S*****, vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenienten auf der Beklagtenseite 1. Hermann F*****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Therese H*****, vertreten durch Dr. Michael Mohn, Rechtsanwalt in Wien, wegen 185.474,88 EUR sA, infolge außerordentlicher Revisionen der klagenden Parteien sowie des Nebenintervenienten auf Klagsseite gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Mai 2007, GZ 14 R 48/07t-123, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Dezember 2006, GZ 30 Cg 1/04v-111, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 13. 11. 2000 gegen 18:30 Uhr kam es in einem von der Erstklägerin gemieteten und von ihr mit dem Zweitkläger bewohnten Haus zu einem Brand, der seinen Ausgang bei einem offenen Kamin (Cheminée) im Wohnzimmer des ersten Obergeschoßes nahm. Die Brandursache lag darin, dass der Metalleinsatz des seit 1976 bestehenden Cheminées seine Wärme auf die dahinter liegende Außenwand des Gebäudes abgab und aufgrund der jahrelangen Wärmedauerbelastung der Außenwand hinter dem Cheminée die Zündtemperatur der dort befindlichen Holzbauteile kontinuierlich herabgesetzt wurde, sodass es letztlich am 13. 11. 2000 zu einer Entzündung des Sperrholzes der Wandbeplankung kam.

Das Haus wurde 1975 errichtet und 1976 den damaligen Eigentümern übergeben. Bereits zu diesem Zeitpunkt war der in den der Baubewilligung vom 11. 8. 1976 zugrundeliegenden Plänen noch nicht enthaltene Rauchfang samt Cheminée im Wohnzimmer so vorhanden wie bei der am 7. 11. 1979 durchgeführten Augenscheinsverhandlung zur Erteilung der Benützungsbewilligung. Die Errichtung dieses direkt auf das Cheminée aufgesetzten Rauchfangs im Wohnzimmer war auf dem Plan zur Erteilung der Benützungsbewilligung eingezeichnet, aber nicht als Änderung gekennzeichnet. Der Rauchfang wurde anlässlich der Augenscheinsverhandlung von Vertretern der Baubehörde begutachtet und nicht beanstandet. Es lag kein Befund eines Rauchfangkehrers vor. In der Benützungsbewilligung vom 22. 9. 1980 wurden in Ansehung dieses Rauchfangs und des Cheminées keine Auflagen erteilt. Das Cheminée war so gestaltet, dass zwischen der Rückseite seines als Metallteil ausgeführten Feuerraums und der Außenwand ein Hohlraum mit einer Tiefe von 16 cm bestand. Die Außenwand war durch Gipskartonplatten zum Cheminée hin brandhemmend verkleidet. Das Cheminée seinerseits war bis zur Außenwand mit Fliesen verkleidet, sodass weder dessen Rückseite, noch der Abstand zur Außenwand, noch deren bauliche Ausführung durch bloßen Augenschein feststellbar waren. Durch einen nach „amerikanischem Prinzip" aufgebauten, also direkt auf das Cheminée aufgesetzten Rauchfang - ohne Rauchfangsohle und Putzöffnung - wird grundsätzlich keine unmittelbare Gefahr begründet, die auf diese Bauweise zurückzuführen wäre. Das Cheminée funktionierte bis zum Brand im Jahr 2000 problemlos. Bei einem Abstand des Metallteils des Feuerraums von der Außenwand von 25 cm wäre ein Brand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterblieben.

Seit mindestens 1976 bis zum Brandzeitpunkt war der Erstnebenintervenient auf Beklagtenseite der zuständige Rauchfangkehrer. Er war an der Errichtung des Kamins nicht beteiligt und gab für dessen Rauchfang auch keinen Befund ab. Seinem seit 1997 das Haus betreuenden Mitarbeiter war anlässlich einer Hauptkehrung aufgefallen, dass das Cheminée nach „amerikanischem Prinzip" gebaut war und in dieser Form nicht der Bauordnung entsprach. Der Mitarbeiter ging aber davon aus, dass sein Dienstgeber von diesem Umstand Kenntnis hätte und teilte ihm dies daher nicht mit. Es gab keine Beanstandung des Kamins gegenüber den Eigentümern.

