TE OGH 2009/1/27 10ObS173/08a

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Veröffentlicht am 27.01.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Anton S*****, Pensionist, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufrechnung, infolge Wiederaufnahmsklage der beklagten Partei gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 6. November 2007, GZ 10 ObS 104/07b-25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof ist zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage nicht zuständig.

Die Wiederaufnahmsklage wird im Sinne des § 474 Abs 1 ZPO dem Arbeits- und Sozialgericht Wien überwiesen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid der Beklagten vom 7. 11. 2001 wurde der Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. 11. 2001 in der monatlichen Höhe von 30.156 ATS (2.191,52 EUR) anerkannt.

Mit Bescheid der Beklagten vom 23. 11. 2004 wurde das Verfahren über den Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer wieder aufgenommen (= Punkt 1. des Bescheids) und gleichzeitig ausgesprochen, dass die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer aufgrund der Pflichtversicherung am Stichtag nicht gebühre und der im Zeitraum vom 1. 11. 2001 bis 31. 10. 2003 entstandene Überbezug von 46.837,91 EUR zurückgefordert werde (= Punkt 2. des Bescheids).

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 20. 6. 2005 wurde dem vom Kläger allein gegen Punkt 1. des Bescheids vom 23. 11. 2004 erhobenen Einspruch stattgegeben und festgestellt, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Beklagte nicht zu Recht erfolgt sei.

Mit Antrag vom 14. 7. 2005 begehrte der Kläger auch die Wiederaufnahme des zu Punkt 2. des Bescheids vom 23. 11. 2004 rechtskräftig abgeschlossenen Leistungs- und Rückforderungsverfahrens. Diesen Antrag des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 30. 12. 2005 ab. Dem dagegen erhobenen Einspruch des Klägers gab der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 19. 6. 2006 Folge und stellte fest, dass die Abweisung des Antrags des Klägers auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Leistungs- und Rückforderungsverfahrens (vgl Punkt 2. des Bescheids vom 23. 11. 2004) nicht zu Recht erfolgt sei. Gegen diesen Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 19. 6. 2006 erhob die beklagte Partei beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde, über die während der Zeit der Anhängigkeit des Vorprozesses allerdings noch nicht entschieden wurde.

Mit dem im Vorprozess verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 19. 1. 2006 sprach die Beklagte die Rückzahlung des geschuldeten Überbezugs an vorzeitiger Alterspension in der Höhe von insgesamt 46.837,91 EUR ab dem 1. 2. 2006 im Wege der Aufrechnung gemäß § 103 ASVG aus.

Das Erstgericht gab der vom Kläger dagegen erhobenen Klage statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, wies das Klagebegehren ab und erkannte den Kläger schuldig, ab 1. 2. 2006 die Aufrechnung eines Betrags von 713,17 EUR monatlich zur Deckung eines Überbezugs von insgesamt 46.837,91 EUR zu dulden.

Der Oberste Gerichtshof gab mit Urteil vom 6. 11. 2007, AZ 10 ObS 104/07b, der vom Kläger dagegen erhobenen außerordentlichen Revision Folge und stellte das klagsstattgebende Ersturteil mit einer Maßgabebestätigung wieder her. Der erkennende Senat verwies in seiner Begründung insbesondere darauf, dass durch den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 19. 6. 2006 (auch) der in Punkt 2. des Bescheids der Beklagten vom 23. 11. 2004 enthaltene Leistungs- und Rückforderungsausspruch - unabhängig davon, dass gegen diese Entscheidung eine Beschwerde der Beklagten beim Verwaltungsgerichtshof anhängig sei - außer Kraft gesetzt worden sei. Das Sozialgericht sei an diesen rechtskräftigen Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 19. 6. 2006 über die Bewilligung der Wiederaufnahme gebunden. Es liege demnach ein rechtswirksamer Bescheid über eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Klägers nicht (mehr) vor, weshalb eine Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 2 ASVG, wofür eine aufrecht bestehende Rückzahlungsverpflichtung nach § 107 ASVG Voraussetzung sei, bei der derzeit gegebenen Sach- und Rechtslage nicht in Betracht komme.

In ihrer am 11. 11. 2008 beim Obersten Gerichtshof eingebrachten, auf die Wiederaufnahmsgründe des § 530 Abs 1 Z 5 und 7 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklage begehrt die Wiederaufnahmsklägerin im Wesentlichen die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens, die Aufhebung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 6. 11. 2007, AZ 10 ObS 104/07b, sowie die Bestätigung des (auf Klagsabweisung lautenden) Urteils des Berufungsgerichts. Sie brachte insbesondere vor, dass der Verwaltungsgerichtshof mittlerweile mit dem beigelegten Erkenntnis vom 20. 2. 2008 den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 19. 6. 2006 wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben und der Landeshauptmann von Wien mit dem ebenfalls angeschlossenen Ersatzbescheid vom 10. 10. 2008 den Einspruch des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. 12. 2005 als unbegründet abgewiesen und damit den im Punkt 2. des Bescheids enthaltenen Leistungs- und Rückforderungsausspruch bestätigt habe. Damit liege gegenüber der im Vorverfahren maßgebenden Sach- und Rechtslage nunmehr aber ein rechtswirksamer Bescheid über eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Klägers vor, welcher in (analoger) Anwendung des § 530 Abs 1 Z 5 und 7 ZPO einen Wiederaufnahmsgrund darstelle. Der Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 10. 10. 2008 sei der Beklagten am 14. 10. 2008 zugestellt worden, weshalb die Wiederaufnahmsklage auch rechtzeitig erhoben worden sei. Zur Begründung der Zuständigkeit wurde vorgebracht, dass von dem geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs betroffen sei. Sollte sich der Oberste Gerichtshof für die vorliegende Wiederaufnahmsklage allerdings als nicht zuständig erachten, werde um eine (amtswegige) Überweisung der Klage an das zuständige Gericht ersucht.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage gemäß § 532 Abs 2 ZPO nicht zuständig.

Die Wiederaufnahmsklage muss - abgesehen von dem hier nicht relevanten Fall des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO - beim Erstgericht des Vorprozesses, wenn aber nur eine in höherer Instanz erlassene Entscheidung von dem geltend gemachten Anfechtungsgrund betroffen wird, bei dem bezüglichen Gericht höherer Instanz eingebracht werden (§ 532 Abs 2 ZPO). Die Wiederaufnahmsklage ist daher im Regelfall beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen. Der Oberste Gerichtshof ist für Wiederaufnahmsklagen grundsätzlich funktionell unzuständig (RIS-Justiz RS0044576). Dies gilt insbesondere auch im vorliegenden Fall, weil der der rechtlichen Beurteilung zugrunde liegende Sachverhalt in allen Instanzen derselbe ist und der Oberste Gerichtshof den Sachverhalt nur rechtlich anders als das Berufungsgericht beurteilt hat. Eine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs im Sinn des § 532 Abs 2 ZPO wäre nur dann gegeben, wenn allein seine Entscheidung vom relevierten Wiederaufnahmsgrund betroffen wäre (3 Ob 194/07m mwN). Allein der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Berufungsgerichts im Vorprozess zum Nachteil der Wiederaufnahmsklägerin abgeändert und damit Anlass zur Wiederaufnahmsklage gegeben hat, reicht dafür jedenfalls nicht aus (vgl Jelinek in Fasching/Konecny² § 532 ZPO Rz 20 f mwN; 9 Ob 169/98p ua).

Die Unzuständigkeit des Obersten Gerichtshofs für die vorliegende Wiederaufnahmsklage führt jedoch nach nunmehr ständiger Rechtsprechung nicht zur Zurückweisung der Klage, sondern zur amtswegigen Überweisung der Sache an das zuständige Erstgericht des Vorprozesses (vgl 3 Ob 194/07m). Das Erstgericht wird auch die Zustellung der vorliegenden Entscheidung zu veranlassen haben (10 ObS 363/98z = SSV-NF 12/157).

Textnummer

E89927

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00173.08A.0127.000

Im RIS seit

26.02.2009

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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