Die Kläger begehrten den Ersatz des ihnen aufgrund des Brandes entstandenen Schadens im Gesamtbetrag von 185.474,88 EUR. Wegen der bauordnungswidrigen Ausführung des maßgeblichen Kamins, insbesondere wegen des zu geringen Sicherheitsabstands zu brennbaren Teilen der Außenmauer, erweise sich die Erteilung der Benützungsbewilligung durch die Beklagte als rechtswidrig und schuldhaft, weil die Bauordnungswidrigkeit hätte auffallen müssen.

Die Beklagte wendete - soweit hier wesentlich - ein, dass der Brand nicht auf bauliche Mängel der Kaminanlage zurückzuführen sei. Aufgrund der Planunterlagen habe kein Anlass für ein Einschreiten bestanden. Die Benützungsbewilligung habe sich nicht auf den maßgeblichen Rauchfang erstreckt. Die Befeuerung eines Ofens ohne Kaminbefund sei den Klägern als auffallende Sorglosigkeit anzulasten.

Die Nebenintervenienten vertraten im Großen und Ganzen jeweils die Standpunkte der Hauptparteien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der hier maßgebliche Rauchfang habe nicht die Ursache für den Brand dargestellt. Vom Cheminée sei keine unmittelbare Brandgefahr ausgegangen. Gesetzliche Vorschriften über einzuhaltende Sicherheitsabstände habe es bei der Benützungsbewilligung nicht gegeben. Mangels augenscheinlicher Mängel habe die Benützungsbewilligung erteilt werden müssen, ein rechtswidriges Verhalten von Organen der Beklagten liege - auch im Zuge späterer feuerpolizeilicher Verrichtungen - nicht vor.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Mit ähnlicher Begründung wie das Erstgericht verneinte es das Vorliegen eines haftungsbegründenden Verhaltens von Organen der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionen der Kläger und des Nebenintervenienten auf Klägerseite sind zulässig und berechtigt.

1. Die Revisionswerber sehen die relevanten Rechtsfragen im Schutzbereich der „Wiener Bauordnung" und im Umfang des Rechtswidrigkeitszusammenhangs bei Erteilung einer Benützungsbewilligung trotz Errichtung eines konsenswidrigen Rauchfangs mit baulich fix verbundenem Cheminée. Sie werfen die Frage auf, ob die Normen der Bauordnung Schutzgesetze darstellen, also gerade dem Zweck dienen, eine Beeinträchtigung der Feuersicherheit zu verhindern. Werde eine Benützungsbewilligung zu Unrecht erteilt, müsse Amtshaftung bezüglich der daraus resultierenden Schäden Platz greifen und könne nicht daran scheitern, dass sich die Benützungsbewilligung nur auf den konsensgemäßen Bau beziehe und daher Bauordnungs- bzw Baubewilligungswidrigkeiten nicht saniere. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) sei ausschließlich auf verwaltungsrechtliche Konsequenzen ausgerichtet und könne nicht dazu führen, dass eine zivilrechtliche Haftung der Baubehörde für aus einer Konsenswidrigkeit resultierende Schäden ausgeschlossen sei.

2. Die Revision des Nebenintervenienten erörtert unter anderem ausführlich die Frage, ob eine gesetzliche Handhabe für die Überprüfung der Einhaltung des zur Vermeidung eines Brandes erforderlichen Sicherheitsabstands bei Feuerstätten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nach dem AVG zur Verfügung gestanden wäre.

3. Gemäß § 128 der BauO für Wien in der hier anzuwendenden Fassung war eine Benützungsbewilligung im Jahr 1980 dann zu erteilen, wenn das Gebäude keine augenscheinlichen Konsenswidrigkeiten zeigte und keine augenscheinlichen Mängel, die die sichere Benützbarkeit verhinderten, aufwies. Der Zweck der Benützungsbewilligung war die Feststellung der Plan- und Gesetzmäßigkeit der Bauführung (VwGH 29. 4. 1960, Zl 1515/58). Dagegen konnte sie den Baukonsens nicht abändern oder ersetzen (VwGH Slg 6940). Eine Abänderung des Baubewilligungsbescheids durch den Benützungsbewilligungsbescheid erfolgte daher grundsätzlich nicht (VwGH 6. 6. 1966 Zl 502/64; VwGH 21. 7. 2005, Zl 2004/05/0104). Aus einer erteilten Benützungsbewilligung konnte somit kein Recht auf Belassung eines der Bauordnung oder dem Baukonsens nicht entsprechenden Zustands abgeleitet werden (VwGH 6. 6. 1966, Zl 502/64; vgl VwGH 19. 3. 2002, Zl 2002/05/0004).

Nach § 128 Abs 4 BauO für Wien idF der Novelle LGBl 18/1976 war die Benützungsbewilligung zu erteilen, wenn das Gebäude der Baubewilligung, der BauO und den dazu ergangenen VO entsprechend ausgeführt war und alle mit dem Bau verbundenen gesetzlichen und bescheidmäßig auferlegten Verpflichtungen erfüllte. Sie war auch zu erteilen, wenn die Ausführung von den genehmigten Bauplänen nur insoweit abwich, als für die Abweichung eine Baubewilligung nicht erforderlich war oder wenn nur untergeordnete Teile noch nicht ausgeführt waren, sofern mit diesen Mängeln keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen verbunden war.

Vor Erteilung einer Benützungsbewilligung war daher nicht nur die ordnungsgemäße Ausführung des Baus im Sinne der Baubewilligung zu überprüfen, sondern die tatsächliche Bauführung in ihrer Gesamtheit - gerade wenn sie von der Baubewilligung abwich - insofern zu berücksichtigen, als dadurch die sichere Benutzbarkeit des Baus nicht gewährleistet bzw damit Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen verbunden war.

Nach § 129 Abs 10 BauO für Wien waren, wenn sich vermutete Abweichungen von den Bauvorschriften mit Augenschein allein nicht feststellen ließen, die Eigentümer des Gebäudes verpflichtet, dazu den Befund eines Sachverständigen vorzulegen, wobei der dort zu Grunde gelegte Sachverhalt für die Behörde überprüfbar sein musste.

Zur Zeit der Erteilung der Benützungsbewilligung gab es keine ziffernmäßigen Normen über den einzuhaltenden Abstand einer Feuerstätte zu anderen Bauteilen. Es bestand aber in § 112 der BauO für Wien die allgemeine Regelung, dass Feuerstätten so beschaffen und so „aufgestellt" sein mussten, dass weder Brandgefahr noch eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen entsteht. Darüber hinaus gab es Empfehlungen und Richtlinien, die - je nach Art der Feuerstelle und Ausführung der umgebenden Bauteile (zB mit feuerhemmender Verkleidung oder nicht) - Abstände zwischen 15 und 50 cm vorsahen.

Mit 1. 3. 1989 trat die Wiener Feuerpolizeiverordnung 1988 in Kraft, nach deren § 2 Abs 2 Feuerstätten für feste Brennstoffe, die aus eisernen oder sonstigen metallischen Werkstoffen hergestellt sind, so aufgestellt werden müssen, dass zu Holzteilen oder Bauteilen aus brennbaren Stoffen ein Mindestabstand von 50 cm verbleibt. Bei geschützten Bauteilen ist nur der halbe Abstand einzuhalten. Von einem geschützten Bauteil ist nach § 4 der genannten VO auszugehen, wenn er durch eine mindestens 1,5 cm dicke Verkleidung aus mineralischen Stoffen - wie Gipskartonplatten - von der Strahlungswärme der Feuerstätte geschützt wird.

4. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können sich aus der schuldhaften Verletzung von der Baubehörde obliegenden Pflichten gerade wegen einer darauf zurückzuführenden Minderung der Feuersicherheit Amtshaftungsansprüche ergeben (SZ 53/61; SZ 50/24; SZ 60/177). Auch wenn die hier anzuwendende Fassung des § 128 der BauO für Wien die Überprüfung des feuerpolizeilichen Zustands des vollendeten Baus nicht explizit erwähnte, war doch die Erfüllung aller mit dem Bau verbundenen gesetzlichen Verpflichtungen und somit auch die Einhaltung der feuerpolizeilichen Vorschriften des § 112 der BauO für Wien zu prüfen. Diese Bestimmung setzte zwar keine Abstände einer Feuerstätte zu ihrer Umgebung fest. Aus technischen Richtlinien und Empfehlungen ergibt sich aber eine Konkretisierung der gesetzlich allgemein angesprochenen, hintanzuhaltenden Brandgefahr bzw Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen insofern, als sich daraus klar ableiten lässt, welcher Abstand einer Feuerstätte zu ihrer Umgebung zur Verhinderung einer unmittelbaren aber auch einer latenten Brandgefahr - eben auch durch kontinuierliche thermische Einwirkung der Feuerstätte auf Materialien in ihrer Umgebung - einzuhalten ist. Demnach war die Behörde gehalten, die für die Beurteilung des Vorliegens einer Brandgefahr notwendigen Sachverhaltsgrundlagen zu schaffen.

Unabhängig davon, ob für den zweiten Rauchfang bzw das Cheminée eine zusätzliche Baugenehmigung erforderlich gewesen sein sollte oder nicht, wurde mit deren Einbau bzw der Verkleidung des Cheminées eine bauliche Situation geschaffen, in der die grundsätzlich zu prüfende Brandgefahr durch bloßen Augenschein nicht beurteilt werden konnte. Insofern lagen Umstände für geeignete weiterführende Ermittlungen der Baubehörde, zB durch Planeinsicht, Befragung des Bauherrn oder Bauleiters oder der mit dem Einbau des Rauchfanges bzw Cheminées befassten Personen, allenfalls auch für ein Vorgehen nach § 129 Abs 10 BauO für Wien vor.

Der VwGH hat zwar in seinem Erkenntnis vom 22. 9. 1992, 88/05/0269 zwischen Bestimmungen der BauO, die sich in allgemeiner Form auf den Brandschutz beziehen, und besonderen Anordnungen über den Brandschutz unterschieden und den selbständigen, „zusätzlichen" normativen Gehalt ersterer Gruppe verneint, deren normative Funktion aber sehr wohl im verfahrensrechtlichen Element, also der auf die feuerpolizeiliche Gefahrenabwehr gerichteten Überprüfungspflicht der Baubehörde gelegen, gesehen. Gerade diese Funktion hat die Baubehörde hier aber nicht wahrgenommen, sondern statt dessen - ohne auch nur einen Versuch zur Ermittlung des Abstandes des Cheminées zur Wand bzw deren baulichen Ausführung und damit zur Einschätzung einer konkreten Brandgefahr zu unternehmen - die Benützungsbewilligung erteilt.

Insoweit hält der erkennende Senat den Bescheid, mit dem die Benützungsbewilligung erteilt wurde, für rechtswidrig. Die Revisionswerber verweisen zu Recht auf die Verletzung der Vorlagepflicht nach § 11 AHG. Die Anrufung des VwGH ist aber Sache des Prozessgerichts, also des Gerichts erster Instanz, das allein das Verfahren in einer Weise unterbrechen kann, dass nach der Entscheidung des VwGH die dann notwendige Erörterung des entstandenen Sachverhalts stattfinden kann (SZ 60/177).

Den Revisionen ist demnach Folge zu geben und die Rechtssache an das Erstgericht zwecks entsprechendem Vorgehen zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E89794

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0010OB00200.07D.1216.000

Im RIS seit

15.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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